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0 bis 2 – Ernährung: Wenig Zucker, leichte Geburt?

Elternfrage: „Ich bin jetzt im sechsten Monat schwanger und über die Louwen-Ernährung gestolpert, die die Geburt erleichtern soll. Was ist das und wie sinnvoll ist es, sich so zu ernähren?“

Kurz gesagt geht es bei der Louwen-Ernährung um eine Optimierung der Ernährung in den letzten sechs bis acht Schwangerschaftswochen mit dem Ziel, eine Übertragung zu vermeiden, die Geburt – besonders die erste Phase (die sogenannte Latenzphase) – zu verkürzen und das Schmerzempfinden zu reduzieren.

In dieser Zeit sollen die Schwangeren auf Kristallzucker und Weißmehlprodukte verzichten. Oft wird gefordert, nur Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index (die den Blutzuckerspiegel nicht schnell ansteigen lassen) zu verzehren, aber das ist eine erweiterte Variante, die nicht von Professor Louwen, dem Urheber der gleichnamigen Ernährungsform, stammt.

Was dahintersteckt

Der theoretische Hintergrund ist folgender: Besonders Industriezucker und Weißmehlprodukte lassen den Insulinspiegel stark in die Höhe schnellen. Dieses Insulin dockt an denselben Rezeptoren an, die auch das Prostaglandin benötigt, um seine Wirkung zu tun. Das Hormon Prostaglandin wird in den letzten Schwangerschaftswochen und zur Geburt hin vermehrt gebildet. Seine Aufgabe ist es, den Muttermund und die Zervix reifen zu lassen, also weich und empfänglich für eine effektive Wehentätigkeit zu machen.

Dieser Aufgabe kann es nicht nachkommen, wenn seine Rezeptoren durch Insulin besetzt sind. Auch das Schmerzempfinden ist stärker, wenn die vom Körper produzierte Menge an Prostaglandin seinen „Landeplatz“ nicht finden kann, weil dieser belegt ist. Außerdem ist die Reduzierung der Gewichtszunahme bei Mutter und Kind ein positiver Effekt bei dieser Art der Ernährung.

Entspannung geht vor

Ich halte dies für eine sehr schlüssige Theorie, zu der es allerdings leider – meines Wissens nach – noch keine Studien gibt, die sie bestätigen. Trotzdem glaube ich, dass sie einen Versuch wert ist. Leider kann ich auf keine eigenen Erfahrungen zurückgreifen, sodass ich mich nur mit der Theorie beschäftigen konnte, und diese klingt für mich logisch und nachvollziehbar. Abgesehen davon ist es für jeden Menschen in jeder Lebensphase gesund, auf die genannten Produkte zu verzichten.

Aber eines ist mir zu diesem Thema wichtig zu sagen: Quälen Sie sich nicht! Lassen Sie es sich besonders in den letzten Wochen der Schwangerschaft vor allem gutgehen. Gehen Sie spazieren und gönnen Sie sich so viel Entspannung wie nur möglich. Und wenn dazu ein Stück Schokolade oder Kuchen gehört, darf das hin und wieder auch mit Freude genossen werden – manchmal braucht die Seele das einfach.

Martina Parrish war viele Jahre lang Hebamme und Stillberaterin und lebt in Berlin.

Lena wagt eine zweite Schwangerschaft – obwohl die erste traumatisch war

Nach einer Frühgeburt will Lena Bischoff nie mehr schwanger sein. Doch in ihr wächst der Wunsch nach einem zweiten Kind.

Nachdem mein Sohn in der 33. Schwangerschaftswoche zu früh auf die Welt kam, konnte ich mir lange Zeit kein weiteres Kind vorstellen. Ich war ziemlich traumatisiert und erschüttert von den Erlebnissen und einfach nur froh, dass es meinem Sohn gut ging. Ich wollte nicht noch einmal eine Schwangerschaft durchstehen, war sie doch von Anfang an geprägt von Ängsten und Zweifeln. Gerade da ich nun schon ein Kind zu Hause hatte, wollte ich nicht in die Situation kommen, zwischen zwei Kindern hin und hergerissen zu sein.

Und trotzdem erwachte in mir der leise, zaghafte Wunsch, es noch einmal zu versuchen. Wir genossen die Zeit mit ihm und fanden es schön, ein Kind in unserem Leben zu haben. Und was, wenn es diesmal gut gehen würde? Was, wenn ich eine schöne Schwangerschaft erleben würde oder gar eine natürliche Geburt? Was, wenn der kleine Sohn zum großen Bruder werden würde? Je näher der zweite Geburtstag unseres Sohnes rückte, umso stärker wuchs der Wunsch einer erneuten Schwangerschaft in mir. Umso mehr rückten auch die Erinnerungen und Erlebnisse in den Hintergrund. Meinem Mann ging es ähnlich. Noch einmal. Dachten wir uns. Noch einmal wagen. Noch einmal aufbrechen.

Ein Lied gibt Lena Kraft

Ich musste in dieser Zeit des Ringens immer an das Lied „Ich brech‘ noch einmal auf“ von Cae Gauntt denken, das mich ermutigte. Denn ich war, wie im Lied beschrieben, auf der Suche. Auf der Suche nach dem richtigen Weg. Als Christin war ich auf der Suche nach Gottes Antwort auf unseren Wunsch. Ich wusste, ich würde ihn brauchen, wenn wir es wagen würden. Ich wusste, allein konnte ich es nicht schaffen. Aber ich wollte es schaffen. Mut und Angst. Mein Dauerthema.

Aber es war definitiv an der Zeit für einen Mutausbruch. Mein starker Wunsch zeigte mir das. Und wie es in dem Lied heißt: „Ich lass zurück, was mich hält und ich geh … und die Frage, wie und wo es weitergeht, wird zum Gebet“. Natürlich ist das Lied nicht auf meine Situation zugeschrieben worden, aber ich sah es als mein Mutmachlied an, denn ich hatte Sehnsucht und ich wollte den Weg gehen. Und das nicht allein.

Risikoschwangerschaft

Und entgegen meiner Erwartung wurde ich sofort schwanger, nachdem wir den Entschluss gefasst hatten. Ich bin sehr dankbar dafür, denn ich weiß nicht, ob ich meine Meinung nicht doch geändert hätte, wenn es lange gedauert hätte. Wir freuten uns sehr.

Die Schwangerschaft war geprägt von Vorsorge und Kontrolle. Ich war in mehrfacher Hinsicht risikoschwanger, und die Klinik und mein Arzt wollten mich engmaschig kontrollieren. Das tat mir gut und gab mir Sicherheit. Natürlich hätte es im Ernstfall nicht wirklich helfen können, aber dennoch brauchte ich für das Aufrechterhalten meines Mutausbruches diese medizinische Bestätigung.

Furcht ist omnipräsent

Ich dachte immer wieder an Gottes Zusage: „Fürchte dich nicht!“ Es war wie eine Stimme in der Nacht, wie eine kleine Erinnerung im stressigen Alltag, immer wieder kam ein leises, kleines „Fürchte dich nicht!“ in meine Gedanken gehuscht und ließ mich aufatmen. Ich wollte vertrauen. Ich wollte mutig sein. Ich wollte Zuversicht haben. Und doch fürchtete ich mich. Immer wieder. Immer mehr.

Von Woche zu Woche spitzte sich mein schlechtes Gefühl zu. Ich betete und fragte mich, wie ich die Wochen, diese hoffentlich vielen, vielen Wochen überstehen sollte, wenn mein Mutgerüst schon am Anfang zu wanken begann. Ich betete. Meine Gebete sind meistens „Bitte, Gott“ oder „Danke, Gott“. Und ich vertraue darauf, dass er versteht. Dass er mich kennt.

Eine Enttäuschung wird zum Segen

Am nächsten Tag hatte ich wieder einen dieser vielen Vorsorgetermine. Ich war etwas erschüttert, als man mir sagte, dass mein Arzt krank sei, aber die Vertretung mich sehen würde. Ich hatte Vertrauen in ihn, war er doch vor der Schwangerschaft sorgfältig von mir ausgesucht worden. Ich konnte mich schlecht darauf einlassen, mir von einem anderen Arzt eine Meinung geben zu lassen. Ich war in dieser Zeit sehr abhängig davon, was die mir vertrauten Schulmediziner zum Kind in meinem Bauch sagen. Mein eigentlich gesundes Bauchgefühl hatte sich von meiner Angst in den Hintergrund drängen lassen. Und in Zeiten, in denen man sein Kind noch nicht dauernd spürt, fiel es mir schwer, zuversichtlich zu bleiben.

Ich saß etwas geknickt im Behandlungszimmer und wartete auf die Vertretung. Herein kam eine junge Ärztin, selbst Mutter von zwei Söhnen, einfühlsam, empathisch, freundlich, zugewandt. Der erste Arzt, der mich in diesen 16 Wochen fragte, wie es mir seelisch ging. Dem Baby ging es bestens, aber sie sah meine Vorgeschichte und fragte, ob ich Hilfe hätte und wie ich durch die Wochen käme.

Entscheidender Tipp

Augenblicklich musste ich weinen. Ich merkte, wie viel sich in mir angestaut hatte, wie sehr ich mich immer zusammenriss – für meinen Mann, meinen Sohn und mich. Ich sagte, dass ich es aktuell nicht mehr gut schaffen würde. Sie gab mir eine Nummer einer Hebamme, die geschult war in „Emotioneller Erster Hilfe in der Schwangerschaft“. Das kannte ich bis dahin nicht. Es klang aber gut.

Ich rief an und sprach mit einer freundlichen Frau, die aufmerksam zuhörte, mich gut spiegelte und reflektierte und versprach, vorbeizukommen. Dieser Anruf war die beste Entscheidung in meiner Schwangerschaft. Fortan begleitete mich diese vom Himmel geschickte Hebamme in allen meinen Ängsten, Freuden, alten Lasten, neuen Sorgen und Herausforderungen. Sie wurde wichtig für unsere ganze Familie.

Die Hebamme hilft

Sie fing nicht nur mich auf, sie sah auch meinen Mann und meinen Sohn. Sie spürte Stimmungen – ich konnte ihr nichts vormachen. Sie schaffte es, dass ich mir selbst authentisch begegnen und meine vorherige Schwangerschaft aufarbeiten konnte. Dass ich Frieden damit fand und versöhnt wurde mit meiner Geschichte. Es kamen bereits vergessen geglaubte Gefühle hoch, die ich ernsthaft angehen und auflösen konnte. Geblieben ist die Freude über meinen Erstgeborenen, die große Dankbarkeit für sein Leben, seine Gesundheit, seinen Charakter, der uns täglich bereichert.

Neues Vertrauen

Es gab eine Zeit, in der ich richtige Panik durchlebte, was an uns allen zehrte. Diese Hebamme war neben meinem Mann und meiner Familie wie ein Anker für mich, ein Lichtblick, eine kleine Rettungsweste, an die ich mich klammerte. Sie wusste genau, was ich wann brauchte, sei es ein Gespräch, medizinische Ratschläge, Hebammenwissen oder eine Ganzkörpermassage, um mich wieder zu erden. Sie half mir, hinter meinem Mutausbruch zu stehen, mich auf das Baby zu freuen, Vorfreude überhaupt erst zuzulassen und dem kleinen Menschen in meinem Bauch den Platz in unserer Mitte einzugestehen, den er verdient hatte.

Sie half uns, gemeinsame Rituale zu entwickeln, um Kontakt zum Babybruder aufzunehmen und den Großen mit einzubinden. Sie gab mir Sicherheit und Vertrauen in meine eigenen Instinkte zurück. Ich begann am Ende der Schwangerschaft sogar zu träumen, mir Wünsche einzugestehen, mich auf die Geburt vorzubereiten und es für möglich zu halten, dass es diesmal anders kommen würde.

Eine tolle, schöne Geburt

Und es wurde belohnt. Nicht nur durch einen wundervollen zweiten Sohn, sondern auch durch eine tolle, schöne Geburt, die mich mit vielem versöhnte, mir einen großen Frieden schenkte und mir ein erholsames, entspanntes Wochenbett erlaubte, wo wir alles sacken lassen konnten und uns fallen ließen. Es flossen Tränen der Freude und Erleichterung, der Anspannung und der Entspannung. „Ich brech’ noch einmal auf“.

Ich wünsche jeder Schwangeren, die traumatisiert ist, schwere Erlebnisse hatte oder einfach Angst hat, so eine Begleitung. In vielen Ländern in Europa finden sich Hebammen mit dieser Zusatzqualifikation (emotionelle-erste-hilfe.org). Die Leistungen werden komplett von der Kasse übernommen. Die Hebamme hat uns allen diese Monate erleichtert und ist uns die erste Zeit mit zwei Kindern immer mit viel Herz und Liebe zur Seite gestanden.

Von Lena Bischoff

Mutter Carina richtet Appell an Mamas: Redet ehrlich miteinander!

Carina Nill spricht offen über Freude und Frust des Mama-Seins. Das kostet sie Überwindung – und zahlt sich aus.

Meine Schwägerin erwartet ihr zweites Kind. Als ich bei der Verkündigung freudig frage, wie es war, es zu erfahren, ob der Schwangerschaftstest aufregend war und die Warterei bis dahin auszuhalten, antwortet mein Schwager irritiert und kühl: „Hä, ne – es war ja geplant!“ Mein Herz zieht sich leicht zusammen – wie schön wäre es, wenn es immer so einfach wäre.

Ich habe es so erlebt: Elternsein im Kopf und im Herzen beginnt schon, bevor man das eigene Baby im Bauch oder auf dem Arm trägt. Elternsein beginnt oft schon mit dem Kinderwunsch. Spätestens jetzt wachsen Vorstellungen, Vorhaben und Vorurteile … Und ja, es stimmt: Es verlangt viel Weisheit, mit diesen eigenen Ideen und denen im Familien- und Freundeskreis umzugehen – egal, ob in der Kinderwunschzeit, der Schwangerschaft, der Kleinkind- oder der Kindergartenkindphase.

Von Fehlgeburt bis Notkaiserschnitt alles erlebt

Aber die Zeit unseres Wunsches, Eltern zu werden, ist zu lange her, um bei meinem Schwager präsent zu sein. Und meine Schwägerin kam erst danach in unsere Familie. Sie erkennt mein Schlucken und zaghaftes Lächeln und fragt nach. Und ich erzähle – obwohl sie frisch schwanger ist. Ich erzähle, weil ich es immer schon erzählt habe. Ich erzähle, obwohl es mich manchmal alles kostet: Mut, Kraft, Ehrlichkeit. Aber ich erzähle auch, weil ich an diesem Mut anderer Frauen gewachsen bin und getröstet wurde.

Bevor wir unseren ersten Sohn bekamen, haben wir eine kleine Bandbreite der Möglichkeiten erlebt, die es auf diesen Wegen zu erleben gibt: Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft, Windei, Blutungen und Sorgen in der Schwangerschaft bis hin zum Notkaiserschnitt. Hoffnung und Enttäuschung, Schmerz und Wut, Fragen und Zweifel und neues Vertrauen.

Erzählungen anderer spenden Trost

Und ich habe es immer erzählt. Unter Tränen, hoffnungslos und hoffnungsvoll, Trost suchend oder Trost spendend. Es war mir immer eine Hilfe und ein Anliegen, dass unsere Freunde und Familie darüber Bescheid wussten. Viele waren zeitgleich schwanger. Manche erlebten schließlich ähnliches, und so war unsere Ehrlichkeit ein großer Gewinn. Und es war ein Segen, uns gegenseitig zu haben, voneinander zu wissen, miteinander zu fragen und zu verarbeiten.

Ich finde, dieser Mut, von unseren Erfahrungen zu erzählen, hat sich ausgezahlt. Ich war dankbar, vor meinen eigenen Verlusten von Frauen zu wissen, die ähnliches erlebt hatten, und mich bei ihnen verstanden zu fühlen. Hätten andere Frauen diese Realität, so schwer und herausfordernd sie ist, nicht mit mir geteilt, hätte ich mich oft einsamer und hilfloser gefühlt.

„Du dumme Mama“

Auch später, beim schmerzhaften Stillen, habe ich mich dankbar an eine Kollegin erinnert, die sich vor Jahren beim Stillen ihres Babys die Tränen wegwischte und gestand: „Das tut so weh!“ Und als mir der Große das erste Mal „Du dumme Mama“ vor die Füße knallte, war ich erleichtert, dass eine Mama aus dem Hauskreis schon vor Monaten das Gleiche (mit dem gleichen Entsetzen) zu berichten hatte.

Diese Erfahrung nehme ich durch die Jahre bis heute mit. Ich möchte all das Gute und Schöne, die vielen kleinen Freuden, die großen Entwicklungsschritte, Erziehungserfolge und Glücksmomente des Elternseins teilen: aufrichtig und unübertrieben. Aber ich wünsche mir auch, dass es erlaubt ist, in meinem Hier und Jetzt erschöpft zuzugeben, dass Junior immer noch nicht durchschläft, dass Zähneputzen zu einer choreografischen Meisterleistung werden muss oder dass ich ratlos Rat suche, weil die Streitereien zwischen den Brüdern einfach nicht aufhören.

Offen mit Versagen umgehen

Inzwischen gehen beide Jungs in den Kindergarten. Beim Abgeben am Tor frage ich mich gelegentlich, ob eigentlich andere Mütter auch schon 17 Nervenzusammenbrüche erleiden, bis sie hier ankommen. Natürlich teilt man seine Geschichten und seinen Alltag nicht mit allen, dennoch nicken wir Mütter uns scheinbar wohlwissend zu.

Auch unter Freunden kostet es mich oft alles, mir und anderen gegenüber einzugestehen, dass ich in vielem gern geduldiger, belastbarer und humorvoller wäre. Auch hier nehme ich oft unter Tränen meinen Mut zusammen und vertraue Freundinnen oder Familie – mit Kindern in unterschiedlichem Alter – meine Gegenwart an: Sorgen, Versagen, Unzulänglichkeiten und mein „Das wollte ich eigentlich anders machen“. Manchmal verändert es Freundschaften, wenn man erkennt, dass man unterschiedliche Erziehungsstile oder Ansichten hat – dann schmerzt diese Ehrlichkeit, zu der man sich durchgerungen hat.

Manchmal fühle ich mich nach so einer Offenbarung auch beobachtet oder bewertet. Aber manchmal ernte ich nach den ersten unverständlichen Blicken jüngerer Mütter ein paar Monate später ein seufzendes: „Jetzt weiß ich, was du meintest! Das war gut zu hören.“ Und dann bin ich froh, dass ich darüber gesprochen habe und nicht hinterher um Mitgefühl oder gute Ratschläge ringen muss.

Ehrlichkeit – ohne Angstmachen

Also doch: Obwohl es mich immer wieder so viel kostet, mich mit dem Teilen meiner Gegenwart verletzbar zu machen, ist es vielleicht das Kostbarste, was wir miteinander teilen können: aufrichtige Ehrlichkeit – ohne Angstmachen, aber auch ohne Schönreden. Ich jedenfalls bin dankbar für alle, die ihr „So ist es gerade“ miteinander teilen – egal, wer von uns gerade die (un-)realistischeren Vorstellungen hegt.

Carina J. Nill arbeitet als Kunst- und Lerntherapeutin und „künstlert“ Bilder und Bücher, z. B. „Count your Blessings: Mein kreatives Segen-Sammelbuch“. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei wunderbaren wilden Söhnen in Deizisau bei Esslingen.

Warum sagt einem das vorher keiner?

In der Family 5/21 schrieb Simone Oswald darüber, wie viel Realität Schwangere ertragen können und wie ehrlich Mütter ihnen gegenüber sein sollten. Darauf haben uns zwei Rückmeldung erreicht.

OHNE ANGSTMACHEN, OHNE SCHÖNREDEN

Carina Nill hat gute Erfahrungen mit einer mutigen Ehrlichkeit gemacht.

Meine Schwägerin erwartet ihr zweites Kind. Als ich bei der Verkündigung freudig frage, wie es war, es zu erfahren, ob der Schwangerschaftstest aufregend war und die Warterei bis dahin auszuhalten, antwortet mein Schwager irritiert und kühl: „Hä, ne – es war ja geplant!“ Mein Herz zieht sich leicht zusammen – wie schön wäre es, wenn es immer so einfach wäre.

Ich habe es so erlebt: Elternsein im Kopf und im Herzen beginnt schon, bevor man das eigene Baby im Bauch oder auf dem Arm trägt. Elternsein beginnt oft schon mit dem Kinderwunsch. Spätestens jetzt wachsen Vorstellungen, Vorhaben und Vorurteile … Und ja, es stimmt: Es verlangt viel Weisheit, mit diesen eigenen Ideen und denen im Familien- und Freundeskreis umzugehen – egal, ob in der Kinderwunschzeit, der Schwangerschaft, der Kleinkindoder der Kindergartenkindphase.

TROST SUCHEN UND SPENDEN

Aber die Zeit unseres Wunsches, Eltern zu werden, ist zu lange her, um bei meinem Schwager präsent zu sein. Und meine Schwägerin kam erst danach in unsere Familie. Sie erkennt mein Schlucken und zaghaftes Lächeln und fragt nach. Und ich erzähle – obwohl sie frisch schwanger ist. Ich erzähle, weil ich es immer schon erzählt habe. Ich erzähle, obwohl es mich manchmal alles kostet: Mut, Kraft, Ehrlichkeit. Aber ich erzähle auch, weil ich an diesem Mut anderer Frauen gewachsen bin und getröstet wurde.

Bevor wir unseren ersten Sohn bekamen, haben wir eine kleine Bandbreite der Möglichkeiten erlebt, die es auf diesen Wegen zu erleben gibt: Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft, Windei, Blutungen und Sorgen in der Schwangerschaft bis hin zum Notkaiserschnitt. Hoffnung und Enttäuschung, Schmerz und Wut, Fragen und Zweifel und neues Vertrauen.

Und ich habe es immer erzählt. Unter Tränen, hoffnungslos und hoffnungsvoll, Trost suchend oder Trost spendend. Es war mir immer eine Hilfe und ein Anliegen, dass unsere Freunde und Familie darüber Bescheid wussten. Viele waren zeitgleich schwanger. Manche erlebten schließlich ähnliches, und so war unsere Ehrlichkeit ein großer Gewinn. Und es war ein Segen, uns gegenseitig zu haben, voneinander zu wissen, miteinander zu fragen und zu verarbeiten. Ich finde, dieser Mut, von unseren Erfahrungen zu erzählen, hat sich ausgezahlt. Ich war dankbar, vor meinen eigenen Verlusten von Frauen zu wissen, die ähnliches erlebt hatten, und mich bei ihnen verstanden zu fühlen. Hätten andere Frauen diese Realität, so schwer und herausfordernd sie ist, nicht mit mir geteilt, hätte ich mich oft einsamer und hilfloser gefühlt.

ERFOLGE FEIERN, ERSCHÖPFUNG ZUGEBEN

Auch später, beim schmerzhaften Stillen, habe ich mich dankbar an eine Kollegin erinnert, die sich vor Jahren beim Stillen ihres Babys die Tränen wegwischte und gestand: „Das tut so weh!“ Und als mir der Große das erste Mal „Du dumme Mama“ vor die Füße knallte, war ich erleichtert, dass eine Mama aus dem Hauskreis schon vor Monaten das Gleiche (mit dem gleichen Entsetzen) zu berichten hatte.

Diese Erfahrung nehme ich durch die Jahre bis heute mit. Ich möchte all das Gute und Schöne, die vielen kleinen Freuden, die großen Entwicklungsschritte, Erziehungserfolge und Glücksmomente des Elternseins teilen: aufrichtig und unübertrieben. Aber ich wünsche mir auch, dass es erlaubt ist, in meinem Hier und Jetzt erschöpft zuzugeben, dass Junior immer noch nicht durchschläft, dass Zähneputzen zu einer choreografischen Meisterleistung werden muss oder dass ich ratlos Rat suche, weil die Streitereien zwischen den Brüdern einfach nicht aufhören.

Inzwischen gehen beide Jungs in den Kindergarten. Beim Abgeben am Tor frage ich mich gelegentlich, ob eigentlich andere Mütter auch schon 17 Nervenzusammenbrüche erleiden, bis sie hier ankommen. Natürlich teilt man seine Geschichten und seinen Alltag nicht mit allen, dennoch nicken wir Mütter uns scheinbar wohlwissend zu.

SICH VERLETZBAR MACHEN

Auch unter Freunden kostet es mich oft alles, mir und anderen gegenüber einzugestehen, dass ich in vielem gern geduldiger, belastbarer und humorvoller wäre. Auch hier nehme ich oft unter Tränen meinen Mut zusammen und vertraue Freundinnen oder Familie – mit Kindern in unterschiedlichem Alter – meine Gegenwart an: Sorgen, Versagen, Unzulänglichkeiten und mein „Das wollte ich eigentlich anders machen“. Manchmal verändert es Freundschaften, wenn man erkennt, dass man unterschiedliche Erziehungsstile oder Ansichten hat – dann schmerzt diese Ehrlichkeit, zu der man sich durchgerungen hat. Manchmal fühle ich mich nach so einer Offenbarung auch beobachtet oder bewertet. Aber manchmal ernte ich nach den ersten unverständlichen Blicken jüngerer Mütter ein paar Monate später ein seufzendes: „Jetzt weiß ich, was du meintest! Das war gut zu hören.“ Und dann bin ich froh, dass ich darüber gesprochen habe und nicht hinterher um Mitgefühl oder gute Ratschläge ringen muss.

Also doch: Obwohl es mich immer wieder so viel kostet, mich mit dem Teilen meiner Gegenwart verletzbar zu machen, ist es vielleicht das Kostbarste, was wir miteinander teilen können: aufrichtige Ehrlichkeit – ohne Angstmachen, aber auch ohne Schönreden. Ich jedenfalls bin dankbar für alle, die ihr „So ist es gerade“ miteinander teilen – egal, wer von uns gerade die (un-)realistischeren Vorstellungen hegt.

In diesem Sinne: Seid mutig, seid ehrlich und „helft euch gegenseitig bei euren Schwierigkeiten und Problemen, so erfüllt ihr das Gesetz, das wir von Christus haben“. (Galater 6,2)

Carina J. Nill arbeitet als Kunst- und Lerntherapeutin und „künstlert“ Bilder und Bücher, z. B. „Count your Blessings: Mein kreatives Segen-Sammelbuch“. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei wunderbaren wilden Söhnen in Deizisau bei Esslingen.

 

AUFKLÄREN UND AUF DAS GUTE HOFFEN

Dorothee Spengler möchte ihren Freundinnen ihre Erfahrungen nicht vorenthalten.

Der Artikel von Simone Oswald hat mich auch Wochen später immer wieder gedanklich beschäftigt. Ich kenne diese Situation, da ich vor sechs Jahren zu den Ersten im Familien- und Freundeskreis gehört habe, die schwanger waren und dementsprechend „Erfahrungsvorsprung“ hatten, als später Freundinnen schwanger wurden.

Ein wichtiger Aspekt, der im Artikel auch erwähnt wird, ist, dass ich mein eigenes Erleben ehrlich teile, mit Höhen und Tiefen, Herausforderungen und Erfolgen. Und wenn ich das „tagesaktuell“ mache, ist das schon eine ganze Menge „Präventionsarbeit“ gegen allzu unrealistische Erwartungen, noch ehe die Freundinnen selbst schwanger sind. Eine meiner besten Freundinnen sagt, dass sie von dieser Art „Mit-Erleben“ noch heute in ihrem Mama-Alltag zehrt. Und ich bin mir sicher, dass meine Schwägerin, die in den letzten Jahren regelmäßig unseren Familienalltag erlebt hat, mit weniger realitätsfernen Vorstellungen in ihr erstes Babyjahr starten wird, wenn es so weit ist.

STRESS VERMEIDEN

Dieses „Basiswissen“, das vor einigen Jahrzehnten aufgrund größerer Familien noch deutlich präsenter war, sollte aus meiner Sicht unbedingt im Freundeskreis weitergegeben werden. Insofern kann ich mich in dem Absatz „Nicken und lächeln“ in Simone Oswalds Artikel nicht so ganz wiederfinden. Natürlich ist jedes Kind und jede Mutter individuell. Und ich stimme zu, dass ich anderen nicht meine ganz persönlichen Probleme prophezeien muss. Aber wenn es um Entwicklungserwartungen (z. B. Beikostreife mit fünf Monaten) geht, die wissenschaftlich und allen Erfahrungswerten nach eher die Ausnahme als die Regel sind, würde ich gute Freundinnen unbedingt darauf hinweisen.

Gerade wenn konkrete Planungen, wie zum Beispiel die Jobrückkehr der Mutter, darauf fußen, dass ein Kind zum Zeitpunkt X nicht mehr gestillt wird, lässt sich dadurch sehr viel Stress vermeiden. Bei anderen Themen, wie dem Supermarkt-Szenario, würde ich bei passender Gelegenheit (die sich vielleicht auch erst beim Eintritt des Kindes in die Autonomiephase bietet) auch etwas sagen und auf gute Podcasts oder Literatur zu dem Thema verweisen. Schließlich gehört die Autonomiephase zur gesunden Entwicklung eines jeden Kindes – auch wenn nicht jedes Kind schreiend auf dem Supermarktboden liegt. Ein gutes Verständnis der Hintergründe kann den Eltern und Kindern jede Menge unnötigen Stress ersparen. Diese Art von „Aufklärung“ steht für mich nicht im Widerspruch dazu, „auf das Gute zu hoffen“, wie es im letzten Absatz beschrieben ist.

TROTZDEM TRÄUMERISCH

Selbstverständlich male auch ich mir lieber harmonische Familienurlaube aus als pubertären Zickenalarm oder Teenager-Eskapaden, aber ich weiß, dass letztere nicht gänzlich ausbleiben werden. Bei den anderen Beispielen (Geldprobleme oder Unzufriedenheit im Alter) würde ich es übrigens anders sehen: Hier gehört es nicht zur üblichen Entwicklung, dass sie auftreten, und entsprechend „träumerisch“ gehe ich da für das Leben meiner Kinder heran – und wenn die Probleme kommen, können wir sie ja immer noch meistern.

Dorothee Spengler ist aktuell in Elternzeit. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern zwischen 0 und 6 Jahren in Albstadt.

Den Artikel von Simone Oswald aus Family 5/21 könnt ihr hier nachlesen: www.family.de/warum-sagt-einem-dasvorher-keiner/

„Warum sagt einem das vorher keiner?“

Wie viel Realität können Schwangere vertragen? Sollte man idealistische Vorstellungen entlarven? Simone Oswald erklärt, warum Gespräche mit schwangeren Freundinnen eine Herausforderung für sie sind. Und welche Lösung sie gefunden hat.

Lange bevor ich schwanger war, wusste ich genau, wie mein Leben als Mama und mein zukünftiges Kind sein würden. Ich hatte sehr genaue Vorstellungen, wie etwa „das mit dem Stillen“ oder „das mit dem Schlafen“ bei uns mal ablaufen würde – ich hätte es schon Jahre vorher beschreiben können. Dann wurde ich tatsächlich Mutter und – Überraschung! – konnte mich bald vom Großteil meiner Ideen verabschieden.

In meinem Umfeld findet derzeit ein kleiner Babyboom statt. Ich führe daher recht häufig ein kleines Pläuschchen mit Frauen, die ihr erstes Kind erwarten und eine ganz genaue Vorstellung von allem haben. „Mein Kind wird, darf, soll und möchte später niemals …“ – Und ich? Ich habe das Gefühl, ein Déjà-vu zu erleben und mich in meiner früheren Version sprechen zu hören. Immer wieder stelle ich mir daher die Frage: Wie gehe ich richtig mit Bald-Mamas und ihren Vorstellungen von Mutterschaft und Kindererziehung um?

AUGENRINGE ÜBERSCHMINKEN

Völlig normal ist, dass man sich vor dem ersten Kind kaum in diese Situation hineinversetzen kann. Ich hatte früher immer etwas Sorge, mich bei Baby- oder Kleinkind-Beschäftigungen schnell zu langweilen. Heute schaue ich mit ehrlichem Interesse einem kleinen Marienkäfer beim Krabbeln zu und langweile mich dabei keine Sekunde, weil mein Kind vor Begeisterung kaum zu halten ist. Großen Respekt hatte ich auch vor dem allgegenwärtigen Schlafmangel. Und auch wenn sich meine Augenringe heute kaum überschminken lassen, so hätte ich mir niemals vorstellen können, wie mein Herz hüpfen würde, wenn mich mein Sohn um kurz vor fünf Uhr morgens fragt, ob ich auch etwas „Schönes däumt“ habe.

Andererseits hatte ich mir in der Schwangerschaft eine ganze Reihe an Fotomotiven abgespeichert, die ich mit meinem Neugeborenen nachstellen wollte. Dass ich in den ersten Wochen nach der Geburt mehr weinen als lachen würde und es daher kaum ein Foto aus dieser Zeit geben würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste damals noch nicht, dass ich viele Monate lang eine Höchst-Dusch-Dauer von zwei Minuten haben sollte und dass ich beim Verlassen der Dusche schon wieder durchgeschwitzt wäre, weil mein Baby wie am Spieß brüllen und mein Herz in Flammen stehen würde.

Wenn eine Schwangere mir von Ängsten und Sorgen berichtet, dann fällt es mir leicht, darauf zu reagieren. Ich zögere keine Sekunde, ihr vorzuschwärmen, wie viel leichter, umwerfender, großartiger und genialer das Leben als Mama ist, als sie es sich vorher ausmalen kann. Unsicher bin ich mir allerdings, ob ich im umgekehrten Fall auch sagen sollte, dass es manchmal sorgenvoller und zehrender wird, als sie es sich jetzt vorstellt …

AUFKLÄREN?

Milchstau, Schlafentzug, Streit, Überforderung … Für viele Mamas sind das keine Fremdwörter. Ich finde: Viele herausfordernden Situationen sind gerade dadurch herausfordernd, weil man nicht mit ihnen gerechnet hat und sich daher auch nicht auf sie einstellen konnte. Sollte ich meinen Freundinnen gegenüber also mehr von den schwierigen Seiten sprechen, damit sie davon nicht überrascht werden? Wären sie dann besser vorbereitet?

Einerseits bin ich für Offenheit bei vermeintlichen Tabuthemen – denn genau das scheinen manche Probleme in der Elternschaft zu sein. In den sozialen Netzwerken etwa braucht es sogar einen extra Hashtag #fürmehrRealität. Denn genau diese geht zwischen all den aufgeräumten Kinderzimmern mit zur Einrichtung passend gekleideten Kindern etwas unter. Einige Neu-Mamas werden von Problemen überrumpelt, auf die man sich durchaus hätte einstellen können – wenn nur andere Mamas offen reden würden. „Warum sagt einem das vorher keiner, wenn es doch offensichtlich allen so geht?“, mag sich manche Frau da fragen. Und auch ich habe mir gewünscht, dass ich manche Dinge vorher gesagt bekommen hätte.

Wenn ich mir auf der anderen Seite vorstelle, dass damals, als ich schwanger und beseelt von perfekten Zukunftsvisionen war, erfahrene Eltern ständig mit der Realitätskeule meine rosarot-hellblaue Blase zerplatzt hätten – ich wäre ihnen vermutlich nicht nur dankbar gewesen. Wenn man so voller Vorfreude ist, dann möchte man nicht permanent hören, wie unrealistisch der eigene Blick auf diese kommende Zeit ist. Man möchte träumen und seine überwältigende Vorfreude genießen. Sollte dann die Babyoder Kleinkindzeit doch anders verlaufen als erhofft – erst dann ist der richtige Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen. Ich vertraue darauf, dass meine Freundinnen mich um meine Erfahrungswerte bitten, wenn sie diese auch tatsächlich brauchen können. Bis dahin versuche ich, nicht mit ungefragten „Rat-Schlägen“ um mich zu schmeißen.

NICKEN UND LÄCHELN?

So belasse ich es dabei, von meinen Problemen im Mama-Alltag zu erzählen. Ich vermeide es aber, anderen zu suggerieren, dass meine Sorgen auch zwangsläufig auf sie zukommen werden. So einzigartig jedes Kind ist, so individuell ist auch unser Mama-Leben und unser Weg. Sicherlich ist es kein schlechter Gedanke, eine werdende Mutter vorbereiten zu wollen – doch geht das kaum, ohne ihr auch ein bisschen die eigene Geschichte überzustülpen. Ich versuche, die richtige Balance zu finden und meinen Freundinnen weder ihre Vorfreude zu beschneiden, noch ihnen ein unrealistisch perfektes Leben vorzugaukeln.

Tatsächlich muss ich (zumindest innerlich) meistens auch eher schmunzeln, wenn ich mir anhöre, was meine Freundinnen für die Zeit nach ihrer Schwangerschaft alles geplant haben. Die wichtigste Voraussetzung für ihre Pläne ist dummerweise meist ein Baby, das weder schlechte Laune noch Hunger, Müdigkeit, Schmerzen oder einen eigenen Willen kennt und mit recht wenig Zutun der Eltern zufrieden ist.

Wenn sie davon reden, dass sie den Beikostplan schon auswendig gelernt haben und das Kind die ersten Jahre zuckerfrei leben wird, dann grinse ich leicht skeptisch. Wenn sie mir erklären, wie albern sie den berühmten Ratschlag „Schlaf, wenn das Baby schläft“ finden – denn ein paar Wochen oder Monate etwas weniger schlafen, das wird ja wohl nicht so schlimm sein? –, dann muss ich mich schon anstrengen, ein vielsagendes Lachen zu unterdrücken. Und wenn sie erklären, dass ihr Kind später niemals in einem Supermarkt wegen einer verweigerten Süßigkeit losbrüllen wird, dann lächle ich beschämt und bin froh, dass sie uns letzte Woche nicht zu unserem Einkauf begleitet haben.

KLEINKIND MIT SCHOKOMUND

Sicherlich: Einiges davon funktioniert tatsächlich wunderbar, keine Frage. Diese Perfektion, in der manche Freundin ihre eigene Mutterschaft vor sich sieht, ist aber vermutlich nur auf sozialen Medien hinter bearbeiteten und gestellten Fotos zu finden. Oder wie viele Familien kennen Sie, bei denen alles perfekt läuft? Auf allen Ebenen? Ich persönlich: keine einzige.

Und genau dieses Wissen, das ich schon erfahren durfte und das sicherlich auch meine Freundinnen früher oder später erkennen werden, ist der eigentliche Grund, zu lachen und zu lächeln. Weil es eben nicht perfekt ist, das Leben mit Kindern. Und genau deswegen ist es ja so wunderbar! Sobald man sich von der perfekten Bilderbuch-Familie innerlich verabschiedet hat, lebt es sich gleich

viel angenehmer. Man versinkt im heimeligen Chaos mit Kleinkind (mit Schokomund!), trägt manchmal Milchflecken auf Shirts, Augenringe und ungekämmtes Haar und verspricht sich selbst, erst wieder mit Kindern zu backen, wenn sie alt genug sind, um hinterher auch beim Aufräumen zu helfen.

AUF DAS GUTE HOFFEN

So bleibt mir also nur eine Reaktion: Ich schweige. Und ich denke mir meinen Teil. Manchmal lache ich dabei innerlich, manchmal träume ich ihn mit, den Traum vom perfekten Leben mit Kind. Denn obwohl ich nun eigentlich „die Realität“ kenne, stelle auch ich mir zukünftige Situationen mit älterem Kind schön und ideal vor. Ich denke heute noch nicht daran, dass mein Zweijähriger als Teenager in der Pubertät verrückte Dinge tun könnte. Ich denke nicht darüber nach, dass er als Erwachsener Geldprobleme haben könnte. Ich mache mir keine Sorgen, dass er als Rentner unglücklich mit seinem Eigenheim sein könnte …

Ich blicke positiv in die Zukunft, obwohl ich ahne, dass sie realistisch gesehen auch Herausforderungen bereithalten wird. Ich will ganz bewusst positiv sein, ich hoffe mit voller Absicht auf das Gute. Und ich weiß, dass die Zukunft so viel mehr an Schönem bereithält, als ich mir jemals ausmalen könnte. Und genau diesen Genuss des Träumens wünsche ich auch meinen schwangeren Freundinnen. Es werden Probleme kommen, aber sie werden zu meistern sein! Und sollten wir irgendwann ein Gespräch darüber führen, dass gerade alles anstrengend ist und sie sich manches anders vorgestellt hatten – dann werde ich für sie da sein, mit offenem Ohr und liebendem Herzen zuhören und sie wieder dazu bringen, von einem umwerfenden „Bald“ zu träumen.

Simone Oswald arbeitet als Lehrerin und freie Texterin. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie im Landkreis Deggendorf.

Wie macht ihr das …

… wenn Freundinnen oder Freunde scheinbar unrealistische Vorstellungen vom Elternsein haben? Und hättet ihr vor dem ersten Kind gern mehr gewusst? Schreibt uns: info@family.de

Ab ins Beet – auch schwanger?

„Ich möchte im Garten mit meinem Kind etwas Gemüse und Obst anpflanzen. Nun bin ich aber schwanger und frage mich, ob ich das wegen möglicher Krankheitserreger überhaupt sollte und ob ich dabei irgendetwas bedenken muss?“

Es ist wunderbar, im Frühjahr zu sehen, wie alles wieder zum Leben erwacht! Kinder lassen sich gern anstecken, lieben es, dem Wachsen zuzuschauen und lernen dadurch, wie man gärtnert, wo unser Obst und Gemüse herkommt und schätzen es wert. Gartenarbeit in der Schwangerschaft ist gut möglich, wenn auf ein paar Dinge geachtet wird. Zwei Erkrankungen schauen wir uns deswegen genauer an: Toxoplasmose und Listeriose. Hierbei ist es aber nur von Bedeutung, wenn die werdende Mutter diese Infektion das erste Mal in ihrem Leben bekommt. Rund die Hälfte aller werdenden Mütter hatte bereits vor der Schwangerschaft eine Toxoplasmose, und jeder dritte Erwachsene hat bereits eine Listeriose durchgemacht. Bezüglich der Toxoplasmose wird zu Beginn der Schwangerschaft der Antikörperstatus im Blut untersucht, bei Listeriose allerdings nicht. Auf jeden Fall ist es wichtig, eine Erstinfektion dieser beiden Erkrankungen in der Schwangerschaft zu verhindern.

MÖGLICHE GEFAHREN

Viele Tiere, speziell Katzen, sind von Toxoplasmose-Parasiten befallen. Ihre Ausscheidungen enthalten sehr widerstandsfähige Larven, die auf Pflanzen lange überleben. Über kontaminierte Lebensmittel, besonders Gemüse und Obst, kommen sie in den Körper. Abhängig vom Schwangerschaftsalter und dem Immunsystem der Mutter kann es in seltenen Fällen zu einer Infektion des Kindes kommen, was beim Kind später zu Sehstörungen und Entwicklungsverzögerungen führen kann.

Listerien sind Bakterien. Viele Haustiere, Vögel und Nagetiere tragen sie in sich und scheiden sie aus. Durch Schmutz- und Schmierinfektion, aber auch befallene Nahrungsmittel wie Salat und andere Roh-Produkte gelangen sie in den Körper. Je nach Schwangerschaftsalter können sie zu Fehl- oder Frühgeburten führen oder nach der Geburt zu schweren Infektionen. Listeriose- und Toxoplasmose-Infektionen können symptomlos verlaufen oder wie leichte grippale Infekte. Bei vielen Infektionen bleiben die Kinder trotzdem quietschfidel!

SCHÜTZENDE MASSNAHMEN

Benutzen Sie bei der Gartenarbeit Handschuhe! Besonders, wenn Sie rissige oder verletzte Haut an den Händen haben. Waschen Sie sich nach der Gartenarbeit oder beim Hantieren mit Obst, Gemüse oder rohen Lebensmitteln die Hände stets gründlich mit Seife! Was aus der Natur kommt, vor dem Verzehr gut waschen! Vor den Mahlzeiten immer noch einmal die Hände waschen.
Und noch ein paar kleine Tipps für die Gartenarbeit in der Schwangerschaft: Behalten Sie die Körperhaltung beim Gärtnern im Blick! Gehen Sie eher auf einem Kissen auf die Knie! Den Bauch nicht zu sehr einengen oder strecken! Bitten Sie andere, schwere Säcke oder Steine zu tragen!

Und nun, auf in den Garten!

Antje Voß ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und arbeitet als Hebamme in Gießen. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

„Es ist so eine Last, so eine schwere“

Tirza Schmidt begleitet und berät Frauen und Männer, die unter den Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs leiden. Vor drei Jahren hat sie in Bochum die VillaVie gegründet. Hier können Betroffene offen über Schmerz, Schuld und Trauer sprechen.

Mehrere Geschäfte säumen den Lahariplatz im Bochumer Stadtteil Laer. Eine Frau trägt zwei Einkaufstaschen über den Platz. Zwei ältere Herren, die auf einer Bank sitzen, sehen ihr nach. Von dem nahegelegenen Spielplatz hört man Kinderlachen. Mittendrin die VillaVie – Haus des Lebens. Der Ort absichtlich so gewählt. „Wir wollen das Thema Schwangerschaftsabbruch rausholen aus der Tabuzone“, sagt Gründerin Tirza Schmidt. Schwangerschaftsabbruch sagt sie, nicht Abtreibung. Für viele ihrer Klientinnen und Klienten sei das Wort Abtreibung „wie ein Schlag ins Gesicht“. Tirza will ihre Sprache sprechen. „Es ist eine Mauer aus Scham, Schmerz, Trauer und Schuldgefühlen, hinter der sich viele Betroffene verstecken“, weiß die Psychotherapeutin und Hebamme. „Sprache öffnet.“

Total überfordert

Sonnenlicht strahlt durch die große Fensterfront in die VillaVie. Mehrere Sitzecken gibt es hier, auf kleinen Tischen stehen Süßigkeiten für die Besucher bereit, Teelichter brennen. Es ist Besuchszeit. Tirza unterhält sich mit einer jungen Mutter, die auf einer Decke sitzt, auf der ihr Baby strampelt. Auch ein junger Mann ist gekommen. Er sitzt mit einer Tasse Kaffee auf einem Sessel und beobachtet das Baby. „Mein Kind wäre jetzt im Schulalter“, erzählt Hendrik (Name geändert), und sein Blick wird starr. „Immer, wenn ich die I-Dötzchen sehe, zieht es in der Magengegend, weil ich denke: Da könnte mein Kind jetzt auch mitlaufen.“

Der Schwangerschaftsabbruch, den er erlebt hat, liegt sieben Jahre zurück. Seine Freundin ist 15 Jahre alt, als sie erfährt, dass sie schwanger ist, er 17, beide gehen noch zur Schule. „Wir waren mit der Situation total überfordert.“ Sie überlegen hin und her, schreiben Pro- und Contra- Listen. Schließlich werfen sie eine Münze. Die Münze ist gegen das Kind. Weil die beiden Minderjährigen hierzulande die Zustimmung mindestens eines Elternteils für einen Schwangerschaftsabbruch brauchen, sie ihre Eltern aber aus der Sache raushalten wollen, kratzen sie ihre Ersparnisse zusammen und reisen in die Niederlande, wo sie diese Einwilligung nicht benötigen.
„Sie wollte das. Wir wollten das. Uns war klar: Wir können dem Kind nichts bieten“, sagt der 24-Jährige heute. Doch als er seine Freundin nach dem Eingriff aus der Klinik abholt, sind ihre ersten Worte: „Wir haben unser Kind gerade verloren.“ Sie weint auf dem gesamten Heimweg, den Rest der Woche, isst kaum etwas. Er ist für sie da, versorgt sie, funktioniert. „Ich bin so erzogen worden, dass ich keine Gefühle zeige. Ich wusste nicht, wie man trauert. Ich war komplett kalt.“

Die Trauer wegtrinken

Danach ist nichts mehr, wie es war. Während sie immer extrovertierter wird, wird Hendrik introvertierter und flieht in Alkohol und Glücksspiel. Obwohl er sie immer noch liebt, zieht er sich von ihr zurück. Mehrere Jahre geht das so, bis sie beschließen, sich zu treffen und ihrer Beziehung eine neue Chance zu geben. Doch zu diesem Treffen kommt es nicht mehr. Hendriks Freundin stirbt bei einem Verkehrsunfall. „Ich hab’s über Facebook erfahren und dann erst mal eine Runde gezockt.“ Doch diesmal kann er seinen Schmerz und seine Trauer nicht wegspielen, nicht wegtrinken. „Es kamen Gefühle in mir auf, mit denen ich überfordert war.“ Als sie merkt, dass ihr Sohn ihr ganzes Geld verzockt, bringt Hendriks Mutter ihn in eine Entzugsklinik. Eine lange Reise beginnt für Hendrik. „In den Therapien habe ich zum ersten Mal über mein Leben und meine Gefühle gesprochen. In mir war so viel Wut, weil meine Freundin gestorben ist und auch, weil ich mein Kind abgetrieben habe.“ „Mein Kind“, sagt er. Manchmal stellt er sich vor, es wäre ein Junge gewesen, Mika.

Hendrik ist vom Spielen und vom Alkohol losgekommen, hat sich eine Arbeit gesucht und ins Leben zurückgefunden. Seit eineinhalb Jahren besucht er regelmäßig die VillaVie. Die zusätzliche Therapie bei Tirza hilft ihm, den Schmerz zu verarbeiten. „Tirza hat mich nicht verurteilt, sondern mich so aufgenommen, wie ich bin.“

Unendlich viele Emotionen

Menschen wie Hendrik, die aufgrund einer bestehenden oder zurückliegenden Schwangerschaft in Schwierigkeiten stecken, zu helfen – das war schon als Kind Tirzas Wunsch. Früh weiß sie: Sie will Hebamme werden. In ihrer Ausbildung ist sie eine der Jüngsten. Während eines Praktikums bei einer Hebamme, die Frauen im Schwangerschaftskonflikt berät, erfährt sie: „Den Frauen ist überhaupt nicht bewusst, wie schwer so ein Schwangerschaftsabbruch ist. Körperlich, aber auch emotional.“ Berührt von der Trauer und dem Schmerz der Frauen liest sie sich durch Foren und stößt auf Sätze wie: „Es wird mich mein Leben lang verfolgen“, „Es ist so eine Last, so eine schwere“ und „Ich hab so unendlich viele Emotionen in mir: Wut, Hass, Enttäuschung, Trauer, Zweifel, Schmerz“. Sätze, die Betroffene nirgendwo anders aussprechen konnten. Sätze, die man nun, ausgedruckt und aufgehängt an einem Band, in der VillaVie liest.

„Die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs müssen Betroffenen bewusst werden dürfen“, sagt Tirza. Dass es deutschlandweit wenige vergleichbare Anlaufstellen für Menschen gibt, die unter den Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs leiden, zeigt, wie sehr dieses Thema vernachlässigt wird – auch in Kirchen und Gemeinden. Bei fast jedem Vortrag, den Tirza dort hält, wird sie von Menschen angesprochen, die einen Abbruch hinter sich haben. Schwangerschaftsabbrüche machen vor keinem Alter, vor keiner Schicht und keiner Gruppe Halt.

Ein Glaubensschritt

Nachdem sie mehrere Jahre als Hebamme gearbeitet und sich zusätzlich als Heilpraktikerin für Psychotherapie ausbilden lassen hat, zieht Tirza Schmidt 2014 in den Keller ihrer Eltern, spart jeden Cent, erstellt ein Logo, Visitenkarten, baut ein Netzwerk auf. Zwei Jahre später unterschreibt sie den Mietvertrag für die Räume am Lahariplatz. „Es war ein Glaubensschritt“, sagt die 34-Jährige. „Ich wusste damals nicht mal, wie ich die Miete bezahlen soll. Mein Startkapital war klein.“ Mithilfe ihrer Unterstützer renoviert und gestaltet sie die Räume. Im Januar 2017 öffnet die VillaVie zum ersten Mal.

„In den ersten Monaten saß ich allein hier und hab gewartet“, erinnert sie sich. Die Leute blickten zwar neugierig durch die großen Fenster, trauten sich aber nicht hi-nein. Im März tritt zum ersten Mal eine Mutter ein. Heute hat sich die VillaVie im Stadtteil herumgesprochen. Das Team rund um Tirza ist gewachsen. Zwei weitere Mitarbeiterinnen betreuen die rund 20 Menschen, die jede Woche die VillaVie besuchen. Manchen empfiehlt Tirza, die inzwischen aus dem Keller ihrer Eltern ausziehen konnte, zur Therapie zu bleiben. Zu Sonderveranstaltungen kommen auch Menschen aus ganz Deutschland angereist, die durch die sozialen Medien auf die Beratungsstelle aufmerksam geworden sind – darunter nicht nur betroffene Frauen und Männer, sondern auch medizinisches Personal und Hebammen, die über ihre Erfahrungen sprechen möchten. Für die, die sich diesem Thema im besonders geschützten Raum stellen wollen, gibt es in der VillaVie einen separaten Hintereingang.

Die Schuldfrage

Die Aufmerksamkeit wächst – für ein brisantes Thema. Anfeindungen reduzieren sich bisher auf ein paar wenige Kommentare von Abtreibungsbefürwortern bei Instagram. Mit wachsender Bekanntheit könnte das zunehmen. Macht ihr das Angst? „Manchmal frage ich mich schon: Was ist, wenn unsere Fenster mit Eiern beworfen oder beschmiert werden? Vielleicht muss man auch damit rechnen?“, fragt sich Tirza, aber zuckt mit den Schultern. „Ich musste schon mit so vielem rechnen, als ich noch im Keller wohnte und keinen Cent hatte.“

Es sind eher andere Anfeindungen, mit denen Tirza zu kämpfen hat. „Wir machen unsere Türen sperrangelweit auf für Menschen, die abgetrieben haben. Uns wurde deshalb schon oft unterstellt, dass wir für Abtreibung sind“, erzählt Tirza und schüttelt den Kopf. Sind sie denn gegen Abtreibung? „Unsere Beratungen sind bewusst neutral gehalten“, betont Tirza. „Die Betroffenen müssen erst mal alles rauslassen: Wut, Trauer, Schmerz.“ Nur wenn der Ratsuchende von sich aus auf das Thema Glauben zu sprechen komme, gehen sie darauf ein, denn „fast alle Betroffenen stellen sich die Schuldfrage“. Dann kann auf einen liebenden und vergebenden Gott hingewiesen werden, damit die Betroffenen Frieden bekommen können.

Und Hendrik? Von der ersten und einzigen Ultraschalluntersuchung existiert ein Bild, das er damals, nach dem Schwangerschaftsabbruch, zusammen mit seiner Freundin an einer Stelle im Wald vergraben hat. Da liegt es bis heute. „Da liegt mein Kind. Ich hatte kein Grab. Es ist trotzdem wie ein kleiner Friedhof für mich.“ Er möchte besonders Männern Mut machen, darüber zu sprechen. „Wenn man es schafft, sich seinen Gefühlen zu stellen, merkt man, dass es einen nicht schwächer macht, sondern stärker.“

Ruth Korte ist freie Redakteurin bei Family und FamilyNEXT, Buchautorin und lebt mit ihrer Familie in Gießen. 

Unerfüllter Kinderwunsch

Das eigene Baby in den Armen halten – das bleibt für manche Paare ein unerreichbarer Traum. Unsere Autorin hat die Hoffnung nicht aufgegeben, versucht die medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen und kämpft gleichzeitig mit vielen Fragen – auch an Gott.

Als wir 2017 heirateten, war für uns beide klar, dass wir Kinder wollten. Schon zwei Jahre zuvor hatte ich angefangen dafür zu beten, dass Gott uns Kinder schenkt. Der Kinderwunsch war bei uns beiden schon immer da. Etwa ein Jahr nach unserer Hochzeit fanden wir es seltsam, dass ich noch nicht schwanger war. Monat für Monat hoffte ich und jedes Mal folgte eine Enttäuschung. Irgendwann wurde aus Enttäuschung Irritation und dann ziemlich schnell Angst. Konnte es sein, dass bei uns etwas nicht „stimmte“? War es möglich, dass bei Simon oder mir gesundheitliche Ursachen der Grund für unsere Kinderlosigkeit waren? Ich hörte nicht auf zu beten und Gott um ein Kind zu bitten. Er hatte doch den Kinderwunsch in uns gelegt. Warum sollte er etwas dagegen haben, dass für uns Kinder dazugehören?

Inzwischen wurde zusätzlich der gesellschaftliche Druck höher. Insbesondere für mich. Um uns herum wurde ständig eine Schwangerschaft verkündet oder ein Baby kam zur Welt. Nur eben nicht bei uns. Wenn es etwas zu feiern gab, hatte ich das Gefühl, dass jeder beobachtet, ob ich Alkohol trinke oder nicht. Wenn ich einen Raum betrat, schaute mir jeder auf den Bauch – zumindest nahm ich es so wahr. Ich fing an, bestimmte Menschen zu meiden, aus Angst, dass sie mich auf Kinder ansprachen. Eigentlich konnte es mir ja egal sein, was andere denken. Das war es aber leider nicht.
Nach gut einem Jahr ohne Schwangerschaft ließen wir uns untersuchen. Bei mir war alles gut, das Spermiogramm meines Mannes war allerdings erschreckend. Die Diagnose lautete: OAT-Syndrom, eine krankhafte Veränderung der Spermien. Hierbei sind zu wenig (oligo), zu gering bewegliche (astheno) und vermehrt fehlgeformte (terato) Spermien zu sehen. Es geht häufig mit männlicher Unfruchtbarkeit einher. Ein Schock! Was hatte das zu bedeuten? Können wir jemals eigene Kinder bekommen? Sollte es für uns eine künstliche Befruchtung sein? Sollen wir vertrauen, dass er uns auf natürlichem Weg ein Kind schenkt, obwohl nur eine Handvoll brauchbarer Spermien vorhanden sind? Will Gott, dass wir keine eigenen Kinder bekommen? Hat er einen Plan B für uns, der alle Erwartungen übersteigt?

In der Kinderwunschklinik

Recherchen im Internet machten Angst. All die Pläne, die wir seit Beginn unseres Kennenlernens gemacht hatten, waren plötzlich futsch. Der Wunsch, uns gegenseitig Kinder zu schenken, zerstört. Ich kann kaum mehr sagen, für wen von uns beiden diese Erkenntnis schlimmer war. Nach der Diagnose haben wir viel über unsere belastende Situation gesprochen. Simon gab seinen Gefühlen Raum. Sein Selbstbild hatte einen heftigen Kratzer abbekommen. Er hatte den Eindruck, seiner Männlichkeit nicht gerecht werden zu können und auch mir nicht. Mir war klar, dass ich ihn nicht dafür verantwortlich machen wollte. Wenn der Gedanke dennoch in meinem Kopf auftauchte, machte ich mir bewusst, dass uns das nicht weiterbringen würde. Ich wusste und weiß nach wie vor, dass ich diesen Mann liebe und dass er der Richtige für mich ist. Schließlich hatten wir uns versprochen, in allen Höhen und Tiefen zueinander zu halten, die unser gemeinsames Leben mit sich bringt. Unsere Liebe und unser Versprechen, das wir uns am Tag unserer Hochzeit gegeben haben, ist stärker als die Diagnose und das was sie mit uns macht.

Mein Frauenarzt überwies uns schließlich in eine Kinderwunschklinik mit dem Hinweis, dass bei uns eine ICSI notwendig sei, da Qualität und Quantität von Simons Spermien keine andere Möglichkeit zuließen. Bei einer ICSI wird eine einzelne Samenzelle mit einer sehr feinen Nadel direkt in eine Eizelle eingeführt (injiziert), die zuvor dem Eierstock der Frau entnommen wurde. Durch regelmäßige Hormonspritzen und Tabletten werden die Eierstöcke dazu angeregt, mehr Eizellen als normal zu produzieren. Diese gereiften Eizellen werden dann unter Vollnarkose den Eierstöcken entnommen (Punktion) und anschließend in jede Eizelle ein Sperma injiziert. Zwei bis drei Tage später werden zwei befruchtete Eizellen in der Hoffnung in die Gebärmutter eingesetzt, dass sich wenigstens eine davon einnistet und es zu einer Schwangerschaft kommt. Weitere bereits erfolgreich befruchtete Eizellen können eingefroren und für einen späteren Versuch genutzt werden. Risiken und Wahrscheinlichkeiten wurden uns aufgezeigt und wir verließen die Klinik mit dem Gefühl, dass unser Fall durchaus lösbar ist.

Wollten wir das tatsächlich machen? War das unsere Chance, doch noch Eltern zu werden? Oder spielten wir dadurch selbst Gott? Vielleicht hatte Gott für uns in der Gemeinde oder auch außerhalb Möglichkeiten bereitgelegt, an die wir aktuell nicht mal zu hoffen wagten? Möglichkeiten, die zu einem erfüllten und glücklichen Leben führen, ganz ohne Kinder. Diese Fragen schwirrten ununterbrochen in unseren Köpfen herum. Ethische Bedenken, über die wir uns kaum mit einem Menschen unterhalten konnten und wollten. Fragen, die mal leiser, mal lauter in mir nagten und die ich Gott stellte. Für mich fiel die Antwort mal so, mal so aus. Hier ein Spruch, da ein Bibelvers, dort ein kurzer Satz oder eine Geschichte. Alles versuchte ich auf unseren Kinderwunsch hin zu deuten. Das Ergebnis war für uns nicht eindeutig. Mir schwirrte der Kopf. Ich schrie Gott an und bekam keine zufriedenstellende Antwort.

Künstliche Befruchtung

Wer krank ist, geht zum Arzt und holt sich Hilfe. Warum sollten wir das nicht auch tun, wenn mein Mann am OAT-Syndrom leidet? Sollten wir die medizinischen Möglichkeiten nicht dankbar aus Gottes Hand nehmen? Oft musste ich in dieser tränenreichen Situation an einen Witz denken, der an einem Jugendabend zum Thema „Partnersuche“ in meiner Gemeinde erzählt wurde, als ich etwa 14 Jahre alt war: Ein armer, gläubiger Mann betet immer wieder dafür, dass er im Lotto gewinnt. Nichts passiert. Der Mann betet weiter. Irgendwann erhellt sich der Raum und er hört eine tiefe, laute Stimme: „Lieber Mann, gib mir eine Chance! Kauf dir endlich einen Lottoschein!“

Wir beschlossen schließlich, dass eine ICSI-Behandlung unser Lottoschein ist – trotz ethischer Fragen, zu denen wir keine endgültigen Antworten finden konnten. Für uns war klar, dass wir eventuell übrige, bereits befruchtete Eizellen nicht vernichten wollten, da dieser Entwicklungsstatus bereits Leben für uns bedeutet. Es folgten Berge von Medikamenten, unglaubliche Angst vor Nebenwirkungen, viel Geduld, Hoffnung und Angst.
Ich vertrug die Behandlung erstaunlich gut, hatte kaum mit Nebenwirkungen zu kämpfen. Die ersten beiden Versuche verliefen negativ. Wir waren traurig, sagten uns aber auch, dass es statistisch gesehen unwahrscheinlich ist, dass es direkt klappt. Außerdem wollte ich nie den Respekt und die Ehrfurcht vor den medizinischen Möglichkeiten verlieren. Einen Hinweis, dass wir auf dem richtigen Weg waren, schien mir Gott mit einem Wort aus 1. Korinther 3,6 zu schicken, auf das ich beim Bibellesen stieß: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben.“ Wir konnten pflanzen, wir konnten gießen, aber nur mit Gottes Segen kann sich ein Embryo einnisten und wachsen.

Der dritte Versuch gelang schließlich. Ich dankte Gott unter Tränen dafür. Doch drei Wochen später begannen die Blutungen. In der Notaufnahme durften wir zum ersten Mal Herzschläge von unserem ersten, lang ersehnten Kind sehen. Wieder zuhause flehten wir Gott an, dass es bei uns bleiben darf. Zwei Tage später war es weg. Ein paar wenigen erzählten wir von unserem Verlust und ich war dankbar für alle, die sagten, dass sie für uns beten. Monatelang konnte ich nicht mit Gott sprechen. Für mich blieb immer im Kopf, dass Gott doch eh das macht, was er will – egal, was wir beten. Nach einer Pause starteten wir Anfang des Jahres mit Versuch 4, der ebenfalls negativ verlief. Ich schaffte es wieder, Gott zu bitten, war aber dennoch oft voller Verzweiflung und enttäuscht von seinem Handeln.

Wir haben uns entschieden, einige Zyklen Pause zu machen und neue Kraft zu sammeln. Die psychischen Belastungen sind zeitweise immens. Jeder Versuch füllt Kopf und Körper. Die Gedanken kreisen ohne Unterlass in meinem Kopf. Wir haben unseren Kinderwunsch in Gottes Hand gegeben und beten um Ruhe und Kraft. Dennoch bleibt bisher ein dauerhafter Friede aus. Außerdem stellen wir fest, dass wir für einen weiteren Versuch zuerst Geld ansparen müssen. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung sind enorm. Die Krankenkasse bezuschusst immerhin drei ICSIs, dennoch haben wir bereits selbst über 10.000 Euro für Medikamente, Punktionen und Transfers ausgegeben. Geld, das wir gerne für ein Kind investieren, auch wenn es gleichzeitig bedeutet, dass unsere Reisen kleiner ausfallen und wir größere Anschaffungen verschieben müssen. Für mich kommt die Jahreslosung 2020 sehr passend: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“. Ich will glauben und ich kann und konnte es bereits. Warum fällt es mir aktuell, in dieser schwierigen Zeit so schwer?

Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.

Jetzt erst recht!

Gerade wenn wir von unseren Kindern enttäuscht sind, sollten wir sie lieben und unterstützen. Von Christine Gehrig

Irgendwie kamen eine Bekannte und ich auf das Thema „Liebe und Unterstützung für unsere großen Kinder“ zu sprechen. „Was auch immer das eigene Kind für einen Mist verzapft – und wenn es im Gefängnis sitzt – es hat ja nur die eine Familie. Wenn die sich abwendet, was soll dann werden? Durch Ablehnung hat sich ja noch nie jemand positiv verändert. Ich finde, gerade in Krisen brauchen unsere Kinder uns erst recht“, vertrat ich meine Ansicht. „Woher weißt du, dass mein Kind im Gefängnis war?“, fragte meine Bekannte. Ich sah sie überrascht an. Nein, davon hatte ich keine Ahnung gehabt. Trotz ihrer Enttäuschung hatte sie sich zu ihrem Kind gestellt. Dessen Leben verläuft heute in ruhigeren Bahnen. Vielleicht gerade wegen der Unterstützung durch die Mutter?

Unlogisch lieben

In der Regel wissen unsere Kinder, was sie falsch gemacht haben. Sie können einen vorwurfsvollen, harten Blick aus einem sorgenzerfurchten Gesicht nur schwer ertragen. Trotz ihrer Fehler oder ihres Versagens wollen sie sich in ihrer Person nicht abgewertet wissen. Ob es der Abbruch der Schule, des Studiums, der Ausbildung ist, das Driften ins Drogenmilieu, das Verharren in zerstörerischen Beziehungen, selbstverletzendes Verhalten, der leichtfertige Umgang mit Suchtmitteln, das Abrutschen in Kriminalität, die Schwangerschaft mit 14 …

Bei aller höchst verständlichen Schockiertheit, Verzweiflung und Wut – bleiben Sie nüchtern und besonnen! Niemals hat Ihr Kind Ihre Unterstützung dringender gebraucht. „Die meisten Menschen brauchen mehr Liebe, als sie verdienen“, dieser Satz der Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach geht unter die Haut. Machen Sie es wie Gott: Seien Sie völlig unlogisch, lieben Sie trotzdem und jetzt erst recht.

Welten aufeinandergeprallt

Ein Rückblick auf die eigene Jugend kann helfen, die Dinge klarer zu sehen. Tief unter der katastophenträchtigen Kratzbürsthülle hauste ein unsicheres, nach Anerkennung und Bestätigung hungerndes Teenagerwesen. Hinzu kam bei uns eine zeitgeschichtliche Besonderheit: In den 60er, 70er und auch noch in den 80er Jahren sind Welten aufeinander geprallt. Vertreter konservativer Wertvorstellungen und die 68er Bewegung standen einander als völlig unvereinbare, unversöhnliche Fronten gegenüber. Das schlug sich auf die Generationenbeziehungen in den Familien nieder.

Heute haben wir eine Art Baukastensystem – wir können aus allem das Positive herauspicken. Und vor allem: Das abweichlerische Kind gehört nicht mehr automatisch ins Feindeslager. Dennoch kann sein Verhalten als Bedrohung für die eigene, vielleicht mühsam zusammengezimmerte Welt empfunden werden. Alles Fremde macht zunächst Angst.

Herzförmige Brillengläser

Aber: Wenn wir unsere Herzen weit aufmachen, kommt nichts Schlimmes hinein, sondern Gottes Liebe hinaus zu unseren Kindern. „Liebe deckt alle Vergehen zu“ (Sprüche 10, 12). Wenn ich solche und ähnliche Sätze in der Bibel lese, bin ich wieder versöhnt mit Aussagen, die uns Menschen scheinbar klein machen. Diese Aussagen lesen sich wie durch eine richterliche Brille: Der Mensch ist ein zum Destruktiven neigendes Geschöpf und kriegt es einfach nicht richtig auf die Reihe, Eltern und Kinder inklusive.

Diese nüchterne Feststellung darf mal kurz sein – jetzt aber bitte die Brille mit den herzförmigen Gläsern aufsetzen, denn: Alles Strafende, Ablehnende, Verurteilende schafft Brüche, Distanzen und Abgründe in den Beziehungen zu unseren Kindern. Jahre später werden wir uns selbst dankbar sein, wenn wir unser Ding mit der Liebe durchgezogen haben.

Ich weiß von Eltern, deren Kind kaum einen Schlammassel ausließ. Zum Teil rieten Fachleute, das Kind auf Grundeis laufen zu lassen, es völlig abzuschneiden und den Folgen seines Handelns zu überantworten. Ja, Eltern sollen die Verantwortung für sein Handeln beim Kind lassen. Aber genauso ist es ihr Job, die Beziehung zu ihrem Kind niemals abreißen zu lassen. Eine Mutter hörte auf ihren Instinkt. Sie durchlebte Jahre des Hoffens und Bangens, ohne jemals den Kontakt und die offene Tür zu ihrem Kind aufzugeben. Nachdem dieses wieder Land gewonnen hatte, sagte es: „Danke Mama, dass du mich nie aufgegeben hast. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.“

Geduldig, geduldig, geduldig …

Setzen Sie immer wieder neu Ihre Brille mit den herzförmigen Gläsern auf: Welche altersangemessene Zuwendung braucht mein Kind jetzt? Freut es sich besonders über ein nettes Überraschungsgeschenk? Fühlt es sich durch eine bestimmte Unterstützung wertgeschätzt? Wirken anerkennende Worte, Anteilnahme und Verständnis wie Balsam auf seine Seele? Loben Sie im Zweifelsfall auch scheinbar Kleines und Selbstverständliches!
Bloß weil das Kind groß ist, bedeutet das nicht, dass es das alles nicht mehr braucht. Wir selber brauchen es ja auch. Und wenn das (spät)pubertierende Kind gerade sämtliche roten Knöpfe drückt? Was, wenn es mit uns so sehr auf Kriegsfuß steht, dass wir uns für unsere Existenz schon fast schuldig fühlen?

Dann arbeiten Sie als „verdeckter Ermittler“. Zum Beispiel, indem Sie für Ihr Kind und Ihre Beziehung zu ihm beten. Vielleicht fehlt Ihnen angesichts des schweren Wellengangs die Vorstellungskraft, dass es jemals wieder anders werden könnte. Seien Sie geduldig, geduldig, geduldig. Gott hat Vertrauen noch nie unbelohnt gelassen. Es kommen wieder ruhigere Fahrwasser. Kinder mit Besonderheiten in der Biografie sind die besten Lebenslehrmeister. Und: Behalten Sie die Zuversicht, dass Ihre guten, vorgelebten Werte wie Erbgut fest verankert in Ihrem Kind sitzen. Es wird nicht ausbleiben, dass Sie früher oder später etwas davon in irgendeiner Form erleben werden.

Christine Gehrig lebt mit ihrem Mann in Bamberg. Sie hat vier erwachsene Kinder und arbeitet als Nordic-Walking- und Gymnastik-Trainerin und als Lebe-leichter-Coach.

Spieglein, Spieglein an der Wand …

Die Schönste will man ja gar nicht sein. Aber wenigstens stilvoll, hübsch, elegant, attraktiv … Doch was tun, wenn die Bilder im Kopf nicht zum Bild im Spiegel passen? Und wenn die Schwangerschaften Spuren hinterlassen haben – wie bei Jennifer Zimmermann?

„Darf man gratulieren?“ In den letzten fünf Wochen haben mir fünf Menschen unabhängig voneinander diese Frage gestellt. Ich möchte ein T-Shirt haben, auf dem „Nein, darf man nicht!“ steht. In Großbuchstaben. Quer über meinen Bauch. Der ist nämlich nach dem dritten Kind nicht mehr, was er mal war. Die Neun-Monate-Marke, nach der der Körper sich angeblich von der Schwangerschaft erholt hat, ist seit über einem Jahr verstrichen. Aber vielleicht muss man das nach mehreren Schwangerschaften auch individuell berechnen. Rational betrachtet kann ein Körper nach der Beherbergung von drei kleinen Menschen nicht mehr so aussehen wie davor. Und trotzdem kann mich dieser Satz an einem besonders trüben Tag zum Weinen bringen. „Darf man gratulieren?“

Beim Frausein versagt

Ich bin überfordert von dieser Aufgabe namens „Frau sein“. Ständig scheint es darum zu gehen, das Leben möglichst stilvoll über die Bühne zu bringen. In den richtigen Klamotten möglichst lässig dazustehen, pickel- und faltenfrei und mit rasierten Beinen. Es scheint diese Frauen zu geben. Ich sehe sie, wenn ich mit ungekämmten Haaren zum Bäcker stolpere und sie gebügelt und gestylt an mir vorüberziehen. Oder wenn sie mir in knallengen Sporthosen winkend entgegentraben. Wider besseres Wissen ziehe ich Vergleiche und verliere jedes Mal. Wenn es beim Frausein darum geht, sich möglichst gut zu präsentieren, möglichst knackig zu bleiben und möglichst genau zu wissen, was mir steht, dann habe ich schlicht und ergreifend versagt.

Regenbogensocken unter Miniröcken

Wenn ich als Teenager meine Mutter anbettelte, mir die teure Markenjeans zu kaufen, weil ich so unbedingt dazugehören, so dringend in die Masse passen wollte, dann sagte sie jedes Mal etwas, das ich ziemlich schwer zu verdauen fand: „Ich wünsche mir nicht für dich, dass du so aussiehst wie alle anderen. Ich wünsche mir, dass du selbst kreativ wirst.“ Ich habe sie dafür brennend gehasst. Ungefähr ein Jahr lang. Dann wurden unsere Schulklassen neu gemischt und ich hatte das unfassbare Glück, auf eine Gruppe von Mädchen zu treffen, die genau das zu ihrem Lebensmotto gemacht hatten.

Sie trugen Regenbogensocken unter Miniröcken. Sie nähten ihre Klamotten selbst. Sie färbten sich ihre Haare in blau und grün und rosa, und sie schnitten sie sich gegenseitig, wenn sie einen Mutanfall hatten. Manche belächelten sie. Sie passten nicht dazu, und sie hatten entschieden, das nicht zu ändern. Sie standen zu sich. Sie waren kreativ statt Einheitsbrei. Sie taten das, was Teenies tun sollten. Sie spielten mit dem Begriff Schönheit, mit Farben und Ideen, um sich besser kennenzulernen. Ich verstand, warum meine Mutter die immer gleichförmige, glattgebügelte Masse der markenjeanstragenden Mädchen nicht mochte. Diese Mädchen hier waren bunt und laut und lustig und echt. Und sie scherten sich einen Dreck darum, was andere von ihnen hielten.

Überall pickelfreie Frauen

Irgendwann zwischen der siebten Klasse und meinem ersten Kind scheint mir dieses Wissen abhanden gekommen zu sein. Fast ist es, als legten sich täglich neue Bilder in meinen Kopf. Bilder, die dichter sind als meine lachenden Teenagererfahrungen. Jeden Tag blättern sich Fotos von rasierten Beinen und lackierten Nägeln, von hautengen Jeans und straffen Bäuchen in unsere Seelen. Wir müssten schon Einsiedler werden, um das zu verhindern. Jedes noch so harmlose Bild in jedem noch so neutralen Artikel zeigt eine pickelfreie Frau mit farblich abgestimmten Klamotten. Keine ungeschminkte Mutti mit Jogginghose, die ihre schreienden Kinder vom Spielplatz nach Hause schleift.

Ich weiß nicht, wie lange wir es schon tun, aber wir Menschen erschaffen konstant Bilder von uns, denen wir im wahren, turbulenten, langweiligen, bunten Leben nie standhalten können. Es ist, als fügten wir uns selbst Schmerzen zu. Wir sind zu einer sich selbst verletzenden Gesellschaft geworden, und das betrifft längst nicht mehr nur Frauen, auch wenn unsere Geschichte mit diesem Thema schon ewig zu sein scheint.

Ungefragte Ratschläge

Die Schönheitsindustrie hat ein ganzes Waffenarsenal anzubieten, mit dem wir uns selbst, diese langweiligen, manchmal stinkenden, pickeligen, strähnigen Alltagsmenschen, die wir eigentlich sind, bekämpfen können. Sie eröffnet mir jeden Tag unendlich viele ungefragte Ratschläge, wenn ich mein Smartphone entsperre und den Internetbrowser öffne. Und ich ziehe meinen Kopf ein und lasse die Schläge über mich ergehen. Wenn deine Haare nicht so glänzen wie die von deiner Nachbarin, dann hast du wohl die falsche Bürste oder nicht hundertmal gebürstet. Wenn dein Teint nicht strahlt, solltest du eine Kosmetikerin besuchen. Oder diese Creme kaufen. Oder eine Typberatung machen. Je tiefer ich mich in diesen Dschungel der Must-dos wage, desto dunkler wird es um mich herum und desto ängstlicher und vorsichtiger schleiche ich voran. In meinem depressiven Gedankenkarussell steht mir immer wieder der britische Autor Matt Haig zur Seite, der seine weise Sicht auf eine chaotische Welt mit mir teilt. „Wie verkauft man Antifaltencreme? Indem man Menschen Angst vor Falten macht“, schreibt er und bringt mich zum Grübeln. Was würde passieren, wenn wir keine Angst mehr hätten, nicht hübsch zu sein? Was wäre, wenn wir nicht mehr darüber nachdenken würden, ob wir genug sind?

Nie genug?

Etwas, das die Schönheitsindustrie uns nicht sagt, ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen „hübsch“ und „schön“. Jes Baker, eine US-amerikanische Schriftstellerin, die sich für ein positives Körperbild („Body Positivity“) einsetzt, beschreibt den Begriff „hübsch“ als ein „von Unternehmen fabriziertes physisches Ideal, das vermittelt, dass man nie genug ist, bevor man es nicht erreicht hat“. Nie genug. Das beschreibt mein Lebensgefühl im Moment sehr gut. Es beschreibt das Gefühl, das ich habe, wenn ich aus der Dusche steige und die Bilder in meinem Kopf nicht zu dem Bild in meinem Spiegel passen. Die Haut an meinem Bauch, die drei Kindern Platz gemacht hat und dabei eingerissen ist, erscheint gegen die glatte Haut auf den Werbeplakaten des Modeschweden wie eine Kraterlandschaft. Hübsch, sagt mein Kopf, ist das nicht, was ich da im Spiegel sehe.

Wenn ich meinen Schöpfer frage – den Gott, der sich nicht nur meinen Körper ausgedacht, sondern auch die Kinder in meinem Bauch mit unvorstellbarer Freude willkommen geheißen hat – wenn ich ihn frage, dann sagt er sicherlich auch nicht „hübsch“ dazu. Der allmächtige, allwissende, liebende Gott wird mir zu keinem Zeitpunkt meines Lebens sagen, dass ich hübsch bin. Nicht mit sechzehn und nicht mit sechsundneunzig. Er wird mir nie sagen, dass ich aussehe wie die Supermodels auf den Hochglanzplakaten. Und ich möchte niemals anfangen, meine selbstverneinenden fremdbestimmten Vorstellungen von einem Frauenkörper mit seinen Maßstäben gleichzusetzen. Gott hat einen besseren Begriff für das, was er sieht, wenn ich aus der Dusche steige: schön!

Schrumpelhagebutte und Bauchspeck

Gottes „Schön“ muss etwas ganz anderes sein als das glattgebügelte „Hübsch“ der Plakate. Es könnte vielleicht dem ähneln, was ich in den bunten, lauten Mädchen meiner Teenagerzeit gefunden habe. Sicherlich ist es ein lebendiges „Schön“, eines, das dem wahren Leben standhält. In der Natur kann ich das am besten begreifen. Ich kann die überbordend duftend blühende Rose in meinem Garten ebenso schön nennen, wie die Heckenrose, über deren schrumpelige Hagebutten sich die Vögel freuen. Ich kann die Weinbergschnecke mit ihrem faszinierend strukturierten Haus schön nennen und die geheime Choreografie einer Ameisenstraße. Gottes „Schön“ lebt. Es atmet. Es verändert sich mit den Jahreszeiten des Lebens. Pflanzen, Tiere, Menschen, die ihr Wesen nach außen tragen, sind schön. Schneckenschleim, Schrumpelhagebutte oder Bauchspeck inklusive.

Er bleibt beim Schön

Unter Gottes Blick darf ich atmen. Darf dieses „Schön“ mich leise streifen lassen wie der Wind im Mai das frische Grün so tröstlich rascheln lässt. Ich muss ihm nicht glauben, dass er mich schön findet. Vielleicht fühle ich mich heute wie die graueste Maus von allen. Er zwingt mich nicht dazu, meine Meinung zu ändern. Aber er bleibt bei seinem „Schön“, so sicher, wie der Maiwind vom Beginn des Sommers erzählt. Heute bin ich einfach nur still und lausche auf den Wind. Vielleicht fange ich dann langsam wieder an, mich in meinem Körper zu Hause zu fühlen. Vielleicht erinnere ich mich wieder an meine kreative Freiheit. Daran, dass bunte Socken gute Laune machen und dass Farben, die mir eigentlich nicht stehen, manchmal meiner Seele guttun. Dass es Spaß macht, roten Lippenstift zu tragen, nur um den Müll rauszubringen. Und dann passiert vielleicht das Wunder. Nicht, dass ich mich endlich wunderschön fühle, sondern dass ich mich selbst vergesse. Dann entscheide ich, um was ich mich drehen möchte. Womit ich meine Lebenszeit füllen möchte. Und es wird weder mein Teint noch mein Bauch sein.

Wenn ich wählen kann, für was ich im Leben kämpfen möchte, wähle ich weder meine Frisur noch meinen Farbtyp. Ich wähle Liebe. Freundschaft. Sommernächte. Blätterrascheln. Schneeknirschen. Ich wähle die Sehnsucht nach Schönheit, die ich nicht mit Online-Shopping stillen kann. Ich bin auf dem Weg dorthin. Ich werde noch eine Weile meine Wunden lecken und vielleicht noch einmal weinen, wenn ich das nächste Mal gefragt werde, ob man gratulieren darf. Aber vielleicht kaufe ich dann einfach doch das T-Shirt. „Nein, darf man nicht!“. Jetzt eben zwei Nummern größer.

Family-Autorin Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor kurzem ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).