Kinder finden oft keine Hilfe

Kinder, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind, erfahren oft erst spät oder auch keine Hilfe, weil Familienangehörige zwar von dem Missbrauch wissen, aber nicht handeln. Das ist eins der Ergebnisse des ersten Zwischenberichts der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Seit Mai 2016 haben sich bei der Kommission rund 1.000 Betroffene  für eine vertrauliche Anhörung gemeldet. Davon konnten bisher etwa 200 Personen angehört werden. Zusätzlich sind 170 schriftliche Berichte eingegangen. Bei rund 70 Prozent der Betroffenen, die sich bisher an die Kommission gewandt haben, fand der Missbrauch in der Familie oder im sozialen Nahfeld statt.

In ihrem Bericht stellt die Kommission die besondere Rolle von Müttern fest: Sie treten auch als Täterinnen auf, vorwiegend aber als Mitwissende. Warum sie in vielen Fällen nichts gegen den Missbrauch ihres Kindes unternehmen, hat unterschiedliche Gründe: Abhängigkeiten, erlebte Rechtelosigkeit, Ohnmachtserfahrungen und Gewalt in der Partnerschaft, die Angst vor dem Verlust des Partners oder der gesamten Familie sowie eigene Missbrauchserfahrungen.

Auf die Problematik, dass Kinder, die anderen von ihrem Missbrauch erzählen, häufig keine Hilfe finden, weist auch Family-Autor Christian Rommert hin. Im September erscheint sein Buch „Trügerische Sicherheit. Wie wir Kinder vor sexueller Gewalt in Gemeinden schützen“ (SCM R.Brockhaus). Darin schreibt er: „Ein Kind, das in der Situation des Missbrauchs den Mut findet, sich einem Erwachsenen oder seinem Umfeld gegenüber zu offenbaren, erfährt häufig negative Reaktionen. Einige Experten sagen, dass eine betroffene Person im Durchschnitt bis zu sieben Personen anspricht, bevor jemand hilfreich reagiert. Vorher erleben die Betroffenen häufig Unglauben, Unverständnis und nicht selten sogar Schuldzuweisungen. Junge Mädchen, die ihren Müttern erzählten, dass der Stiefvater sie missbrauchte, erlebten, dass die Mütter ihnen nicht glaubten oder sagten: ‚Jetzt weißt du, wie es ist.'“

Rommerts Buch beschäftigt sich zwar schwerpunktmäßig mit sexuellem Missbrauch in Gemeinden, geht aber auch auf familiäre Situationen ein. Und er gibt Anregungen, was Eltern tun können, wenn das Kind sich ihnen anvertraut: „Wenn Ihr Kind sich Ihnen öffnet, achten Sie darauf, dass Sie nicht überstürzt reagieren. Handeln Sie bedacht, suchen Sie sich selbst Hilfe bei einer geschulten Vertrauensperson der Stadt, des Kinderschutzbundes, der Familienstellen der Caritas oder der Diakonie oder im Internet. Unterbinden Sie jeglichen Kontakt zu den Tatverdächtigen. Wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Kind von Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner oder von großen Geschwistern missbraucht wird, dann ist dies besonders schwer. Überlegen Sie sorgsam, wie Sie weiter vorgehen können, und besprechen Sie dies mit den Fachkräften.“ Den Täter oder die Täterin selbst direkt mit dem Vorwurf zu konfrontieren, davon rät Christian Rommert ab.

Und was kann man tun, um Kinder davor zu schützen, überhaupt Opfer zu werden? „Der wirksamste Schutz gegen sexuelle Gewalt ist ein starkes Kind“, erklärt Christian Rommert. „Kinder, die Unangenehmes äußern, sich zur Wehr setzen, Grenzen setzen können, stehen weniger in der Gefahr, Opfer sexueller Gewalt zu werden. Außerdem sind Kinder eher in der Lage, Nein zu sagen, wenn ihnen vermittelt wurde, dass Erwachsene nicht immer recht haben und dass auch Erwachsene nicht alles dürfen. Diese Kinder können den Aufbau von missbräuchlichen Systemen, in denen sexuelle Gewalt ermöglicht wird, eher unterbrechen, als Kinder, denen vermittelt wurde, dass Erwachsene immer das letzte Wort haben.“

Bettina Wendland

Redakteurin Family/FamilyNEXT

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