„Kinder müssen ermutigt werden, die Familie zu verlassen“

In Family und nun besonders in FamilyNEXT beschäftigen wir uns regelmäßig mit dem Thema „Ablösung“. Für viele Eltern ein schwieriger Prozess, der sie ihr ganzes Elternsein begleitet: vom Abstillen über den ersten Tag im Kindergarten bis zum Auszug aus dem Elternhaus gibt es viele kleine und große Abschiede. Oder andersherum: Viele Schritte des Kindes in Richtung Selbstständigkeit. Das fordert Eltern einiges ab.

Der Soziologe Dirk Baecker spricht in diesem Zusammenhang von einer Paradoxie: „Die Familie muss ihre Kinder unglücklich genug machen, um die Familie verlassen zu wollen, und glücklich genug, um selbst eine Familie gründen zu wollen.“ Im Interview mit dem Philosophie Magazin, das sein Dossier der aktuellen Ausgabe dem Thema „Die Familie – Zuflucht oder Zumutung?“ widmet, erläutert Baecker die komplexen Herausforderungen, denen sich Eltern gegenüber sehen:

„Familie ist ja zunächst nichts anderes als Sorge für den Nachwuchs. Dieser Nachwuchs darf aber nicht auf alle Zeiten an die Eltern gebunden werden, sondern muss irgendwann selbst Nachwuchs zeugen und beim Aufwachsen begleiten. Dazu muss die Herkunftsfamilie verlassen und eine eigene Familie gegründet werden. In die Familie ist somit zwangsläufig der Keim ihrer Selbstauflösung zugunsten ihrer Neugründung miteingebaut.“ Eine Perspektive, die viele Eltern im Alltag wahrscheinlich nicht so sehr im Blick haben. Oder erst dann, wenn die Kinder so langsam erwachsen werden. Dabei fängt die Erziehung zur Selbstständigkeit ja schon viel früher an.

Dirk Baecker erklärt: „Eltern denken oft, ihre Kinder müssten sich ganz natürlich für ähnliche Dinge wie sie selber interessieren. Doch dann stellen sie bereits beim Sandkastenspiel, auf dem Basketballfeld oder in der Schule fest, dass ihre Kinder andere Kategorien und Präferenzen entwickeln und sich von anderen gesellschaftlichen Möglichkeiten anziehen lassen. Besteht zwischen Eltern und Kindern nun keine Gesprächsebene, auf der solche Eindrücke ausgetauscht werden können, entsteht zunehmend ein Gefühl der Irritation.“

Damit Ablösung gut gelingen kann, ist eine gewisse Balance gefragt: „Die Kinder müssen dazu
ermutigt werden, ihr eigenes Leben zu führen und ihre Familie verlassen zu wollen. Doch zusammen mit dieser Ermutigung muss das Bedauern mitgeteilt werden, dass man sich auseinanderlebt – um eben im Gegenzug die Kinder darin zu unterstützen, selbst wieder eine Familie gründen zu wollen.“

Im Dossier des aktuellen Philosophie Magazins sind neben dem Interview mit Dirk Baecker viele weitere Einblicke in die Zusammenhänge und Herausforderungen von Familie zu lesen: Wie kann es sein, dass Familie gleichzeitig als Zuflucht und Zumutung empfunden wird? Ist Zorn auf die eigenen Eltern normal? Wie können Kinder ihren eigenen Weg finden? Was schulden sie ihren Eltern? Ist das klassische Modell der Kleinfamilie überholt? Weitere Infos: http://philomag.de/

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