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Trotz Jobverlust weiter als Team unterwegs

Wenn ein Mensch den Arbeitsplatz verliert, kann das die Existenz bedrohen und die Psyche belasten. Auch die Paarbeziehung kann darunter leiden. Ein Ehepaar und eine Paartherapeutin berichten, wie Paare solche Krisen meistern können.

Genau zu der Zeit, als Anne nach längerem Hoffen endlich wieder schwanger wurde, verlor ihr Mann Markus zum zweiten Mal seine Arbeitsstelle. Das brachte Unsicherheit und Existenzsorgen in die Beziehung. Bereits bei der ersten Kündigung war es für Anne als Freiberuflerin schwierig, finanziell nicht so stark wie erwartet auf Markus bauen zu können: „Ich war selbstständig und wollte mich gern finanziell auf sein Einkommen verlassen. Das stellte für mich auch einen Konflikt in der Rollenverteilung dar, und ich konnte nicht so frei sein, mich erst mal auszuprobieren, sondern musste gleich Geld verdienen“, erinnert sich Anne. Nach einiger Zeit kamen bei ihr Frust und Vorwürfe auf und die Fragen, ob ihr Mann wirklich sein Bestes gibt und überhaupt für die Arbeitswelt gemacht ist.

Auch bei Markus entstanden Selbstzweifel. Doch es war beiden wichtig, all diese Emotionen zuzulassen. Sie überlegten als Paar gemeinsam mit Hilfe eines Berufungsbuches, wie es weitergehen kann und wo sie sich in ihren Fähigkeiten noch mehr unterstützen können. „Das hat Markus geholfen, sich zu reflektieren, und mir, die Potenziale in ihm zu sehen, und unseren Teamgeist geweckt“, sagt Anne. Außerdem zeigte ihnen diese Krise neu, dass vieles von Gott abhängig ist, und führte sie wieder zu mehr gemeinsamem Gebet. Dadurch konnten sie Gottes Versorgung erfahren und ihre Hoffnung auf ihn setzen. „Ich habe neu gelernt, Krisenzeiten erst mal so anzunehmen, wie sie sind, und nicht gleich in Aktivismus zu verfallen, sondern wirklich zu vertrauen und geduldig zu sein mit meinem Partner. Letztlich sind wir als Team unterwegs und keiner ist besser als der andere, nur weil er mehr verdient“, resümiert Anne.

Durch die Krise wurden beide reflektierter für die eigenen Schwächen, den eigenen (Arbeits-)Anteil an der Beziehung, aber auch die Erfolge des anderen. Ihre Erfahrungen geben Anne und Markus auch gern an andere weiter. „Als Paar ist es schön, wenn man gemeinsam sowas überwunden hat und davon auch erzählen und zuversichtlich sein kann, dass Gott einen durchträgt“, fasst Anne zusammen.

Zusammen Neues wagen

Paartherapeutin Diana Muschiol hat schon einige Paare in existenzbedrohlichen Krisen begleitet. „Für viele Menschen ist die Berufstätigkeit mit dem eigenen Selbstwert verknüpft, gibt Sinn und Identität“, sagt sie. Fällt die Arbeitstätigkeit weg, entsteht oft eine Leere. Dann ist es wichtig, sich bewusst auf Neues einzulassen, um wieder Sinn zu finden. Berufungsbücher wie bei Anne und Markus können hilfreich dabei sein.

Mit dem Jobverlust einhergehende Gefühle wie Scham, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle oder Selbstzweifel können gefährlich sein. „Das sind unangenehme Gefühle, die meist einen Rückzug bedeuten, ein innerliches Dichtmachen, wenn man diese Gefühle nicht fühlen und schon gar nicht irgendjemandem zeigen will. Dadurch sind aber Distanz und Entfremdung in der Partnerschaft vorprogrammiert“, weiß Muschiol. Auch die möglicherweise veränderten Rollen in der Familie und dadurch vielleicht ungewohnte Aufgaben können das Gefühl von Unfähigkeit verstärken. Der Alltag muss eventuell neu organisiert, Aufgaben neu verteilt werden. Alle Gefühle zuzulassen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ist deshalb sehr wichtig! Statt sorgenvoll zu verzweifeln, sollte man die Situation erst mal akzeptieren. Und dann als Paar gemeinsam umdenken, flexibel nach Lösungen und Ideen suchen und diese umsetzen. Der Fokus sollte dabei auf dem vorhandenen Guten in der Beziehung sowie den Ressourcen jedes Einzelnen, als Paar und auch im sozialen Umfeld liegen. Von diesem Punkt aus kann man sich gemeinsam neue Ziele setzen und daran arbeiten, sie zu erreichen. So wie Markus und Anne, die sich mittlerweile freuen dürfen, dass Markus erfolgreich einen neuen Job gefunden hat.

Interview mit Paartherapeutin Diana Muschiol

Was kann Paaren helfen, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen?
Allein die Paarbeziehung an sich hilft schon, Krisen zu meistern. Gott hat uns nicht ohne Grund als Beziehungswesen geschaffen. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein sehr wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und diese weiter auszubauen.

Zusätzlich ist ein offener und ehrlicher Austausch miteinander sehr hilfreich, zum Beispiel darüber, was an der Krise Sorgen oder Angst bereitet. Und das mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Wenn wir selbst in Not sind oder unbedingt verstanden werden wollen, verlieren wir manchmal das „Wir“ aus den Augen. Da sind echtes Interesse und Empathie sehr hilfreich. Auch eine vorsichtige Nachfrage oder ein Gesprächsangebot, wenn der Partner sorgenvoll scheint, ist eine gute Möglichkeit.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Patentlösung für die Bewältigung von Krisen als Paar?
Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, ist es eine glückliche, zufriedenstellende Beziehung, in der sich beide verbunden fühlen, angenommen sind und die Zuversicht haben, das gemeinsam durchzustehen. Eine Beziehung, in der sie sich emotional und körperlich erreichen, sich aufeinander verlassen können, sich auf emotionaler Ebene mitteilen und dann auch wohlwollend auf das Gehörte und Wahrgenommene reagieren.

Kann man von einer Paar-Resilienz sprechen oder ist Krisenbewältigung in erster Linie Sache jedes einzelnen Partners?
Beides. Eine gemeinschaftliche Bewältigung ist hilfreicher als die alleinige. Und wenn ein Partner in der Beziehung eine Krise oder Not erlebt, hat das direkte Auswirkungen auf den anderen oder die andere. Aber es braucht den eigenen Beitrag. Man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen, dass das Gegenüber einem die Bewältigung abnimmt. Man darf seinen eigenen Beitrag dazu leisten, sollte aber auch Unterstützung annehmen. Dafür ist es erforderlich, sich selbst verletzlich zu zeigen. Das bedeutet, die eigenen Gefühle mitzuteilen: Sorgen, Ängste, Unzufriedenheit, Probleme und auch Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche. Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, wie es in uns aussieht, wenn wir es nicht zeigen.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht an einer Beziehung, wenn Paare gemeinsam Krisen bewältigen?
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen kann viele Ressourcen in einem Paar hervorbringen. Oft wachsen der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung. Aber auch Verbundenheit, Vertrauen, Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich weiter und verfestigen sich. Durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entstehen auch Hoffnung und Zuversicht, kommende Krisen ebenfalls zu bewältigen. Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und je mehr wir Menschen Resilienz erleben, desto mehr baut sie sich auf. Durch das gemeinsame Bewältigen von Anforderungen entwickelt sich Selbstwirksamkeit bei jedem Einzelnen und auch die des Paares. Was wiederum genutzt werden kann, für andere Impulsgeber und Vorbild zu sein.

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

 

TIPPS VON BETROFFENEN UND PAARTHERAPEUTIN DIANA MUSCHIOL ZUR BEWÄLTIGUNG VON KRISEN IN DER PARTNERSCHAFT:

  • die Partnerschaft priorisieren, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, zum Beispiel durch Auszeiten zu zweit
  • im Alltag immer wieder Verbindung zueinander schaffen durch eine Umarmung, ein Lächeln, einen Kuss oder liebe Worte
  • bewusst den Fokus darauf setzen, was gut läuft
  • sich bewusst dafür entscheiden, zusammenzubleiben und miteinander durch die Krise zu gehen
  • sich durch praktische Unterstützung im Alltag gegenseitig Freiräume schaffen, um einzeln Bedürfnissen nachzugehen und Auszeiten zu nehmen

Kommunikation ist alles

  • ein Grundlevel an Kommunikation aufrechterhalten, zum Beispiel durch kurze Spaziergänge
  • offen und ehrlich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen
  • sich in den Partner einfühlen, gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit und echtes Interesse schenken
  • sich um gegenseitige Akzeptanz und Verstehen bemühen
  • dem Partner andere Bedürfnisse und Verarbeitungsstrategien zugestehen
  • gemeinsam als Paar vor Gott kommen in Gebet, Lobpreis, Abendmahl
  • bei Bedarf seelsorgerliche, therapeutische oder praktische Unterstützung annehmen
  • negative Gedanken und Gefühle zulassen und aussprechen, sich aber nicht davon beherrschen lassen
  • Krisen nicht „vergeuden“, sondern als zum Leben dazugehörende Chance für etwas Neues und Gutes sehen und sie, wenn möglich, aktiv gestalten

Hilfreiche Fragen

  • Was ist in dieser Situation oder in diesem Moment der Krise unser langfristiges Ziel? Wie können wir dahingehend unsere Energie und Zeit nutzen?
  • Was brauchen wir gerade in der Krise: eher aktive Lösungsschritte oder eine Stärkung unserer emotionalen partnerschaftlichen Verbindung?

Partnerschaft in Krisenzeiten – gemeinsam durch die Arbeitslosigkeit

Wenn ein Mensch den Arbeitsplatz verliert, kann das die Existenz bedrohen und Psyche sowie die Paarbeziehung belasten. Was in Krisen hilft, berichten ein betroffenes Ehepaar und eine Paartherapeutin.

Genau zu der Zeit, als Anne nach längerem Hoffen endlich wieder schwanger wurde, verlor ihr Mann Markus zum zweiten Mal seine Arbeitsstelle. Das brachte Unsicherheit und Existenzsorgen in die Beziehung. Bereits bei der ersten Kündigung war es für Anne als Freiberuflerin schwierig, finanziell nicht so stark wie erwartet auf Markus bauen zu können: „Ich war selbstständig und wollte mich gern finanziell auf sein Einkommen verlassen. Das stellte für mich auch einen Konflikt in der Rollenverteilung dar, und ich konnte nicht so frei sein, mich erst mal auszuprobieren, sondern musste gleich Geld verdienen“, erinnert sich Anne. Nach einiger Zeit kamen bei ihr Frust und Vorwürfe auf und die Fragen, ob ihr Mann wirklich sein Bestes gibt und überhaupt für die Arbeitswelt gemacht ist.

Auch bei Markus entstanden Selbstzweifel. Doch es war beiden wichtig, all diese Emotionen zuzulassen. Sie überlegten als Paar gemeinsam mit Hilfe eines Berufungsbuches, wie es weitergehen kann und wo sie sich in ihren Fähigkeiten noch mehr unterstützen können. „Das hat Markus geholfen, sich zu reflektieren, und mir, die Potenziale in ihm zu sehen, und unseren Teamgeist geweckt“, sagt Anne. Außerdem zeigte ihnen diese Krise neu, dass sie vieles nicht selbst im Griff haben. Gestärkt hat sie das gemeinsame Gebet. Das hat ihnen geholfen, auf Gott zu vertrauen. „Ich habe neu gelernt, Krisenzeiten erst mal so anzunehmen, wie sie sind, und nicht gleich in Aktivismus zu verfallen, sondern wirklich zu vertrauen und geduldig zu sein mit meinem Partner. Letztlich sind wir als Team unterwegs und keiner ist besser als der andere, nur weil er mehr verdient“, resümiert Anne.

Durch die Krise wurden beide reflektierter für die eigenen Schwächen, den eigenen (Arbeits-)Anteil an der Beziehung, aber auch die Erfolge des anderen. Ihre Erfahrungen geben Anne und Markus auch gern an andere weiter. „Als Paar ist es schön, wenn man gemeinsam sowas überwunden hat und davon auch erzählen und zuversichtlich sein kann, dass Gott einen durchträgt“, fasst Anne zusammen.

Zusammen Neues wagen

Paartherapeutin Diana Muschiol hat schon einige Paare in existenzbedrohlichen Krisen begleitet. „Für viele Menschen ist die Berufstätigkeit mit dem eigenen Selbstwert verknüpft, gibt Sinn und Identität“, sagt sie. Fällt die Arbeitstätigkeit weg, entsteht oft eine Leere. Dann ist es wichtig, sich bewusst auf Neues einzulassen, um wieder Sinn zu finden. Berufungsbücher wie bei Anne und Markus können hilfreich dabei sein.

Mit dem Jobverlust einhergehende Gefühle wie Scham, Schuld, Minderwertigkeitsgefühle oder Selbstzweifel können gefährlich sein. „Das sind unangenehme Gefühle, die meist einen Rückzug bedeuten, ein innerliches Dichtmachen, wenn man diese Gefühle nicht fühlen und schon gar nicht irgendjemandem zeigen will. Dadurch sind aber Distanz und Entfremdung in der Partnerschaft vorprogrammiert“, weiß Muschiol. Auch die möglicherweise veränderten Rollen in der Familie und dadurch vielleicht ungewohnte Aufgaben können das Gefühl von Unfähigkeit verstärken. Der Alltag muss eventuell neu organisiert, Aufgaben neu verteilt werden. Alle Gefühle zuzulassen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ist deshalb sehr wichtig! Statt sorgenvoll zu verzweifeln, sollte man die Situation erst mal akzeptieren. Und dann als Paar gemeinsam umdenken, flexibel nach Lösungen und Ideen suchen und diese umsetzen. Der Fokus sollte dabei auf dem vorhandenen Guten in der Beziehung sowie den Ressourcen jedes Einzelnen, als Paar und auch im sozialen Umfeld liegen. Von diesem Punkt aus kann man sich gemeinsam neue Ziele setzen und daran arbeiten, sie zu erreichen. So wie Markus und Anne, die sich mittlerweile freuen dürfen, dass Markus erfolgreich einen neuen Job gefunden hat.

Interview mit Paartherapeutin Diana Muschiol

Was kann Paaren helfen, schwierige Zeiten gemeinsam durchzustehen?
Allein die Paarbeziehung an sich hilft schon, Krisen zu meistern. Zahlreiche Studien zeigen, dass eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein sehr wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und diese weiter auszubauen.

Zusätzlich ist ein offener und ehrlicher Austausch miteinander sehr hilfreich, zum Beispiel darüber, was an der Krise Sorgen oder Angst bereitet. Und das mit der Bereitschaft, das Gegenüber wirklich verstehen zu wollen. Wenn wir selbst in Not sind oder unbedingt verstanden werden wollen, verlieren wir manchmal das „Wir“ aus den Augen. Da sind echtes Interesse und Empathie sehr hilfreich. Auch eine vorsichtige Nachfrage oder ein Gesprächsangebot, wenn der Partner sorgenvoll scheint, ist eine gute Möglichkeit.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine Patentlösung für die Bewältigung von Krisen als Paar?
Wenn überhaupt, dann würde ich sagen, ist es eine glückliche, zufriedenstellende Beziehung, in der sich beide verbunden fühlen, angenommen sind und die Zuversicht haben, das gemeinsam durchzustehen. Eine Beziehung, in der sie sich emotional und körperlich erreichen, sich aufeinander verlassen können, sich auf emotionaler Ebene mitteilen und dann auch wohlwollend auf das Gehörte und Wahrgenommene reagieren.

Kann man von einer Paar-Resilienz sprechen oder ist Krisenbewältigung in erster Linie Sache jedes einzelnen Partners?
Beides. Eine gemeinschaftliche Bewältigung ist hilfreicher als die alleinige. Und wenn ein Partner in der Beziehung eine Krise oder Not erlebt, hat das direkte Auswirkungen auf den anderen oder die andere. Aber es braucht den eigenen Beitrag. Man kann sich nicht ausschließlich darauf verlassen, dass das Gegenüber einem die Bewältigung abnimmt. Man darf seinen eigenen Beitrag dazu leisten, sollte aber auch Unterstützung annehmen. Dafür ist es erforderlich, sich selbst verletzlich zu zeigen. Das bedeutet, die eigenen Gefühle mitzuteilen: Sorgen, Ängste, Unzufriedenheit, Probleme und auch Sehnsüchte, Hoffnungen und Wünsche. Wir können nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber weiß, wie es in uns aussieht, wenn wir es nicht zeigen.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht an einer Beziehung, wenn Paare gemeinsam Krisen bewältigen?
Das gemeinsame Bewältigen von Krisen kann viele Ressourcen in einem Paar hervorbringen. Oft wachsen der gegenseitige Respekt und die Wertschätzung. Aber auch Verbundenheit, Vertrauen, Intimität und Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln sich weiter und verfestigen sich. Durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entstehen auch Hoffnung und Zuversicht, kommende Krisen ebenfalls zu bewältigen. Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und je mehr wir Menschen Resilienz erleben, desto mehr baut sie sich auf. Durch das gemeinsame Bewältigen von Anforderungen entwickelt sich Selbstwirksamkeit bei jedem Einzelnen und auch die des Paares. Was wiederum genutzt werden kann, für andere Impulsgeber und Vorbild zu sein.

TIPPS VON BETROFFENEN UND PAARTHERAPEUTIN DIANA MUSCHIOL ZUR BEWÄLTIGUNG VON KRISEN IN DER PARTNERSCHAFT:

  • die Partnerschaft priorisieren, Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, zum Beispiel durch Auszeiten zu zweit
  • im Alltag immer wieder Verbindung zueinander schaffen durch eine Umarmung, ein Lächeln, einen Kuss oder liebe Worte
  • bewusst den Fokus darauf setzen, was gut läuft
  • sich bewusst dafür entscheiden, zusammenzubleiben und miteinander durch die Krise zu gehen
  • sich durch praktische Unterstützung im Alltag gegenseitig Freiräume schaffen, um einzeln Bedürfnissen nachzugehen und Auszeiten zu nehmen

Kommunikation ist alles

  • ein Grundlevel an Kommunikation aufrechterhalten, zum Beispiel durch kurze Spaziergänge
  • offen und ehrlich Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse teilen
  • sich in den Partner einfühlen, gegenseitig ungeteilte Aufmerksamkeit und echtes Interesse schenken
    sich um gegenseitige Akzeptanz und Verstehen bemühen
  • dem Partner andere Bedürfnisse und Verarbeitungsstrategien zugestehen
  • bei Bedarf  therapeutische oder praktische Unterstützung annehmen
  • negative Gedanken und Gefühle zulassen und aussprechen, sich aber nicht davon beherrschen lassen
  • Krisen nicht „vergeuden“, sondern als zum Leben dazugehörende Chance für etwas Neues und Gutes sehen und sie, wenn möglich, aktiv gestalten

Hilfreiche Fragen

  • Was ist in dieser Situation oder in diesem Moment der Krise unser langfristiges Ziel?
  • Wie können wir dahingehend unsere Energie und Zeit nutzen?
  • Was brauchen wir gerade in der Krise: eher aktive Lösungsschritte oder eine Stärkung unserer emotionalen partnerschaftlichen Verbindung?

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt in Chemnitz

„Was willst du eigentlich von mir?“- richtig Streiten will gelernt sein

Sie diskutiert hochemotional, er schweigt. Eine neue Perspektive ist nötig, um diesem Teufelskreis zu entkommen.

Raphael ist schleierhaft, was eigentlich Katrins Problem ist. Er weiß nur, dass sie „zu emotional“ und „sehr vorwurfsvoll“ ist. Er sagt: „Ich bemühe mich, ein guter Partner zu sein, und es ist wohl nicht mein Fehler, dass ich nun mal kein gefühlsbetonter Mensch bin.“ Katrin fällt ihm ins Wort: „Ein Stein bist du!“ Raphael schweigt. Deshalb macht Katrin weiter: „Dir geht es nur darum, wie wir unsere Beziehung am besten um deine Arbeit herumorganisieren können. Du warst nicht einmal da für mich, als meine Mutter gestorben ist.“

Raphael zuckt mit den Schultern und blickt starr an die Wand. Katrins Botschaft ist dringend, aber sie kommt bei Raphael nicht an. In seinen Augen macht sie einfach wieder mal ein furchtbares Theater.

Die Verbindung halten

Wenn die Verbindung zum Gegenüber in Gefahr ist, ist das sehr bedrohlich. Diese Bedrohung führt bei Katrin dazu, dass sie Vorwürfe macht. Sie reagiert emotional und will von Raphael eine Reaktion sehen. Ihre Angriffe sind ein Ausdruck ihres Wunsches nach Nähe. Sie will spüren, dass er noch hier ist.

Raphael hat auch Angst, dass ihre Beziehung in die Brüche geht. Nur reagiert er ganz anders. Er spielt alles runter und versucht, die Wogen zu glätten. Er will rationale Lösungen für ihre Probleme finden und die Gespräche in geordneten Bahnen halten. Um sich vor Katrins Angriffen zu schützen, geht er auf Distanz.

Das führt zu einem Teufelskreis. Katrin greift an, um eine Verbindung herzustellen. Raphael geht in Deckung und zieht sich zurück. Deshalb spürt ihn Katrin noch weniger und macht noch aggressivere Vorwürfe, was aber wiederum dazu führt, dass er sich noch mehr distanziert. So geht das immer weiter. Sie sitzen in dieser Abwärtsspirale fest.

Gemeinsam statt gegeneinander

Beide haben das gleiche Ziel: Sie wollen Nähe herstellen und ihre Beziehung stärken. Doch ihre Strategien sind kontraproduktiv. Um aussteigen zu können, müssen sie dieses Muster durchschauen. So können sie sich entscheiden, gemeinsam gegen die negative Dynamik zu kämpfen. Wenn sie diesen gemeinsamen Feind haben, kann es ihnen gelingen, sich verletzlich zu zeigen und über ihre Gefühle und ihren Wunsch nach Nähe zu sprechen.

Vielleicht gelingt Katrin dann ein sanfterer Einstieg: „Ich weiß nicht, ob du für mich da bist, wenn ich dich brauche. Ich liebe dich und ich mache mir Sorgen um unsere Beziehung.“

Marc Bareth und seine Frau Manuela stärken mit FAMILYLIFE Schweiz Ehen und Familien. Marc Bareth ist der Leiter dieser Arbeit. Er bloggt unter familyife.cd/five 

„Unser Sohn starb im Bauch“ – Als Paar den Verlust überstehen

Wenn ein Kind im Mutterleib oder bei der Geburt stirbt, kann das für die Partnerschaft zur Zerreißprobe werden. Zwei betroffene Ehepaare und eine Paartherapeutin erzählen vom Umgang mit der Trauer und was in der Krise wirklich hilft.

Von Lisa-Maria Mehrkens

Kein Herzschlag mehr

Nach der Geburt ihres ersten Kindes dauerte es etwas, bis Angelina endlich wieder schwanger wurde. Nun freuten sie und ihr Mann Michael sich auf Wunschkind Nummer zwei. Dann der Schock: Beim Ultraschall konnte die Ärztin keinen Herzschlag beim Baby mehr finden. „Was, wie kann das sein? Du warst doch ein Versprechen und wirst sehnlichst erwartet?! Unser Baby ging. Die Leere blieb“, fasst Angelina ihr Empfinden damals zusammen. Sie und ihr Mann trauerten eine Zeit gemeinsam, weinten miteinander und ließen den Schmerz zu. Doch schon bald spürten sie, wie unterschiedlich sie als Einzelpersonen das Erlebte verarbeiteten.

Während Michael eher versuchte, allmählich im alltäglichen Leben weiterzugehen und sich weniger auf den Verlust und Schmerz zu fokussieren, war Angelinas Bedürfnis, häufig über das Erlebte zu reden, Gefühle einzuordnen und Dinge zu hinterfragen. Das führte zu Spannungen in der Paarbeziehung, sie mussten neu zueinanderfinden. „Gemeinsam reden, einander zuhören und Gefühlen Platz schaffen, ohne den ganzen Raum für sich allein einzunehmen. Den Bedürfnissen des Partners offen begegnen und gleichzeitig den Blick auf sich selbst nicht verlieren. Unterschiede annehmen und Kommunikation in diesem emotional vielschichtigen und sensiblen Prozess als Brücke zwischen unseren Herzen nutzen, statt gegenseitig Mauern zu bauen“, beschreibt Angelina die Herausforderung. Doch genau dadurch lernten sie, sich gegenseitig noch mehr zu schätzen und sensibler aufeinander zuzugehen, auch ohne den anderen in seiner eigenen Gefühlswelt immer zu verstehen.

Das Wichtigste in dieser Zeit war für sie die Entscheidung, als Paar verbunden zu bleiben und den Schmerz anzunehmen. „Gerade in Krisenzeiten kann es besonders schwer werden, Raum zu schaffen für all die Trauer, Wut und Angst, für unbeantwortete Fragen und persönliche Gedanken. Um sich nicht als Paar zu verlieren, muss man genau dann aneinander festhalten und miteinander durch diesen Prozess gehen.“, erzählt Angelina. Das überraschende Happy End der Geschichte: Ein halbes Jahr nach ihrem Verlust durften sie ein kleines Mädchen in ihre Familie aufnehmen und im gleichen Monat hatte Angelina wieder einen positiven Schwangerschaftstest – nun sind Angelina und Michael stolze Vierfacheltern, mit einem Sternenkind im Himmel.

Geburt und Abschied zugleich

Susann und Renes kleine Welt schien nach der Geburt des ersten Kindes und dem Einzug ins eigene Haus perfekt. Doch ihr zweites Wunschkind hatte den Gendefekt Trisomie 18 und nur sehr schlechte Überlebenschancen. „Man hofft einfach nur, dass ein Wunder geschieht. Doch leider starb unser Sohn zwei Tage nach dem errechneten Termin in meinem Bauch und ich musste ihn still auf die Welt bringen. Meine bis dato heile Welt brach zusammen“, erzählt Susann. Sie und ihr Mann gingen vollkommen verschieden mit der Situation um. Rene begann nach der Diagnose – noch während der Schwangerschaft – mit dem Trauern, Ringen und beten. Er findet Trost in dem Wissen, dass es seinem Sohn jetzt bei Gott gut gehe. „Rene sieht es als Gnade an, dass er nicht leiden musste, sondern von einem geschützten Raum, dem Bauch, in den nächsten, den Himmel, übergegangen ist. Es ist kein Ende, sondern wir sehen uns wieder“, erklärt Susann.

Der christliche Glaube hilft Rene, besonnen und ausgeglichen mit der Situation und auch den beiden gemeinsamen Kindern hier auf Erden umzugehen. „Mein Mann ist der Fels in der Brandung, der Anker und das Licht unserer Familie. Ich bin so dankbar, dass er so ist, wie er ist und dass er gelernt hat, mich so zu nehmen mit all den Veränderungen, die dieser Verlust mit sich gebracht hat“, meint Susann. Sie selbst musste intensiver mit dem Erlebten kämpfen. Zunächst lebte jeder in der eigenen Trauerblase, funktionierte. „Es ging in den ersten Monaten nach der Beerdigung ums reine ‚Überleben‘“, erinnert sie sich. Wichtig war für beide, sich gegenseitig Freiraum zum individuellen Trauern und Verarbeiten zu geben und die Unterschiede anzunehmen. Dadurch lernten sie, den anderen so zu akzeptieren, wie er ist, und genau zu überlegen, wie sie sich gegenseitig das geben können, was sie jeweils brauchen. Trotz unterschiedlicher Empfindungen halten sie aneinander, an ihrer Liebe und am Glauben fest.

Auch der ehrliche Austausch untereinander sowie mit Freunden, Familie oder anderen Betroffenen brachte Trost durch die Erfahrung, nicht allein zu sein. Das Erlebte hat Susann und Rene dankbarer gemacht für Gesundheit, Wohlstand und andere Menschen und gleichzeitig gelassener gegenüber scheinbar banalen Alltagsproblemen und den Macken des Partners. Obwohl der Verlust zwei Jahre zurückliegt, stecken sie noch mitten im schwierigen Trauerprozess. „Wir sind auf dem Weg aus dem Tal hinaus und gehen diesen Hand in Hand, manchmal jeder für sich, manchmal schiebt der eine den anderen an oder trägt ihn hindurch. Trotz dieser Wunde im Herzen sind wir als Familie und Paar stärker geworden“, fasst Susann zusammen.

Unterschiede akzeptieren

Diana Muschiol, Paartherapeutin und langjährige Begleiterin von Paaren in Krisenzeiten, weiß, wie unterschiedlich Männer und Frauen trauern. „Jeder sieht und spürt erst einmal hauptsächlich den eigenen Schmerz. Man weiß, wie sich das anfühlt. Wenn man dann vom Partner oder der Partnerin eine andere Reaktion sieht, kann das irritieren, verunsichern oder auch verärgern“, sagt sie. Männer kommen oft in den Problemlöse-Modus, fühlen sich dadurch weniger ohnmächtig dem Erlebten gegenüber. Für die Frau kann es einerseits hilfreich sein, zu wissen, dass der Mann sich kümmert, den organisatorischen Teil übernimmt etc. Doch andererseits besteht die Gefahr, dass der Mann nur auf der Handlungsebene bleibt, seine Gefühle unterdrückt oder sich mit diesen alleingelassen fühlt. Das Verdrängen von Gefühlen kann den falschen Eindruck erwecken, der Tod des eigenen Kindes berühre den Mann emotional gar nicht. Dies kann zu Konflikten als Paar führen.

Frauen spüren den Verlust eines Kindes nicht nur emotional, sondern auch noch physisch durch körperliche und hormonelle Veränderungen in einer Schwangerschaft und nach Fehl- oder Totgeburten. Durch diese weitere Komponente sind sie möglicherweise näher am Verlust dran und wollen eher von anderen in ihrer Not gesehen und wahrgenommen werden.

Sich gegenseitig zu erlauben, auf unterschiedliche Art und Weise zu trauern, ist daher sehr wichtig. Ebenso, negative Gefühle wie Wut oder Fassungslosigkeit zu akzeptieren und sich dann gemeinsam ehrlich und verständnisvoll über die verschiedenen Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle auszutauschen. „Denn auch wenn beide in so großer Not und starkem Schmerz sind, so ist der Partner oder die Partnerin die Person auf Erden, von der man den besten und hilfreichsten Trost, Mitgefühl und Mitleid erwartet“, beschreibt Muschiol.

Damit sich weder Männer noch Frauen mit ihrem Schmerz über den Verlust alleingelassen fühlen, braucht es Kommunikation untereinander und nach außen. „Doch manchmal – gerade zu Beginn oder kurz nach der Fehlgeburt –, wenn der Schock, der Schmerz oder der Verlust so groß ist, kann es zu schwer sein, darüber zu reden. Man findet keine Worte für den großen Schmerz. Auch das ist in Ordnung“, weiß die Expertin. Dann sollte man seinem Gegenüber das auch zu verstehen geben und auf andere Arten Kontakt, Nähe oder Trost suchen. Zum Beispiel kann man sich im Arm halten, schweigend zusammensitzen, händchenhaltend spazieren gehen oder durch andere Gesten signalisieren, dass man da ist und an den anderen denkt.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin.

„In Gesundheit und Krankheit“: Was Paaren in Krisenzeiten hilft

Wenn ein Partner schwer erkrankt, kann das eine Beziehung belasten. Lisa-Maria Mehrkens hat Paare befragt, was ihnen geholfen hat, die stürmischen Zeiten zu überstehen.


Wenn das Leben sinnlos scheint

Vor fünf Jahren geriet Christian Bangert schleichend in eine Depressionsspirale, war schnell erschöpft, überfordert, gereizt und zunehmend lebensmüde. Mittlerweile ist er auf dem langen Weg der Heilung. Ihm und seiner Frau Nelli helfe der gemeinsame Glaube an Jesus Christus, denn der Glaube gibt ihnen Halt und bietet Raum für Klagen, Fragen, Sorgen, Frust und Wut.

Auch ehrliche Kommunikation untereinander fördert ihr gegenseitiges Verständnis. „Wir verstecken uns nicht voreinander, sondern zeigen uns, wie wir sind. Das ist auch schmerzhaft, weil der Umgang mit Schwäche nicht immer einfach ist. Gleichzeitig wachsen unser Vertrauen und unsere Verbindung“, sagen beide. Auch im Austausch mit Freunden, Familie und professionellen Helfern raten sie dazu, sich nicht zu schämen, sondern offen und ehrlich zu sein.

Die christliche Paartherapeutin Diana Muschiol weiß, wie wichtig in Krisen Ehrlichkeit und echtes Interesse sind sowie die Bereitschaft, sich einzufühlen und den anderen zu verstehen. Denn die Erkrankung sei niemals nur das Problem eines Partners, sondern habe immer Auswirkungen auf beide, die zusammen die Krise bewältigen müssen. Sorgen, Ängste und negative Gefühle ehrlich auszusprechen, sei ein wichtiger Schritt dazu.

Um Christians Krankheit zu akzeptieren, musste Nelli Träume loslassen und den Schmerz annehmen, den das mit sich bringt. Christian musste lernen, nicht nur Nellis, sondern auch seinen eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden. „Ich darf zu meinen Grenzen stehen. Früher dachte ich, dass ich für Nellis Glück verantwortlich bin. Diese Verantwortung trage ich heute nicht mehr, und das führt mich in die Freiheit“, erzählt er. Die Verantwortung für die eigene Gesundung liegt in erster Linie beim Erkrankten. Doch damit auch der nicht-erkrankte Partner gesund bleibt, müssen beide ihre Grenzen erkennen und kommunizieren. „Die Gefahr besteht, dass man über die eigenen Grenzen geht und für sich, die Familie und den Partner keine Unterstützung mehr sein kann. Zu viel zu helfen kann beim anderen das Gefühl von Unzulänglichkeit auslösen, das die Erkrankung wiederum verstärken kann“, erläutert Therapeutin Muschiol.

Nelli und Christian achten heute mehr auf ihre persönlichen Bedürfnisse und geben sich gegenseitig Raum, diesen nachzugehen. Nelli ist auch allein mit Freunden unterwegs, wenn Christian keine Kraft dazu hat. „Damit habe ich auch mein Ideal-Bild losgelassen, dass ein Paar möglichst immer zusammen unterwegs ist. Es braucht zwei Menschen, die gut für sich sorgen, um durch eine Krise zu kommen“, beschreibt sie. Auch als Paar setzten sie ihre Prioritäten neu, sagen öfter Nein. Die schwere Zeit rüttelte ihre Vorstellungen vom Leben, ihr Gottesbild und ihr Selbstbild durch und festigte sie gleichzeitig als Paar. „Wenn das Leben hart auf hart kommt, muss man umso fester zusammenhalten. Das gemeinsame Erleben von Krankheit und Schwäche tut weh – gleichzeitig fördert es tiefe innige Liebe“, sagen sie.

Wenn die innere Heimat fehlt

Die Beziehung von Laura* und Jonte* wurde durch äußere Faktoren auf die Probe gestellt: Umzug, zweites Kind, Schlafmangel, ein Gefühl von Einsamkeit, die Frage, ob sie als Familie am richtigen Platz seien, das Jonglieren zwischen Mutterrolle und freischaffender Tätigkeit … Das alles war zu viel und erschöpfte Laura. Fast ein Jahr lang ging es ihr immer schlechter. Keiner wusste wirklich, was mit ihr los war. Sie stellte sich viele grundsätzliche Fragen zum Leben und Glauben.

Irgendwann fuhr sie in ein Kloster, wo eine Ordensschwester ihr sagte: „Du hast deine innere Heimat verloren.“ „Erst dachte ich mir: ‚Was für ein Quatsch!‘ Aber im Nachhinein wurde mir klar: Sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen“, erzählt Laura. Ihr Mann habe damals wenig Zugang zu inneren, emotionalen Vorgängen gehabt. Doch genau diese pragmatische Stärke tat Laura gut. „Er hat nicht viel kommentiert oder seelsorgerliche Ratschläge gegeben, sondern mich einfach ausgehalten und in den Arm genommen. Er hat mir den Rücken freigehalten, mich in unserem Alltag im Haushalt und mit den Kindern unterstützt, damit ich mich und meine Themen ordnen konnte“, erinnert sie sich.

Doch auch in ihren inneren Kämpfen fühlte sich Laura sehr nah mit ihrem Mann verbunden. Bei gemeinsamen Abendspaziergängen konnte sie ihre Gedanken und Emotionen teilen, selbst wenn ihr Mann nicht alles davon verstand. Diese Spaziergänge haben sie bis heute beibehalten. Das hilft, ein Grundlevel an Kommunikation aufrechtzuerhalten, um bei schwierigen Themen schneller in die Tiefe zu kommen.

Letztlich öffnete die Krise Laura und Jonte den Blick für Grenzen und neue Seiten aneinander. „Ich bin eigentlich schnell und stark, energievoll und weiß, was ich will. In diesem Jahr habe ich mich sehr schwach und verletzlich gefühlt und gemerkt, dass ich auf meinen Mann angewiesen bin. Das war ein neuer Aspekt, den ich über mich und unsere Beziehung gelernt habe.

Bei meinem Mann wiederum wuchs das Verständnis für innere Vorgänge und dass es mehr gibt als nur den praktischen Alltag“, sagt Laura. Die wichtigste Entscheidung, die sie als Paar durch die Krise trug: „Egal, was passiert im Leben, wir bleiben innerlich beieinander!“

Wie wichtig eine solche innere Entscheidung ist, weiß Diana Muschiol: „Studien zeigen, dass uns eine zufriedene und glückliche Beziehung gesund hält und uns auch befähigt, mit Herausforderungen und Schmerz besser umzugehen. Daher ist ein wichtiger Faktor für Paare in Krisenzeiten, an ihrer Beziehung festzuhalten und sie weiter auszubauen.“ Schwierigkeiten in der Partnerschaft seien ein Risikofaktor für psychische Erkrankungen. Deswegen sei es hilfreich, in die Beziehung zu investieren.

Wenn jeder Abschied der letzte sein kann

Nur ein Jahr nach seiner Hochzeit kam Simon mit einer lebensbedrohlichen Hirnblutung als Notfall ins Krankenhaus. Nach zehn Tagen in teils kritischem Zustand wurde er am Gehirn operiert. Obwohl sie Abschiede aus ihrer Fernbeziehungszeit kannten, wurde das Abschiednehmen von seiner Frau Melanie keineswegs zur Routine, da die Blutung jederzeit wieder hätte beginnen können. „Mich bewegte die Frage: Wie verabschiede ich den Menschen, den ich am meisten liebe, wenn ich ihn vielleicht das letzte Mal sehe?“, beschreibt Simon.

Besonders emotional war für beide der Abend vor der Operation, da der Ausgang ungewiss war. „Ich sagte zu Melanie: ‚Ich weiß, dass du das nicht hören willst. Aber wenn mit mir etwas passieren sollte, dann wünsche ich mir, dass du an Jesus festhältst. Du hast von mir die Freiheit, eines Tages auch mit einem anderen Mann glücklich zu werden – ohne schlechtes Gewissen.‘ Für Melanie war diese Aussage schwer zu verdauen, doch mir war und ist wichtig, dass sie ihr Glücklichsein nicht allein von mir und unserer Ehe abhängig macht“, sagt Simon.

Simon als eher rationaler Mensch versuchte, negativen Gefühlen wie Angst, Wut oder Trauer zwar einen Raum zu geben, sich aber nicht davon übermannen und beherrschen zu lassen. Gemeinsam zu lachen und zu weinen, habe trotzdem geholfen.

Kraft, Ruhe und Zuversicht habe ihnen auch der Glaube an Gott gegeben. „Er lässt uns bestimmte Krisen erleben, um für andere Menschen zum Segensbringer und Ermutiger zu werden. Bin ich bereit dazu und glaube ich daran, dass Gott aus mir und meinen Erfahrungen etwas Kostbares machen kann? Krisen sind für mich definitiv nichts Schlimmes oder Sinnloses. Im Gegenteil: Sie bergen eine große Chance in sich, wenn ich mich als Gestalter und nicht als Opfer sehe. Deshalb: Vergeude niemals eine Krise!“, erklärt Simon. Letztlich stärkte die Krise ihre Ehe, und vieles Bestehende erwies sich als tragfähiges Fundament, für das beide dankbar sind. „Wir haben dieselbe Situation erlebt, aber jeder von uns in einer anderen Rolle und mit eigener Wahrnehmung. Der Austausch darüber und die Erinnerungen daran sind ein besonderer Schatz, den wir nicht vermissen wollen. Denn Erlebnisse verbinden und Narben erzählen Geschichten“, meint Simon.

Die drei vorgestellten Paare haben erlebt, dass Krisen sie noch näher zusammengebracht haben. Denn trotz aller Schwierigkeiten kann das gemeinsame Bewältigen einer Krise viele Ressourcen eines Paares fördern wie gegenseitigen Respekt, Wertschätzung, Verbundenheit, Vertrauen und Intimität. „Hoffnung ist ein weiterer wichtiger Aspekt von Resilienz. Und durch das Erleben, schon einmal eine Krise gemeistert zu haben, entwickeln sich Hoffnung und Zuversicht für zukünftige schwierige Zeiten. Was wiederum genutzt werden kann, um für andere Menschen Impulsgeber und Vorbild zu sein“, weiß Therapeutin Muschiol.

Tipps von Paartherapeutin Diana Muschiol:

Mit physischen und psychischen Erkrankungen umgehen

  • gegenseitiges Verständnis anstelle von Vorwürfen
  • als nicht Erkrankte/r nicht die Rolle des Arztes oder der Therapeutin übernehmen, keine Diagnosen und Ratschläge geben
  • die erkrankte Person fragen, wie man wirklich helfen kann
  • als gesunde/r Partner oder Partnerin auf das eigene Wohlbefinden achten
  • sich gemeinsam über die Erkrankung informieren
  • sich praktische Hilfe von anderen holen (Angehörige, Freunde, professionelle Helfer), Aufgaben delegieren
  • die Erkrankung als zu bewältigende Herausforderung statt als unüberwindbare Krise sehen
  • Bereiche als Paar finden, die sich nicht um die Erkrankung drehen (Aktivitäten, Gesprächsthemen)
  • Sorgen und Ängste offen ansprechen
  • als Erkrankte/r, wenn möglich, aktiv etwas für die Gesundung tun

 

*Namen geändert

Lisa-Maria Mehrkens ist freie Journalistin. 

 

Geliebte Nervensäge

Kann man sich ein Leben lang faszinierend finden trotz all dieser wahnsinnig nervigen Eigenschaften, die wir alle mit uns herumtragen? Eigentlich nicht, meint Steffi Diekmann – und doch kann die Faszination immer wieder neu aufblühen.

Ich bin hellwach. Wie immer beginnt mein Tag früh und mein Mann schläft. Sein Schnarchen macht mich sauer. Wie kann er so pennen? Klar gönne ich es ihm. Aber wir haben eine lange Liste an Kleinigkeiten zu bewältigen heute. Und er … ist tiefenentspannt.

Als Jugendliche fand ich an Henrik so faszinierend, dass er klar und gelassen wirkte. Klar in seinen Aussagen, Handlungen und Haltungen und sehr entspannt mit Kindern, desaströsen Chorproben und hitzigen Diskussionen. Und mit mir. Meine Emotionen sind rau, oft ungefiltert und meine Wahrheit ist ganz lange wahr – bis Henrik mir hilft, den Horizont zu weiten.
Diese Faszination hatte er für meine Vielfältigkeit, Entschlossenheit und Kreativität auch. Gute Voraussetzungen, um sich ein Leben lang neu zu entdecken, oder?
Am Beginn unserer Ehe haben wir uns oft über den kühlen Ton mancher Ehepaare gewundert, die verloren gegangene Faszination und wachsende Lieblosigkeit. Während ich mich nun durch meinen schlummernden Mann mit den Tagesaufgaben allein gelassen fühle, stelle ich fest: same here. Die Erkenntnis, dass ich ihm nicht mal ein Ausschlafen gönne, trifft mich nicht zum ersten Mal.

ÜBERFORDERT DURCH DEN FAMILIENALLTAG

Als nach und nach Kinder in unser Leben traten, ließ meine Faszination für seine eindeutigen Ansagen nach und wich immer öfter meiner Bitte um mehr Einfühlungsvermögen. Aus meinem bezaubernden Menschenflüsterer wurde ein polternder Vater, wenn der Apfelsaft zum wiederholten Mal umfiel. Seine Klarheit, die ich einordnen konnte, empfanden Freunde oft als Arroganz oder Lieblosigkeit. Gleichzeitig erinnere ich mich, dass in dieser Phase immer mehr Rückmeldungen zu meinem „alltäglichen Drama“ von ihm kamen. Meine Überforderung, meine Gefühle und Wahrnehmungen zu sortieren, wuchs und wurde sichtbarer. Wir hatten auf der einen Seite das Glück, Familie zu werden, das verlangte uns auf der anderen Seite aber auch viel ab.

Was am Anfang gülden schimmerte, blendete uns nun gegenseitig schmerzhaft, wenn die eigenen Kräfte am Limit waren. Durch einen von Bronchitis begleiteten Kleinkindalltag, finanzielle Herausforderungen, Schlafdefizit vom Feinsten, Streit in der Kirchengemeinde und veränderte Beziehungen zu Eltern und Familie sehnten wir uns nach einem Partner, der das Zuhause-Gefühl bedingungslos ausstrahlt. Ein Partner, der sich auf mich freut und mir zeigt, wie willkommen ich bin. Die wachsende Anspannung sorgte jedoch dafür, dass ich den Reaktionen meines Partners immer kritischer gegenüberstand. Das reibungslose Prinzip unserer Anziehungskraft wurde erschüttert. Wir nervten uns.

EIN GEHÖRIGER SCHRECKEN

Dabei hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Als wir in einem verregneten Low Budget Campingurlaub ankamen, legte sich Henrik erst mal fiebernd und schlafend hin. Ich bebte innerlich vor Neid und Empörung. Wie konnte er mich so mit dem ganzen Chaos alleine lassen? Ausladen, auspacken, aufbauen, Kinder versorgen und mein Mann lag darnieder!

Mein unbarmherziger Ärger jagte mir selbst einen gehörigen Schrecken ein. Damals traf ich einen Entschluss: Ab sofort wollte ich nicht mehr aufrechnen, wer wann wie viel wickelt, füttert, Hausaufgaben begleitet oder putzt. Ich traf den Entschluss nicht demütig, sondern weil mein Zorn auf meinen Partner so groß war, dass ich von mir selbst schockiert war. Seine Gelassenheit und entspannte Sicht waren die schimmernden Faszinationspunkte und ich war gerade dabei, sie mit Alltagsstaub zu bewerfen. Bei einer Tasse Tee teilte ich meinem immer noch kranken Mann meinen Entschluss mit und er begann wieder zu strahlen. Als ich aufhörte, ihn zu attackieren, wurde ich mit seiner Fürsorge beschenkt. Bis heute erzählt er, wie gut es ihm getan hat, dass ich jeden Morgen die Frühschicht übernommen habe.

Danach lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Schön wär’s! Wenn ich Henrik heute frage, was ihn an mir richtig nervt, kommen Umschreibungen der Dinge, die ihn einmal sehr angezogen haben. Natürlich kenne auch ich diese Seiten an mir. Doch dieses Wissen schützt nicht vor Missverständnissen, manchmal ebnet es ihnen sogar den Weg: Wenn Henrik eine Schere sucht, rattert es in meinem Kopf. Ich habe für seinen Blick, sein Seufzen eine Deutung. Ich meine, meinen Mann so gut zu kennen, dass ich weiß, was er ausdrücken will. Ich bin mir bewusst, dass er unter meiner Kreativität leidet, jeden Tag einen neuen Platz für eine Schere zu finden. Als dies aus mir herausplatzt, guckt mich mein Mann ganz verdutzt an: „Äh, nein! Ich suche nur eine Schere. Ich denke dabei nicht an dich.“ Den Fokus auf die Reibungspunkte zu legen, ist eine Falle im Bewältigen des Alltags.

AN DIE GUTEN TAGE ERINNERN

Um den Partner aus der Bewertungsklammer zu entlassen, hilft uns ein Schritt zurück. Wie haben wir zusammen eine lustige Episode erlebt, einen großen Streit in der kirchlichen Kleingruppe geschlichtet oder Trauer gemeistert? Wenn wir aussprechen, was wir in diesen Erlebnissen am anderen wohltuend wahrgenommen haben, ist das wie ein Zündfunke für den Faszinationsglimmer zwischen Verbündeten.

Ich erinnere mich, welche Wesenszüge zu Beginn unserer Ehe strahlend waren, und frage mich: Wo sehe ich das heute? Was könnte ich heute an meinem Partner loben und neu bewerten? Dies können kleine Dinge sein, die neu verbindend zwischen uns wirken. Den Duft des anderen wahrnehmen, das kleine Lächeln der Augen sehen, einen klugen Satz hervorheben, sich bedanken für Alltägliches. Das Enttäuschende und Trennende zu benennen, ist für mich keine Kunst. Vor Freunden den Partner zu loben, zu ihm zu stehen oder im Beisein der Eltern von den Erfolgen des anderen zu sprechen, aber sehr wohl. Mit diesen Entscheidungen entsteht ein neuer Glanz. So glimmen neue Anziehungspunkte am Partner auf. Heute treffe ich wieder diese Entscheidung wie vor Jahren im Campingurlaub: Ich will meinen Mann entdecken.

Wenn ein bewusstes Hinsehen auf die Stärken des anderen nicht möglich erscheint, so kann eine kleine Geste helfen. An welchem Moment des Tages lächle ich meinen Mann gern an? Dieses Lächeln hat meinen Mann tatsächlich schon oft von den beengenden Klebefolien meiner Bewertung befreit. Sein Lob bringt mich zum Lächeln und so funkeln wir uns mitten im Alltag neu an.

Jetzt steht mein Mann endlich verschlafen vor mir. Nimmt mich in den Arm. Während ich seinen Duft aufsauge, flüstert er: „Schon so wach? Wir schaffen den Tag schon, mein Schatz …“ Ich seufze und entscheide mich, seine entspannte Haltung wundervoll zu finden. Einen tollen Mann habe ich!

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

Den Partner neu entdecken

Im stressigen Alltag kann es schnell passieren, dass der Mensch an unserer Seite vor allem nervt. Folgende Fragen können helfen, immer wieder eine neue Perspektive zu gewinnen.

Warum nervt mich das gerade so? Mal angenommen, es geht nicht darum, mich zu schikanieren: Kann ich nachvollziehen, warum er oder sie so handelt? Was hat mich am Anfang so fasziniert an meinem Partner? Wo und wie sehe ich das heute? Was haben wir zusammen erlebt und durchgestanden? Was habe ich dabei über uns erfahren? Mit welchen kleinen Gesten könnte ich heute erfreuen? Wo möchte ich gerne großzügig sein? Was würde mir dabei helfen?

Schmetterlinge auf Irrwegen

Frisch verliebt in den Freund meines Mannes – und dann?

„Was war das?“, dachte ich erschrocken. Dieser Blickkontakt dauerte etwas zu lange und ging mir viel zu tief. Zwar fühlte sich das ungewohnt schön an, aber natürlich auch zutiefst falsch. Mir wurde sofort bewusst, dass etwas Ungewöhnliches passierte, aber dass das der Beginn einer emotionalen Achterbahnfahrt mit heftigen Zerwürfnissen für meine Ehe war, ahnte ich nicht.

Zu Tom (alle Namen geändert), einem langjährigen Freund meines Ehemannes, pflegten wir als Familie ein freundschaftliches Verhältnis und teilten viele Alltagsmomente. Dass wir uns schon so viele Jahre kannten, erschwerte es mir, den Ernst der Lage zu erkennen. Nach diesem Blick nahm ich den jahrelangen Freund plötzlich anders wahr. Ich sammelte meinen Mut, schrieb Tom und konfrontierte ihn mit dem nicht zu leugnenden Knistern zwischen uns. Das war der Beginn vieler Nachrichten.

Zerrissen zwischen Glücksgefühl und Scham

Eine Grenze war überschritten. Es ging nicht mehr nur um Absprachen zur nächsten Grillparty oder zum nächsten Gottesdienstplan. Nein, plötzlich ging es um uns beide. Wir teilten uns einander mit. Wir schrieben über das, was wir fühlten, dachten und erlebten. Damit gossen wir Öl in das beginnende Feuer und beschleunigten die Gefühlslawine massiv.

Eine Zeit der Zerrissenheit in mir hatte begonnen. Auf der einen Seite die Glücksmomente mit Tom in unserer Nachrichtenwelt, auf der anderen die tiefe Scham gegenüber David, meinem Ehemann. Das Tempo der wachsenden Gefühle überstieg meine rationale Entscheidungsfähigkeit.

Kein Kontakt – unmöglich!

Nach wenigen Wochen erzählte ich David von meinen Gefühlen und dem Kontakt zu unserem gemeinsamen Freund. Er reagierte sanft schockiert, aber auch noch zuversichtlich und nicht verurteilend. Darüber war ich sehr dankbar. Jedoch wünschte er sich mit Nachdruck, dass Tom und ich keinen weiteren Kontakt haben sollten, damit es nicht schwieriger für alle Beteiligten werden würde.

Doch zu dem Zeitpunkt dachte ich noch völlig naiv, dass das nicht nötig sei. „Ich habe meine Gefühle doch im Griff und kenne meine Grenzen!“, behauptete ich. Dabei hatte ich die Situation schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Ich schrieb Tom noch eine Weile offiziell, später dann heimlich.

Erfüllender als der Ehealltag

All die virtuellen Momente mit Tom erschienen mir schöner, romantischer und erfüllender als mein Ehealltag. Alles fühlte sich so echt, tief und unglaublich nah an, obwohl wir uns ausschließlich in unseren Nachrichten „trafen“. Ich nutzte jede freie Minute, um ihm zu schreiben.

Auf diese Weise nahm ich ihn virtuell fast überall mit – auf Geburtstagspartys, zur Beerdigung, zum Trainieren, zum Unkrautjäten. Ohne dass ich es wahrnahm, entwickelte er sich zu einem riesengroßen Teil meines Lebens. So permanent umgeben von Schmetterlingen gab es allerdings keinen einzigen Tag, an dem mich nicht mein Gewissen plagte und mich stumm anschrie. Ich schrie innerlich eine Menge an Rechtfertigungen zurück: „Wir schreiben uns doch nur und mehr passiert nicht!“, „Es ist doch gar keine echte Affäre!“ …

Die Ehe bröckelt

David spürte, dass ich nicht ganz bei ihm war, dass meine Gefühle und Gedanken bei einem anderen Mann festhingen. Es schmerzte ihn sehr, dass ich es nicht schaffte, den Kontakt zu Tom komplett zu unterbinden. Am meisten verletzte es ihn, dass ich nicht ehrlich zu ihm war. Häufig kam es zu Streit. Derart schwere Auseinandersetzungen hatten wir noch nie zuvor in unserer Ehe miteinander erlebt. Es wurde laut, emotional verletzend und aufwühlend. Nach vielen Diskussionen und Streitereien musste etwas passieren. Als Ehepaar waren wir uns mittlerweile so fremd geworden, dass ich an unserer Liebe zweifelte. Zweimal überlegte ich, ob es vielleicht besser sei, getrennte Wege zu gehen. Wir taten uns nicht mehr gut und verletzten uns permanent mit Worten. Es war keine Freude mehr, in Davids Nähe zu sein. Wir konnten zwar noch gut als Eltern-WG funktionieren, aber natürlich spürten unsere Kinder die Spannungen zwischen uns.

Allerdings gab es hin und wieder Momente der Nähe. Ohne viele Worte zu verlieren, konnten wir uns trotz allem Frust und aller Distanz intim nah sein. Dies war fast unsere einzige Brücke, die noch geblieben war. Wieso konnte es so weit kommen? Ich war doch während der letzten zehn Jahre glücklich in meiner Ehe, oder? Wie konnte Tom einen Platz in meinem Herzen einnehmen, den ich eigentlich meinem Partner versprochen hatte?

„Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre schlummerte“

Tom fand mich toll und war begeistert von mir, von meinem Wesen und von Eigenschaften, die David eher nicht so spannend oder erwähnenswert fand. Tom schätzte meine Kreativität, meine Ideen, meine Sensibilität und fand mich als Frau einfach wunderbar. David brachte Lob und Wertschätzung nur sporadisch zum Ausdruck. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass David mir auf andere Weise seine Liebe zeigte.

Ich hatte meine Bedürfnisse vernachlässigt und viel zu selten reflektiert, was mir guttun würde. In den Kleinkindjahren war es leider fast ein Luxus für mich, mal ganz bewusst nach innen zu sehen und zu erkennen, was gerade für mich und uns als Paar dran ist.

Und plötzlich kommt jemand, der mich genau mit meinen Gaben wertschätzt, meine Bedürfnisse versteht und die offenbar brachliegenden Facetten meiner Persönlichkeit wahrnimmt. Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre einfach nur schlummerte. Ich sog die Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Tom wie ein Schwamm auf. Da war jemand, der mich wirklich sah.

Abschied von Tom

Ein heftiger Streit zwischen David und mir ließ mich plötzlich realisieren, dass es so nicht weitergehen konnte. Meine Gewissensbisse türmten sich zu einer großen Welle, die über mich hereinbrach. Mein Herz schlug, meine Beine zitterten ununterbrochen und ich weinte. David konfrontierte mich damit, dass ich mich entscheiden musste. Das tat ich auch! Nur ein paar Stunden nach diesem Vorfall beendete ich die Verbindung mit Tom. Schweren Herzens, aber klar und bestimmt.

Der Abschied von Tom war schmerzhaft. Es fühlte sich an, als würde ein Teil in mir sterben und zerfallen. Gleichzeitig entwickelte sich eine tiefe Erleichterung und ein Frieden in mir. Endlich gab es keine Gewissensbisse mehr, die mir täglich zusetzten. Außerdem wurde mir mehr und mehr bewusst, was passieren hätte können, wenn wir über das Schreiben hinaus weitere Schritte gegangen wären …

Und heute?

Es hat gedauert, bis ich wieder im Ehealltag ankam. In den Jahren davor waren David und ich mit unseren zwei Kindern vor allem als Team, als WG, als Mini-Management-Group unterwegs. In der Krise haben wir uns als zwei individuelle Persönlichkeiten neu entdeckt. Es war gut, sich selbst neu zu betrachten und zu fragen: Wo stehe ich? Was ist von mir als Persönlichkeit noch da und was ist zu einem großen Wir verschmolzen?

Mittlerweile sind die Gefühle für Tom tatsächlich abgeklungen. Zu Beginn war der Verzicht auf die Nachrichten von Tom wie eine Entwöhnung. Tatsächlich stellten sich mit der Entscheidung für David Vertrautheit, Gefühle und Frieden in unserer Ehe nach und nach wieder ein. Davids Vertrauen in mich und uns musste wieder aufgebaut werden. Es wurde stetig besser, brauchte aber sehr viel Zeit.

Ich bin keineswegs dankbar für diese Erfahrung – zu schmerzhaft und auslaugend war diese Zeit. Dennoch durften wir so viel lernen. Dafür bin ich absolut dankbar!

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Was hat geholfen?

  • Viele, viele Gespräche zu zweit: Wir versuchten, erst über dieses Thema zu reden, wenn die Kinder schliefen, aber es nicht zu spät werden zu lassen, weil unser Austausch nach 23 Uhr oft aus dem Ruder lief.
  • Körperliche Nähe: Auch wenn dies vielleicht paradox klingt: In manchen Phasen konnten wir uns nur auf körperlicher Ebene nahe sein – das hat unsere Ehe mit gerettet.
  • Freunde und Familienangehörige, die sich trauten, nachzufragen: Dies war leider wirklich eine Seltenheit. Wir versuchten, unsere Ehekrise nicht zu verheimlichen. Die wenigsten trauten sich aber, konkret nachzufragen. Dabei hätte ich mir so sehr mutiges Interesse gewünscht! Seitdem frage ich viel konkreter in meinem Freundes- und Familienkreis nach, wie es in den Ehen geht. Einsamkeit in schweren Zeiten ist kein guter Begleiter.
  • Ehe-Beratung: Wir haben beide schnell gemerkt, dass wir alleine nicht weiterkommen. Die Unterstützung einer Beratungsstelle war für uns massiv hilfreich. Eine Aussage der Beraterin half mir besonders: „Gefühle für jemanden außerhalb der Ehe zu entwickeln, ist völlig normal. Die Frage ist nur: Wie fair und ehrlich gehe ich damit um? Was mache ich draus?“
  • Professionelle Einzelberatung: Jeder von uns nahm persönliche Beratung oder psychologischen Support für sich in Anspruch. Es war gut, einen Rahmen zu haben, um diese Erlebnisse allein und ganz frei mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.
  • Der Eheabend: Unsere Eheberatung empfahl uns, einen festen Abend pro Woche für uns beide zu reservieren, und das machen wir seitdem. An diesem Termin wurde selbst in den schlimmsten Zeiten nicht gerüttelt, selbst wenn es alles andere als romantisch war. Doch diese Abende wurden zu einem emotionalen Anker für uns beide.
  • Eine Freundin: Für ihre Hartnäckigkeit und Ehrlichkeit war ich sehr dankbar. Sie ermutigte mich, an unserer Ehe festzuhalten und daran zu arbeiten. Sie sagte mir sehr oft: „Jeder Mensch hat wundervolle, aber auch herausfordernde Seiten. Das wird auch mit einem anderen Partner so sein.“ Völlig logisch, aber eben nur, wenn man nicht gerade frisch verliebt ist.

War’s das schon?

In der Midlife-Krise drängen wichtige Lebensthemen an die Oberfläche. Was hilft Paaren, damit klarzukommen? Wie kommen sie gut durch die Krise? Von Michael Hübner

Wolf Biermann beschrieb die Midlife-Krise schon 1977 in dem Lied „Das kann doch nicht alles gewesen sein“. War’s das wirklich schon?, fragt sich der Dichter. „Das bisschen Sonntag und Kinderschreien“? „Die Überstunden, das bisschen Kies, und abends in der Glotze das Paradies“? Müsste nicht eigentlich noch etwas Entscheidendes kommen oder wurde es bereits verpasst?

Midlife-Krise ist nachgewiesen

Zuerst wurde die Midlife-Krise belächelt. Mittlerweile ist sie allerdings wissenschaftlich belegt. Sie ist weder eine Krankheit noch Einbildung. Weder ist man „unmöglich“, noch kann man sich „einfach zusammenreißen“. Sie kann jeden in der sogenannten Lebensmitte treffen, also zwischen 45 und 55. Manche beziffern ihren möglichen Beginn sogar schon auf Mitte 30. Den einen treffen die typischen Gedanken dieser Krise wie ein plötzlicher Schock. Andere beschleicht langsam ein nagender Zwiespalt: Weiter so? Oder: Soll das schon alles gewesen sein?

Schlafstörungen, sexuelle Unlust, …

Weil wichtige Lebensfragen jahrelang verdrängt wurden, können sie mit Macht dann plötzlich und unerwartet aufbrechen. Sowohl Männer als auch Frauen sind betroffen und die Krise läuft bei Paaren eben nicht synchron. Hormone auch im männlichen Körper flachen langsam ab. Das kann sexuelle Unlust und Erektionsstörungen zur Folge haben. Aber unsere Hormone beeinflussen eben auch unser Fühlen, Streben und Verhalten. Männer und Frauen sind plötzlich sehr reizbar, leiden unter Schlafstörungen, fühlen sich abgeschlagen und müde.

Torschlusspanik macht sich breit

Manche Ehepartner stürzen sich in dramatische Abenteuer, getrieben von Minderwertigkeitsgefühlen. Torschlusspanik macht sich breit. Man will noch einmal alles haben und erleben, worauf man bisher verzichten musste: das heiß ersehnte Cabrio, die große Reise, sexuelle Abenteuer. Plötzlich zieht ein Familienvater in das Haus seiner Nachbarin, eine Frau verliebt sich in den Gruppenleiter oder in den Chef …

Leben aneinander vorbei

Wieder andere wechseln überstürzt den Job, wollen im Ausland das große Geld machen oder bestellen einen Termin beim Schönheitschirurgen. Und das Erschreckende: Dies alles geschieht nicht selten am Partner vorbei. „Ich habe plötzlich einen ganz anderen Menschen vor mir!“, sagen mir Eheleute in der Beratung. „Er spricht anders“, „Sie kleidet sich anders, macht alles anders“. Unerkannt bleibt, dass beide schon lange aneinander vorbei lebten. Sein Einfluss auf das Verhalten des anderen ist jetzt gleich Null. Der andere scheint nicht mehr erreichbar. Deutlich wird: Auf der Suche nach Erfüllung soll alles kompromisslos und schnell gehen.

Wie kommt es, dass es manchen Ehen gelingt, sich durch die Stürme der Midlife-Krise hindurch in ruhigere Gewässer zu retten, während andere daran zerbrechen? Fünf entscheidende Eckpunkte sollen dazu genannt werden. Ich möchte sie an dieser Stelle als lange hilfreiche Erfahrung aus der Eheberatung weitergeben:

1. Machen Sie sich die biologischen Zusammenhänge bewusst.

Die Midlife-Krise hat zunächst mit unseren körperlichen Abläufen zu tun. Panik um die zerrinnende Zeit, das tiefe Bewusstsein um die Unumkehrbarkeit der Vergangenheit fordert uns jetzt, die Verantwortung für diese Lebensphase, diese Krise zu übernehmen und die eigene Einstellung, nicht die des anderen, zu überdenken.

2. Vermeiden Sie Machtkämpfe!

Nichts führt so sehr in die Sackgasse jeder Beziehung wie Machtkämpfe. Woran sind Machtkämpfe zu erkennen? Es geht bei ihnen um Sieger oder Verlierer, richtig oder falsch, besser oder schlechter, oben oder unten. Das Denken kreist dabei darum, den anderen von der eigenen Richtigkeit und dessen Unrichtigkeit zu überzeugen. Man will ihn auf diesem Weg um jeden Preis verändern. Diese Haltung führt meist ins Gegeneinander, nicht ins Miteinander. Es entsteht ein „Ehekrieg“. Aus ihm auszusteigen, heißt, zu deeskalieren, „den Anker zu werfen“, dem anderen mitunter, wo es irgend geht, mit Nachdruck auch recht zu geben. Vor allem aber geht, es darum, dass jeder von sich selbst redet, von seinen eigenen Überzeugungen, seinem Empfinden und Erleben, seinen Gefühlen und seinen Wünschen, ohne sich über den anderen zu stellen oder ihn verändern zu wollen.

Erst nur Mauern

An dieser Stelle ein Blick in unsere Ehe: 2010 erzählte mir meine Frau von einer Idee. Sie würde gerne mit mir zusammen ein Sabbatical nehmen und ins Ausland gehen. Wenn ich nicht mitwollte, würde sie auch allein gehen. Fassungslos sah ich zunächst nur Unmöglichkeiten: Wie sollten wir das ohne schwere finanzielle Verluste meistern? Das Haus musste weiter abgezahlt, die Rente eingezahlt, der Arbeitgeber überzeugt, die Arbeit verteilt, den Mitarbeitern diese Planung klargemacht werden. Nein, nein, nein.

Plötzlich Möglichkeiten

So etwa ging es mir, bis ich über die Sache betete. Langsam gelang es mir, nicht mehr zu „mauern“. Lagen darin nicht auch Chancen? Jetzt konnte ich ihr Fragen stellen: „Warum möchtest du das gerne machen? Wie hast du dir das genau vorgestellt? Was bedeutet das für uns beide? Wie können wir das zusammen gestalten?“ Und schließlich, Stück für Stück, öffnete Gott, fast wundersam, alle Wege in diesem Gestrüpp der Undenkbarkeiten. Möglichkeiten in Kenia eröffneten sich. Rückblickend entstand gerade daraus für viele ein großer Segen bis heute, zum Beispiel unsere Hilfsorganisation „TS-Care“ für notleidende Familien in den Slums von Nairobi, und unser gerade erschienenes Ehebuch („Der Kick für die Partnerschaft“).

3. Wer jetzt überlegt handelt, wird es später nicht bereuen.

Wie immer kommt es nicht auf die Tatsachen an, die wir erleben, sondern darauf, wie wir mit diesen Tatsachen verantwortlich umgehen (nach Epiktet, Handbüchlein der Moral, S. 11). Paare können sich jetzt durch Worte, Verhalten, Rückzug oder Trennungsgedanken gegenseitig zutiefst verletzen. Eine „Aufbruchsstimmung“ muss allerdings nicht zur Katastrophe werden. Wir können diese Zeit als Herausforderung erleben. Wir können neue Wege einschlagen. Sie „kann als zweiter Frühling empfunden werden, als willkommener Neustart, als Drücken des ‚Reset‘-Knopfs für das eigene Leben“, so Redakteurin Kristina Kreisel bei FOCUS Online. Durch solche Krisen können Paarbeziehungen eben auch ganz neu reifen.

Jetzt geht es darum, beim anderen um eine gemeinsame Horizonterweiterung, um Veränderungen im Kleinen zu werben. Manche Paare suchen ein neues verbindendes Hobby oder machen gemeinsam Sport, gehen miteinander tanzen oder planen interessante Reisen.

Über sexuelle Vorstellungen reden

Ungesunde Umstände und Angewohnheiten können und sollten jetzt geändert werden. Vielleicht geht es auch darum, sexuelle Vorstellungen zu besprechen und in der Ehe auszuleben. Beginnen Sie die gemeinsamen Umgestaltungen im Kleinen und durchbrechen Sie eingefahrene Routinen wieder mit mehr Abenteuerlust. Reden Sie zusammen darüber, wie Ihr Leben aussehen könnte, wenn die nächste Lebensphase in 5, 10 oder 20 Jahren beginnt.

Auch gute Beziehungen und Freundschaften sind für jedes Paar elementar. Ein Paar, das sich nicht isoliert, sondern gut eingebettet weiß in eine Gemeinschaft, lebt gesund. Ich habe es oft erlebt, dass Paare es geschafft haben, gerade durch solch eine Krise zu einer gesunden, guten Änderung und Erneuerung ihrer Beziehung zu kommen.

4. Liebe ist eine Entscheidung!

Kämpfen Sie immer um das gemeinsame Wir! Mag sein, dass auch in Ihrer Ehe die „Schmetterlinge im Bauch“, Verliebtheitsgefühle und Romantik auf der Strecke geblieben sind. Auf Grundlage einer immer wieder neuen Entscheidung füreinander können Sie dennoch immer wieder entstehen.

5. Die beste Prophylaxe: Rituale

Wenn Sie längst vor der Krise hohen Wert auf Beziehungsriten gelegt haben, werden Sie langfristig positive Folgen ernten. Nehmen Sie sich regelmäßig Zeit für eine gemeinsame Tasse Kaffee. Auch der feste Termin für ein wöchentliches, etwa halbstündiges Ehe-Meeting unter dem Vorzeichen: „Wir wollen unser Projekt Ehe miteinander zum Ziel führen“, ist vielen gestressten Paaren zur Hilfe geworden. Impulse für solche Gespräche haben wir in unserem Buch zusammengestellt. Planen Sie ein jährliches Wochenende zu zweit, den Besuch eines Eheseminars oder -vortrags und natürlich regelmäßige gegenseitige Überraschungen und Freuden.

Und: Gehen Sie immer den ersten Schritt auf den anderen zu! Zeigen Sie einander Ihre Liebe im Alltag und strahlen Sie den anderen öfter mal wieder an, wenn er den Raum betritt.

Dr. (UNISA) Michael Hübner ist verheiratet mit Utina. Die beiden haben fünf erwachsene Kinder. Er ist Leiter der Beratungsstelle Therapeutische Seelsorge, Neuendettelsau.

Gegen den Riesen kämpfen

Wie können wir auf die Herausforderungen dieser Zeit gut reagieren?

Als er die Neuigkeiten hörte, konnte er nicht anders als zu seufzen. Schon wieder schlechte Nachrichten! Die riesigen Herausforderungen, die vor ihm lagen, waren kaum zu übersehen und zu überhören. Alle redeten darüber. Unheilschwanger lag Verunsicherung in der Luft wie ein trotziger Novembernebel.

Während ich mit den aktuellen Herausforderungen konfrontiert werde, fällt mir David ein. Der David aus der Bibel. Ein schlaksiger Hirtenjunge tapst mit einer Lunch-to-go-Box in das Gefechtsfeld eines Krieges. Allgegenwärtig die Riesen-Herausforderung. Das Volk Israel hatte kein anderes Gesprächs-Thema mehr: Sie dachten an den Riesen, seufzten über die Bedrohung, redeten beim Essen über den Riesen, vergaßen zu spielen und zu lachen. Sicher träumten sie auch von der Gefahr.

Was mir schon als Kind beim Hören der Bibelgeschichte besonders ins Herz schoss, ist die Empörung über den Riesen Goliath, der sich über Gott lustig macht. Er lacht das Volk Israel aus für ihren Gott. David ist schockiert darüber. Er beginnt seinen Kampf gegen den Riesen, indem er die Fokussierung auf ihn aufhebt: Er bringt Gott ins Spiel. Ja, Gott.

Und ich frage mich heute, ob es nicht auch bei mir an der Zeit ist, fromm zu sein. Das Wort „fromm“ kann „scheinheilig“ bedeuten, aber das meine ich nicht. Auf keinen Fall möchte ich Plattitüden herumschleudern. „Fromm“ heißt für mich: vom Glauben an Gott geprägt.

Ich möchte wie David an Gott denken. An das, was er in meinem Leben schon Gutes getan hat. Und dass er mich nicht vergessen hat. Ich möchte Gott ins Gespräch bringen und anderen helfen, sich aus der Fokussierung auf die Riesensorge zu lösen. Das kann ganz praktisch werden:

  • Ich lese alte Family-Magazine und verschicke sie anschließend an alte Weggefährten.
  • Ich reduziere den Konsum von Nachrichten und Talkshows.
  • Ich suche mir bewusst Künstler, die ich durch einen Download unterstützen kann.
  • Ich nehme den November wahr als herbststürmische Vorbereitung auf den Advent.
  • Ich höre Hörbücher und entdecke Klassiker neu.
  • Ich sitze am Fenster und sehe nach draußen.

Ich will meinen Herzensfokus singend und betend auf Gott richten. Ja, das klingt fromm. Vielleicht auf den ersten Blick etwas unbelesen und unreflektiert.  Als mir dieser Vorwurf gemacht wurde, habe ich den Sorgenriesen grölen hören und mich machtlos, uninformiert und überfordert gefühlt. Aber meiner Familie helfe ich so erschöpft nicht. Ich will aus der Wolke der Kommentare und Vermutungen bewusst aussteigen und fromm sein. Meine Kraft für das Gestalten der Familienzeiten nutzen, mich in Nähe üben und Gott ins Spiel bringen.

Und wenn der Riese in mir besiegt ist, ist auch wieder Zeit für Talkshows und Dokumentationen.

Stefanie Diekmann

Behüte dein Herz!

Nicht selten komme ich mir gerade so vor wie ein Kaktus: Um mein Herz zu schützen, fahre ich Stacheln aus. Fein, stark und mit Widerharken. Ganz unterschiedlich können diese sein: Ich bin empört, ich schweige oder ich gehe in den wortreichen Gegenangriff. Wann ich stachelig werde? Ach, beim vollen Biomülleimer, dem fragenden Blick meines Sohnes, einer anklagenden Mail, einem Post mit schönen Fingernägeln. Irgendwie sehr schnell und sehr oft.

Diese Pandemie macht etwas mit uns allen. Mit mir. Ich sollte mich aber nicht nur um Finanzen und Wirtschaft sorgen, sondern die Aufforderung Gottes ernst nehmen: „Behüte dein Herz!“ Mein Herz braucht gerade einen Schutzraum im Rahmen der Lockerungen in der erlebten Krise. Ich will näher hinsehen: Wie geht es mir damit? Was sind meine ausgefahrenen Stacheln? Wo sind sarkastische Untertöne über Freunde, Fremde oder Politiker in meinen Alltag eingezogen? Wo habe ich das Gefühl, nicht gesehen zu werden? Wo ist der Ton in meiner Familie rauer geworden? Wen halte ich auf Abstand? Von wem bin ich verletzt worden?

Ja, ich fühle mich wirklich wie ein hormongesteuerter Teenager, der seine empfindsame Seele mit Stacheln schützt, um nicht verletzt zu werden. Überall lese ich von Lockerungen und dabei schnürt sich mein Herz mir zu. Ich befürchte, diese Zeit nicht gewinnbringend genutzt zu haben, mich nicht genug über die Chancen gefreut zu haben. Ich habe jeden Tag überlebt. Mehr nicht. Und vor allem nicht weniger!

Ich schütze mich, weil mir viel auffällt, was ich NICHT lebe und schaffe. Dabei brauche ich gerade jetzt jemanden, der sagt: Trau dich wieder in deinen Familienalltag. Mach dich locker, wenn noch kein Rhythmus zu erkennen ist und ihr als Familie derzeit um 16.00 Uhr Mittag esst. Mach dich locker, wenn du genervt vom Schulwiedereinstieg bist. Mach dich locker, wenn du die Präsenz deines Mannes nicht immer feierst.

Ich schütze mich mit Stacheln und ersehne dabei so sehr, dass jemand in mein Herz spricht und es wagt, mich zu sehen. Ich bin so froh, dass ich nicht stachelig bleiben muss. Denn das macht mich einsam und zickiger, als ich sein möchte. Ich male mir aus, wie Gott mich umarmt und sich nicht in die Flucht stacheln lässt. Wie gut!

Ich kann mit dieser Vorstellung spüren, dass die gerade erlebten Lockerungen Veränderungen wie alle sind und Kraft kosten. Immerhin schaffe ich es, den Impuls zu unterdrücken, die drängelnden Senioren an der Kasse scharf anzuzischen und stattdessen zu zwinkern. Ein kleiner Anfang – aber für mich heute ein Schritt, mein Herz zu behüten.

Stefanie Diekmann, Gemeindereferentin