„Er kommt nur, wenn er etwas braucht“

„Seit unser Sohn in seiner eigenen Wohnung lebt, beschleicht uns als Eltern das Gefühl, nur noch gefragt zu sein, wenn er sich selbst etwas nicht leisten kann oder will. Er leiht sich regelmäßig unser Auto und andere Dinge aus. Sicher teilen wir gerne mit ihm, aber es stört uns, dass er sich ausschließlich bei uns meldet, wenn er was braucht.“

Zwanzig Jahre oder länger hat Ihr Sohn mit Ihnen in einem Haushalt gelebt und ist dabei mit allem Materiellen versorgt worden. Nach dem Auszug merkt er in vollem Ausmaß, wie vieles man im Alltagsleben braucht und wie teuer manche Anschaffungen sind. Viele junge Menschen mit eigenem Einkommen empfinden es als normal, dass ihre Eltern und deren Besitz ihnen weiter zur Verfügung stehen, wie zu der Zeit, als alle im gleichen Haus wohnten. Der Schritt in die materielle Selbstständigkeit ist dann noch nicht abgeschlossen, während die innere Unabhängigkeit im Denken und Lebensstil schon vollzogen wurde.

FEHLENDE GEGENSEITIGKEIT
Grundsätzlich ist es eine sehr gute Idee, sich mit Gegenständen auszuhelfen, die nicht ständig gebraucht werden. Vieles spricht für Car Sharing und die gemeinsame Nutzung eines Grills oder teurer Werkzeuge. Sie haben dies alles bereits angeschafft – warum es nicht verleihen, wenn Sie es gerade nicht nutzen? Auch Nachbarn und Freunde helfen sich auf diese Weise gegenseitig. Und hier scheint Ihr Problem zu liegen: Die Gegenseitigkeit fehlt. Sie haben das Empfinden, nur den Service leisten zu müssen, ohne selbst irgendeinen Gegenwert zu bekommen. Mit Gegenwert meine ich nicht unbedingt die gleiche Form – vermutlich kommen Sie gar nicht in die Lage, sich einen Haushaltsgegenstand von ihm leihen zu müssen. Sie erwarten etwas anderes: eine Geste der Dankbarkeit, Interesse an Ihrem Leben oder auch mal praktische Hilfe an anderer Stelle. Wenn das fehlt, kann das Gefühl, ausgenutzt zu werden, die Beziehung verkümmern lassen.

KLARE KOMMUNIKATION
Durch das Leben in getrennten Haushalten ist eine neue Form des Miteinanders auf Augenhöhe gefragt. Ein Anfang könnte sein, offen auf Ihren Sohn zuzugehen und ihm zu sagen, wie Sie sich Ihre Beziehung jetzt vorstellen können. Gestalten Sie die Kommunikation klar, aber bleiben Sie dabei zugewandt und vermeiden Sie Vorwürfe. Vielleicht ist ihm gar nicht aufgefallen, dass er sich nur dann an Sie wendet, wenn er Hilfe braucht. Muten Sie ihm zu, sich mit Ihren Erwartungen auseinanderzusetzen. Sie können ausdrücken, dass Sie sich gegenseitige Anteilnahme am Leben des anderen wünschen und nicht nur „Dienstleister“ sein wollen. Allerdings können Sie das nicht einfordern. Gesten der Zuneigung können nur freiwillig gegeben werden. Die Einsicht und Umsetzung ist sein Part, den er erfüllen wird oder auch nicht. Es ist aber in jedem Fall förderlicher für die Beziehung, Ihr Empfinden zu äußern, als im Stillen vor sich hin zu grollen.

Reinhild Mayer ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und arbeitet in der Redaktion von Family und FamilyNEXT.

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