Kritik ist wie Salz

Eine Dosierungsanleitung für eine Zutat der Liebe. Von Jörg Berger

Zwischen einem guten Essen und einem ungenießbaren liegen nur wenige Gramm. Beim Salz hängt alles von der richtigen Menge ab. Kritik ist das Salz in der Liebe: Meike schaltet das Licht an und streift die Schuhe ab, Alex legt Geldbeutel und Autoschlüssel auf das Regal.

„Darf ich ehrlich sein?“, fragt Meike.
„Hmmm?“
„Du warst ein ziemlich schlechter Zuhörer heute Abend. Ich habe es kaum ertragen.“
„Was?“
„Ja, Katrin hat von ihrem Urlaub erzählt, und du hast das Weinetikett studiert. Noch bevor Katrin fertig war, hast du Gerd etwas anderes gefragt.“
„Aber das war doch vielleicht gar kein Problem für Katrin. Du hast schließlich zugehört.“
„Trotzdem. Mich hat es gestört. Ich finde das unhöflich.“
„Das klingt irgendwie anstrengend. Ich muss den ganzen Tag hochkonzentriert sein. Darf es dann abends nicht etwas lockerer zugehen?“
„So locker, dass es die Gefühle von anderen verletzt?“

Wann ist Kritik angemessen? Und wie viel ist man dem anderen schuldig? Wird Alex beim nächsten Besuch aufmerksamer werden? Oder wird er sich befangen und angespannt fühlen? Und wie wirkt sich die Kritik auf die Liebe aus? Wird Alex dankbar sein, dass ihn Meike herausfordert? Oder wird er sich bevormundet fühlen und vielleicht sogar abgewertet in seiner Art und Weise, Beziehungen zu leben? Wir ahnen: Es kommt auf die Vorgeschichte an. Wenn Meike Alex häufig auf etwas aufmerksam macht, wird die Kritik wahrscheinlich negativ wirken. Wenn Meike dagegen sparsam kritisiert, wird sie Alex einen Denkanstoß geben und einen Impuls für die persönliche Entwicklung. In verschiedenen Bereichen des gemeinsamen Lebens stellt sich uns die Herausforderung, wie wir ein gutes Maß für Kritik finden.

GARTEN ODER WILDNIS: UNSERE LEBENSORGANISATION
Ein kurzer Ausflug in die Botanik: Noch wenige Wochen gilt unsere Jahreskarte für den Park des Schwetzinger Schlosses, der im Barockstil angelegt ist, wie etwa der Schlosspark von Versailles. So sehr ich über die Geometrie und die abgezirkelte Bepflanzung staune, gibt es doch eine Stimme in mir, die sagt: „Das geht zu weit. So sehr darf man Natur nicht zurechtstutzen.“ Auch im Garten unseres Alltags braucht es Übersicht und Ordnung. Wie weit das allerdings gehen soll, darüber kann man streiten. Paare tun das auch.

Das Thema „Ordnung“ bietet eine Menge Anlass zur Kritik – aus ästhetischen und Wohlfühlgründen, aber auch, weil die Effektivität unseres Alltags von Ordnung abhängt. Wo aber Ordnung zum Zwang wird, geht uns die wohlige Gedankenlosigkeit verloren, bei der man so schön entspannen kann. Maßvolle Kritik wird sich daher auf einige Orte und Abläufe beschränken, die für das Wohlbefinden des ordnungsliebenden Partners besonders wichtig sind. In der Ehetherapie gebe ich überkritischen Partnern manchmal ein Maß: „Nicht mehr als eine Kritik pro Tag. Wenn Ihr Partner in einem Jahr 365 Dinge verändert, haben Sie viel gewonnen, oder?“ Trotzdem kann es für den kritischen Partner schwer sein, sich derart zurückzuhalten. Wer seinen täglichen Kritikpunkt bereits beim Thema Ordnung verbraucht, muss in anderen Bereichen tolerant bleiben.

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