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Der Holzwurm der Ehe

Wenn Nebensächliches an der Beziehung nagt. Von Susanne Ospelkaus

Vor ein paar Monaten musste eine Kirche in unserem Landkreis geschlossen werden. Nagekäfer hatten sich durch das Gebälk geknuspert. Um genau zu sein: Es waren Larven des Anobium punctatum, bekannt unter der Bezeichnung „Holzwurm“. Im Verborgenen vernaschen sie totes Holz und haben dabei einen erstaunlichen Appetit. Im Verborgenen wollen Kleinigkeiten unsere Beziehungen zernagen. Dabei geht es nicht um die großen Themen wie Sexualität, Religion und Erziehung oder Geld, Gesundheit und Genussmittel. Es geht um die Kleinigkeiten, die sich summieren. Aus Missverständnissen und Enttäuschungen erwächst ein Monsterkäfer, der jede Liebe und Vertrautheit vertilgt.

AMÜSANT, SOLANGE ES UNS NICHT BETRIFFT
Jeder kennt diese Kleinigkeiten. Vielleicht empfand man sie am Anfang der Beziehung süß, hinreißend oder lustig. Comedy Shows sind voller Beispiele über die wir lachen, so lange sie uns nicht betreffen. Da ärgert sich ein Partner, wenn man …
… an der Butter kratzt, statt schneidet.
… die Socken herumliegen lässt.
… den Autoschlüssel jedes Mal an einen anderen Platz legt.
… das Bett nicht macht.
… den Schrank offen lässt.
… beim Essen schmatzt.
… die Gabel seltsam hält.

WAS STECKT DAHINTER?
Ich habe auch solch ein Getier in meiner Ehe, das mich am Mittagstisch piesackt: Mein Mann zerdrückt sein Essen! Mit der Gabel macht er aus jeder Speise eine Pampe. „Soll ich es dir pürieren?“, erkundige ich mich genervt. Wenn ich mich beherrsche und nichts sage, fragt er: „Wieso guckst du so?“ „Wie denn?“ „Na so!“ Jeder andere würde sich über uns amüsieren. Ich habe das Tierchen untersucht, das mich zu Tisch befällt. Ich interpretiere das zermatschte Essen als Kritik an meiner Kochkunst. Würde es ihm schmecken, müsste er es doch nicht zerdrücken, oder? „Nein, mein Schatz, es ist genau andersherum. Weil es mir so gut schmeckt, zerdrücke ich es.“ „Ach so?“ Für den Fall, dass wir mal in ein Feinschmeckerrestaurant gehen, hat er mir versprochen, sein Essen nicht zu zerdrücken. Es gibt auch Dinge, die ihn an mir nerven, wie ein lästiges Insekt, das immer wieder kommt. Ich wurstle das Handtuch nach dem Benutzen über die Trockenstange. Er ist empört, wie solle es nun trocknen? „Wieso kannst du es nicht ordentlich aufhängen?“ „Wieso ist es dir so wichtig?“ Mein Mann überlegt. Hinter dem Wunsch, dass ich das Handtuch sorgfältig hinhänge, steckt die Bitte nach einer Vorbildfunktion für unsere Kinder. Räume gewissenhaft auf!

WIESO STÖRT ES MICH GERADE JETZT?
Unliebsame Angewohnheiten schlummerten schon in unserer Beziehung, als wir uns kennenlernten. Doch spürbar wurden sie erst, als die Routine im Alltag einzog. Nähe und Gewöhnung schufen die Bedingungen dafür, dass Unarten reiften, schlüpften und schließlich durch die Zweisamkeit krabbelten. Die besondere Vertrautheit in einer Ehe macht uns sensibel füreinander, aber auch manchmal überempfindlich. Bei Menschen, die uns nicht so nah stehen, können wir eine Unart leichter aushalten. Tauchen sie bei der Chefin, dem Pfarrer oder einem Bekannten auf, wedeln wir sie weg. Doch gegenüber unserem Partner machen wir aus einer mückengroßen Unart einen Elefanten.
Die Vertrautheit in der Ehe ist groß, die Hemmschwelle niedrig. Der Partner lässt seine Kleidung vor dem Bett liegen: wir stöhnen, grummeln, verdrehen die Augen. Die Haare der Partnerin hängen im Abfluss und schweben in der Wohnung: wir klagen, motzen, explodieren. Da entzündet eine Kleinigkeit angestauten Frust und der Partner bekommt die Detonation ab. Der Ärger über die Unart des Partners wird zu einem Brandbeschleuniger für die eigene Unzufriedenheit, aber wir sollten uns ehrlicherweise fragen: Worum geht es wirklich?

AUS LIEBE
Ein Freund – er ist wirklich ordnungsliebend – beklagte sich über die Kalkflecken am Wasserhahn. Seine Partnerin könne sie doch wegwischen, man müsse doch nur mit einem Tuch … das könne sie doch aus Liebe tun. Ich amüsierte mich über die unwichtigen Kalkflecken. Doch Moment mal, andere werden das zerdrückte Essen oder das verwurstelte Handtuch auch lächerlich finden. Könnte ich nicht aus Liebe …? Ja, was denn? Mich verändern? Die Aussage: „Wenn du mich liebst, dann kannst du dies und jenes für mich tun …“ ist Manipulation! Der Psychotherapeut Paul Watzlawick hat die Bücherlandschaft um den schönen Titel „Wenn du mich liebtest, würdest du gerne Knoblauch essen“ bereichert. Daran wird das Problem schon deutlich. Hier werden Beweise für die Liebe verlangt. Aber alles Wichtige im Leben, wie Vertrauen und Liebe lässt sich nicht beweisen. Es ist Gewissheit. „Wenn du mich liebst, dann …“ mit dieser Aufforderung kann man zielgerichtet und präzise die Ehe zerstören. Wie soll der Partner sich verhalten? Handelt er nach der Aufforderung, macht er es vielleicht lieblos, nur aus einer Pflicht heraus. Handelt er nicht, ist es ein Beweis, dass er nicht liebt. Jede Reaktion ist falsch, weil die Anforderung falsch ist. Ist eine aufgeräumte Unterhose tatsächlich ein Liebesbeweis? Taten der Liebe sind sehr speziell und persönlich. Eine weitere Reaktion könnte sein: „Ja und wenn du mich liebst, dann würde dich meine Unart nicht stören.“ Spätestens jetzt gewinnt der Ehestreit an Tempo. Die Holzwürmer freuen sich auf die Achterbahn und schreien: „Jippie!“ Wir können keinen Liebesbeweis einfordern und wir dürfen unseren Partner nicht für das eigene Glück verantwortlich machen. Auch wenn uns manche Macken nerven, unsere Zufriedenheit liegt nicht in den Händen unseres Partners. Unsere Zufriedenheit liegt in Gottes Händen. Bevor wir uns beim Partner beschweren, sollten wir zuerst mit Gott darüber reden. Gelassenheit kommt eher aus dem Himmel als durch die Taten von Menschen.

KAMPF DEM UNGEZIEFER
Als wir uns eine Katze zulegten, beherbergten wir gleichzeitig eine Flohpopulation. Es war schrecklich. Wir holten uns Rat und kauften Mittelchen, um alle Entwicklungsstufen des Flohs zu eliminieren. Wir wuschen Kissen und Decken, röchelten mit dem Staubsauger in jede Ecke und unter jedes Polster. Es hat uns Mühe und Zeit gekostet, bis unser Haushalt flohfrei war. Der Umgang mit lästigen Kleinigkeiten kostet Disziplin. Selbstdisziplin! Ich darf mich nicht auf die Macke meines Partners konzentrieren. Ich könnte schon mit der Erwartung aufstehen: „Na, ob ich gleich über seine Klamotten stolpere?“ oder „Ob sie wieder die Shampooflaschen offengelassen hat?“ Diese Gedanken lassen den Holzwurm wachsen. Er dehnt sich aus und verschlingt den liebevollen Guten-Morgen-Gruß. Damit ich den Wurm unter Kontrolle habe, räume ich dies oder jenes auf. Eine schlichte Handlung, die mich Überwindung kostet, aber mir nicht meinen Seelenfrieden raubt. Ich will keine Insekten in meinem Herzen und auch nicht in meiner Beziehung. In einem ruhigen Moment kann ich sagen: „Alexander, mich stört, wenn du …“, und muss darauf gefasst sein, dass er mir auch meine Versäumnisse aufzeigt. Wie wäre es, wenn jeder dem anderen zwei Unarten „schenkt“? Ich ärgere mich nicht über deine Socken vor dem Bett und du beschwerst dich nicht über die zerkratzte Butter. Ich schimpfe nicht mehr über den offenen Kleiderschrank und du beschwerst dich nicht mehr über die Messer, die verkehrt herum in der Spülmaschine stehen.

Susanne Ospelkaus lebt mit ihrer Familie in Zorneding bei München, bloggt unter www.buchstabenkunst.de und arbeitet als Ergotherapeutin.