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Steuern, Geschenke und woran man noch so denken muss …

Die Familienarbeit gerecht und gleichmäßig aufzuteilen, ist für viele Eltern gar nicht so einfach. Denn manche Aufgaben sind auf den ersten Blick nicht sichtbar.

Die Mittlere geht morgen Nachmittag auf einen Kindergeburtstag, die Kleine zum Reiten und ich darf nicht vergessen, den Impftermin für den Großen auszumachen. Ich sitze am Wohnzimmertisch und kritzele Stichpunkte in meinen Kalender. Geschenk für Frida kaufen steht auf der To-do-Liste, und in der Spalte von heute Nachmittag ist „Schwimmschule anrufen“ zu lesen, gleich über „Tomatensuppe mit Käsenachos“, denn die soll es zum Abendessen geben. Während ich überlege, wann ich Fridas Geschenk kaufe, kommt die Kleine ins Wohnzimmer und drückt mir einen zerknüllten Zettel in die Hand, den sie in ihrem Kindergartenrucksack gefunden hat. Wechselsachen sind alle, lese ich. Ich atme tief ein und gehe ins Kinderzimmer, um eine Garnitur Unterwäsche, eine wetterfeste Hose, einen Pullover und Socken rauszusuchen und in eine Tüte zu packen. Die Tüte knote ich an den Kindergartenrucksack, denn sonst bleibt sie morgen garantiert zu Hause liegen.

„Wo war ich?“, denke ich, als ich zurück zu meinem Kalender komme. Ach ja, das Geburtstagsgeschenk für Frida. Vielleicht kann ich morgen auf dem Rückweg vom Kindergarten schnell zum Spielzeugladen fahren. Dann kann ich auch gleich die bestellte Salbe für die Kleine aus der Apotheke holen, denn die liegt da auch schon drei Tage. Während ich „Apotheke“ in meinen Kalender kritzele, kommt mein Mann die Treppe runter. „Deine Gewinnaufstellung vom Vorjahr brauche ich noch“, sagt er, „ich mache jetzt die Steuererklärung fertig.“ Ich nicke und bin froh, dass ich mich wenigstens darum nicht zu kümmern brauche.

Oft versteckt: der Mental Load

Viele Aufgaben, die wir im Familienleben zu erledigen haben, sind klar strukturiert. Jeder hat seine bestimmten Arbeitszeiten, in denen er für das finanzielle Auskommen sorgt, und seine Aufgaben im Haushalt. Manche von uns teilen es sich vielleicht auch klassisch auf, und einer geht arbeiten und der andere leistet Familienarbeit. Auch dann wissen wir ungefähr, wer welchen Handgriff erledigt. Wir haben irgendwann entschieden, wer die Wäsche macht, wer für Einkäufe und Essen sorgt, in wessen Zuständigkeitsbereich schmutzige Badezimmer fallen und wer dran ist, den Müll rauszutragen.

Doch neben diesen sichtbaren Erledigungen besteht unser Familienleben aus vielen unsichtbaren Aufgaben. Die Psychologin und Autorin Patricia Cammarata nennt diese Denkarbeit „Mental Load“. Auch heute wird sie noch hauptsächlich von Müttern übernommen. Als Mental Load bezeichnet man alles, was wir im Kopf behalten müssen. Man könnte auch sagen, die Organisation der Familie. Oft sind es wir Mütter, die genau wissen, wann wer in der Familie welchen Termin hat, die Einladungen im Blick behalten und Geschenke besorgen, die Gesprächstermine in der Schule ausmachen oder Spielverabredungen. Wir sind verantwortlich, wenn die Matschhose zu klein ist oder die Wechselsachen fehlen. Wir haben im Blick, welche Konstellationen wir bei geplanten Kinderfeiern unbedingt vermeiden müssen (Notiz an mich selbst: nie wieder Elli zusammen mit Chrissi einladen), an welchen Tagen wir vorsichtshalber schon einmal einen Waffelteig in der Hinterhand haben müssen, um Schulfrust aufzufangen, und wann eins der Kinder erst zur zweiten Stunde Unterricht hat.

Macht unsichtbare Erledigungen sichtbar!

Es ist wichtig, dass jemand für all diese Dinge ein Auge und ein Ohr hat und sie managt – und es ist oft unglaublich anstrengend. Immer wieder spreche ich in meiner Praxis mit Müttern, die total erschöpft sind, obwohl sie doch scheinbar nichts tun. Dass dieses „Nichts“ den Managementaufgaben in kleinen Betrieben gleichkommt, übersehen sie. Und nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Partner. Denn auch in Familien, die versuchen, sich alles sehr modern und gleichberechtigt aufzuteilen, kommt es zu diesem Ungleichgewicht an unsichtbaren Aufgaben – an den Dingen, die erst auffallen, wenn sie keiner mehr macht.

Ein erster Schritt, hier wieder ins Gleichgewicht zu kommen, ist, diese unsichtbaren Erledigungen sichtbar zu machen. Wenn Paare herausfinden wollen, ob sie sich wirklich gut aufteilen, ist es wichtig, nicht nur die praktischen Aufgaben aufzuschreiben und zu schauen, wie viele Stunden wer mit Erwerbsarbeit oder Haushalt verbringt oder wie viel Freizeit jedem bleibt. Auch die Denk- und Organisationsleistung muss mit aufs Papier.

Weg von alten Glaubenssätzen

Wenn klar ist, wie viel Arbeit im Hintergrund ein Elternteil auf diese Weise leistet, steht die Grundlage, Dinge neu zu verteilen. Patricia Cammarata rät neben der fairen Verteilung zum Abrüsten. Nicht alles, von dem wir im Familienleben bisher geglaubt haben, es sei unerlässlich, ist es auch wirklich. Gerade wenn Mütter unter Stress und Überlastung leiden, ist es gut, Ansprüche zurückzufahren und Glaubenssätze zu hinterfragen.

Weg von alten Glaubenssätzen heißt es auch, wenn es darum geht, sich Familienarbeit neu aufzuteilen. Hier sollte es vor allen Dingen darum gehen, die Stärken des jeweiligen Elternteils in den Mittelpunkt zu stellen. Oft werden auch heute noch Aufgaben in Partnerschaften anhand von Geschlechterklischees verteilt, ohne dass jemand genau schaut, ob das in der jeweiligen Situation sinnvoll ist oder nicht. Gerade Mütter haben noch immer das Gefühl, dass sie schief angeschaut werden, wenn nicht sie zum Plätzchenbacken in die Schule gehen, sondern ihre Männer.

Teilen ist nicht immer die Lösung

Andersrum gibt es den Trend, Aufgaben um jeden Preis zu teilen und alles, was in der Familie anfällt, gerecht zu halbieren: Beide bringen 50 Prozent der nötigen Erwerbsarbeitszeit ein, beide erledigen genau 50 Prozent der Hausarbeit, jeder übernimmt die Hälfte der anstehenden Bringdienste. Jeder trägt seinen Teil zum Papierkram bei, der so an einem Familienleben dranhängt, und ist gleich oft in der Werkstatt, beim Kinderarzt oder beim Elternabend. Jeder kontrolliert zu gleichen Teilen die Hausaufgaben und ist mal dran, die Einladungen für den Kindergeburtstag zu basteln. Das kann funktionieren, wenn Paare sich sehr ähnlich sind, an denselben Dingen Spaß haben und ähnliche Gaben besitzen. Meistens sind wir jedoch individueller.

Ich persönlich kann Papierkram überhaupt nicht ausstehen, verzettele mich, schiebe Dinge auf, vergesse die Hälfte. Mein Mann hingegen tut sich damit leichter. Er hat den Überblick über Finanzen, Versicherungen und wann die Krankenkasse wieder irgendeinen Wisch von mir braucht – wenn es viel ist, arbeite ich ihm da gern zu, mehr aber auch nicht. Dafür schaut er mit Ehrfurcht zu, wie ich die Termine der Kinder manage, sie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort habe und dafür sorge, dass sie auch pünktlich wieder abgeholt werden. Letzteres übernimmt er dann gern, wenn ich ihm die Adresse per WhatsApp schicke, damit er sie ins Navi eingeben kann.

Bei meiner Freundin ist das anders. Wenn sie ihrem Mann die Finanzen überlassen würde, wären sie bankrott, scherzt sie manchmal. Dafür hat er kein Problem damit, am Nachmittag gleich fünf Gastkinder stundenlang zu bespaßen – meine Freundin hingegen bekommt beim bloßen Gedanken an so viel Lärm Kopfweh.

Wertschätzung ist wichtig

Es ist gut, wenn wir im Blick behalten, dass nicht jeder alles gleich gut kann, und das auch bei der Familienorganisation berücksichtigen. Eins ist jedoch wichtig, wenn Paare sich Aufgaben nach Gaben und Interessen aufteilen und nicht jeder auch mal in den Schuhen des anderen läuft: gegenseitige Wertschätzung. Erwerbsarbeit steht nicht über Familienarbeit. Nur weil einer mehr oder sogar allein das Geld verdient, hat er nicht automatisch mehr Rechte am Familieneinkommen. Die Tagesplanung der Kinder im Blick zu behalten, ist genauso anstrengend, wie sich mit Finanzämtern, Krankenkassen und Versicherungen herumzuschlagen. Letztlich tragen wir nämlich alle unseren Teil dazu bei, dass unser Familiengefüge funktioniert und dass unser Zuhause ein warmes und geborgenes Nest ist.

 

Wie läuft das mit der Aufgabenteilung bei euch – eher traditionell oder ganz modern?

In der aktuellen Ausgabe der Family könnt ihr den Test machen!

 

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen bei Kassel und bloggt unter eltern-familie.de.

Nicht auf Kosten der Kinder

Wie finden wir ein partnerschaftliches Familienmodell, das allen Beteiligten gerecht wird? Und das auch so etwas wie ein „christliches“ Familienmodell ist? Von Jutta Koslowski

„Meine Rolle, deine Rolle. Gibt es ein ‚christliches‘ Familienmodell?“ – So titelte Family im Herbst 2018. Dazu erschien ein Artikel, der aufräumt mit überkommenen Rollen-Klischees – und das ist gut so. Wir Christen neigen ja manchmal dazu, den gesellschaftlichen Entwicklungen etwas hinterherzuhinken, anstatt für andere wegweisend zu sein. Und so ist es höchste Zeit, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, dass die traditionelle Rollenverteilung mit einer göttlichen Ordnung gleichzusetzen ist. „Kinder – Küche – Kirche“: Für viele Frauen ist das nicht mehr ausreichend, auch in christlichen Kreisen. „Kinder – Krippe – Karriere“ heißt dann der neue Lebensentwurf. Bleibt nur die Frage, wie die Aufgaben zwischen den Ehepartnern konkret verteilt werden – allen voran die Aufgabe der Kinderbetreuung.

DIE BESTEN STUNDEN DES TAGES

Mir war schon vor unserer Hochzeit vor 25 Jahren klar, dass es mir viel bedeutet, in meinem Beruf zu arbeiten. Ich wollte Theologie studieren und Pfarrerin werden. Und ich wollte Kinder haben – mindestens vier. Dabei bin ich der Meinung, dass Kinder am besten in ihrer Familie aufgehoben sind, also von Mutter und Vater und allenfalls noch den Großeltern betreut werden sollten. Zwar habe auch ich mit einer Tagesmutter experimentiert. Manche Eltern machen damit ja gute Erfahrungen, aber für mich war es eher schwierig.

Jeden Tag habe ich auf den Moment ihrer Ankunft hingelebt und mich bemüht, dass alles dafür bereit war: die Kinder satt, frisch gewickelt und ausgeschlafen, die Küche aufgeräumt. Dann hat die Tagesmutter die besten zwei Stunden des Tages mit meinen Kindern verbracht; und wenn ich abends zurückkam, habe ich wehmütig die Duplo-Bauwerke und Sandkuchen bewundert, die während meiner Abwesenheit entstanden waren – bevor ich mich dann ans Abendessen und Zubettbringen gemacht habe. Und es gab noch ein Problem: Entweder bauen meine Kinder eine intensive Beziehung zu einer vorübergehenden Bezugsperson auf – dann ist es ein Verlust für sie, wenn diese die Familie wieder verlässt; oder sie bauen keine intensive Beziehung auf – das ist mir ebenfalls nicht recht.

NASEN UND KLOS PUTZEN

Schließlich wurde mir klar: Was ich wirklich brauche, ist jemand, der bei meinen Kindern bleibt, auch wenn sie krank und ungezogen sind. Der sich nicht nur um die Betreuung kümmert, sondern zugleich um den Haushalt. Der Nasen und Klos putzt, den Rasen mäht und Verabredungen mit Freunden organisiert. Wer kann so etwas schaffen? Niemand anders als der Papa! Und wie ist das möglich? Nur durch Teilzeitarbeit. Deshalb habe ich so lange auf meinen Mann eingeredet, bis er sich dazu bereit erklärt hat, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Wir einigten uns, in Zukunft beide nur noch „halbtags“ zu arbeiten. Das musste mein Mann seinem Chef klarmachen. „Geht nicht“, konterte der, „ich will Sie zu meinem Nachfolger aufbauen, da müssen Sie ganz zur Verfügung stehen.“ Das ging so lange, bis mein Mann ihm eines Morgens das Kündigungsschreiben auf den Schreibtisch legte (ohne eine neue Arbeitsstelle in Aussicht zu haben). An diesem Tag kam er mit dem Vertrag für eine Teilzeittätigkeit nach Hause. Das hat der Arbeitgeber nie bereut, denn nun ging mein Mann jeden Morgen hochmotiviert aus dem Haus, war fast nie krank und hatte seine Work-Life-Balance gefunden.

ALLES, WAS MAN BRAUCHT

Und wie sah es mit unserem Geld aus? Während meiner Promotion habe ich nichts verdient. Konnten wir als fünf-, später sechsköpfige Familie von einem halben Gehalt leben? Ja, wir konnten! Das liegt zum einen daran, dass wir einen qualifizierten und gut bezahlten Beruf haben. Andererseits lagen wir mit einem halben Gehalt unterhalb der offiziellen „Armutsgrenze“ und hatten Anspruch auf Sozialleistungen. Dabei würde ich noch nicht einmal sagen, dass wir besonders gelitten haben. Wir sind zum Beispiel mehrmals im Jahr in den Urlaub gefahren. Diese gemeinsamen Zeiten waren uns immer sehr wichtig; allerdings haben wir sie unkonventionell und preiswert gestaltet. Einmal, als die Familienkasse leer war, haben wir unseren Kindern gesagt: „Wir fahren in den Sommerferien nach Italien – dann eben ohne Geld.“ Ein paar Nächte haben wir am Strand unter dem Sternenzelt verbracht, bis unsere Kinder protestierten, dass wir wie Obdachlose hausten und auf eigene Faust einen günstigen Campingplatz ausfindig machten.

Wir haben ein alternatives Familienmodell gelebt, für das wir uns niemanden zum Vorbild nehmen konnten: Seit vielen Jahren arbeiten wir beide halbtags und kümmern uns partnerschaftlich um Haushalt, Kinder und alle anderen Aufgaben. Zwischendurch gab es auch Phasen, wo mein Mann wieder in Vollzeit arbeitete. In dieser Zeit haben wir gut verdient – dennoch war am Ende des Monats nicht mehr Geld übrig als zuvor. Im Lauf der Jahre haben wir etliche Male die Situation erlebt, dass sich unser Brutto-Einkommen von einem Tag auf den anderen um mehr als tausend Euro erhöht oder erniedrigt hat, ohne dass sich das nennenswert auf unser Netto-Einkommen ausgewirkt hätte. Daraus habe ich meine persönliche Wirtschafts-Theorie entwickelt: nämlich, dass man eigentlich immer so viel Geld zur Verfügung hat, wie man braucht. Zugegeben, das passt in kein Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre – aber dafür zur Erfahrung des Apostels Paulus: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ (Philipper 4, 11–13).

ROLLENTAUSCH

Als unser viertes Kind geboren wurde, haben wir unsere Rollen für eine Weile ganz getauscht: Drei Jahre ist mein Mann in Elternzeit gewesen, weil ich in dieser Zeit mein Vikariat als Pfarrerin absolviert habe – eine Aufgabe, die nur in Vollzeit möglich war. Inzwischen sind wir wieder beide bei unserer 50-50-Rollenverteilung angekommen. Seit alle unsere Kinder am Vormittag im Kindergarten oder in der Schule sind, ist unser Leben einfacher geworden: Wir arbeiten täglich zwischen 8 und 13 Uhr, und am Nachmittag sind wir beide zu Hause und können uns um unsere Kinder kümmern – wobei wir einen traumhaften „Betreuungsschlüssel“ von 2:1 haben und fast jeden Nachmittag auch noch Zeit finden, gemeinsam in der Sonne zu sitzen und einen Kaffee zu trinken …

Mein Mann ist in unserer Familie eher der „Außenminister“, der viele der täglich anfallenden Fahrten übernimmt, während ich die „Innenministerin“ bin, die sich um Dinge wie Haushalt, Schulaufgaben, Musikinstrumente üben kümmert. Andererseits gibt es ein paar Bereiche, wo die klassische Rollenverteilung bei uns eher umgekehrt ist, weil dies unseren Fähigkeiten und unserer Persönlichkeit mehr entspricht. So kocht mein Mann das Essen; dafür greife ich fast täglich zum Werkzeugkasten.

Wichtiger als das Urteil anderer ist die Frage, wie wir innerhalb unserer Familie mit unserer Aufgabenteilung zurechtkommen. Um ehrlich zu sein: Das ist nicht einfach. Sicherlich hat unser Modell manche Vorteile. Allen voran, dass wir nicht in getrennten Lebenswelten leben, sondern dass mein Mann die Telefonnummer unseres Kinderarztes ebenso kennt wie ich. Der größte Nachteil besteht für mich im Verlust von Autonomie im Umgang mit unseren Kindern. Denn natürlich ist mein Mann nicht einfach nur da, sondern er bestimmt mit. Mir scheint, dass ich die einzige Mutter weit und breit bin, die nicht darüber entscheiden kann, ob ihr Kind an einem nasskalten Herbsttag ein Unterhemd anziehen soll …

KINDERTRÄNEN VERMEIDEN

Eins aber steht für mich fest: Der Lebensentwurf, den wir wählen, darf nicht auf Kosten unserer Kinder gehen! Denn für unsere Kinder haben wir uns entschieden, und sie sind besonders schutzbedürftig. Das Kindeswohl muss an oberster Stelle bei allen Entscheidungen stehen.

Einige Kinder fühlen sich tatsächlich wohl bei der Tagesmutter oder in der Kinderkrippe. Aber andere nicht. Ich habe etliche Jahre in einem Kindergarten als Erzieherin gearbeitet. Da konnte ich beobachten, wie manche Kinder auch noch nach Monaten vor allem eine Frage auf dem Herzen hatten: „Wann kommt meine Mama? Wann werde ich abgeholt?“ Natürlich hören die meisten Kinder mehr oder weniger schnell auf zu weinen, wenn man sie mit festem Entschluss abgegeben hat. Aber warum? Weil es in Wirklichkeit doch gar nicht so schlimm ist, wenn Mama und Papa fort sind? Vielleicht versiegen ihre Tränen ja auch, weil sie ihre Ohnmacht erkennen: Meine Eltern sind fort und kommen nicht wieder – auch mit herzzerreißendem Weinen kann ich daran nichts ändern. Aber will ich tatsächlich, dass mein Kind eine solche Lektion der Hilflosigkeit oder gar Verzweiflung lernt?

Ich jedenfalls habe meinen Kindern, als sie jeweils mit drei Jahren in den Kindergarten kamen, gesagt: „Ich möchte, dass es euch hier gut gefällt und ihr glücklich seid. Wenn ihr nicht im Kindergarten bleiben wollt, dann braucht ihr nicht zu weinen; ihr braucht es mir nur zu sagen, und ich nehme euch wieder mit nach Hause oder melde euch ab.“ Zwei unserer vier Kinder haben wir tatsächlich vorübergehend wieder vom Kindergarten abgemeldet. Aber keines von ihnen hat eine einzige Träne dort vergossen. Das war es mir wert. Denn ich bin überzeugt: Tränen von Babys und Kindern bedeuten nichts anderes als bei uns Erwachsenen – sie sind Ausdruck von tiefem seelischen Schmerz. Und Kindertränen sollten wir vermeiden, wenn das Wohl des Kindes im Mittelpunkt unseres Handelns steht.

REICHLICH BELOHNT

Gibt es ein christliches Familienmodell? Es sollte sich nicht in der Zuweisung traditioneller Rollenmodelle zwischen Mann und Frau erschöpfen. Wenn überhaupt, dann wäre es vielleicht dies: In einem christlichen Familienmodell stehen diejenigen im Mittelpunkt, die Jesus seliggepriesen hat, die Schwachen – also vor allem die Kinder (Matthäus 18, 1-5). Und nicht das Geld. Erst recht, wenn es nicht um Alleinerziehende geht, sondern um ein verheiratetes Ehepaar, stellt sich die Frage, ob es wirklich keine andere Option gibt, als ein Kind in Fremdbetreuung zu geben. Ich meine, dass wir es uns in einer Überflussgesellschaft wie der unseren in aller Regel leisten können, auf einen Doppelverdienst zu verzichten, wenn wir bereit sind, unseren Lebensstandard entsprechend zu senken.

In meiner Familie hat unser Familienmodell dazu geführt, dass wir über Jahre hinweg „arm“ waren. Wir waren auf Sozialleistungen wie Wohngeld angewiesen. Das hat manche Nachteile mit sich gebracht; andererseits haben wir erfahren, dass man auch ohne Einkommen sein Auskommen haben kann. Noch gravierender war die Tatsache, dass sowohl mein Mann als auch ich auf viele Karrieremöglichkeiten verzichten mussten, die im Rahmen einer Teilzeittätigkeit nicht zur Verfügung standen. Aber dafür wurden wir reichlich belohnt, indem wir das Gefühl haben, im Leben unserer Kinder nichts verpasst zu haben. Und wenn ich höre: „Ach ja, schon wieder ein Jahr vorbei; wie schnell die Zeit vergeht!“, dann denke ich manchmal im Stillen: Für mich fühlt sich ein Jahr eigentlich wie eine kleine Ewigkeit an, so viel habe ich in dieser Zeit erleben dürfen …

Dr. Jutta Koslowski ist Sozialpädagogin und evangelische Pfarrerin, Autorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Mit ihrer Familie lebt sie im Kloster Gnadenthal im Taunus.

„Mein Kind ist überarbeitet“ – Diese drei Tipps schützen vor dem Burnout

„Mein Sohn ist vor kurzem ins Berufsleben eingestiegen und reibt sich total auf. Ständig schiebt er Überstunden und hat kaum mehr Zeit für sich. Was kann ich ihm Hilfreiches sagen, ohne mich zu sehr einzumischen?“

Es ist schwierig, auf diese Frage eine individuelle Antwort zu geben. Aber ein paar Ideen und Gedanken möchte ich gern nennen:

ACHTEN SIE AUF BEZIEHUNGEN!

Am wichtigsten im Leben von uns Menschen sind Beziehungen: zu Freunden, zu Geschwistern, zum Partner und so weiter. Wenn Ihr Sohn in einem Verein ist, einen guten Freundeskreis hat oder sich in einer Kirchengemeinde ehrenamtlich engagiert, dann hat er eine gute Basis, damit sein Leben im Gleichgewicht bleibt. Wenn er allerdings anfängt, aufgrund seiner vielen Arbeitsstunden Freunde aufzugeben oder die wöchentliche Gruppe zu meiden, ist dies kein gutes Zeichen. In diesem Fall ist es vermutlich sinnvoll, ihn darauf anzusprechen.

SEIEN SIE STOLZ!

Männer (und oft auch Frauen) neigen dazu, sich ihre Bestätigung durch Leistung zu holen. Gerade junge Männer wollen zeigen, was sie können – und das ist erst mal eine gute Sache, denn dadurch bewegt sich vieles in unserer Gesellschaft. Aber wenn junge Männer sich nur noch durch ihre Arbeit, durch Leistung, durch Erfolg definieren, dann wird es kritisch. Absolute Fokussierung auf Leistung führt nicht selten zu körperlichen und seelischen Problemen. Jeder Mensch braucht andere Menschen, die ihn bestätigen. Und Sie können Ihrem Sohn zeigen, dass Sie ihn lieben, indem Sie ihm zum Beispiel einen Brief schreiben, in dem Sie ihm sagen, was Sie an ihm schätzen, warum Sie auf ihn stolz sind: auf seine Begabungen, auf seine Art, was auch immer ihn auszeichnet.

LASSEN SIE IHN DURCH FEHLER LERNEN

Wir Menschen lernen durch Fehler. Eltern wollen ihre Kinder gern vor Fehlern oder Problemen bewahren. Aber vor allem erwachsene Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Sie müssen auch mal stolpern und hinfallen, um dann aus diesen Fehlern zu lernen. Und vielleicht muss Ihr Sohn erst einmal die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erfahren, um zu lernen, seine Kraft richtig einzuteilen. Von daher mache ich Ihnen Mut, Ihren Sohn wertschätzend und betend zu begleiten auf dem Weg, den er geht – auch wenn es ein schwieriger Weg ist.

Stephan Münch ist Leiter und Gründer des Orientierungsjahrs Lebenstraum in Uffenheim (dein-lebenstraum.com). Illustration: Sabrina Müller

 

 

Meine Arbeit tut mir gut

Stefan Gerber erlebt immer mal wieder, dass er auch bei der Arbeit ganz gut auftanken kann.

Neulich betete ein Vorschulkind aus unserem Bekanntenkreis: „Lieber Gott, bitte mach, dass niemand mehr arbeiten muss. Nicht der Bäcker, – nicht die Putzfrau und auch nicht der Chirurg. Amen.“

Oje, dachte ich, als unsere Tochter, die diese Szene miterlebt hatte, davon erzählte. „Was für ein Bild von Arbeit hat dieses Kind wohl aufgeschnappt?“, war mein Gedanke. Und überhaupt: Was für ein Bild von Arbeit vermitteln wir eigentlich unseren Kindern?

Es ist bezeichnend, dass in der Tankstelle oft von Auftanken im Zusammensein mit lieben Freunden geschrieben wird; aber wer von uns hat schon davon erzählt, wie er bei der Arbeit auftankt?

Doch genau das tue ich! Nicht immer, aber immer wieder. Wenn nach einem arbeitsreichen Tag meine To-Do-Liste am Abend länger ist als am Morgen, dann frisst die Arbeit tatsächlich meine Energie, der Tank ist leer.

Gott sei Dank gibt es auch die anderen Tage: Da schreibe ich einen Artikel oder eine Predigt und erlebe dabei diesen schönen Zustand, den die Psychologie „Flow“ nennt. Es fließt, die Zeit wird vergessen, ich gehe in meiner Arbeit auf, das Rundherum verliert an Bedeutung. Ein weiteres Kennzeichen von solchen „Flow-Momenten“ ist, dass ich mich selbst am Resultat freue, noch bevor ich von außen ein Feedback erhalte.

Ich liebe es, wenn ich meine Stärken einbringen kann und damit einen Unterschied mache – in der Gemeinde, in meinem Dorf, in der Gesellschaft. Wie gesegnet ist der Mann (die Frau), der seine (die ihre) Berufung gefunden hat und Arbeit nicht einfach als so genannten „Broterwerb“ sieht? Mark Twain meint: „Je mehr Vergnügen du an deiner Arbeit hast, desto besser wird sie bezahlt.“ Das deckt sich zwar bisher nicht unbedingt mit meiner Erfahrung. Ich ertappe mich aber ab und zu bei diesem Gedanken: „Das macht so viel Freude, ist das wirklich noch Arbeit?“ Wer hat uns beigebracht, dass Arbeit keine Freude machen darf?

Als wir im Frühjahr erstmals eine Konfirmation in unserer Netzwerkkirche feiern durften, war das eine Tankstelle für mich. Und nicht nur, weil auch unsere Tochter konfirmiert wurde. Aber zu sehen, wie sich die jungen Erwachsenen entwickelt haben, wie sie konkrete Schritte in ihrem Glauben gehen, wie sie sich in der Gemeinde engagieren und mitzuerleben, wie die vielen Besucher positiv auf unsere kreative Kirche reagierten, das alles war ein Genuss für mich als Pastor.

Solche Momente sind Lohn für all die Tage, an denen Arbeit nur Energie kostet. Und solche Tage erinnern mich daran, dass unsere Arbeit nicht einfach Mühsal ist. Wenn wir unsere Stärken einbringen, unsere Leidenschaft leben und uns in einem uns entsprechenden Umfeld bewegen können, werden wir immer wieder „Flow“-Erfahrungen machen. Und dabei erleben wir, wie sich unser Tank füllt und unsere Zufriedenheit steigt.

 

Stefan Gerber, Geschäftsführer Willow Creek Schweiz, ist Leiter der Netzwerk-Kirche „gms – gospel movement seeland“ und freiberuflich als Autor („Glück finden – hier und jetzt“), Referent und Coach tätig. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

 

 

 

 

Bevor alles erledigt ist…

… darf man sich durchaus Schönes gönnen. Von Elisabeth Vollmer

„Nehmt euch Zeit für die Dinge, die euch glücklich machen“, steht jetzt seit 30 Tagen auf unserem Familienplaner. Und bevor sich das Kalenderblatt wendet, schaue ich noch einmal bewusst auf die Termine dieses Monats. Ich finde viel Alltag, ein paar herausfordernde Schwierigkeiten und – einige echte Glücksmomente. Mittendrin in diesem Monat steht eine Konzertlesung von 2Flügel. Jürgen hat mir diesen Abend zu Weihnachten geschenkt, und spontan haben wir an einem ganz normalen Samstag beim Frühstück beschlossen, nicht nachts die 140 km wieder nach Hause zu fahren, sondern uns in einem kleinen Landgasthof vor Ort einzuquartieren. Es war ein wunderschöner Abend, und als ich morgens neben meinem Mann aufgewacht bin, habe ich das Glück mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele wahrgenommen und genossen. Es ist ein Geschenk, so genießen zu können und der Abend war natürlich auch etwas Besonderes. Aber ich finde auch alltäglichere Glücksmomente wie eine Verabredung mit meiner Tochter: Wir haben ein gemeinsames Projekt gestartet, von dem noch nicht klar ist, ob es was werden wird. Aber allein die Tatsache, dass wir gemeinsam daran denken und träumen, macht mich glücklich. Mit meinen Geschwistern (fünf an der Zahl) und meinen Eltern habe ich mich getroffen, und wir verbrachten einen wunderschönen Nachmittag und Abend. Was für ein Glück, dass ich zu dieser Familie gehöre! Aus der Zugehörigkeit zu dieser Familie kommt aber auch ein weniger glücklicher Satz: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, war und ist die Maxime meiner fleißigen Eltern, der mir bis heute immer mal wieder in den Ohren klingt … Seit ein paar Jahren halte ich ihm aber frech und zunehmend gelassener einen anderen Satz entgegen: „Spaßmenschen dürfen sich zuerst Schönes gönnen und schöpfen daraus die Kraft für den schnöden Alltag mit seinen ungeliebten Aufgaben, den sie dann trotzdem erledigen.“ Ich zähle mich zu der Spezies dieser „Spaßmenschen“ und bin Ute Passarge dankbar für den (inzwischen fast zehn Jahre alten) Joyce-Artikel dazu, der mir seitdem die Erlaubnis gibt, mir Schönes zu gönnen, bevor alles erledigt ist. Dass auch noch ein Professor Günter Bauer das (hoffentlich seriös, ich hinterfrage das lieber nicht) wissenschaftlich untermauert, was ich schon lange fühle, lässt mich gelassener werden. Er findet, Spaß sei eine Überlebenshilfe, schaffe Freiräume und bringe Elan, Kraft und Kreativität in einer Weise ins Leben, die wir uns mit aller Anstrengungsbereitschaft nicht erkämpfen könnten. Was für eine wunderbare Erlaubnis! Denn es sind nicht nur und nicht einmal vor allem die Glücksmomente, die als Termin in meinem Kalender stehen, die ich immer mehr entdecken und genießen möchte. Es sind die kleinen Dinge des Alltags: die Wärmflasche, die mir mein Mann ins Bett gelegt hat, als ich spät abends nach Hause komme, spontane gute Gespräche am Familientisch oder die nette WhatsApp, die mir ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Ich brauche nicht nur Zeit für die Dinge, die mich glücklich machen, sondern vor allem einen wachen Blick dafür und die Freiheit, sie zu genießen. Sonst kann es nämlich passieren, dass all diese schönen Dinge mit „Glückspotenzial“ im Alltagsgrau unsichtbar werden, anstatt mich glücklich zu machen.

 

 

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

Aufgaben Verteilung

WO DIE FÄDEN ZUSAMMENLAUFEN
Katharina managt das siebenköpfige Familienunternehmen. Ihren Mann sieht sie als hochengagierten Mitarbeiter.

Katharina: „Fünf Kinder! Wie schaffst Du das bloß?“ Diese Frage höre ich häufig. Meine Antwort variiert je nach Tagesform zwischen „Gar nicht!“ über „Das frag ich mich auch!“ zu „Einfach machen!“ Dabei bin ich ja nicht allein für alles zuständig, sondern habe ein Netz von Unterstützern: Schwiegereltern, Freunde und nicht zuletzt meinen Mann. Er und ich wollen diese Kinderschar und wir möchten auch partnerschaftlich mit der Aufgabenverteilung umgehen. So übernimmt Hauke den Fahrdienst zur Schwimm-AG oder den Großeinkauf, er putzt Küche und Bäder (oder das Flusensieb der Waschmaschine) und staubsaugt die Wohnung. Er kocht für alle am Wochenende – vor allem, wenn er selber Hunger hat. Zudem übernimmt er mit viel gutem Willen alle Hausmeisterdienste, die, nun ja, in seinem Vermögen stehen. Und da unser 3-Jähriger beschlossen hat, sich nur noch vom Papa ohne Theater wickeln, baden und Zähne putzen zu lassen, freue ich mich sehr über die Selbstverständlichkeit, mit der Hauke diese Aufgaben übernimmt. Das ist eine Menge bei gleichzeitiger beruflicher Tätigkeit. Hauke schneidet gut ab in punkto Familien-Engagement. Warum denken trotzdem viele, ich würde die Last alleine tragen? Ich glaube, es liegt an der Art der Arbeit. Während Hauke mit seiner Unterstützung den Rahmen zusammenhält, versuche ich, den Kasten mit Leben zu füllen. Ich organisiere die Familienzeit, habe den Überblick, wer wann wo mit welchen Dingen sein muss. Meine Überlegungen und Vorbereitungen prägen unsere Familientraditionen – die Rituale an Festtagen, aber auch im Alltag. Ich bin zuständig für die Wäsche, weiß, wem welche Hose gehört und mache mir Gedanken über Familienregeln. Abends lege ich mich häufig noch zu Kindern und kläre den Weltschmerz oder höre mir die Schulgeschichten an. Mir sind die Namen der Schulfreunde und -streitigkeiten der Kinder ein Begriff, und das Foto-Jahrbuch der Familie gestalte ich ebenso wie die Pflege unserer Freundschaften und Familienbanden. Mit all diesen Dingen übernehme ich die Familien-Denkarbeit, während Hauke bei der Umsetzung hilft. Will er das? Provoziere ich mit meinen schnellen Entscheidungen dieses Verantwortungsungleichgewicht? Bevormunde ich ihn? Aber wenn ich warte, bis er anfängt, ist der Kindergeburtstag schon morgen, und wenn es gut läuft, lässt sich nur noch ein absoluter Notfallplan umsetzen. Aber mein Plan A funktioniert eben auch nur mit Haukes Hilfe. Bei allem Gemaule („Du könntest dir ja auch mal was überlegen“ von mir und „Selber schuld, wenn du immer so schnell bist“ von Hauke) sind wir wohl beide eigentlich zufrieden mit dieser Aufteilung. Ich darf gestalten, Hauke will mitmachen und unterstützen. Beides kann von Zeit zu Zeit ermüdend sein. Das einander zuzugestehen ist die Kunst, die wir noch lernen.

 

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie
und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

DER GROSSE KNALL
Hauke bewundert das Durchgreifen seiner Frau und ist überzeugt, dass sie seinen Beitrag im Familienunternehmen falsch einschätzt.

Hauke: Manchmal grüble ich darüber nach, ob Gott die Welt nicht vielleicht mit Hilfe des Urknalls erschaffen hat. Denn wie das im Prinzip gehen könnte, zeigen mir unsere fünf Kinder nahezu täglich: Aus dem absoluten Nichts heraus gibt es plötzlich einen lauten Knall und tosendes Gezeter (oder fröhliches Gekreische, das spielt fürs Resultat keine Rolle), und Millisekunden später herrscht Chaos in der Wohnung. Der atomar zerstäubte Inhalt mehrerer Spielzeugkisten schwebt, liegt und kullert herum. Materie überall, vollständig ungeordnet. Und die Wohnung war wüst und die Schränke leer … Wem nun der Urknall schon wie ein großes Wunder vorkommt, der wird nicht glauben können, was anschließend in diesem Tohuwabohu passieren wird: Ebenfalls aus dem Nichts heraus gibt es einen zweiten Knall, noch viel, viel größer, diesmal auf jeden Fall verbunden mit tosendem Gezeter, wieder fliegt Materie in Lichtgeschwindigkeit durch die Wohnung, diesmal aber in umgekehrter Richtung, und kurz darauf ist alles wieder an seinem ursprünglichen Platz. Und siehe, es war sehr gut aufgeräumt. Welche unfassbare Macht wohl für den zweiten Knall verantwortlich ist? Sie ahnen e s: m eine Frau. O hne z u z ögern n immt s ie den K ampf m it d er l okalen A narchie- Bewegung auf, wirft sich ins Getümmel und stürmt die Barrikaden vor dem Kinderzimmer. Und da meine Frau keine Gefangenen macht, wird jeder kleine Revoluzzer sofort umgedreht, so dass er fortan für die Gegenseite arbeiten muss. Warum nicht der Göttergatte für Recht und Ordnung sorgt? Dafür gibt es zwei Gründe: Oft bemerke ich aufgrund einer deutlich höheren Toleranzschwelle die Anzeichen für den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nicht rechtzeitig – und wenn ich sie doch registriere, dann bleibt mir meist nur noch Zeit für eine einzige Gegenmaßnahme: mich hinterm Sofa zu verstecken, um den zweiten Knall zu überstehen … Ich bewundere meine Frau aufrichtig dafür, wie sie in der Familie alles ordnet und regelt. Mit schier unerschöpflicher Energie managt sie das Leben von sieben Personen mit Weitund Umsicht. Da ich weiß, dass nicht die eigentliche Erledigung der vielen Aufgaben so anstrengend ist, sondern das Tragen der ständigen Verantwortung, versuche ich, Katharina zu entlasten. Ich will zumindest die Arbeiten erledigen, die mir auffallen – das ist wenig genug. Dazu kommen die Arbeiten, die mir nicht auffallen, aber meiner Frau. Auch dann packe ich mit an, fröhlich und frei von jedwedem traditionellen Rollendünkel. Katharina denkt übrigens, dass ich vergleichsweise viel zu Hause helfe. Ich halte das eher für ein Wahrnehmungsproblem: Meine Mithilfe sieht sie, die der anderen Männer nicht. Aber sei‘s drum, in diesem Punkt soll Kathi gerne bei ihrer Meinung bleiben. Bitte verraten Sie ihr nicht die Wahrheit!

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Der gefangene Mann

Wenn die Arbeit Ehemänner und Väter fesselt, leiden Partnerschaft und Familie. Doch es gibt Auswege aus den Zwängen. Von Jörg Berger

Er ist freundlich und gewinnend. Er begeistert sich schnell und setzt sich voll ein. Auch Ausdauer, Belastbarkeit und Verlässlichkeit gehören zu seinen Qualitäten. Trotzdem erzählen Ehefrauen ihren Freundinnen mit einem Seufzen von ihm, manchmal auch mit Tränen in den Augen. Kleinkinder fremdeln und lassen die Mama nicht alleine weg, obwohl doch der Papa da ist. Schulkinder beklagen sich: „Du bist nie da.“ Jugendliche behandeln ihn wie einen WG-Mitbewohner.

Der gefangene Mann hätte das Zeug zum perfekten Ehemann und Vater. Aber eine dunkle Macht zieht ihn immer wieder aus dem Haus, raubt ihm das Beste, was er zu geben hat und entlässt ihn erst spät abends – müde und zerstreut – nach Hause. Natürlich hat das Ehepaar schon oft über das Thema Arbeit gesprochen. Es hat gestritten, Vorsätze gefasst und Schlachtpläne geschmiedet. Es hat kleine Siege über die Fremdbestimmung errungen wie zum Beispiel ein völlig freies Wochenende. Aber sobald das gemeinsame Bemühen nur ein wenig erlahmt, nimmt die Arbeit wieder zu. Die Macht der Arbeit erweist sich als stärker als die Macht der Liebe.

Als ich meiner Familie beim Mittagessen von dem anstehenden Artikel erzähle, verstehe ich das Gelächter nicht gleich. Ob sie als Betroffene etwas dazu schreiben soll, fragt meine Frau. Nein, ich schreibe hier über die anderen, die richtig schweren Fälle. Oder doch nicht? Bin ich auch schon auf dem Weg zum gefangenen Mann? Oder komme ich in manchen Wochen dem Prototyp, den ich hier beschrieben habe, schon bedenklich nahe? Auch wenn Sie noch nicht im Endstadium angelangt sind, kann es spannend sein, einmal das eigene Arbeitsverhalten und die Beweggründe dafür unter die Lupe zu nehmen. Ich schreibe bei diesem Thema über Männer, weil es mir bei ihnen in der Praxis häufiger begegnet. Auch Frauen kann die Arbeit gefangen nehmen, dies zeigt sich aber in anderen Formen, und auch die Beweggründe sind andere.

Wenn Arbeit gefangen nimmt, hat das unterschiedliche Gründe. Vier davon stelle ich Ihnen im Folgenden genauer vor.

 

„Wir haben beide unseren Platz gefunden“

Patric Graf ist Hausmann, seine Frau arbeitet Vollzeit. Ein Modell, das sich für sie bewährt hat.

Als meine Frau Kerstin mit unserer heute 18 Jahre alten Tochter schwanger war, war ich für längere Zeit krankgeschrieben. Meine damalige Arbeit konnte ich nicht wieder aufnehmen. Da ich durch meine Arbeitszeiten in der Bäckerei schon von Beginn unserer Beziehung an die Haushaltstätigkeiten überwiegend übernommen hatte und auch gerne koche, kam uns die Idee, die typischen Rollen zu tauschen. Nach der Geburt unserer Tochter und dem gesetzlichen Mutterschutz arbeitete meine Frau wieder zu 100 Prozent in ihrem Beruf als Krankenschwester. Schnell merkten wir, dass ihre Arbeit im Dreischichtbetrieb viele Vorteile für uns hatte: Wir konnten zum Beispiel Kinderarzttermine so legen, dass wir gemeinsam hingehen konnten. Später, als die Kinder im Kindergarten waren, hatten wir als Eltern die Möglichkeit, ohne Kinder etwas zu unternehmen, sei es der Wocheneinkauf oder ein gemeinsames Frühstück in einem Café.

Bei unserem Sohn (15) und unserem Nesthäkchen, unserer achtjährigen Tochter, behielten wir diese Rollenverteilung bei. Seit 13 Jahren arbeite ich zusätzlich auf 450-Euro- Basis in der Systemgastronomie. Ich habe das Glück, dass ich meine Arbeitszeiten dem Dienstplan meiner Frau anpassen kann. Diese Arbeit ist für mich ein Ausgleich zum Hausmannsjob. Ich komme mit vielen Menschen aus verschiedenen Nationen in Kontakt, da unser Betrieb auf einem Autohof an der Autobahn liegt.

Ferien und Arbeit

Die einen sind schon mittendrin, die anderen müssen noch etwas warten: Die Sommerferien sind ein großer Einschnitt im Jahr. Die einen feiern Abschied vom Kindergarten oder der Grundschule, die anderen schon den Abschluss der zehnten Klasse oder das Abi. Manche Familien nutzen diese Zeit für ihren Umzug, viele natürlich für einen Urlaub. Und nicht wenige zerbrechen sich den Kopf, wie sie es schaffen, dass ihre Kinder in diesen sechs Wochen gut betreut sind und trotzdem Ferien genießen können.

Auch in der Redaktion sehen wir die nahende Urlaubszeit mit gemischten Gefühlen. Wir freuen uns auf Urlaube und freie Zeit, auf Erholung und besondere Erlebnisse. Aber vieles muss vor dem Urlaub noch erledigt werden. Die Zeitschriften, die im Herbst erscheinen, sollen ja nicht unter unserer Pause leiden. Und so ist die Zeit vor dem Urlaub oft eine ganz intensive und arbeitsreiche.

Da ist es großartig zu wissen: Ich kann mich auf die Kollegen und Kolleginnen verlassen. Die werden in meiner Abwesenheit das Schiff schon schaukeln. Alle sind bemüht, ihr Bestes zu geben. Die Urlauber bereiten ihre Abwesenheit gut vor. Und die Vertretungen arbeiten sich in neue Arbeitsfelder ein, sind bereit, Mehrarbeit zu bewältigen.

Wir arbeiten gerade an der Family 5, die nach den Ferien erscheinen wird. Das Dossierthema heißt: „Mein Job – dein Job“. Es handelt nicht von der Arbeitsaufteilung bei uns im Büro, sondern von der Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit in den Familien.

Auch hier sind gute Planung und gute Absprachen wichtig. Dabei geht es nicht darum, irgendwelche Rollenmuster zu erfüllen oder eben gerade nicht zu erfüllen, sondern vor allem darum, die anstehende Arbeit passend zur derzeitigen Situation gut und fair zu verteilen. Zum Glück leben wir in einer Gesellschaft, in der die Wahlfreiheit groß ist – theoretisch zumindest. Denn oft wird sie durch äußere Umstände eingeschränkt. Oft auch durch unsere Vorstellungen, wie irgendetwas zu sein habe. Oder durch den Einfluss unserer Umwelt, in der die eine oder andere Form nicht üblich ist. Da muss man sich dann auf einmal rechtfertigen für eine Entscheidung, die doch eigentlich gut getroffen wurde.

Wir möchten Familien Mut machen, ihre jeweils eigene, passende Lösung zu finden auf die Frage, wer wann wie viel arbeitet. Und wer sich um die Kinder, die Wohnung, die alten Eltern … kümmert. Manche müssen auch alles allein wuppen, weil der Partner verstorben ist oder sich nach einer Trennung nicht wirklich an der Arbeitsaufteilung beteiligt. Oft ist es schwer, eine gute Lösung zu finden. Da müssen dann Kompromisse her. Auch mit denen kann man gut leben. Unsere Kinder brauchen nicht die Ideallösung. Sie brauchen Eltern, die sie lieben und die Zeit mit ihnen verbringen – auch und besonders in den Ferien.

In diesem Sinne: Schöne Ferien!

Bettina Wendland

Family-Redakteurin

Wie im Schleudergang

Elisabeth Vollmer über nächtliches Danken und ein spontanes Picknick.

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