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„Beim Malen machen sich Kinder ein Bild von der Welt“

Warum Malen und Zeichnen wichtig für die Entwicklung eines Kindes ist, erklärt der Diplom-Psychologe Michael Thiel.

Welche Fähigkeiten werden durch Malen und Zeichnen trainiert?

Das Offensichtlichste ist, dass Zeichnen die Feinmotorik eines Kindes trainiert. Schon das Zusammenspiel zwischen Daumen und Zeigefinger, um den Stift zu halten und zu führen, ist Höchstleistung für das Gehirn – gerade bei kleinen Kindern. Und Intelligenz hängt stark mit der Fähigkeit zusammen, den Körper zu kontrollieren und auch gezielte, sichere Bewegungen auszuführen. Die feinmotorischen Bewegungen beim Zeichnen stärken bestimmte Gehirnstrukturen und daraus entwickelt sich nachher eine Intelligenzleistung, die auch Auswirkung auf andere kognitive Fähigkeiten hat. Beim Zeichnen und Malen legen Kinder daher die Grundlage auch für das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen. Und wer früh mit Stift und Pinsel umgehen kann, kann später leicht den Umgang mit Schraubenzieher, Kochmesser oder Nähmaschine lernen.

Welche Auswirkung haben Malen und Zeichnen noch auf die kognitive Entwicklung des Kindes?

Je mehr ein Kind zeichnet, umso genauer wird es sich ein Bild von der Welt machen können, die es umgibt. Malen und Zeichnen schärfen die Wahrnehmungsfähigkeit und das analytische Denken. Denn um etwas abzubilden, muss sich ein Kind diese Sache ja nicht nur genau anschauen, sondern auch analysieren, was die charakteristischen Merkmale sind und altersgemäß begreifen, wie es funktioniert. So ein einfaches Gesicht nach dem Motto „Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht“ sieht simpel aus – aber dafür muss ein Kind erst mal die Transferleistung machen, dass Auge, Nase, Mund in genau dieser Anordnung ein Gesicht ausmachen und einen Menschen darstellen. Andersrum: Es entsteht Abstraktionsvermögen. Wenn Kinder älter werden, sieht man an den immer detaillierter werdenden Bildern, dass sie eine immer genauere Vorstellung von ihrer Umwelt haben – und daraus auch eigene, neue Vorstellungen entwickeln.

Können sich Malen und Zeichnen auch positiv auf das sonstige Verhalten eines Kindes auswirken?

Eindeutig ja! Interessant ist, dass Malen und Zeichnen Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben können. Zum einen kann ein Kind beim Malen dieses wunderbare Gefühl erleben, dass es etwas produzieren kann, was ihm selbst oder auch anderen Freude macht. Und das Wunderbare dabei ist, dass das alles aus seinem Kopf entstanden und mit seinen eigenen Händen auf Papier gekommen ist. Das stärkt das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl. Dazu kommt: Je sicherer ich in meiner Feinmotorik und meinem Körper bin, umso sicherer und selbstbewusster kann ich andere Situationen meistern. Aus psychologischer Sicht spricht man auch von Selbstwirksamkeit. Das heißt: Durch das Gehirn-Training beim Malen und Zeichnen hat man das Gefühl, etwas im Leben und der Umgebung bewirken zu können, und die Angst vor kleineren Herausforderungen oder komplizierten Angelegenheiten verschwindet. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit macht das Leben für Kinder positiver und überschaubarer.

Wie können Eltern ihre Kinder ermuntern zu malen oder zu zeichnen?

Erster Punkt: Je früher, umso besser! Zweiter Punkt: Lernen am Modell. Auch als Erwachsener öfter mal Stifte benutzen und Dinge skizzieren. Drittens: Gemeinsam macht es Spaß. Bereits im Kleinkindalter schaffen Malen und Zeichnen zusammen mit den Eltern neben dem Flow innige und fröhliche Momente. Wecken Sie ruhig wieder das Kind in sich. Viertens: Auch, wenn das vielleicht ganz simpel klingt – Kinder brauchen altersgerechte Utensilien. Erst gröbere Stifte, dann vielleicht auch einen vernünftigen Malkasten. Fünftens: Stifte, Papier, ruhig auch mal eine Tapetenrolle, Karton oder buntes Papier – diese Materialien sollten immer parat liegen. Dann kann das Kind jederzeit seiner Phantasie und Kreativität freien Lauf lassen. Erfolgsdruck und Bewertungen haben beim Malen und Zeichnen nichts verloren – denn allein das Versinken, der Flow Effekt und der Moment der Kreativität beim Kind sind das Entscheidende und sollten Eltern freuen.

Herr Thiel, wird die Welt besser, wenn Eltern mit Kindern mehr malen?

Ja. Denn mal abgesehen davon, dass Malen Kindern auf ganz unterschiedliche Art und Weise sehr gut tut, macht gemeinsam Malen ja noch etwas ganz anderes: Wenn Eltern mit Kindern zusammen kreativ sind, vermitteln sie ihren Kindern, dass sie Spaß daran haben, mit ihnen zusammen zu sein – und dass man gemeinsam ganz tolle Sachen machen kann. Das wiederum stärkt die Eltern-Kind-Bindung, die für die psychische Entwicklung und psychische Gesundheit von Kindern extrem wichtig ist. Also sollten alle Familien einfach ab und zu einen Eltern-Kind-Maltag oder eine Eltern-Kind-Malstunde einlegen.

Quelle: STAEDTLER

Malwettbewerb

Anlässlich des Weltkindermaltags am 6. Mai ruft der Stiftehersteller STAEDTLER zum Malwettbewerb auf. Unter dem Motto „Kleine Köpfe, große Ideen“ sind Kinder auf der ganzen Welt aufgerufen, mit Bildergeschichten zu zeigen, wie sie sich ihr Leben in der Zukunft vorstellen. Bis zum 31. Mai können die Ideen eingereicht werden, dann wählt eine Jury die Gewinner. Der Preis: In einem Workshop können die Gewinnerkinder selbst daran mitwirken, aus ihren Bildern digital animierte Filme zu machen. Weitere Infos: weltkindermaltag.de

Einzigartig gemacht

Ein Gastbeitrag von Christiane Seipel:

Max (6) sitzt frustriert hinter seinem Teller. Wieder hat die Butter den Kampf gegen die Brotscheibe gewonnen. „Ich kann das nicht!“, jammert er. Genervt nimmt seine Mutter den Teller und rettet, was noch zu retten ist. „Es ist auch kein Wunder, wenn du nicht übst. Schau dir deine Schwester an. Sie ist erst vier und sie kann das auch!“

Auch Jennifer (9) ist frustriert. Sie hat eine schlechte Note in Mathe geschrieben und darf sich anhören, wie gut ihre ältere Schwester Tanja in der vierten Klasse war und dass sie sich mehr anstrengen müsse, wenn sie, wie Tanja, auf das Gymnasium wolle.

Wieso neigen wir dazu, unsere Kinder miteinander zu vergleichen?

Das gilt nicht nur für Geschwister. Wir schielen bereits im Windelalter nach der „Konkurrenz“. Wer kann als Erstes laufen, wer ist als Erstes trocken und wer wechselt als Erstes in die nächsthöhere Kleidergröße?

Dabei ist die Welt doch gerade aufgrund unserer Unterschiedlichkeiten so bunt und vielseitig.

Vielleicht wird Max später als Wissenschaftler entscheidende Dinge entwickeln. Und möglicherweise wird Jennifer für ihren späteren Berufswunsch Mathe nicht so dringend brauchen wie Selbstachtung.

„Du hast mich geschaffen – meinen Körper und meine Seele, im Leib meiner Mutter hast du mich gebildet. Herr, ich danke dir dafür, dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast! Großartig ist alles, was du geschaffen hast – das erkenne ich! Schon als ich im Verborgenen Gestalt annahm, unsichtbar noch, kunstvoll gebildet im Leib meiner Mutter, da war ich dir dennoch nicht verborgen.“ (Psalm 139, 13-15)

Gott hat jeden von uns einzigartig geschaffen. Wie viel weniger Frust gäbe es, wenn wir die Kinder in ihrer Einzigartigkeit annehmen und unterstützen würden! Ist es nicht unser Ziel, unsere Kinder zu Erwachsenen mit einem gesunden Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu erziehen? Wie könnten wir das besser erreichen, als wenn wir jedem von ihnen ihren eigenen Wert zuschreiben? Wenn wir ihr Selbstvertrauen stärken, indem wir ihre Stärken fördern und sie in ihrer Schwäche unterstützen, ganz ohne leuchtende Beispiele, nach denen sie sich richten sollen. Schauen Sie sich Ihr Kind an: Es ist wunderbar und einzigartig gemacht!

Christiane Seipel lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in der idyllischen Wetterau

Verschmierte Brille

Oder: Die Unmöglichkeit, einen Granatapfel ohne Spritzer zu entkernen. Von Stefanie Diekmann.

Quirliges Toben in der Teengruppe. Interessant, wer die Witze reißt und wer nicht darüber lacht. Wer sich entspannt verhält und wer nicht, so wie Dustin. Ein Junge wie ein explosives Pulverfass. Immer wieder wandert mein Blick zu Dustins Brille. Sie ist so schmierig und verschmutzt, dass fast jeder irgendwann fragt: „Soll ich dir mal die Brille putzen? Du siehst doch gar nichts.“ Vehement schüttelt der herausfordernde Teen dann den Kopf: „Finger weg! Ich will das so!“

Mit meinem Muttersein geht es mir ähnlich. Mein Alltag hat an meinem Blickfeld Spuren hinterlassen. Einiges an meinem Mutter-Ich funktioniert automatisch: das Heraussuchen von Büchern zum Familienlesen, das Feste-Vorbereiten zum Zeugnis, Geburtstag oder einfach so, meine Reaktionen bei versemmelten Mathearbeiten. Einiges aber braucht mehr Hinsehen und Üben: gerecht bleiben beim Streiten, Nähe suchen, zuhören. Das fühlt sich dann so an, als würde ich einen Granatapfel entkernen. Trotz YouTube-Videos finde ich Spritzer im Gesicht und auf dem Shirt. Meine Tätigkeit hinterlässt Spuren. So ergeht es mir auch bei meinem Mutter-Sein: Das „Kümmern“ und Im- Blick-Behalten, das Fördern und Loslassen sind Übungen für mich, die nicht ohne „Spritzer“ und „Flecken“ an mir vorübergehen.

Ein Treffen mit Freunden nach langer Zeit. Sie lieben unsere Kinder, und im Gespräch fallen Rückmeldungen zu unserem Familienalltag. Zunächst fühle ich mich so wie Dustin und möchte rufen: „Ich brauche keine Kommentare. Ich sehe klar. Ich will das so!“ Mein Blick auf meine Kinder, meine Art, Liebe zu vermitteln, meine Art, mit ihnen zu glauben, wird vom Alltag verschmiert und manchmal bleiben sogar verzerrte Bilder übrig.

Meinem Helfer und Freund Jesus Christus die Brille zum Reinigen anzubieten, fühlt sich unnötig an. Ich bin doch als Mama gut unterwegs. Oder? Durch das Beispiel von Dustins Schatten- und Schlieren-Brille ahne ich: Ich habe den klaren Blick verloren.

Wie gut, dass Jesus mir eine Idee gibt, neu hinzusehen, die Spritzer wegzuwischen. Geht es allen Kindern mit unserer Lösung gut, wie wir den Haushalt organisieren? Sind die Rollen, die ich durch Kommentare, Stöhnen und Blicke festlege, fördernd für meine Familie? Ist das kritische Denken über mich nicht auch dem verschmierten Blick durch die Alltagsbrille geschuldet? Was sehen andere, wenn sie uns als Familie sehen?

Ich darf einen neuen Blick wagen. Neue Worte finden zu den täglich gleichen Dingen und Konflikten. Neue Seiten an meinem Mann, an mir und sogar an Gott entdecken. Ich sehe mit Abstand sogar, wo mich mein Sohn bei den Medienzeiten um den Finger wickelt. Ich bin verblüfft: Durchblick kann sogar Spaß machen, erleichtern. Ob ich das Dustin mal erzähle?

DiekmannStefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin
und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.