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Recht auf Bildung versus Angst ums Kind: Darum sind Kinderrechte umstritten

Kinderrechte im Grundgesetz – was sollte man da schon gegen haben? Eine Menge, finden Kritiker. Wir zeigen, was dafür spricht – und was dagegen.

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Diskussion darüber, ob die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Die Befürworter sehen darin unter anderem die Chance, das Kindeswohl zu stärken und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen rechtlich abzusichern. Die Kritiker befürchten vor allem, dass die Rechte der Eltern zugunsten des Staates eingeschränkt werden. Wir haben zwei Menschen, die sich für Kinder und Familien engagieren, gefragt, welche Haltung sie vertreten.

 

Pro: „Kinder müssen in den Fokus gestellt werden.“

Arche-Gründer Bernd Siggelkow plädiert dafür, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, damit vor allem benachteiligte Kinder stärker gehört werden.

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, denn die dortige Verankerung macht daraus eine moderne, zukunftsorientierte Verfassung und setzt gleichzeitig ein Zeichen, welche Bedeutung Kindern und Jugendlichen und deren Belangen in Deutschland beigemessen wird. Natürlich möchte ich als Gründer und auch Leiter einer Kinder- und Jugendeinrichtung die Rechte der Eltern innerhalb ihrer Familie nicht beschneiden. Unsere Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, und deswegen sollten und müssen ihre Rechte gestärkt werden.

Passus reicht nicht

Ein immer wiederkehrendes Gegenargument ist der Hinweis, dass Kinder bereits durch ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz geschützt seien. Dieser Passus reicht aber bei weitem nicht aus. Das hat auch damit etwas zu tun, dass hier nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, welche spezifischen Rechte Kinder in Deutschland haben, etwa dass ihr Wohl bei sämtlichen Maßnahmen, die sie betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist und dass Kinder in solchen Fällen beteiligt werden müssen. Es besteht daher ein enormer Bedarf, die bereits bestehenden Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken.

Lernen wie zu Omas Zeiten

Kinder müssen in unserem Land endlich in den Fokus gestellt werden, denn die einzigen Ressourcen, die wir in Deutschland haben, sind unsere Kinder. Wir in den Archen treffen täglich auf Kinder und Jugendliche, die in fast allen Belangen benachteiligt werden. Das sind Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, denn sie kommen zumeist aus prekären Familienverhältnissen. Viele unserer Kinder sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre Schulaufgaben zu machen, denn es fehlt an Tablets und Laptops. In den Schulen ohne einflussreiche Förderkreise gibt es zudem kein Geld für zeitgemäße Technik. Die Kinder lernen wie zu Omas Zeiten.

Keine Lobby

Keiner beschwert sich darüber, denn diese Kinder haben keine Lobby. Auch scheitern viele Kinder in den Schulen schon an einfachen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Lesen und Schreiben. Der Lehrkörper richtet sich nach den Schülerinnen und Schülern, die ohne Probleme dem Lehrstoff folgen können. So haben wir es später mit hunderttausenden jungen, funktionalen Analphabeten zu tun. Menschen also, die nicht wirklich lesen und schreiben können.

Nie im Restaurant

Würden Kinderrechte im Grundgesetz verankert sein, könnten Eltern und Kinder den Staat verklagen, weil der seiner Ausbildungspflicht nicht nachkommt. Ich könnte jetzt zahlreiche weitere Punkte aufzählen, aber dafür reicht bei weitem der Platz nicht. Doch eine weitere Sache brennt mir noch auf der Seele. Viele unserer Arche-Besucher, auch die älteren Jugendlichen, waren noch nie in einem Restaurant, noch nie in einem Theater oder Kino. Urlaub, zum Beispiel eine Auslandsreise – davon dürfen unsere Kinder nur träumen. Und so wachsen sie Jahr für Jahr außerhalb unserer Gesellschaft auf.

Vor einige Wochen schenkte ein langjähriger Arche-Unterstützer einem 17-jährigen Mädchen für deren Familie einen Gutschein für einen Restaurantbesuch. Das Mädchen war sehr verunsichert und fragte mich: „Du Bernd, was muss ich damit machen, muss ich das jetzt irgendwo anmelden?“ Sie war noch nie in einem Restaurant. Das Mädchen kann übrigens sehr gut lernen und macht gerade Abitur, eine Ausnahme unter den Kindern der Arche. Aber sie wusste nicht, wie man außerhalb ihrer vier Wände essen geht. So etwas macht mich sehr traurig. Wenn ich könnte, würde ich rechtliche Schritte gegen den Staat einleiten, weil er hunderttausende Jugendliche einfach vergisst. Kämpfen wir gemeinsam für mehr Rechte unserer Kinder!

Bernd Siggelkow ist Vater von sechs Kindern. Er ist Gründer und Leiter des Kinderhilfswerks Arche, das in Deutschland, Polen und der Schweiz an 28 Standorten Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen fördert und unterstützt.

 

Kontra: „Nicht abschätzbare Folgen“

Rebekka Hofmann sorgt sich, dass eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz Folgen für die Freiheit und Verantwortung der Eltern haben könnte.

Kinderrechte ins Grundgesetz – könnte dies ein Türöffner sein, das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen der grundlegenden Verantwortung von Eltern und der Wächterfunktion des Staates zulasten der Familien zu verändern?

Verantwortung der Eltern

Als Mutter von drei Kindern, geht es mir – hier spreche ich stellvertretend für viele Eltern – um die Pflicht und Verantwortung zur Erziehung meiner Kinder, der ich mit meinem Mann persönlich nachkommen möchte. Meines Erachtens gibt mir der Artikel 6 in unserem Grundgesetz die Freiheit und auch die Rechtsgrundlage dazu, und so hinterfrage ich die Notwendigkeit zur Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz. Auch Experten einzelner Juristenverbände weisen eindringlich darauf hin, dass die Wächterfunktion des Staates gegenüber Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen können oder wollen, bereits jetzt verfassungsrechtlich abgesichert ist. Deren Umsetzung muss eher durch Veränderungen von Rahmenbedingungen verbessert werden als durch eine Ergänzung von Kinderrechten. Deutschland sollte auch nicht aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 mit Ländern verglichen werden, in denen bisher nicht einmal Menschenrechte geachtet werden und Kinder aus diesem Grund ganz offensichtlich dringend erweiterten, rechtlichen Schutz benötigen.

Keine Krippenpflicht

Die Forderung, „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“, die Olaf Scholz 2002 angesichts des Ausbaus der Kinderbetreuung geäußert hat, lässt mich aufhorchen und ahnen, dass es beim Thema Kinderrechte um weit mehr geht als darum, ein gefährdetes Kindeswohl demnächst zuverlässiger abwenden zu können. Ein Beispiel: Wir haben unsere Kinder aus Überzeugung in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreut und sehen diese Freiheit in Zukunft gefährdet. Denn ein so genanntes Kinderrecht auf Bildung könnte die Einführung einer KiTa- oder sogar Krippenpflicht zur Folge haben. Werden wir Eltern uns dann als „Bildungsverweigerer“ unserer Kinder verantworten müssen? Wie viel Freiheit und Mündigkeit werden uns in den Entscheidungen für die Belange unserer Kinder noch zugestanden? Welche Erziehungsfehler sind noch tolerierbar und als rein menschlich begründet anzusehen? An welchem Punkt gelten Eltern als verantwortungslos, und wer entscheidet darüber?

Einfluss des Staates

In Norwegen sind Kinderrechte schon länger gesetzlich verankert. Neben den positiven Folgen resultiert daraus leider auch die Zunahme von Inobhutnahmen durch die Kinderschutzbehörde Barnevernet, und es wird vermehrt in Familien eingegriffen und Kinder aufgrund nicht oder kaum nachvollziehbarer Gründe von ihren Eltern getrennt.

Hier geht es nicht um die von der UN geforderten Grundrechte für Kinder, die bereits in unserem Grundgesetz verankert sind, sondern um die zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht abschätzbaren Folgen, die ein weiter verstärkter Einfluss des Staates mithilfe der Kinderrechte auf das Familienleben in unserem Land haben könnte. Dass dann auch intakte Familien durch ein gezieltes Aushebeln der Elternrechte betroffen sein könnten, ist nicht auszuschließen. Das sehe ich problematisch.

Schon mehrfach wurde diese Thematik in unseren Regierungen debattiert. Und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Deshalb möchte ich ermutigen, wachsam zu bleiben und genau hinzuschauen, welche Bestrebungen den Familien und damit auch den Kindern in unserem Land wirklich dienen.

Rebekka Hofmann hat mit ihrem Mann drei Kinder. Sie ist Mitgründerin von Nestbau e.V.. Der Chemnitzer Verein informiert, berät und unterstützt Eltern, die ihre Kinder in den ersten drei Jahren gern selbst betreuen wollen.

 

Die Hintergründe

Vor gut 30 Jahren, im November 1989, wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. In den Jahren darauf haben – bis auf die USA – alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen diese Konvention für sich ratifiziert.

Zu den Kinderrechten gehören: das Recht auf Gleichheit, auf Gesundheit, Bildung, Spiel und Freizeit, freie Meinungsäußerung und Beteiligung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu Medien, Schutz der Privatsphäre und Würde, Schutz im Krieg und auf der Flucht sowie besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung.

Engagierte Organisationen

Seit Jahren gibt es nun in Deutschland das konkrete Bestreben, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Dafür engagieren sich besonders Organisationen wie UNICEF Deutschland, der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk und die Deutsche Liga für das Kind.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die aktuelle Legislaturperiode enthält im Kapitel „Familie“ die Formulierung: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“

Bisherige Formulierung

Diese Arbeitsgruppe hat bis Oktober 2019 verschiedene Optionen erarbeitet, wie die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden können. Dabei geht es im Wesentlichen um eine Ergänzung des Artikels 6. Darin heißt es bisher: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“

Neuer Entwurf

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat daraufhin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, folgenden Absatz im Artikel 6 zu ergänzen: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Dieser Entwurf geht den Befürwortern nicht weit genug, den Kritikern geht er zu weit. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis hier eine Lösung gefunden wird.

Bettina Wendland

Wie Kinder zu ihren Rechten kommen

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Diskussion darüber, ob die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Die Befürworter sehen darin unter anderem die Chance, das Kindeswohl zu stärken und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen rechtlich abzusichern. Die Kritiker befürchten vor allem, dass die Rechte der Eltern zugunsten des Staates eingeschränkt werden. Wir haben zwei Menschen, die sich für Kinder und Familien engagieren, gefragt, welche Haltung sie vertreten.

Die Hintergründe

Vor gut 30 Jahren, im November 1989, wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. In den Jahren darauf haben – bis auf die USA – alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen diese Konvention für sich ratifiziert.

Zu den Kinderrechten gehören: das Recht auf Gleichheit, auf Gesundheit, Bildung, Spiel und Freizeit, freie Meinungsäußerung und Beteiligung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu Medien, Schutz der Privatsphäre und Würde, Schutz im Krieg und auf der Flucht sowie besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung.

Seit Jahren gibt es nun in Deutschland das konkrete Bestreben, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Dafür engagieren sich besonders Organisationen wie UNICEF Deutschland, der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk und die Deutsche Liga für das Kind.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die aktuelle Legislaturperiode enthält im Kapitel „Familie“ die Formulierung: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“

Diese Arbeitsgruppe hat bis Oktober 2019 verschiedene Optionen erarbeitet, wie die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden können. Dabei geht es im Wesentlichen um eine Ergänzung des Artikels 6. Darin heißt es bisher: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat daraufhin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, folgenden Absatz im Artikel 6 zu ergänzen: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Dieser Entwurf geht den Befürwortern nicht weit genug, den Kritikern geht er zu weit. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis hier eine Lösung gefunden wird.

Bettina Wendland

 

„NICHT ABSCHÄTZBARE FOLGEN“

Rebekka Hofmann sorgt sich, dass eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz Folgen für die Freiheit und Verantwortung der Eltern haben könnte.

Kinderrechte ins Grundgesetz – könnte dies ein Türöffner sein, das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen der grundlegenden Verantwortung von Eltern und der Wächterfunktion des Staates zulasten der Familien zu verändern?

Verantwortung der Eltern

Als Mutter von drei Kindern, geht es mir – hier spreche ich stellvertretend für viele Eltern – um die Pflicht und Verantwortung zur Erziehung meiner Kinder, der ich mit meinem Mann persönlich nachkommen möchte. Meines Erachtens gibt mir der Artikel 6 in unserem Grundgesetz die Freiheit und auch die Rechtsgrundlage dazu, und so hinterfrage ich die Notwendigkeit zur Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz. Auch Experten einzelner Juristenverbände weisen eindringlich darauf hin, dass die Wächterfunktion des Staates gegenüber Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen können oder wollen, bereits jetzt verfassungsrechtlich abgesichert ist. Deren Umsetzung muss eher durch Veränderungen von Rahmenbedingungen verbessert werden als durch eine Ergänzung von Kinderrechten. Deutschland sollte auch nicht aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 mit Ländern verglichen werden, in denen bisher nicht einmal Menschenrechte geachtet werden und Kinder aus diesem Grund ganz offensichtlich dringend erweiterten, rechtlichen Schutz benötigen.

Die Forderung, „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“, die Olaf Scholz 2002 angesichts des Ausbaus der Kinderbetreuung geäußert hat, lässt mich aufhorchen und ahnen, dass es beim Thema Kinderrechte um weit mehr geht als darum, ein gefährdetes Kindeswohl demnächst zuverlässiger abwenden zu können. Ein Beispiel: Wir haben unsere Kinder aus Überzeugung in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreut und sehen diese Freiheit in Zukunft gefährdet. Denn ein so genanntes Kinderrecht auf Bildung könnte die Einführung einer KiTa- oder sogar Krippenpflicht zur Folge haben. Werden wir Eltern uns dann als „Bildungsverweigerer“ unserer Kinder verantworten müssen? Wie viel Freiheit und Mündigkeit werden uns in den Entscheidungen für die Belange unserer Kinder noch zugestanden? Welche Erziehungsfehler sind noch tolerierbar und als rein menschlich begründet anzusehen? An welchem Punkt gelten Eltern als verantwortungslos, und wer entscheidet darüber?

Einfluss des Staates

In Norwegen sind Kinderrechte schon länger gesetzlich verankert. Neben den positiven Folgen resultiert daraus leider auch die Zunahme von Inobhutnahmen durch die Kinderschutzbehörde Barnevernet, und es wird vermehrt in Familien eingegriffen und Kinder aufgrund nicht oder kaum nachvollziehbarer Gründe von ihren Eltern getrennt.

Hier geht es nicht um die von der UN geforderten Grundrechte für Kinder, die bereits in unserem Grundgesetz verankert sind, sondern um die zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht abschätzbaren Folgen, die ein weiter verstärkter Einfluss des Staates mithilfe der Kinderrechte auf das Familienleben in unserem Land haben könnte. Dass dann auch intakte Familien durch ein gezieltes Aushebeln der Elternrechte betroffen sein könnten, ist nicht auszuschließen. Das sehe ich problematisch.
Schon mehrfach wurde diese Thematik in unseren Regierungen debattiert. Und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Deshalb möchte ich ermutigen, wachsam zu bleiben und genau hinzuschauen, welche Bestrebungen den Familien und damit auch den Kindern in unserem Land wirklich dienen.

Rebekka Hofmann hat mit ihrem Mann drei Kinder. Sie ist Mitgründerin von Nestbau e.V.. Der Chemnitzer Verein informiert, berät und unterstützt Eltern, die ihre Kinder in den ersten drei Jahren gern selbst betreuen wollen. www.nestbau-familie.de

 

„KINDER MÜSSEN IN DEN FOKUS GESTELLT WERDEN“

Bernd Siggelkow plädiert dafür, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, damit vor allem benachteiligte Kinder stärker gehört werden.

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, denn die dortige Verankerung macht daraus eine moderne, zukunftsorientierte Verfassung und setzt gleichzeitig ein Zeichen, welche Bedeutung Kindern und Jugendlichen und deren Belangen in Deutschland beigemessen wird. Natürlich möchte ich als Gründer und auch Leiter einer Kinder- und Jugendeinrichtung die Rechte der Eltern innerhalb ihrer Familie nicht beschneiden. Unsere Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, und deswegen sollten und müssen ihre Rechte gestärkt werden.

Ein immer wiederkehrendes Gegenargument ist der Hinweis, dass Kinder bereits durch ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz geschützt seien. Dieser Passus reicht aber bei weitem nicht aus. Das hat auch damit etwas zu tun, dass hier nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, welche spezifischen Rechte Kinder in Deutschland haben, etwa dass ihr Wohl bei sämtlichen Maßnahmen, die sie betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist und dass Kinder in solchen Fällen beteiligt werden müssen. Es besteht daher ein enormer Bedarf, die bereits bestehenden Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken.

Keine Lobby

Kinder müssen in unserem Land endlich in den Fokus gestellt werden, denn die einzigen Ressourcen, die wir in Deutschland haben, sind unsere Kinder. Wir in den Archen treffen täglich auf Kinder und Jugendliche, die in fast allen Belangen benachteiligt werden. Das sind Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, denn sie kommen zumeist aus prekären Familienverhältnissen. Viele unserer Kinder sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre Schulaufgaben zu machen, denn es fehlt an Tablets und Laptops. In den Schulen ohne einflussreiche Förderkreise gibt es zudem kein Geld für zeitgemäße Technik. Die Kinder lernen wie zu Omas Zeiten.

Keiner beschwert sich darüber, denn diese Kinder haben keine Lobby. Auch scheitern viele Kinder in den Schulen schon an einfachen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Lesen und Schreiben. Der Lehrkörper richtet sich nach den Schülerinnen und Schülern, die ohne Probleme dem Lehrstoff folgen können. So haben wir es später mit hunderttausenden jungen, funktionalen Analphabeten zu tun. Menschen also, die nicht wirklich lesen und schreiben können.

Außerhalb der Gesellschaft

Würden Kinderrechte im Grundgesetz verankert sein, könnten Eltern und Kinder den Staat verklagen, weil der seiner Ausbildungspflicht nicht nachkommt. Ich könnte jetzt zahlreiche weitere Punkte aufzählen, aber dafür reicht bei weitem der Platz nicht. Doch eine weitere Sache brennt mir noch auf der Seele. Viele unserer Arche-Besucher, auch die älteren Jugendlichen, waren noch nie in einem Restaurant, noch nie in einem Theater oder Kino. Urlaub, zum Beispiel eine Auslandsreise – davon dürfen unsere Kinder nur träumen. Und so wachsen sie Jahr für Jahr außerhalb unserer Gesellschaft auf.

Vor einige Wochen schenkte ein langjähriger Arche-Unterstützer einem 17-jährigen Mädchen für deren Familie einen Gutschein für einen Restaurantbesuch. Das Mädchen war sehr verunsichert und fragte mich: „Du Bernd, was muss ich damit machen, muss ich das jetzt irgendwo anmelden?“ Sie war noch nie in einem Restaurant. Das Mädchen kann übrigens sehr gut lernen und macht gerade Abitur, eine Ausnahme unter den Kindern der Arche. Aber sie wusste nicht, wie man außerhalb ihrer vier Wände essen geht. So etwas macht mich sehr traurig. Wenn ich könnte, würde ich rechtliche Schritte gegen den Staat einleiten, weil er hunderttausende Jugendliche einfach vergisst. Kämpfen wir gemeinsam für mehr Rechte unserer Kinder!

Bernd Siggelkow ist Vater von sechs Kindern. Er ist Gründer und Leiter des Kinderhilfswerks Arche, das in Deutschland, Polen und der Schweiz an 28 Standorten Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen fördert und unterstützt, www.kinderprojekt-arche.de.

Respekt!

Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder anderen Menschen mit Respekt begegnen. Aber wie kann man Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass sie andere respektvoll behandeln? Fünf Tipps von Thomas Eberle, Professor für Erziehungswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:

Tipp 1: Behandeln Sie Heranwachsende respektvoll und leben Sie vor, was Sie von anderen erwarten. Nehmen Sie ihre Anliegen, Wünsche und Gefühle ernst.

Tipp 2: Manchmal sind Formulierungen, die in der Gleichaltrigengruppe (Peergroup) verwendet werden, abwertend. Manchmal drücken sich Kinder und Jugendliche ungeschickt und somit verletzend aus. Besprechen Sie die Bedeutung des Gesagten und berücksichtigen Sie bitte, dass Heranwachsende auch Schwierigkeiten haben können, sich gut auszudrücken. Zeigen Sie, auch wenn Sie sich über eine Formulierung ärgern, einen respektvollen Umgang.

Tipp 3: Aktuell gibt es verschiedene Lebensentwürfe, Vorlieben, Werte, Normen und Vorstellungen über adäquates Verhalten. Es wird viel ausgehandelt. Besprechen Sie Erwartungen, Vorstellungen und alternative Lebensformen mit den Kindern und Jugendlichen. Besprechen Sie Wünsche für ein gutes Zusammenleben und stellen Sie Regeln gemeinsam auf. Berücksichtigen Sie dabei die Anliegen aller Beteiligten, also sowohl die der Kinder als auch Ihre eigenen.

Tipp 4: Rassistische, nationalistische, populistische und sonstige verzerrende Aussagen und Propaganda verkürzen Personen auf ein einzelnes Merkmal (beispielsweise Nationalität, Religion, Herkunft, Hautfarbe, sexuelle Orientierung). Sie bewerten dieses Merkmal extrem negativ und werten die Person als Ganzes damit ab. Wer dieses beliebige Merkmal besitzt, hat der Propaganda zufolge keine gleichen Rechte, ist minderwertig, darf schlecht behandelt oder misshandelt werden. Zeigen Sie Ihren Kindern diese Mechanismen auf und leben Sie vor, dass alle Menschen würdevoll behandelt werden müssen.

Tipp 5:  Unterstützen Sie Ihre Kinder darin, sich wertvoll zu fühlen, auch bei negativen Erfahrungen. Das ist eine gute Basis, um sich nicht über andere erheben zu wollen, weil das eigene Selbstwertgefühl gering ist.

 

Wie vielfältig das Zusammenleben in Deutschland aussehen kann, zeigt der Kinderkanal von ARD und ZDF in seinem Themenschwerpunkt „Respekt für meine Rechte! – Gemeinsam Leben“ vom 6. bis 26. November.  Für die Sendung: „ERDE AN ZUKUNFT“ hat Professor Thomas Eberle Schülerinnen und Schüler bei dem Prozess begleitet, ein Planspiel zu entwickeln für ein gelingendes Zusammenleben. Die Sendung „ERDE AN ZUKUNFT: Gemeinsam in die Zukunft“ ist am Donnerstag, 23. November um 19:25 Uhr im KiKA zu sehen.

Weitere Informationen zum Themenschwerpunkt: www.kika.de