Schlagen aus Liebe?

Zum heutigen Tag der gewaltfreien Erziehung veröffentlichen wir hier einen Artikel, der 2012 in Family erschien und leider immer noch aktuell ist:

Obwohl es in Deutschland verboten ist, haben zwei Drittel der Eltern ihre Kinder schon einmal geschlagen – oft aus Überforderung, manchmal aus Überzeugung.

„Ich finde es nicht schlimm, wenn ein Kind eine auf den Po oder auf die Finger bekommt, wenn es frech war“ – das ist eine der Rückmeldungen, die Family auf seiner Facebook-Seite zum Thema „körperliche Strafen“ bekommen hat. Wir waren etwas überrascht, dass es gar nicht so wenige „Family-Freunde“ gab, die das Schlagen von Kindern rechtfertigten. Immerhin ist das in Deutschland seit 2000 verboten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (§1631 BGB). Das ist ein klares Wort — und das ist gut so.

Von Eltern, die körperliche Strafen bewusst in der Erziehung einsetzen, werden die folgenden sechs Sätze häufig zur Rechtfertigung angeführt. Bei näherer Betrachtung sind sie aber alles andere als überzeugend.

 1. „Das sind Schläge aus Liebe!“

Manche Eltern meinen das wirklich so. Aber nachempfinden können wir das nicht. Vor allem: Wir kennen keine Kinder, die die Liebe ihrer Eltern in den Schlägen gespürt haben. Es gibt hundert Wege und Möglichkeiten, Kindern seine Liebe zu zeigen. Zu meinen, dies ginge mit Schlägen, die immer auch erniedrigend sind, ist absurd. Natürlich müssen Eltern oft Dinge tun, die zum Besten des Kindes sind, ihm aber nicht gefallen: Süßigkeiten einschränken, Schlafenszeiten einfordern, Gefährliches verbieten. Schläge sind aber definitiv nicht zum „Besten“. Das führt uns zum zweiten Satz:

2. „Das hat uns doch auch nicht geschadet!“

Das sagen Mütter und Väter, die selbst von ihren Eltern geschlagen wurden. Natürlich hinterlässt nicht jeder Klaps in der Kindheit einen dauerhaften psychischen Schaden. Aber andererseits: Wie kann man sich so sicher sein? Wäre die Beziehung zu den eigenen Eltern vielleicht enger, herzlicher, wenn es diese Schläge nicht gegeben hätte? Wäre ich dann vielleicht besser in der Lage, mein Kind gewaltfrei zu erziehen? Es ist erwiesen, dass Eltern, die in ihrer Kindheit selbst geschlagen wurden, später auch zu dieser „Erziehungsmethode“ neigen.

Aber die Auswirkungen sind schon früher sichtbar: Studien zeigen, dass Kinder, die zu Hause Gewalt erleben, als Jugendliche selbst zu Gewalt neigen. Der Kinder- und Jugendarzt Dr. Rüdiger Penthin steht nicht allein da, wenn er elterliche Gewalt – und dazu zählen auch „einfache“ körperliche Strafen — als Risikofaktor Nr. 1 für Jugendgewalt bezeichnet (in seinem Buch „Wenn Kinder um sich schlagen“). Zwar werden nicht alle betroffenen Kinder zu jugendlichen Gewalttätern. Aber Kinder, die geschlagen werden, verlieren an Selbstvertrauen und an Vertrauen in andere. Bei manchen äußert sich das auch darin, dass sie sich zurückziehen und resignieren.

 3. „Sonst hat man ja gar kein Druckmittel in der Hand!“

Braucht man in einer vertrauensvollen Beziehung ein „Druckmittel“? Eltern sind doch nicht mit Gewerkschaften vergleichbar, die ihre Forderungen durchsetzen wollen oder mit Chefs, die ihre Angestellten unter Druck setzen, damit sie mehr Umsatz machen. Erziehung ist Beziehung – es geht nicht darum, die Kinder dahin zu „ziehen“, wo man sie haben will, sondern sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Und dabei ist Angst eine ganz schlechte Grundlage. Natürlich gibt es Situationen im Familienalltag, die nach Konsequenzen verlangen. Wer die Hausaufgaben nicht fertig hat, darf nicht fernsehen. Wer seine Mutter mit Schimpfworten disst, muss in sein Zimmer gehen. Nicht immer leicht, die passende Konsequenz zu finden. Familie fordert und fördert eben die Kreativität …

 4. „Die Kleinen verstehen doch noch nichts anderes!“

Die „Kleinen“ sind nicht so unverständig, wie Mama und Papa manchmal glauben. Schon ein Einjähriger kann lernen, was das Wort „Nein“ bedeutet. Wenn er immer wieder zur Stereoanlage krabbelt, muss man ihn eben immer wieder dort wegholen und deutlich „Nein“ sagen. Klar ist das mühsam – aber auf lange Sicht wirksamer als ein Schlag auf die Finger. Der Schweizer Kinderschutzexperte Frank Ziegler weist darauf hin, dass Körperstrafen keine positiven Reaktionen beim Kind erzeugen. Es werde nicht braver oder weniger störrisch. Und eigentlich ist das vielen Eltern auch klar. Etwa achtzig Prozent der Eltern, die ihr Kind schlagen, kommen zu dem Schluss, dass diese „Erziehungsmethode“ nichts bringt.

5. „Mit Worten kann man viel schlimmer verletzen!“

Es stimmt, dass Eltern ihre Kinder mit Worten sehr verletzen können. Das aber ist noch lange kein Grund, ein Kind zu schlagen. Nicht umsonst heißt es im deutschen Gesetzestext: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Gewalt in jeder Form hat in der Erziehung nichts zu suchen. Verbale Gewalt ist da sicher noch schwieriger einzugrenzen als körperliche Gewalt. Andererseits heißt der Verzicht auf körperliche Gewalt nicht, dass man jede Form von körperlichem Eingreifen vermeiden muss. Wenn die Tochter verbotenerweise auf dem Sofa herumhüpft, kann man sie mit einem beherzten Griff herunterheben. Wenn der trotzende Sohn um sich schlägt, kann man seinen Arm festhalten. Aber nicht zurückschlagen! Das Motto „Wehren ist erlaubt“ gilt nicht, wenn der Gegner körperlich so unterlegen ist wie ein Kind seinen Eltern.

6. „Das steht doch in der Bibel!“

Es stimmt: Im Alten Testament wird körperliche Züchtigung als Teil der Nachwuchsförderung angesehen. „Wer seinen Sohn liebt, der züchtigt ihn“, heißt es beispielsweise in Sprüche 13, Vers 24. Was in der Bibel steht, hat für Christen immer Bedeutung, aber ist doch nicht in allen Aspekten eins zu eins in unsere Zeit hinein zu übersetzen. Die Ratschläge und Anordnungen, die wir im Alten Testament finden, sprechen in eine völlig andere Zeit und Kultur hinein, in der die Todesstrafe üblich war, Vielehe, Sklaverei und andere Sachverhalte, die heute für die allermeisten undenkbar sind. Die Mitte des christlichen Glaubens ist Jesus Christus. Von ihm her ist das Alte Testament zu lesen und zu verstehen. Seine Botschaft und sein Handeln beschreiben uns die Evangelien als engagiert und emotional, aber vor allem den Menschen zugewandt, liebevoll und gnädig. Die unverdiente Gnade Gottes predigt er, die offenen Arme des wartenden Vaters. Und er ehrt die Kinder in einer besonderen Art und Weise. Jesus selbst hat Aussagen des Alten Testaments aufgegriffen und neu gedeutet. Im fünften Kapitel des Matthäus-Evangeliums nennt er unter anderem die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und weist seine Nachfolger an, nicht Rache zu üben, sondern der Gewalt mit Friedfertigkeit zu begegnen. Eine gute Grundlage für eine christliche Erziehung kann man auch in den so genannten „Früchten des Geistes“ finden, die im Galaterbrief aufgezählt werden: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Bescheidenheit und Selbstbeherrschung.

Wo immer Sie einen der obigen sechs Sätze hören: Widersprechen Sie!

Martin Gundlach ist Redaktionsleiter von Family.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family.

 

 

 

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