„Du bist wie deine Mutter“

Wir ähneln unseren Eltern, ob wir es wollen oder nicht. Sechs Autorinnen und Autoren haben dem nachgespürt, was sie von ihren Müttern und Vätern geerbt und übernommen haben.

WEGWERFEN? UNDENKBAR!

Was ich von meinem Vater gelernt habe, lässt sich an einem alten Tannenbaumständer beschreiben. Jahr für Jahr war dieser Ständer wackelig und brauchte immer neue Keile, um den Baum zu halten. Aber mein Vater hatte die Devise: „Was nicht passt, wird passend gemacht!“ Dabei ging es nicht um „stylish“, sondern um praktisch und vor allem darum, Geld zu sparen. Schon früh habe ich den Umgang mit Werkzeugen gelernt und zusammen mit meinem Vater überlegt, wie alte Schrauben zu lösen sind oder ein Blumentopf mit neuer Farbe lackiert werden kann. Dinge wegzuwerfen oder schnell durch Neues zu ersetzen, war undenkbar. Ich bin ihm heute dankbar dafür, so kann ich vieles selbst bauen und herstellen, wofür andere teure Handwerker brauchen. Ob ich das meinen Kindern so weitergeben kann, weiß ich allerdings nicht … Vaters Werkstatt war eine übersichtlich geordnete Schar an aufgehängten Dingen. Für alles und nichts wurde ein Nagel oder Haken in die Wand geschlagen und Seile, Schraubzwingen, Keile und Maulschlüssel wurden fein säuberlich aufgereiht. Der Tannenbaumständer hat so jedenfalls fast 20 Jahre mit stetigen Reparaturen überlebt, bis er so hässlich war, dass er den Weg in den Sperrmüll fand. Auch da erlebe ich heute meine Grenze: Räder zu pflegen und zu reparieren, Regale umzubauen – das hat Sinn. Aber Dinge totzupflegen aus dem Unwillen (oder sagen wir ruhig Geiz), Neues zu investieren – da greift meine Familie ein.

Der Autor lebt mit seiner Familie im Südwesten Deutschlands.

 

KRANKE PSYCHE

Irgendwann in meiner Jugend begriff ich, dass meine Mutter nicht gesund ist. Ihre Psyche ist erkrankt. Die Stimmungsschwankungen forderten uns als Familie täglich heraus. Manchmal war es so schlimm, dass sie in eine selbstzerstörerische Phase rutschte. Besonders in den Nächten war sie unruhig, oft betrunken und hin und her gerissen zwischen Hass auf irgendjemanden oder Todessehnsucht. Ich dachte als Kind: So sind Erwachsene nun mal. Es hat mir später als Erwachsene jahrelang wehgetan zu verstehen, dass meine Familie gelitten hat, weil meine Mutter sich keine Hilfe suchen wollte und mein Vater schwieg. Schuld waren in Mutters Augen doch sowieso die anderen, die sie alle falsch behandelten, beleidigten und missachteten. Es gab in meinem Leben keinen Urlaub oder kein Familienfest mit der Anspannung: Wie geht es meiner Mutter? Als ich selbst Mutter wurde, entdeckte ich ähnliche Spannungen in mir. Die Angst, ebenso unberechenbar zornig zu werden, wurde immer größer. Schließlich saß ich bei einem Facharzt, um die Frage zu stellen: „Ist die psychische Erkrankung meiner Mutter erblich?“ Mir hat es gutgetan, die Hintergründe der Krankheit erklärt zu bekommen und auch die Strukturen einer schlechten Phase. Ich habe verstanden, dass meine sehr empfindsame Wahrnehmung als Schutz vor der Unberechenbarkeit meiner Mutter entstanden ist und ich deshalb auch viel schneller erschöpft bin als andere. Besonders wichtig wurde dieses Erbe meiner Familie, als eines meiner Kinder mit meiner Mutter Ähnlichkeit bekam. Nicht nur die Hände meines Kindes sind so feingliedrig wie ihre, sondern auch sein finsterer Blick bei Unverständnis erinnerte mich schaudernd an die Krisen meiner Kindheit. Gebe ich dieses Erbe nun weiter? Es braucht bis heute, dass ich bewusst die Fachinformationen in mein Wissen rufe: Dieses Erbe ist keine genetische Erkrankung. Ich habe aus den seelischen Unsicherheiten und Schmerzen meiner Kindheit meine feinfühlige Kompetenz für Menschen gewonnen und kann das mittlerweile als Gutes erkennen. Um mein Kind sorge ich mich immer noch manchmal … Wird es sich ausdrücken können, oder bleiben Emotionen ohne angemessene Ausdrucksform? Bis heute umfängt mich eine Welle von Trauer zwischendurch, dass meine Familiengeschichte durch die Erkrankung eines Menschen so geprägt wurde. Es bleibt trotz aller inneren Wege eine Wunde.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Rheinland-Pfalz.

In Family 6/16 finden Sie weitere Statements zu diesem Thema.

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