„Ich suche nicht nach Qualitäts-Kriterien“

Ein Interview mit Dr. Detlev Katzwinkel, Chefarzt der Gynäkologie im St. Martinus Krankenhaus in Langenfeld

Die pränatale Diagnostik wird immer ausgefeilter. Gibt es dadurch mehr Abtreibungen?
Wir vermuten, dass durch die Mehrdiagnostik mehr Abbrüche notwendig werden. Es lässt sich aber zahlentechnisch schwer beweisen. Allerdings gibt es auch ganz viele Abbrüche, die mit anderen Dingen zu tun haben, zum Beispiel mit so genannter „sozialer Unverträglichkeit“. Das geht von „Ich stecke gerade in einer persönlichen Notlage“ bis hin zu „Die Schwangerschaft passt mir jetzt nicht“.

Was raten Sie Schwangeren, die vor der Frage stehen, welche Diagnostik sie machen sollen?
Ich rate Schwangeren, darüber nachzudenken, was sie wirklich wissen wollen, und zwar bevor sie eine tiefergehende Diagnostik in Anspruch nehmen. Ich habe gerade eine Schwangere untersucht, eine Lehrerin. Sie und ihr Mann sind Christen. Ich habe ihnen bei der ersten Begegnung gesagt: „Ich kann Sie gern bei der Schwangerschaft begleiten, aber ich werde nicht nach Qualitätskriterien des Kindes suchen. Ich werde natürlich das Kind genauestens angucken. Und wenn ich Erkrankungen entdecke, bei denen das Kind eine Therapie bekommen kann, werde ich mit ihnen darüber reden. Aber eine Trisomie 21 zum Beispiel ist nicht therapierbar. Nach Hinweisen auf Trisomie 21 würde ich nicht suchen, und wenn ich zufällig welche fände, würde ich es Ihnen nicht sagen.“ Nach so einem Gespräch haben die werdenden Eltern erst einmal Zeit zu überlegen, ob sie eine weitergehende Pränataldiagnostik extern machen lassen wollen oder nicht. Dieses Paar hat gesagt: „Wir wollen nur gucken, dass sich das Kind gut entwickelt, dass es die bestmöglichen Optionen hat, unterstützt zu werden, aber das andere interessiert uns nicht.“

Aber die meisten Ärzte machen es nicht so wie Sie …
Das stimmt. Die meisten Ärzte würden sagen: „Sie wollen doch sicher ein gesundes Kind, dann müssen Sie zur Pränataldiagnostik gehen.“ Und dann kommen sie aus so einer Untersuchung heraus und haben plötzlich ein Ergebnis: „Die Nackenfalte ist um drei Millimeter größer als im Durchschnitt und das Nasenbein ist an dieser Stelle ein bisschen hypoplastisch entwickelt.“ Die Eltern fragen: „Ist mein Kind jetzt krank?“ Und der Arzt sagt: „Das könnte ein Hinweis sein, dass ein genetischer Defekt vorliegt. Um das rauszukriegen, müssen wir jetzt weitersuchen …“ Insofern finde ich meine Beratung viel ergebnisoffener, weil ich ja vorher sage, was auf sie zukommt. Aber viele Leute finden, ergebnisoffen würde heißen: Wir machen die Untersuchung und wenn wir wissen, was es ist, dann kann die Frau sagen, ob sie das Kind haben will oder nicht. Und das ist nicht richtig. Die Eltern bekommen vom ersten Tag der Untersuchungen an eine Skepsis gegen das eigene Kind: Ist das auch das Kind, das wir haben wollen? Diese Frage finde ich persönlich ethisch schon anmaßend.

Wie kann ich dem entgehen, wenn ich schwanger bin?
Indem man im Vorfeld mit seinem Partner spricht. Und wenn man zur Vorsorge geht, dass man dann sagt, was man wirklich will und was nicht, zum Beispiel: „Wir wollen keine Informationen über Krankheiten, die nicht therapierbar sind und die als Konsequenz nur den Abbruch der Schwangerschaft nach sich ziehen würden.“

Welche psychischen und körperlichen Folgen kann eine Abtreibung haben?
Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt sicher Frauen, die aufgrund der Abtreibung keine weiteren Folgen haben. Es gibt aber auch Frauen, die im Abstand dieses Kind vermissen. Ich kenne viele Frauen, die damit große Probleme haben und eine psychiatrische Betreuung brauchen wegen eines im Englischen als „Post Abortion Syndrom“ bezeichneten Trauma-Komplexes. Das darf man aber nicht so nennen in Deutschland. Da spricht man allgemeiner von einer „posttraumatischen Belastungsstörung“.

Interview: Bettina Wendland

 

*Weitere Artikel zum Thema Abtreibung gibt es in der Ausgabe 2/17.

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