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Kunstmuffel? – So begeistern Sie Teenager für Kunst

Kunst ist etwas wunderbares. Doch wie kann man als Eltern  Jugendlichen die Kunst nahebringen? Duch Vorleben und Inspiration, meint Zeichner und Kunstpädagoge Thees Carstens.

Begeisterung für Kunst zu vermitteln, ist am einfachsten, wenn man sich auch als Eltern für Kunst begeistern lassen kann. Es ist wie mit dem Lesen von Büchern: Je selbstverständlicher Kunst am Rande im Alltag vorkommt, desto leichter fällt der Zugang. Den Zugang zu Kunst kann man passiv und aktiv finden. Passiv erleben Kinder früh die Bilder in Büchern, die man zusammen mit den Eltern ansieht und bespricht.

Selbst Kunst zu mögen, ist in jedem Fall ein guter Tipp. Auch wenn man für den eigenen Geschmack belächelt wird. „Man darf Kunst gut finden“, wird hängen bleiben. Je älter Kinder sind, desto mehr gilt: Erziehung zur Kunst kann immer nur nebenbei, durch Vorbild, durch Beobachtung und beiläufige Gespräche gelingen. Ausflüge an Orte, an denen Kunst stattfindet, können dokumentiert werden, indem man zum Beispiel ein gemeinsames Foto vor einem Bild macht und an den Kühlschrank hängt oder den Katalog kauft und im Wohnzimmer griffbereit „herumliegen“ lässt. Stifte und einen Skizzenblock kann man mit ins Kunstmuseum nehmen und etwas abzeichnen. Oder jeder fotografiert das Bild, das ihm oder ihr am besten gefallen hat, mit dem Handy, und man zeigt sich später die Bilder.

Je aktiver, desto besser

Je aktiver man sich mit Kunst vertraut machen kann, desto besser. Jugendliche lassen sich von Kunstwerken in den sozialen Medien gern zu einer eigenen Kunstproduktion inspirieren, zum Beispiel bei Pinterest und Instagram. Hier zu stöbern und sich in der Kunst zu verlieren, kann viel Zeit in Anspruch nehmen. Die sollte man gewähren. Tutorials findet man auf YouTube in großen Mengen.

Die Werke der Kinder wertzuschätzen, ist in jedem Fall wichtig. Dabei ist gar nicht mal das bedingungslose Lob gefragt, sondern eher das Nachfragen: „Wie bist du auf das Motiv gekommen? Bist du zufrieden? Gibt es etwas anderes Künstlerisches, das du gern mal ausprobieren möchtest?“ Als Eltern selbst einen Stift in die Hand zu nehmen, ist sicher auch nicht verkehrt. Wir haben mal vier Leinwände für uns Eltern und unsere beiden Kinder gekauft und festgelegt, dass alle etwas mit der Farbe Grün malen. Als kleines farblich abgestimmtes Vierer-Ensemble hingen die Bilder lange an der Wand und haben uns an die schöne Familienaktion erinnert und daran, dass wir eine Familie sind, zu der Kunst gehört.

Thees Carstens hat als Comiczeichner, Autor und Illustrator gearbeitet. Seit einigen Jahren unterrichtet er Kunst und Philosophie an einem Gymnasium in Hamburg, wo er mit seiner Familie lebt.

Stützen und loslassen: Was große Kinder von den Eltern brauchen

Jugendliche müssen ihren eigenen Weg finden. Der Pädagoge Axel Hudak erklärt, welche Unterstützung sie dabei von den Eltern brauchen und was Mutmachen mit Loslassen zu tun hat.

Eltern werden ist nicht schwer, Eltern sein dagegen sehr.“ Diese abgewandelte Version des bekannten Zitats von Wilhelm Busch (der nur die Väter im Blick hatte) würden viele Eltern von Jugendlichen wohl seufzend unterschreiben. Wobei die Herausforderungen, die sich mit dem Familienzuwachs einstellen, ja nicht erst in der Pubertät beginnen. Erfahrene Eltern wissen: Die Sorgen um das Kind beginnen mit dem ersten Atemzug, manchmal – „dank“ moderner medizinischer Diagnostik – sogar bereits im Mutterleib.

So ging es uns im Sommer 2003, als die Gynäkologin meiner Frau und mir bei einem turnusmäßigen Ultraschall erklärte, dass die Nieren unseres Sohnes eine ungewöhnliche Fehlbildung aufwiesen. Ihr gut gemeinter, aber etwas lapidarer Satz: „Das müssen Sie nach der Geburt dann mal anschauen lassen“, klingt mir jetzt noch in den Ohren. Dieses Nachschauen wuchs sich zu einem jahrelangen Klinikmarathon aus, der bis heute andauert. Verständlich, dass man ein solches Kind in Watte packt und es beschützt und behütet, oder nicht?

Löweneltern ja, Helikoptereltern nein

Wir haben uns damals bewusst anders entschieden. Als Eltern mit medizinischer Erfahrung (Krankenschwester und Krankenpfleger, später dann Pflegepädagoge) waren und sind wir heute noch oft Löweneltern, wenn es in der Klinik darum geht, gemeinsam mit den behandelnden Ärzten Entscheidungen zu treffen. Löweneltern meint, dass wir zur Not auch einem Konflikt nicht aus dem Weg gehen, wenn es für das Wohl unseres Sohnes nötig ist. Und doch war uns gleichzeitig klar: Wir wollen ihm ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Und das geht nur, wenn wir nicht zu Helikoptereltern werden, sondern ihn von klein auf loslassen und ihn seine eigenen Erfahrungen machen lassen: die freudigen genauso wie die schmerzlichen.

Damit er und auch seine nachfolgenden beiden Geschwister ihre eigenen Wege finden und gestalten konnten, war uns von Anfang an klar: Wir möchten, dass unsere Kinder mündige und mutige Menschen werden, die in der Lage sind, Situationen zu überblicken, Beweggründe zu hinterfragen und fundiert eigene Standpunkte zu beziehen. Dafür brauchen sie unsere Ermutigung. Mittlerweile sind unsere beiden Großen siebzehn und neunzehn Jahre alt, und sie stehen vor neuen Herausforderungen: Was will ich mit meinem Leben nach der Schule anfangen? Wird der Beruf oder Studiengang, den ich wähle, mich wirklich mein ganzes Leben begleiten? Wie gehe ich damit um, wenn meine Entscheidungen und Aussichten eher Angst erzeugen als Vorfreude?

Entscheidungen treffen

Bei unseren Kindern, aber auch bei ihren Freunden erlebten wir in den letzten Jahren zunehmende Zukunftsängste in Bezug auf den Klimawandel und die weltpolitische Situation. Aber es ergaben sich auch persönliche Fragezeichen, in welche Richtung es denn beruflich und schulisch gehen sollte. Beide Kinder entschieden sich nach dem mittleren Schulabschluss für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ).

Diese Entscheidung, eine Art „Pausenjahr“ einzulegen, stellte sich als sehr weise und segensreich heraus. Dieses erste Hineinschnuppern in die Arbeitswelt gepaart mit der großen Entlastung, ein ganzes Jahr nicht durch Noten bemessen und bewertet zu werden, empfanden unsere Kinder als eine sehr wertvolle Erfahrung. Gleichzeitig bemerkten wir, wie sie in ihren Persönlichkeiten reiften. Beide legen eine uns Eltern völlig neue Strukturiertheit und Stringenz an den Tag, die uns verblüfft und gleichzeitig darin bestätigt, dass diese Entscheidung richtig war.

Nach der FSJ-Zeit stand für beide die nächste große Kreuzung des Lebens an: Abitur oder Ausbildung? Dieses Bild der Kreuzung im Sinne einer Weggabelung ist hier bewusst gewählt. Denn darum geht es doch bei unseren heranwachsenden, beinahe erwachsenen Kindern: Wir begleiten sie auf ihrem Lebensweg von klein auf; erst an der Hand, dann lernen wir, Stück für Stück loszulassen. Und eines Tages stehen sie an den wichtigen Gabelungen des Lebenswegs und müssen Entscheidungen treffen von einer Tragweite, die sie selbst kaum einschätzen können.

Einen Schritt zurücktreten

Ein erster, völlig natürlicher Reflex wäre es nun, ihnen mit unserer geballten Lebensweisheit zur Seite zu stehen und ihnen zu sagen, was sie unserer Meinung nach am besten tun sollten. Hier hilft es, sich bewusst zu machen: Ich kann mein Kind bis zu dieser Kreuzung begleiten. Gern darf ich gemeinsam mit ihm um die Ecke schauen und herausfinden: Was könnte passieren, wenn ich nach rechts gehe – und was, wenn ich die linke Seite nehme? Ich darf helfen, dass es eine fundierte Entscheidung wird, indem ich Informationen sammle oder meine eventuell vorhandene Expertise zum Besten gebe.

Eins ist dabei allerdings von großer Bedeutung: Ich muss es schaffen, nach diesem Ausblick einen Schritt zurückzutreten und mein Kind diese Entscheidung selbst treffen zu lassen. Es ist ein überaus wichtiger Reifeprozess-Schritt, dass es die Verantwortung für die Entscheidungen des Lebens selbst tragen lernt. „Ich an deiner Stelle würde ja …“ ist hier fehl am Platz. Denn durch diese gut gemeinten Ratschläge übernehme ich die moralische Verantwortung und bevormunde mein Kind sogar ein Stück weit. Hier ist Loslassen angesagt, auch wenn das Eltern und Kind eine Menge Mut kostet!

Fehler zulassen

Hat das Kind sich schließlich für einen der möglichen Wege entschieden, darf ich gern anbieten, mich wieder unterzuhaken und es auf dem eingeschlagenen Weg zu begleiten und auf Wunsch auch aktiv zu unterstützen. Gern gesehen sind hierbei unter anderem Sach- und Finanzspenden … Wenn ich die Entscheidungsverantwortung auf mein Kind übertrage, komme ich im Fall einer Fehlentscheidung auch nicht in die Versuchung zu kommentieren: „Ich hab’s dir ja gesagt …“, denn ich habe es ja nicht gesagt! Ganz im Gegenteil, hier habe ich die Möglichkeit, mein Kind mit offenen Armen aufzufangen, aufzubauen und gemeinsam mit ihm an eine neue, andere Weggabelung zu gehen. Auch das ist eine Form der Ermutigung: eine innerfamiliäre Fehlerkultur zu schaffen, die ein mutiges Ausprobieren erlaubt und gleichzeitig den moralischen Zeigefinger in der Hosentasche lässt. Denn Fehler gehören zum Leben, sind wichtige, lehrreiche Mosaikstücke, die das Gesamtbild Mensch erst rund werden lassen.

Den Mut-Tank auffüllen

Einen wichtigen Punkt dürfen wir bei alldem nicht außer Acht lassen: Ein Ermutiger zu sein, kostet selbst Mut und Kraft! Selbstverständlich ist es nicht leicht, das Kind um die Ecke biegen zu sehen und nicht zu wissen, was aus dieser Entscheidung wird. Wird es seinen Weg gehen? Wird es zurückkommen, und wenn ja: in welcher Verfassung? Für meine Frau und mich ist es deshalb unerlässlich, dass wir auftanken an der besten Kraftquelle, die man finden kann. Gleichzeitig dürfen wir dort all unsere Sorgen und Zweifel adressieren: Der christliche Glaube gibt uns den notwendigen Mut und die Zuversicht und das Gebet gibt uns Kraft. Natürlich verstehen wir nicht alle wege Wege – aber dass wir bei Gott unsere Sorgen abgeben und schwach sein dürfen, tut so gut und füllt unseren Mut-Tank immer wieder neu auf!

„Es steigt der Mut mit der Gelegenheit“, wusste schon Shakespeare. Trauen wir uns doch einfach, unsere Kinder zu ermutigen, indem wir ihnen die Gelegenheiten dazu schaffen – und dann für sie da zu sein, um zu feiern, wenn es gelungen ist, oder ihnen die helfende Hand zu reichen, um wieder aufzustehen.

Axel Hudak arbeitet als Pflegepädagoge an einer Berufsfachschule in Karlsruhe und als selbstständiger Erlebnispädagoge (faszinationerleben.de). Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ein Paar, zwei Perspektiven – Neuland

An Veränderungen gewöhnen

Katharina Hullen ärgert sich darüber, dass ihr Mann der großen Tochter mehr erlaubt, als sie es tun würde.

Katharina: Nun ist es also so weit: Das Jüngste unserer fünf Kinder wurde eingeschult, die hullensche Kindergartenzeit ist nach 12 Jahren endgültig vorbei. Der Alltag muss umstrukturiert werden. Neue Zeiten, neue Regeln, neue Diskussionen. Bei so viel Neuem schnappe ich mir unseren Erstklässler und gönne ihm – und mir – ein Wochenende zu zweit.

Doch bevor wir aufbrechen, setzt mich unsere Älteste zwischen Tür und Angel noch darüber in Kenntnis, was sie an diesem Wochenende so vorhat. Sie ist mit dem neuen Schuljahr in die Oberstufe aufgestiegen und ist – irgendwie plötzlich – unglaublich beschäftigt und ständig unterwegs. Und, wie mir auffällt, mit völlig neuen Freunden, deren Namen nie zuvor gefallen sind. Und Partyeinladungen – die sind irgendwie auch neu. Also nicht mehr so Kindergeburtstagsfeiern am Samstag um 15 Uhr, sondern Partys mit Jungs und Mädels und ja, auch mit etwas Alkohol. Eben zu so einer Party von einem neuen Freund wollte unsere frische Oberstufen-Tochter an diesem Wochenende.

Als ich von meinem sommerlichen Mutter-Sohn-Wochenende zurückkehre, erfahre ich dann Folgendes: Irgendwann Samstagnacht hatte unsere Tochter den besten Ehemann oder passenderweise den besten Vater der Welt angerufen und ihm erklärt, es sei so schön und es würden spontan ein paar Schulfreundinnen und Schulfreunden über Nacht bleiben, und ob sie denn nicht auch bitte dort schlafen dürfe? Auf den Gartensofas auf der Terrasse?

Und, was glauben Sie, war seine Antwort? „Ich weiß, Mama würde dir das jetzt sicher nicht erlauben, aber ich kann dich gut verstehen – Oberstufenzeit ist toll! Ja, übernachte ruhig dort!“

Soll ich lachen oder schreien? Ich könnte mich ärgern darüber, dass er sich wissentlich und öffentlich in dieser Sache gegen meine vermutliche Entscheidung gestellt hat. Andererseits war er zuständig in dieser Situation und hat eben aus dem Bauch heraus voller Empathie und Liebe seiner Großen einen Wunsch erfüllt. Nicht ohne zu betonen, dass selbstverständlich alle Bedenken, die gegen diese Übernachtung sprächen, sicher von mir vorgetragen worden wären, aber zum Glück ist Mama ja jetzt nicht da – ein zweifelhaftes Bündnis, wie ich finde. Ich meine, natürlich hat Hauke weniger Probleme mit dieser Veränderung (Neuerungen, neuen Ideen), schließlich wusste er auch schon zu Kindergeburtstagszeiten die Namen der Freundinnen nicht.

Ich weiß auch: Diese Entwicklung ist völlig normal und richtig so. Es ist auch schön zu sehen, wie unsere Große an der geöffneten Tür in die große weite Welt steht. Klug, vernünftig, begabt, mit Träumen und Zielen und Fragen – es gibt faktisch nur Grund zur Freude. Und doch spüre ich: Mein Herz muss sich noch und immer wieder gewöhnen an all die großen und kleinen Veränderungen.

Freude über den Neustart

Hauke Hullen ist zwar genervt vom Elterntaxi, aber freut sich auch über neue Freiheiten.

Hauke: „Du, Papa, wir treffen uns heute Abend noch mit Freunden, kannst du mich später abholen?“ Wenn ich diese Worte von meiner frisch in die Oberstufe eingetauchten Tochter höre, dann flattern die verschiedensten Gedanken durch meinen Kopf. Zum Beispiel: „Toll, meine Tochter hat Freunde!“ Oder: „Super, dann können die beste Ehefrau von allen und ich endlich unsere Serie weitergucken!“ – denn in unserer dicht besiedelten Wohnung haben wir nur selten die Gelegenheit, mal alleine vor dem Bildschirm zu sitzen. Und drittens denke ich seufzend: „Uff, wieder eine lange, mitternächtliche Fahrt durch die Vorort-Steppen des Rheinlandes …“

Denn das ist der Nachteil des Lebens am Stadtrand – die nächste Schule ist weit weg, auf der anderen Seite der Stadtgrenze. Busse wagen sich nur am helllichten Tage und nur zu Stoßzeiten in das Revier des rivalisierenden Verkehrsbetriebes, sodass es nur schwer möglich ist, Sozialkontakte anzubahnen – eben weil kaum eine Bahn fährt.

Also Elterntaxi. Was einem immerhin die Gelegenheit verschafft, einen Blick auf die Jugendlichen zu werfen, mit denen unsere Tochter neuerdings noch viel lieber Zeit verbringt als mit uns. Das schmerzt natürlich ein wenig. Andererseits wollen diese Jugendlichen auch lieber Zeit mit unserer Ältesten statt mit ihren eigenen Eltern verbringen – und das werte ich einfach mal als Kompliment für die langen Jahre unserer aufopferungsvollen Erziehung.

Allerdings ist noch nicht ganz geklärt, was von unserer Erziehung übrig bleiben wird, wenn die von uns geprägten Werte und Normen erst einmal den Erosionskräften der Peergroup ausgesetzt sind. Erstes Indiz: „Ich habe gar nichts getrunken“, versicherte unsere Tochter, die bislang ja auch keinerlei Interesse an Alkoholika gezeigt hatte, nach der letzten Party. Kurze Pause. „Nur ein Glas Wein.“ Aha. Hm. Soso.

Die Kleine trinkt jetzt also Wein – dabei ist sie doch gefühlt gerade erst eingeschult worden. Aber so ist halt der Lauf der Zeit, und so freue ich mich einfach mit über den guten Start meiner Tochter in die Oberstufe, wo sich neue Bekannt- und Freundschaften ergeben, wo das Musizieren in der Schülerband großen Spaß macht und wo neue Freiheiten auf dem Weg zum Erwachsenwerden ausgelotet werden. Statt sich an die Vergangenheit zu klammern, sollten wir uns lieber pragmatisch auf die Möglichkeiten freuen, die in Zukunft auf uns warten. Während ich mich also hinters Lenkrad klemme, wirft mein inneres Auge einen raschen Blick auf die nächsten Etappen der Abnabelung und ich gewöhne mich schon mal an den Gedanken, dass nach den nächsten ein, zwei Partys wahrscheinlich der Auszug dran ist. Sehen wir’s positiv: Dann haben wir endlich die Chance auf ein Kino-Zimmer!

 

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Immer mehr Pickel

„Mein Sohn (13) bekommt immer unreinere Haut. Ich habe das Gefühl, dass er sich nicht richtig darum kümmert und befürchte, dass er gehänselt wird, wenn es so weitergeht. Wie kann ich ihm helfen und was kann man bei unreiner Teenager-Haut unternehmen?“

„Mein Sohn (13) bekommt immer unreinere Haut. Ich habe das Gefühl, dass er sich nicht richtig darum kümmert und befürchte, dass er gehänselt wird, wenn es so weitergeht. Wie kann ich ihm helfen und was kann man bei unreiner Teenager-Haut unternehmen?“

Bei Ihrem Sohn liegt wahrscheinlich eine pubertätsbedingte Akne vor. Die Akne ist eine der häufigsten Hauterkrankungen weltweit und tritt meistens ab dem Zeitpunkt der Pubertät auf. Zunächst einmal sollten Sie sich keine allzu großen Sorgen machen. Ihr Sohn ist mit diesem Problem nicht allein, denn fast 80 Prozent aller Teenager neigen zu unreiner Haut.

Das ist vor allem auf die hormonelle Veränderung während der Pubertät zurückzuführen. Im Teenageralter entwickeln die Sexualorgane vermehrt verschiedene Hormone, unter anderem auch Androgene. Ein Beispiel ist das männliche Sexualhormon Testosteron, welches unter anderem für das Wachstum der Körperbehaarung verantwortlich ist oder bei Jungen den Stimmbruch auslöst.

Aknenarben durch Pickel vermeiden

Die Androgene regen die Talgproduktion der Haut an, wodurch es bei Teenagern während der Pubertät häufig zu Unreinheiten und Pickeln im Gesicht und/oder auf der Rückenpartie kommt. Mit der richtigen Pflege und medizinischen Behandlung kann das Ausmaß der Akne glücklicherweise enorm gemildert werden. Das ist vor allem wichtig, um sogenannte „Aknenarben“ zu vermeiden, die häufig dann entstehen, wenn es zu Entzündungen kommt und diese nicht richtig behandelt werden.

Es ist wichtig, dass Sie hier, am besten gemeinsam mit Ihrem Kind, eine geeignete Pflegeroutine entwickeln und im besten Fall auch ein Auge darauf behalten, dass diese entsprechend durchgeführt wird. Um langfristige Erfolge zu erzielen, ist es essenziell, diese Routine konsequent durchzuführen und nicht abzubrechen, auch wenn Besserungen zu erkennen sind, sonst kann es zu einem Rückfall und einem erneuten Ausbruch der Akne kommen.

Worauf Sie bei Pflegeprodukten achten sollten

Es gibt unzählige Produkte zur Behandlung von Aknehaut. Bei der Auswahl sollten Sie einige Dinge beachten. Aknehaut neigt dazu, eher fettig zu sein, weswegen eher „leichte“ statt fettende Produkte verwendet werden sollten, die die Haut nicht noch zusätzlich verschließen. Auf diese drei Stichworte sollten Sie beim Kauf der Produkte Acht geben: Sie sollten „nicht komedogen“ bzw. „komedolytisch“ oder „keratolytisch“ sein. Pflegeprodukte, die diese drei Kriterien erfüllen, eignen sich gut zur Behandlung der Akne. Sie machen die Poren frei, helfen Pickel und Mitesser aufzulösen und lösen abgestorbene Hautzellen. Bei der Reinigung sollten milde, am besten pH-neutrale Produkte verwendet werden, um die Haut nicht weiter zu reizen. Meistens reicht jedoch bei einer Akne keine lokale Hautpflege aus, sondern rezeptpflichtige Wirkstoffe werden benötigt.

Ist die Akne stark ausgeprägt, kann in Absprache mit dem behandelnden Dermatologen auch eine medikamentöse Therapie mit Hormonpräparaten, Antibiotika oder Vitamin A-Säure-Präparaten angeordnet werden. Diese muss aber genau auf das Hautbild abgestimmt werden. Auch chemische Peelings können helfen, die Akne zu bekämpfen. Diese sollten ausschließlich von geschultem Fachpersonal durchgeführt werden.

Dr. med. Alice Martin ist Ärztin und Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis dermanostic.com. 

Mein Sohn raucht

„Unser Sohn (16) hat mit dem Rauchen angefangen. Während er am Anfang wohl nur auf Partys oder im Beisein seiner Kumpels mal eine gequalmt hat, macht er es jetzt jeden Tag. Abgesehen davon, dass ich Rauchen überhaupt nicht mag, habe ich Sorge, dass er seine Gesundheit dadurch ruiniert. Was kann ich tun?“

„Unser Sohn (16) hat mit dem Rauchen angefangen. Während er am Anfang wohl nur auf Partys oder im Beisein seiner Kumpels mal eine gequalmt hat, macht er es jetzt jeden Tag. Abgesehen davon, dass ich Rauchen überhaupt nicht mag, habe ich Sorge, dass er seine Gesundheit dadurch ruiniert. Was kann ich tun?“

Das Rauchen übt eine starke Faszination auf Jugendliche aus. Über viele Jahrzehnte hat die Tabakindustrie ein Raucher-Image aufgebaut, das für Unabhängigkeit, Rebellion und Freiheit steht. Dies ist für Jugendliche, die sich während der Pubertät in einem Prozess der Abnabelung befinden, ein Bild, mit dem sie sich gern identifizieren. Aber auch das soziale Umfeld und Vorbilder wie die Eltern beeinflussen eine mögliche Raucherkarriere stark. In Deutschland ist das Rauchen für Jugendliche unter 18 Jahren allerdings verboten. In der Schweiz, abhängig vom Kanton, ist es auch erst ab 16 bzw. 18 Jahren erlaubt.

Eltern sind entscheidend

Studien zeigen, dass Eltern einen Einfluss auf das Rauchverhalten ihrer Sprösslinge haben. Eine klare, ablehnende Haltung gegenüber dem Rauchen ist entscheidend. Diese Grundeinstellung ist sogar dann zielführend, wenn die Eltern selbst rauchen.

Merkt man, dass das Kind raucht, sollte man das Gespräch suchen. Am besten funktioniert das, wenn man seinen Sprössling nicht überrumpelt, sondern einen ruhigen Moment abwartet. Während des Gesprächs sollten Sie Ihrem Kind klar vermitteln, dass Sie nicht wollen, dass es raucht: „Du bist mir wichtig. Ich wünsche mir, dass du gesund bleibst. Deshalb möchte ich, dass du mit dem Rauchen aufhörst.“ Bleiben Sie bei Ihrer Haltung und wiederholen Sie diese, auch wenn diese möglicherweise nicht auf offene Ohren stößt. Im Gespräch sollten Sie Ihr Kind mit seiner eigenen Meinung ernst nehmen, nicht abwerten und keine langen Monologe führen.

Sie können Ihr Kind außerdem über die Folgen des Rauchens aufklären und mit Fehlannahmen aufräumen. Oftmals glauben vor allem Mädchen irrtümlicherweise, man bliebe schlank, wenn man raucht. Man kann außerdem erklären, dass Nikotin in eine psychische und körperliche Abhängigkeit führt, was nicht viel mit Unabhängigkeit zu tun hat, wie es Jugendliche glauben.

Entwöhnung per Smartphone

Anschließend sollten Sie klare Regeln aufstellen. Erlauben Sie Ihrem Kind nicht, zu Hause zu rauchen. Bleiben Sie konsequent und sagen Sie, was Sie möchten, auch wenn Sie hier mit Konflikten rechnen müssen. Vermeiden Sie jedoch Strafen, Schuldzuweisungen und Vorwürfe, um Ihr Kind nicht in eine Verteidigungshaltung zu drängen.

Kommunizieren Sie Ihrem Kind, dass Sie es unterstützen: „Ich freue mich sehr, wenn du die Entscheidung triffst, nicht mehr zu rauchen, und werde dir helfen, so gut ich kann.“ Benötigt ihr Jugendlicher Hilfe, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Sie in Anspruch nehmen können. Eine niederschwellige Möglichkeit ist die Durchführung eines medizinisch fundierten Nichtraucher-Kurses zur unkomplizierten Durchführung auf dem Handy von NichtraucherHelden.de. Dieses Programm kann vom Arzt per Rezept verschrieben werden.

Dr. Maddalena Angela Di Lellis ist freie Autorin und Medizinprodukteberaterin bei NichtraucherHelden. Sie lebt mit ihrer (bisher rauchfreien) Familie in Tübingen. 

Mit dem Wohnzimmer-Trick stärkt Mutter Stefanie den Kontakt zu ihren Teens

Familie Diekmann will für ihre Teenager da sein und trotzdem Freiraum lassen. Ihnen gehört jetzt ein eigener Raum.

Es war in irgendeinem Vortrag. Ein Satz ist mir tief ins Herz gerutscht: „Unser Verhalten als Eltern lässt den Heranwachsenden oft nur eine Wahl: fliehen. Das Haus verlassen. Ganz weit weg!“ Weil wir keine wilde Musik, hysterisches Gekicher oder unendliche Duschorgien ertragen.

Eigenes Wohnzimmer statt dunkler Park

Wir beschließen als Eltern, uns den neuen Bedürfnissen zu stellen und den Teenagern einen sicheren Ort zu ermöglichen. Sie brauchen einen Platz ohne Elternblicke, kritische Kommentare und Fragen – aber nicht im dunklen Park oder in fremden Partykellern. Einen Platz, wo es einen Kühlschrank gibt, eine Möglichkeit zum Filmegucken und einen Haufen Matratzen und Schlafsäcke für Übernachtungspartys. Und so wird aus einem Arbeitszimmer unter dem Dach ein zweites Wohnzimmer.

Erst bin ich skeptisch, ob ich schlafen kann, wenn die sechs gackernden Mädels sich nachts Spiegeleier braten oder ein Konsolen-Tanzspiel spielen. Ich schlafe tatsächlich wenig, aber genieße das späte Frühstück am Mittag mit den jungen Damen. So bekommen wir viel mit, ohne zu bohren. Je älter die Teens werden, umso öfter starten ihre Besuche mit Kochaktionen, zu denen wir eingeladen werden und beim Essen in gute Gespräche kommen. Einmal kommt nachts unsere Tochter zu uns und braucht Hilfe, weil der Liebeskummer der Freundin zu arg ist.

Weinflaschen im Rucksack

Das ist unser Gedanke bei dem eigenen Rückzugsort: Die Jugendlichen können sich erproben, wir sind aber greifbar und zeigen mit der investierten Nervenkraft unseren Rückhalt. Auch die ersten „Weinproben“ sind so in unserer Nähe, auch wenn unsere Teens denken, wir hören das Klirren der Flaschen im Rucksack nicht. Viel zu oft verlieren Eltern und Teens den Kontakt zueinander. Wir wollen den Kontakt halten und so Nähe in turbulenten Zeiten ermöglichen. Das zusätzliche Wohnzimmer kann das fördern.

Übrigens haben wir diesen Grundgedanken auch in unserem Gemeindehaus umgesetzt. Jeder Jugendliche, der wollte, bekam einen Schlüssel und war eingeladen, jederzeit (besonders nachts) dort Zeit zu verbringen. Das Vertrauen, dass die jungen Menschen sorgsam mit den Räumen sind, haben sie nie missbraucht. Nicht selten wurde dort abends gekocht oder gespielt. Bis sie auf das Matratzenlager in unserem Wohnzimmer Nr. 2 fielen und ich beruhigt „nicht-schlafen“ konnte.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Kindern.

Unbegleiteter Flüchtling: Als Nayzgi (14) auf seine neue Familie trifft, laufen die Tränen

Maren und Rainer Koch haben 2016 Nayzgi, einem jugendlichen Flüchtling aus Eritrea, ein Zuhause gegeben. Einfach war das nicht …

Es sind zwei Sätze, die Maren und Rainer Koch im Spätsommer und Herbst 2015 immer wieder begegnen. Zwei Sätze aus der Bibel, die sie berühren und bewegen: „Vergesst nicht, Fremden Gastfreundschaft zu erweisen, denn auf diese Weise haben einige Engel beherbergt – ohne es zu merken“, aus Hebräer 13,2 lautet der eine. „Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr gabt mir zu trinken, ich war ein Fremder, und ihr habt mich in euer Haus eingeladen“, lautet der andere aus Matthäus 25. Sie sehen die bewegenden Bilder von ankommenden Geflüchteten, sie hören schreckliche Fluchtgeschichten und sie lesen, dass Gastfamilien für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge gesucht werden.

Und das lässt sie nicht mehr los. Sollen sie wirklich? Sie haben schon ein volles Haus – zwei Jungs (16 und 18) und zwei Mädchen (11 und 14). Rainer ist als Referent viel unterwegs. Wird ein Leben mit vier Kindern und einem geflüchteten Jugendlichen nicht zu einer zu großen Herausforderung? „Ich hatte die Sorge: Da kommt jemand in das Innerste unseres Hauses, in unsere Familie, von dem ich nichts weiß. Wie wird das werden?“, erinnert sich Rainer. Doch die Worte aus der Bibel, denen sie immer wieder auf unterschiedliche Weise begegnen, treiben sie um. So ruft Rainer beim Jugendamt an, und sie lassen sich beraten.

Plötzlich muss alles ganz schnell gehen

Weil alles so vage ist, erzählen sie nur ihren Kindern von ihrer Idee. Die sind damit einverstanden. Sie füllen ein Antragsformular als Gastfamilie für einen minderjährigen unbegleiteten Flüchtling aus. Doch lange Zeit passiert nichts. Immer wieder rufen sie beim Jugendamt an, doch aktuell gäbe es keine geflüchteten Jugendlichen, so die Auskunft.

Der Winter kommt, Weihnachten, das neue Jahr 2016 beginnt. Am 7. Januar, einem Donnerstag, ruft eine Mitarbeiterin vom Jugendamt an und teilt ihnen mit, am kommenden Dienstag würden acht Jugendliche in den Landkreis Schaumburg kommen, darunter auch ein Junge namens Nayzgi aus Eritrea, mit einem christlich-orthodoxen Background. Mehr Informationen bekommt die Familie nicht. Sie müssten sich bis morgen Nachmittag entscheiden, ob sie diesen Jungen wirklich aufnehmen wollen. Und so geht auf einmal alles sehr schnell. Die zwei biblischen Sätze aus der Anfangszeit entfalten noch mal ihre ganze Wirkkraft. Das Wochenende nutzt die Familie, um im Haus umzuräumen und das Zimmer von Nayzgi herzurichten. Und sie bekommen Klarheit, Rainer nennt es geistliche Verdichtung: „Es war eine sehr klare, gemeinsame, verdichtete Erfahrung, was jetzt unsere Sendung ist. Und ich habe gespürt, ich finde die diffuse Angst vom Anfang nicht mehr wieder.“

„Uns sind allen die Tränen gelaufen“

Am Dienstag, den 11. Januar 2016, fahren Maren und Rainer in die Kreisstadt, wo sie Nayzgi in Empfang nehmen sollen. Neben ihnen steht eine andere Gastmutter, ansonsten haben sich Mitarbeiter von Jugendwohngruppen eingefunden. Acht Jugendliche, manche mehr Kinder, kommen in den Raum. Für alle ein bewegender Moment. „Ich hab zum ersten Mal verstanden, was es heißt, mutterseelenallein zu sein“, erinnert sich Rainer. „Uns sind allen die Tränen gelaufen, so emotional war dieses erste Aufeinandertreffen. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Moment ganz viel Liebe wie eine Welle durch uns hindurchfloss.“ Übersetzer helfen den Ankommenden und neuen Bezugspersonen, zueinanderzufinden. „Als Nayzgi hörte, dass er zu uns in die Familie kommen sollte, haben wir direkt in seinem Gesicht gesehen, dass er das auf keinen Fall wollte. Er hat später erzählt, dass ihn jemand davor gewarnt hatte, in eine Familie zu gehen. Doch in diesem Moment, ohne dieses Wissen, war es für uns schon irritierend“, denkt Maren zurück.

Nach neunmonatiger Flucht durch Äthiopien, den Sudan, Libyen und über das Mittelmeer versucht der 14-Jährige, in der neuen Welt, der neuen Umgebung anzukommen. Mit Hilfe von Händen, Füßen und Bildkarten sowie ein paar Brocken Englisch bemühen sich alle miteinander, ins Verstehen zu kommen. Doch die schwierige Kommunikation wird zur ersten großen Herausforderung. „Maren hat vieles verstanden, sie hat einen siebten Sinn dafür, eine Sprache des Herzens, während ich gar nichts verstanden habe“, erinnert sich Rainer. Einmal in der Woche kommt ein Dolmetscher, und so wird in dieser einen Stunde das Allerwichtigste geklärt und besprochen.

Kaum Menschen anderer Hautfarbe

Anfangs zieht sich Nayzgi viel in sein Zimmer zurück, macht seine traumatischen Erfahrungen während der Flucht mit sich aus – und vernetzt sich dank Facebook mit Freunden und Verwandten in der ganzen Welt. Ein Stück eritreische Heimat im deutschen Dorf. Die ersten Begegnungen mit den Menschen an ihrem Lebensort sind verhalten. „Uns ist zum ersten Mal bewusst geworden, dass es in unserem Umfeld kaum Menschen anderer Hautfarbe gibt“, erzählt Rainer. „Ich erinnere mich an eine Szene vom Anfang: Ich bin mit Nayzgi zum Fußballplatz gegangen. Als wir ankamen, merkte ich, wie er immer mehr in meinen Windschatten trat und wir vom gesamten Fußballplatz angestarrt wurden. Da hab ich das ‚Anderssein‘ richtig körperlich gespürt.“ Zum Glück reagieren enge Freunde und ihre Familien sehr positiv auf das Menschenkind, das sie als neues Familienmitglied kennenlernen. Der Fremde, der Andere hat ein Gesicht, einen Namen, eine Geschichte – und ein Zuhause.

Zwischen Freude und Frust

Die ersten Monate und Jahre waren sehr herausfordernd, berichten Maren und Rainer. Neben erfüllenden Momenten und vielen wertvollen, kulturellen Lernerfahrungen gibt es natürlich auch Konflikte und Frust. Nayzgi baut immer wieder eine Mauer um sich herum auf, reagiert abweisend und unfreundlich auf seine neue Familie. Kommunikation und Nähe fallen ihm schwer. Rainer erinnert sich: „Es war nicht leicht, herauszufinden, was an seinem Verhalten gerade Pubertätsdynamik war, was sein Charakter, was kulturell bedingt und was traumatisch.“ Sie suchen stetig nach Wegen, wie sie den Jungen gut und wohlwollend als Familie und mit Unterstützung von Freunden, Sozialarbeitern und dem Jugendamt begleiten können. Und so wird aus dem sechsmonatigen Gastaufenthalt recht schnell eine dauerhafte Lösung, ein andauerndes Lernen, „wie wir gemeinsam Zusammenleben und Familie leben“.

Als entscheidend in all den Jahren hat Maren vor allem ihre Herzenshaltung empfunden. Die echte Hingabe zu diesem Menschen, das tiefe Interesse, immer wiederkehrende Barmherzigkeit. Und auch die Erkenntnis, dass Nayzgi einen festen Platz in ihren Herzen hat, verbunden mit dem tiefen Wissen, dass er ihnen „nur“ anvertraut ist, da er Eltern in Eritrea hat, die die Familie auch würdigt. „Wir möchten achtsam auf all die Momente blicken, in denen wir beschenkt werden. Unsere Familie ist seither mit vielen eritreischen Geflüchteten freundschaftlich verbunden, hat an kultureller Sensibilität gewonnen, Fremdheitsgefühle überwunden und spürt auf eine besondere Weise, Teil der weltweiten Menschheitsfamilie zu sein“, resümiert Maren.

Noch einmal sieht Nayzgi seine Eltern

Ende 2017 reift in Maren und Rainer der Gedanke, ob sich ein Treffen von Nayzgi mit seinen Eltern arrangieren lassen könnte. Aktuelle Friedensverhandlungen zwischen Eritrea und Äthiopien würden eine Ausreise der Eltern ins Nachbarland ermöglichen, da eine Rückkehr nach Eritrea für Nayzgi nicht gefahrlos möglich ist. Als der Junge mit 13 Jahren floh, verabschiedete er sich nicht von seinen Eltern. Inzwischen ist sein Vater sehr alt, die Mutter nach wie vor voller Sorge um ihren Ältesten. Wie heilsam wäre da wohl eine reale Begegnung?

Anfang 2018 besuchen Maren, Rainer und Nayzgi dessen Eltern bei einer Cousine in Addis Abeba, Äthiopien. Endlich hat Nayzgi die Möglichkeit, sich von seinen Eltern zu verabschieden. Und seine Eltern lernen endlich die Menschen kennen, die ihrem Sohn ein Zuhause geben. Es ist eine sehr emotionale Begegnung, auch weil die Familie in Eritrea kaum Kontakt zu ihrem Sohn in Deutschland hat. Post gibt es nicht, ebenso besitzt die Familie weder einen Fernseher noch einen Computer, geschweige denn Internet. Alle paar Wochen, wenn das Mobilnetz stabil ist, telefoniert der Junge mit seinen Eltern. Dieses Zusammentreffen ist vielleicht das einzige, das Nayzgi mit seinen Eltern haben wird.

Endlich Bleiberecht

Aus dem verschlossenen Kerlchen ist mittlerweile ein starker junger Mann geworden, der seinen Platz in Deutschland gefunden hat. Nach der Realschule beginnt er eine Ausbildung, macht den Führerschein und bespielt einen eigenen YouTube-Kanal. Er hat engen Kontakt zu eritreischen Freunden und einer eritreisch-orthodoxen Gemeinde. Anfang 2021 wird – nach über fünf Jahren in Deutschland – der Aufenthaltsstatus von Nayzgi in ein dauerhaftes Bleiberecht überführt. Gefeiert hat die Familie das mit einem Lieblingsessen ihres Pflegesohns: Döner.

„Denn so haben einige von euch Engel bei euch aufgenommen.“ Oft war es nicht leicht, in dem Heranwachsenden, dem ruppigen Kerl einen Engel zu sehen, aber für Familie Koch ist Nayzgi ein Geschenk. Ein Geschenk Gottes, was sein Name übersetzt bedeutet.

Hella Thorn lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Iserlohn. Sie arbeitet als Redakteurin, Texterin und Lektorin.

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Vor allem Depressionen und Angststörungen treten bei Jugendlichen durch die Corona-Pandemie verstärkt auf. Von einer „verlorenen Generation“ will Professor Paul Plener im Interview aber nicht sprechen.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Die Liste wird angeführt von den Angststörungen in verschiedenen Formen. Gerade im Jugendalter nehmen soziale Ängste deutlich zu, was damit zu tun hat, dass das Orientieren im Raum der gleichaltrigen sozialen Kontakte eine hohe Wertigkeit hat. Außerdem sind es im Jugendalter auch affektive Erkrankungen, Depressionen zum Beispiel. Wir sehen auch vermehrt Erkrankungen mit Substanzkonsum. Prinzipiell ist das Jugendalter aufgrund der vielen Umbauvorgänge im Gehirn eine Altersperiode, in der sich viele psychische Erkrankungen zum ersten Mal manifestieren.

Was sind Ursachen für diese Erkrankungen?

Es gibt relativ unspezifische Risikofaktoren, von denen wir wissen, dass sie das Risiko von verschiedenen psychischen Erkrankungen beeinflussen, zum Beispiel der sozioökonomische Status, also das Aufwachsen unter finanziell schwächeren Bedingungen. Auch Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnisse erhöhen bei vielen psychischen Krankheiten das Risiko. Es gibt auch einen Einfluss genetischer Faktoren. Der ist, je nach Krankheit, geringer oder deutlicher ausgeprägt. Und natürlich ist nicht zu leugnen, dass es viele Erkrankungen gibt, bei denen es einen starken soziokulturellen Einfluss gibt, etwa bei den Essstörungen, wo das zwar nicht als alleinige Ursache zu nehmen ist, er aber trotzdem auch immer mitprägt.

Wer ist schuld?

Die meisten Eltern fühlen sich schuldig, wenn ihr Kind an einer psychischen Erkrankung leidet. Zu Recht?

Wenn man als Familie betroffen ist, hat man ja oft das Gefühl, es trifft nur einen selbst. Und das ist oft begleitet von dem Stigma, dass es gegenüber psychischen Krankheiten gibt, dass man da als Eltern etwas falsch gemacht hätte. Es gibt natürlich Erkrankungen, bei denen Eltern die Verantwortung übernehmen müssen. Wenn es zum Beispiel zu einem Rosenkrieg in Folge einer Trennung gekommen ist, bei dem die Kinder massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder bei Vernachlässigungs- oder Misshandlungserlebnissen. Da können sich die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern nur versuchen, sich anders zu verhalten. Aber gerade bei genetischen Ursachen oder bei Erkrankungen, die damit zu tun haben, was im Gleichaltrigen-Umfeld passiert, zum Beispiel Mobbing –was ein massiver Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist –, haben Eltern in der Ursache erst einmal wenig damit zu tun.

Eltern von Jugendlichen haben oft das Problem, dass sie sich, anders als bei jüngeren Kindern, nicht so gut mit anderen Eltern über die psychische Erkrankung ihres Kindes austauschen können, weil die Jugendlichen das nicht wollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Ich denke, dass sich generell Eltern nur mit anderen Eltern austauschen sollten, wenn das mit den Kindern oder Jugendlichen abgesprochen ist. Es wäre angebracht, dass man das vor den Jugendlichen transparent macht und auch die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit thematisiert. Oder die eigene Belastung, die sich ergibt. Eltern können sagen: „Ich habe damit ein Problem und es ist mir wichtig, einen Austausch darüber zu haben.“ Ich finde es auch legitim, wenn die Jugendlichen nicht wollen, dass ihre Eltern im Familienkreis beispielsweise über ihre Essstörung sprechen. Aber es gibt ja auch professionelle Hilfe, an die man sich wenden kann, Familienberatungsstellen und ähnliches. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Jugendliche akzeptieren können, weil es da eine Schweigepflicht gibt. Wichtig ist, die eigene Betroffenheit zu thematisieren und zu sagen, dass man selbst ratsuchend ist.

Wann sollte ich mir Hilfe von außen holen?

Wann sollten Eltern für ihren Jugendlichen professionelle Hilfe holen bzw. ihr erwachsenes Kind dazu motivieren?

Ich glaube, dass zunächst einmal viele Familien eigene Lösungen suchen. Und das ist auch prinzipiell gut so, dass man überlegt: Was kann ich aus dem eigenen System für Ressourcen aktivieren? Das müssen ja nicht nur die Eltern sein, das können auch Tanten, Onkel, Großeltern sein, die vielleicht gerade in einer Entwicklungsphase, in der Jugendliche mehr Konflikte mit den Eltern haben, einen besseren Zugang haben. Aber wenn man sieht, dass diese familiären Ressourcen erschöpft sind oder dass die Situation, die der Jugendliche hat, zur Belastung für die Familie wird, dann ist auch der Punkt gekommen, wo ich aus meiner Sicht sage: Da braucht es Hilfe von außen. Natürlich auch, wenn es ganz akut ist, wenn Gedanken geäußert werden, nicht mehr leben zu wollen. Da braucht es sofort eine Abklärung von außen.

Welche Auswirkungen haben die Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Es gibt mittlerweile eine relativ gute Datenlage – weltweit, aber auch aus den deutschsprachigen Ländern. Vor allem bei diesen längeren Lockdown-Bedingungen, die wir gegen Ende des letzten, Anfang diesen Jahres hatten und noch haben, sehen wir, dass es zu einer deutlichen Belastung der Jugendlichen kommt. Studien zeigen, dass die Rate der psychischen Belastungen gestiegen ist. Wir haben eine Studie unter mehreren tausend österreichischen Jugendlichen gemacht, in der wir zeigen konnten, dass mehr als die Hälfte der Befragten über mittelgradige bis schwergradige depressive Symptome berichten und etwa die Hälfte über Angststörungen. Das ist eine Auswirkung, die wir weltweit sehen. Und da ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen auch weltweit diejenige, die am stärksten belastet zu sein scheint.

Manche sprechen schon von einer „verlorenen“ Generation.

Das ist ein Begriff, den ich für unzulässig halte. Der kommt ein bisschen aus dieser Idee heraus: „Die haben ja alle nur zu Hause herumgesessen, und es ist nichts passiert.“ Das vermag ich so nicht zu sehen. Denn auch wenn bei den klassischen Lerninhalten weniger passiert ist, so ist doch im Lernen einiges weitergegangen. Viele Jugendliche haben fundamentale Lernerfahrungen gemacht, was digitales Lernen angeht, aber auch, was das Thema Selbstorganisation und Strukturierung angeht. Diese Themen stehen zwar nicht im Lehrplan, aber trotzdem gab es in diesem Jahr einen immensen Lernzuwachs auf vielen anderen Ebenen.

Wie kann ich Angsstörung und Depression erkennen?

Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Depressionen und Angststörungen im Lockdown häufiger zu beobachten sind. Wie können Eltern denn erkennen, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist?

Es geht immer um das Erkennen von Veränderungen. Das Kernkriterium der Angststörung ist, dass – oft mit großer Anstrengung – Situationen vermieden werden, vor denen die Betroffenen Angst haben, auch wenn man davor eigentlich keine Angst haben muss. Das klassische Beispiel ist die Spinnenphobie: Die Spinne wird einen nicht töten. Trotzdem verlassen Menschen beim Anblick einer Spinne panisch den Raum, wenn sie eine Spinnenphobie haben. Es wird ein Verhalten vermieden oder es kommt zu einem irrationalen Verhalten, weil wir eine Stresskaskade lostreten, die unserem Körper innewohnt. Eigentlich ist diese Reaktion für Situationen gedacht, die tatsächlich bedrohlich sind. Aber hier werden Situationen, die objektiv nicht bedrohlich sind, vom Körper und von der Psyche als bedrohlich wahrgenommen.

Bei der Depression nehmen die meisten Eltern zuerst einen sozialen Rückzug wahr. Das ist im Lockdown natürlich schwer zu erkennen, weil das Nach-draußen-Gehen ohnehin sehr stark limitiert ist. Man kann auch wahrnehmen, dass betroffene Jugendliche sich von der Familie zurückziehen, was aber natürlich auch ein tendenziell typisches Jugendverhalten ist. Aber wenn es wieder Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu treffen oder in die Schule zu gehen oder andere Aktivitäten auszuüben, werden diese von betroffenen Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen. Das andere Anzeichen, das viele schildern, die an einer Depression leiden, ist ein Antriebs- oder Energieverlust. Sie schaffen es morgens nicht mehr aus dem Bett und schaffen es auch gar nicht mehr, am Distanzlernen teilzunehmen. Viele beklagen eine Konzentrationsproblematik oder Schlafstörungen. Und was wir vielfach erlebt haben im Rahmen der Corona-Pandemie, war eine komplette Entgleisung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Wer ist der richtige Ansprechpartner?

Was können Eltern denn tun, wenn sie denken, dass ihr Jugendlicher betroffen ist?

Zuerst sollte man sagen, was man selbst wahrnimmt und das als Ich-Botschaft formulieren. Das gibt dem Jugendlichen die Möglichkeit, zu sagen: „Das ist deine Perspektive, meine schaut anders aus.“ Natürlich wäre es vermessen zu glauben, dass man als Elternteil damit immer weit kommt bei Jugendlichen. Weil sie ja in einer Entwicklungsphase sind, wo die Gleichaltrigen eine höhere Wertigkeit im Austausch haben, gerade, wenn es um Probleme geht. Wenn der Jugendliche das Gespräch blockiert, kann man überlegen, wen es im familiären System gibt, der vielleicht besser geeignet ist, ein solches Gespräch zu führen. Wer wird von dem Jugendlichen eher als Gesprächspartner angenommen? Wenn auch da nichts weitergeht, kann man sagen: „Ich habe große Sorgen, ich weiß nicht weiter. Können wir uns bitte an jemanden wenden, der Profi ist? Und wenn der sagt, es ist alles in Ordnung, dann nehme ich das zur Kenntnis und dann ist es für mich auch gut. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl und hätte gern, dass wir gemeinsam zu jemandem gehen, der sich das anschaut.“

Sie betonen in Ihrem Buch „Sie brauchen uns jetzt“, dass es wichtig ist, dass Eltern sich ihrer eigenen Werte und Gefühle bewusst sind. Warum?

Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. In Zeiten, die eine extreme Flexibilität und Anpassung von uns fordern. Und es fällt generell Menschen leichter, sich anzupassen, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, was ihnen wichtig ist. Wenn es darauf ankommt, mich verändern zu müssen und Entscheidungen zu treffen, geht es immer auch um Priorisierungen. Ich muss abwägen: Kann ich auf das eine verzichten oder auf das andere? Und da tun sich Leute wesentlich leichter, die folgende Fragen beantworten können: Was hat in meinem Leben eine zentrale Bedeutung? Was muss ich unbedingt aufrechterhalten, damit ich mein Leben führen kann? Wo stecke ich Anstrengungen rein, um das aufrechtzuerhalten? Und wo ist es auch okay, wenn Dinge gerade nicht sein können? Das fällt natürlich Leuten leichter, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, wo ihre Prioritäten liegen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Prof. Dr. Paul Plener studierte Medizin und absolvierte eine Facharztausbildung für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie in Ulm. 2018 übernahm er nach leitenden Funktionen in Deutschland die Professur für Kinder- und Jugendpsychiatrie und die Leitung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni Wien/Universitätsklinikum AKH. Er ist neben vielen weiteren Funktionen Mitglied des während der Corona-Krise eingerichteten psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.

Das Interview führte FamilyNEXT-Redakteurin Bettina Wendland.

„Psychische Belastungen sind durch die Lockdowns gestiegen“

Vor allem Depressionen und Angststörungen treten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie verstärkt auf. Von einer „verlorenen Generation“ will Prof. Dr. Paul Plener aber nicht sprechen. Im FamilyNEXT-Interview erklärt er, welche psychischen Erkrankungen allgemein im Jugendalter häufig vorkommen und wie Eltern damit umgehen können.

Was sind die häufigsten psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Die Liste wird angeführt von den Angststörungen in verschiedenen Formen. Gerade im Jugendalter nehmen soziale Ängste deutlich zu, was damit zu tun hat, dass das Orientieren im Raum der gleichaltrigen sozialen Kontakte eine hohe Wertigkeit hat. Außerdem sind es im Jugendalter auch affektive Erkrankungen, Depressionen zum Beispiel. Wir sehen auch vermehrt Erkrankungen mit Sub-stanzkonsum. Prinzipiell ist das Jugendalter aufgrund der vielen Umbauvorgänge im Gehirn eine Altersperiode, in der sich viele psychische Erkrankungen zum ersten Mal manifestieren.

Was sind Ursachen für diese Erkrankungen?

Es gibt relativ unspezifische Risikofaktoren, von denen wir wissen, dass sie das Risiko von verschiedenen psychischen Erkrankungen beeinflussen, zum Beispiel der sozioökonomische Status, also das Aufwachsen unter finanziell schwächeren Bedingungen. Auch Misshandlungs-, Missbrauchs- und Vernachlässigungserlebnisse erhöhen bei vielen psychischen Krankheiten das Risiko. Es gibt auch einen Einfluss genetischer Faktoren. Der ist, je nach Krankheit, geringer oder deutlicher ausgeprägt. Und natürlich ist nicht zu leugnen, dass es viele Erkrankungen gibt, bei denen es einen starken soziokulturellen Einfluss gibt, etwa bei den Essstörungen, wo das zwar nicht als alleinige Ursache zu nehmen ist, er aber trotzdem auch immer mitprägt.

Die meisten Eltern fühlen sich schuldig, wenn ihr Kind an einer psychischen Erkrankung leidet. Zu Recht?

Wenn man als Familie betroffen ist, hat man ja oft das Gefühl, es trifft nur einen selbst. Und das ist oft begleitet von dem Stigma, dass es gegenüber psychischen Krankheiten gibt, dass man da als Eltern etwas falsch gemacht hätte. Es gibt natürlich Erkrankungen, bei denen Eltern die Verantwortung übernehmen müssen. Wenn es zum Beispiel zu einem Rosenkrieg in Folge einer Trennung gekommen ist, bei dem die Kinder massiv in Mitleidenschaft gezogen wurden, oder bei Vernachlässigungs- oder Misshandlungserlebnissen. Da können sich die Eltern nicht aus der Verantwortung nehmen, sondern nur versuchen, sich anders zu verhalten. Aber gerade bei genetischen Ursachen oder bei Erkrankungen, die damit zu tun haben, was im Gleichaltrigen-Umfeld passiert, zum Beispiel Mobbing –was ein massiver Risikofaktor für psychische Erkrankungen ist –, haben Eltern in der Ursache erst einmal wenig damit zu tun.

Eltern von Jugendlichen haben oft das Problem, dass sie sich, anders als bei jüngeren Kindern, nicht so gut mit anderen Eltern über die psychische Erkrankung ihres Kindes austauschen können, weil die Jugendlichen das nicht wollen. Wie können Eltern damit umgehen?

Ich denke, dass sich generell Eltern nur mit anderen Eltern austauschen sollten, wenn das mit den Kindern oder Jugendlichen abgesprochen ist. Es wäre angebracht, dass man das vor den Jugendlichen transparent macht und auch die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit thematisiert. Oder die eigene Belastung, die sich ergibt. Eltern können sagen: „Ich habe damit ein Problem und es ist mir wichtig, einen Austausch darüber zu haben.“ Ich finde es auch legitim, wenn die Jugendlichen nicht wollen, dass ihre Eltern im Familienkreis beispielsweise über ihre Essstörung sprechen. Aber es gibt ja auch professionelle Hilfe, an die man sich wenden kann, Familienberatungsstellen und ähnliches. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, die Jugendliche akzeptieren können, weil es da eine Schweigepflicht gibt. Wichtig ist, die eigene Betroffenheit zu thematisieren und zu sagen, dass man selbst ratsuchend ist.

Wann sollten Eltern für ihren Jugendlichen professionelle Hilfe holen bzw. ihr erwachsenes Kind dazu motivieren?

Ich glaube, dass zunächst einmal viele Familien eigene Lösungen suchen. Und das ist auch prinzipiell gut so, dass man überlegt: Was kann ich aus dem eigenen System für Ressourcen aktivieren? Das müssen ja nicht nur die Eltern sein, das können auch Tanten, Onkel, Großeltern sein, die vielleicht gerade in einer Entwicklungsphase, in der Jugendliche mehr Konflikte mit den Eltern haben, einen besseren Zugang haben. Aber wenn man sieht, dass diese familiären Ressourcen erschöpft sind oder dass die Situation, die der Jugendliche hat, zur Belastung für die Familie wird, dann ist auch der Punkt gekommen, wo ich aus meiner Sicht sage: Da braucht es Hilfe von außen. Natürlich auch, wenn es ganz akut ist, wenn Gedanken geäußert werden, nicht mehr leben zu wollen. Da braucht es sofort eine Abklärung von außen.

Welche Auswirkungen haben die Lockdowns aufgrund der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen?

Es gibt mittlerweile eine relativ gute Datenlage – weltweit, aber auch aus den deutschsprachigen Ländern. Vor allem bei diesen längeren Lockdown-Bedingungen, die wir gegen Ende des letzten, Anfang diesen Jahres hatten und noch haben, sehen wir, dass es zu einer deutlichen Belastung der Jugendlichen kommt. Studien zeigen, dass die Rate der psychischen Belastungen gestiegen ist. Wir haben eine Studie unter mehreren tausend österreichischen Jugendlichen gemacht, in der wir zeigen konnten, dass mehr als die Hälfte der Befragten über mittelgradige bis schwergradige depressive Symptome berichten und etwa die Hälfte über Angststörungen. Das ist eine Auswirkung, die wir weltweit sehen. Und da ist die Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen auch weltweit diejenige, die am stärksten belastet zu sein scheint.

Manche sprechen schon von einer „verlorenen“ Generation.

Das ist ein Begriff, den ich für unzulässig halte. Der kommt ein bisschen aus dieser Idee heraus: „Die haben ja alle nur zu Hause herumgesessen, und es ist nichts passiert.“ Das vermag ich so nicht zu sehen. Denn auch wenn bei den klassischen Lerninhalten weniger passiert ist, so ist doch im Lernen einiges weitergegangen. Viele Jugendliche haben fundamentale Lernerfahrungen gemacht, was digitales Lernen angeht, aber auch, was das Thema Selbst- organisation und Strukturierung angeht. Diese Themen stehen zwar nicht im Lehrplan, aber trotzdem gab es in diesem Jahr einen immensen Lernzuwachs auf vielen anderen Ebenen.

Sie haben gerade gesagt, dass vor allem Depressionen und Angststörungen im Lockdown häufiger zu beobachten sind. Wie können Eltern denn erkennen, dass das ein ernstzunehmendes Problem ist?

Es geht immer um das Erkennen von Veränderungen. Das Kernkriterium der Angststörung ist, dass – oft mit großer Anstrengung – Situationen vermieden werden, vor denen die Betroffenen Angst haben, auch wenn man davor eigentlich keine Angst haben muss. Das klassische Beispiel ist die Spinnenphobie: Die Spinne wird einen nicht töten. Trotzdem verlassen Menschen beim Anblick einer Spinne panisch den Raum, wenn sie eine Spinnenphobie haben. Es wird ein Verhalten vermieden oder es kommt zu einem irrationalen Verhalten, weil wir eine Stresskaskade lostreten, die unserem Körper innewohnt. Eigentlich ist diese Reaktion für Situationen gedacht, die tatsächlich bedrohlich sind. Aber hier werden Situationen, die objektiv nicht bedrohlich sind, vom Körper und von der Psyche als bedrohlich wahrgenommen. Bei der Depression nehmen die meisten Eltern zuerst einen sozialen Rückzug wahr. Das ist im Lockdown natürlich schwer zu erkennen, weil das Nach-draußen-Gehen ohnehin sehr stark limitiert ist. Man kann auch wahrnehmen, dass betroffene Jugendliche sich von der Familie zurückziehen, was aber natürlich auch ein tendenziell typisches Jugendverhalten ist. Aber wenn es wieder Möglichkeiten gibt, sich mit anderen zu treffen oder in die Schule zu gehen oder andere Aktivitäten auszuüben, werden diese von betroffenen Jugendlichen nicht mehr wahrgenommen. Das andere Anzeichen, das viele schildern, die an einer Depression leiden, ist ein Antriebs- oder Energieverlust. Sie schaffen es morgens nicht mehr aus dem Bett und schaffen es auch gar nicht mehr, am Dis-tanzlernen teilzunehmen. Viele beklagen eine Konzentrationsproblematik oder Schlafstörungen. Und was wir vielfach erlebt haben im Rahmen der Corona-Pandemie, war eine komplette Entgleisung des Tag-Nacht-Rhythmus.

Was können Eltern denn tun, wenn sie denken, dass ihr Jugendlicher betroffen ist?

Zuerst sollte man sagen, was man selbst wahrnimmt und das als Ich-Botschaft formulieren. Das gibt dem Jugendlichen die Möglichkeit, zu sagen: „Das ist deine Perspektive, meine schaut anders aus.“ Natürlich wäre es vermessen zu glauben, dass man als Elternteil damit immer weit kommt bei Jugendlichen. Weil sie ja in einer Entwicklungsphase sind, wo die Gleichaltrigen eine höhere Wertigkeit im Austausch haben, gerade, wenn es um Probleme geht. Wenn der Jugendliche das Gespräch blockiert, kann man überlegen, wen es im familiären System gibt, der vielleicht besser geeignet ist, ein solches Gespräch zu führen. Wer wird von dem Jugendlichen eher als Gesprächspartner angenommen? Wenn auch da nichts weitergeht, kann man sagen: „Ich habe große Sorgen, ich weiß nicht weiter. Können wir uns bitte an jemanden wenden, der Profi ist? Und wenn der sagt, es ist alles in Ordnung, dann nehme ich das zur Kenntnis und dann ist es für mich auch gut. Aber ich habe ein schlechtes Gefühl und hätte gern, dass wir gemeinsam zu jemandem gehen, der sich das anschaut.“

Sie betonen in Ihrem Buch „Sie brauchen uns jetzt“, dass es wichtig ist, dass Eltern sich ihrer eigenen Werte und Gefühle bewusst sind. Warum?

Wir leben in sehr herausfordernden Zeiten. In Zeiten, die eine extreme Flexibilität und Anpassung von uns fordern. Und es fällt generell Menschen leichter, sich anzupassen, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, was ihnen wichtig ist. Wenn es darauf ankommt, mich verändern zu müssen und Entscheidungen zu treffen, geht es immer auch um Priorisierungen. Ich muss abwägen: Kann ich auf das eine verzichten oder auf das andere? Und da tun sich Leute wesentlich leichter, die folgende Fragen beantworten können: Was hat in meinem Leben eine zentrale Bedeutung? Was muss ich unbedingt aufrechterhalten, damit ich mein Leben führen kann? Wo stecke ich Anstrengungen rein, um das aufrechtzuerhalten? Und wo ist es auch okay, wenn Dinge gerade nicht sein können? Das fällt natürlich Leuten leichter, die ein Gefühl dafür entwickelt haben, wo ihre Prioritäten liegen.

Vielen Dank für das Gespräch. 

Das Interview führte FamilyNEXT-Redakteurin Bettina Wendland.

Erst die Jugend!

Auch wenn sich alle nach Normalität sehnen – Vorfahrt hat jetzt die junge Generation. Ein Kommentar von Martin Gundlach

Bisher ist in der Pandemie nicht deutlich geworden, dass Eltern, Kinder oder Jugendliche einen besonderen Stellenwert für unsere Gesellschaft haben. Homeschooling wurde stillschweigend vorausgesetzt, neben dem Homeoffice oft Home-Chaos. In der Impf-Reihenfolge sind Eltern oder Jugendliche nicht erwähnt worden. Jetzt gibt es die Hoffnung, dass das Schlimmste vorbei ist. Die Reihenfolge beim Impfen ist aufgehoben und irgendwann werden dann auch Familien geimpft sein. Denn alle wünschen sich vor allem eines: Normalität.

Trotzdem wäre es ein Fehler zu versuchen, alles wieder wie vor der Pandemie machen zu wollen. Die letzten 16 Monate haben uns verändert, haben manche Entwicklungen verzögert und viele Leben komplett durcheinandergebracht. Deshalb wird uns die Krise noch lange beschäftigen, denn sie hat tiefe Wunden geschlagen. Sie hat vor allem die junge Generation verunsichert, die – nach meinem Gefühl – zu wenig im Blick war.

Die Kirchen und Gemeinden sollten nun zeigen, dass sie das verstanden haben. Dass sie, sobald die Richtlinien sich lockern, die richtigen Prioritäten setzen. Dass sie vor allem und zuerst in Kinder und Jugendliche investieren. Denn die Kids brauchen die Förderung ihrer Begabungen und die Begleitung in ihrer menschlichen und geistlichen Entwicklung dringend. Die Jugendlichen brauchen Impulse, sie brauchen die Gruppe, das Miteinander. Vor allem brauchen sie eine Perspektive in einer Welt, die für sie unübersichtlich und bedrohlich geworden ist.

Ich wünsche mir, dass Pastorinnen und Pastoren, hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich hier verstärkt einbringen. Und ich empfinde es nicht als Zumutung, wenn erwachsene und reife Christen da im Zweifelsfall noch einige Momente zurückstehen, um der nächsten Generation noch eine Zeit lang das Feld zu überlassen.

Martin Gundlach ist Redaktionsleiter von Family und FamilyNEXT.