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Immer zu spät dran

„Unsere Tochter (15) kommt immer zu spät. Ob zum Schulbus, zu Arztterminen oder zu Verabredungen mit Freundinnen. Wie können wir sie unterstützen, ihr Zeitmanagement in den Griff zu bekommen?“

Unpünktlichkeit ist keine Seltenheit unter Teens und hat vielfältige Gründe. In der Pubertät werden Werte hinterfragt, Hormone sorgen mitunter für Antriebslosigkeit und soziale Medien wie Facebook, WhatsApp und Co bieten eine willkommene Ablenkung. „Arzttermin? Ja gleich, muss nur noch kurz mit Freunden chatten.“ Zudem übernehmen viele Jugendliche keine Verantwortung für ihr Handeln. „Schulbus verpasst? Meine Eltern fahren mich dann.“

Suchen Sie das Gespräch mit Ihrer Tochter. Schildern Sie Ihren Standpunkt und legen Sie Ihre Beobachtungen möglichst wertfrei dar. „Ich habe mitbekommen, dass du zu spät zum Arzt gekommen bist.“ „Ich sehe, wie schwer es dir fällt, pünktlich zu Terminen zu kommen.“ Vermeiden Sie dabei Vorwürfe, denn diese aktivieren den Verteidigungsmodus. Signalisieren Sie Interesse an den Gedanken Ihrer Tochter: „Nervt es dich, immer zu spät dran zu sein?“, „Möchtest du daran etwas ändern?“, „Was kann dir helfen?“ Auf diese Weise erreichen Sie einen offenen Dialog.

ZEITMANAGEMENT-IDEEN

  • Zeitplan erstellen: Erstellen Sie gemeinsam einen Zeitplan und machen Sie daraus ein Ritual. Wie wäre es morgens mit 15 Min. Frühstück, 15 Min. im Bad, 5 Min. zur Haltestelle laufen, 10 Min. auf den Bus warten? Dabei ist es wichtig, die Zeiteinheiten großzügig festzulegen, um Puffer für Unvorhergesehenes zu haben. Denn wer kennt es nicht: Man will gerade los, und es fehlt die Busfahrkarte oder der Schlüssel …
  • Zeitpuffer schaffen: Um das Gehirn zu überlisten, kann das Vorstellen der Uhr/des Weckers zum Beispiel um zehn Minuten helfen. Während die Uhrzeit zum Handeln aufruft, besteht am Ende noch Puffer. Auch Arzttermine lassen sich gut gedanklich um 15 Minuten vorverlegen, um am Ende dann pünktlich zu erscheinen.
  • Zeitdiebe entlarven: Facebook, Smartphone und Co. sind klassische Zeitdiebe. Kurz noch die Nachricht beantworten, schnell noch den Post liken, und schon komme ich in Stress. Überhaupt sind diese „schnell noch…“-Dinge diejenigen, die uns Zeit rauben.
  • Timer einsetzen: Bevor Sie als Eltern immer wieder antreiben, macht es Sinn, nonverbale Signale einzusetzen, zum Beispiel durch den Timer an der Uhr oder die Erinnerungsfunktion des Smartphones.

ABSPRACHE, VERANTWORTUNG, KONSEQUENZ
Übertragen Sie Ihrer Tochter die Verantwortung für ihr Handeln und besprechen Sie Konsequenzen bei Unpünktlichkeit. Verpasst Ihre Tochter den Schulbus, muss sie auf den nächsten warten. Kommt sie zu spät zum Abendbrot, warten Sie nicht auf sie. Logische Konsequenzen sind hilfreich, um eine Änderung des Verhaltens zu erreichen. Wichtig: Treffen Sie im Vorfeld klare Absprachen und stellen Sie Ihre Tochter nicht vor vollendete Tatsachen. „Ich trau dir zu, dass du es pünktlich zum Schulbus schaffst. Sollte es misslingen, musst du auf den nächsten Bus warten.“ Befürchten Sie eine große Diskussion, wenn der Fall tatsächlich eintritt? Dann rate ich zu einer Art Vertrag, also der schriftlichen Fixierung der Absprachen.

Melanie Vita ist Diplomsozialpädagogin und Lerntherapeutin. Sie wohnt mit ihrer Familie in Ulm.

„Kann ich mir Zeit wünschen?“

„Ich feiere bald einen runden Geburtstag. Meine Kinder wollen mir gerne etwas Besonderes schenken, aber ich finde, ich habe schon alles. Was ich mir sehr wünsche, ist, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen. Kann ich mir das wünschen?“

Natürlich können Sie! Es stimmt ja, ab einem gewissen Alter und Einkommen hat man immer weniger materielle Bedürfnisse, die mit Geschenken befriedigt werden können. Aber gemeinsame Zeit wird immer kostbarer, vor allem, wenn die Kinder verstreut wohnen und gemeinsame Termine schwierig zu realisieren sind. Diese Zeiten gut zu gestalten und positive Erinnerungen zu schaffen, dazu eignen sich Anlässe, an denen die Familie sowieso zusammenkommt, besonders gut. Planen Sie auch ein, Fotos oder Videos von dem gemeinsamen Erlebnis zu machen.

WENN SIE ZU HAUSE BLEIBEN WOLLEN
Haben Sie früher gern gemeinsam gespielt? Dann holen Sie die altvertrauten Spiele wieder heraus. Oder lassen Sie sich ein neues Spiel schenken, das Sie zusammen ausprobieren.

Wann haben Sie das letzte Mal gemeinsam in alten Fotoalben gestöbert? Liegen irgendwo noch Fotos, die darauf warten, eingeklebt zu werden? Stellen Sie gemeinsam ein Album zusammen!

Haben Sie schon mal als ganze Familie gemeinsam gekocht? Es gibt Kochideen, die so aufwändig sind, dass sich eine gemeinsame Vorbereitung anbietet: Tapas, Frühlingsrollen mit verschiedenen Füllungen, Sushi, ein mehrgängiges Menü …

Eine auf den ersten Blick etwas schräge Idee ist ein gemeinsames Fußbad. Es vereint Entspannung und Geselligkeit mit Gemütlichkeit. Falls es passt, sitzen alle gemeinsam um die Badewanne, ansonsten brauchen Sie genügend Plastikwannen. Mit ausreichend Handtüchern, Badezusätzen, kalten Getränken und Musik wird das bestimmt eine einzigartige Erfahrung.

WENN SIE AUSSERHALB NACH IDEEN SUCHEN
Was haben Sie früher als Familie gern unternommen? Vielleicht eine Radtour, wandern, gemeinsam schwimmen, bowlen, minigolfen, Drachen steigen lassen? Tun Sie es einfach mal wieder! Waren Sie schon mal Tourist in Ihrer Heimatstadt? Machen Sie eine Stadtführung, besuchen Sie eine Ausstellung oder den botanischen Garten, besichtigen Sie eine Brauerei, buchen Sie eine Kanutour oder verbringen Sie einen Wellnesstag in der Sauna.

Wollen Sie etwas tun, das Sie noch nie gemacht haben? Gehen Sie gemeinsam Blut spenden. Spaß macht auch ein Fotoshooting. Oft gibt es Rabattaktionen, und es werden verschiedene Accessoires (von Seifenblasen bis zu Verkleidungen) zur Verfügung gestellt.

Trauen Sie sich in einen Escape Room. Hier handelt es sich um ein Team-Spiel, bei dem in der Gruppe mit Hilfe von Gegenständen und Hinweisen Rätsel gelöst werden müssen, um aus einem unbekannten Raum zu entkommen.

Und falls Sie jetzt doch „nur“ essen gehen wollen, erkundigen Sie sich nach einem „Erlebnis-Dinner“: Gruseldinner, Mittagessen unter Wasser, Gourmetstadtrundfahrt, Krimidinner, Ritteressen, Dinner in the Dark – eine dieser Möglichkeiten wird es auch in Ihrer Nähe geben.

Michaela Schnabel ist Mutter von drei erwachsenen Töchtern. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und lebt in Witten.

 

Streit um die Zeit

„Wie viel Familienleben kann man als Eltern von Teenagern einfordern? Ist eine gemeinsame Mahlzeit am Tag zu viel verlangt? Oder kann man gar nichts fordern, sondern sich nur wünschen?“

Teens streben zunehmend nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dies kann sich im Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug äußern oder im häufigen Zusammensein mit Gleichaltrigen. Welche Form Ihr Kind bevorzugt, kann im Temperament oder in der aktuellen Stimmungslage begründet sein. In der Pubertät ist vieles im Umbruch. Der Körper und das Gehirn verändern sich, die Stimmung schwankt und neue Herausforderungen stürmen auf die Teens ein. Sich in dieser Zeit verstanden zu fühlen, eine Meinung zu bilden und seine Zeit selbstbestimmt zu füllen, ist reizvoll und natürlich. Rückzug oder Aktionen mit Freunden werden immer wichtiger. Dies steht oft im Widerspruch zum Familienleben und wird häufig zu einem Kampf um die gemeinsame Zeit. Ein jahrelanges Ritual, wie eine gemeinsame Mahlzeit, kann da schon mal zur Nervenprobe für die Eltern werden, ein schöner Familienausflug mit schlechter Laune oder gar Verweigerung enden.

SICH SELBST HINTERFRAGEN
Es gilt den Fragen nachzugehen: Wann bestehe ich auf gemeinsame Zeiten und warum? Bin ich zu neuen Sichtweisen oder Kompromissen bereit, und wie könnten diese aussehen? Auf solche Fragen sollten Sie eine Antwort finden, um überzeugender, klarer und gestärkt in Ihren Aussagen zu sein. Aussprüche wie „Das ist einfach so und du kommst jetzt gefälligst mit“ sind nicht so überzeugend wie „Wir verbringen gerne Zeit mit dir.“ So erhöht sich die Chance, dass sich Ihr Kind ernstgenommen fühlt. Auch Bedenken können und dürfen dann Platz finden. Kurze Aussagen wie „Ach, ich bin froh, einfach mal zu Hause sein zu können, in der Schule war so viel los diese Woche …“, können ein Türöffner für gegenseitiges Interesse und weiteren Austausch sein.

EIGENVERANTWORTUNG ÜBEN
Die hohe Kunst ist, aufmerksam zu sein, Bedürfnisse nicht zu ignorieren und auch den wachsenden Raum für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wahrzunehmen und anzuerkennen. Das kann z.B. bedeuten, das Kind klinkt sich aus und darf mal alleine zu Hause bleiben oder sich mit einem Freund verabreden, während die Familie eine Runde wandert. Es gilt, offen zu sein für neue Ideen und kreative Lösungen, um gewinnbringende Gemeinsamkeiten zu finden. Auch neue Konstellationen für die Freizeitgestaltung sind denkbar. Es könnte z.B. ein Freund mitkommen, Vater und Sohn planen eine Aktivität für „Männer“, oder der Teen verreist mit einer Jugendgruppe. Bei Themen, die Ihnen wichtig und auch wiederkehrend sind, bleiben Sie bei sich und seien Sie transparent in Ihren Wünschen und Erwartungen. Sie sind nach wie vor verantwortlich für Ihr Kind, wohlwissend, dass seine Eigenverantwortung zunimmt und eingeübt werden sollte. Vielleicht hilft das Bild eines Leuchtturms: Geben Sie regelmäßig Lichtsignale zur Orientierung in stürmischen oder nebligen Zeiten. Die größte Herausforderung ist, eine gewisse Nähe beizubehalten und zugleich im Vertrauen immer mehr loszulassen.

Sonja Krebs ist Erzieherin und Heilpädagogin, verheiratet und Mutter von zwei Jungs (14 und 5 Jahre alt). Sie wohnt in Königswinter.

So was wie Stille

Bei Familie Diekmann geht es oft laut zu. Umso mehr sind sie bemüht, immer wieder Oasen der Ruhe für die ganze Familie zu schaffen.

Unser Tag ist laut, wild und bunt. Das macht uns als Familie aus. Jeder, der uns kennt, grinst über meine laute Art zu lachen, die schnellen Wortgefechte bei Diskussionen und den frotzeligen Ton zwischen uns. Nicht immer tut uns unser kraftfordernder Tag gut. Oft ächzen wir und sehnen uns nach einer Oase der Ruhe. Wir lieben daher Pausenzeiten – als ganze Familie. Nach jedem Mittagessen um 14 Uhr verschwinden wir alle in unseren Zimmern und ruhen eine Zeit lang. Die, die lange Schule haben oder berufliche Termine, verzichten darauf. Alle anderen atmen bewusst durch – bei einem spannenden Hörspiel, handyfrei beim Stillliegen, Schlafen oder Musikhören. Nur eine halbe Stunde später röchelt die Kaffeemaschine und wir treffen uns in der Küche. Nun werden Fragen aus der Schule oder zum weiteren Tag besprochen. Wir brauchen diesen kleinen Stopp am Tag, um zu spüren, wer wir sind. Um uns zu erinnern und zu vergewissern. Nicht selten ist das auch eine Chance, für die weiteren Schritte des Tages zu beten.

ATEMHOLEN BEI GOTT
Seit unsere Kinder im Grundschulalter sind, versuchen wir in unregelmäßigen Abständen, Neues über Gott zu entdekken. Wir sind keine Familie, die das einmal pro Woche tut. Immer wieder befinden wir uns aber an einem Punkt, wo wir fünf uns zum Kuscheln auf dem Sofa treffen. Zur Ruhe zu kommen, ist in Familien eine echte Aufgabe und auch bei uns ist es immer wieder Thema. Wir wollen uns bewusst für Gottes Kraft öffnen. Wir wollen gut über unsere Herausforderungen denken und reden, anstatt über Stress zu jammern. Immer wieder entscheiden wir uns für ein Frühstück im Schlafanzug mit Vorlesen und Rückenkraulen oder sogar ein Abendmahl als Familie. Ich vermisse dabei allerdings die „würdige Andacht“ unserer Kinder. Sie sind schnell wieder im Alltag. Ich aber sehne mich nach einem tiefen Atemholen mit ihnen bei Gott. Highlights gibt es dennoch: Als alle Kinder noch im Kindergarten- und Krabbelalter waren, haben wir als Familie gesungen. Manchmal fünf Minuten, manchmal fünfzehn. Henrik konnte sich diese Pause am frühen Abend einrichten und hat mit einem Kind auf dem Schoß Wunschlieder aus dem Family-Liederbuch gespielt. Nach einem kurzen Gebet gab es Abendbrot. Mir haben diese Zeiten bei Gott geholfen, mein aufgewühltes Ich für den Tagesendspurt ins Lot zu bringen.

BESONDERER MOMENT
Einmal haben wir eine Gebetsrunde gestartet und uns von Gott ein Wort für das neue Jahr gewünscht. Ein Experiment. Werden wir etwas hören oder spüren, wenn wir einige Minuten still sind? Können wir alle Gedanken zurückschieben, die nicht mit dem Gebet zu tun haben? Die Kinder haben sich auf das Wagnis eingelassen. Nach der Stille hat jeder einen Moment lang innegehalten und sein Wort notiert. In einer Austauschrunde hat jeder sein Wort vorgestellt. Es kamen einige Worte, die passend werden sollten in diesem Jahr. Ein Kind hatte nichts für sich entdecken können – auch über dieses Ergebnis haben wir gesprochen. Dieser kleine Moment war besonders, und wir Eltern hätten ihn gerne noch länger festgehalten. Diese Stille-Übung hat uns miteinander und mit Gott verbunden. Meine Ideale für Ruhe und Stille als Familie mit Gott loszulassen, ist bis heute schwer für mich. So sind unsere Kinder beim abendlichen Beten im Urlaub ratzfatz fertig. Da bin ich kaum mit meiner Wahrnehmung bei Gott angekommen.

DER LIEBEVOLLE BLICK GOTTES
Da wir zappelig sind, können wir leichter zur Ruhe kommen, wenn wir körperlich beteiligt sind. Im Kindergartenalter haben unsere Kinder beim Beten die Tennisballmassage geliebt. Da wurde ihr Körper von Fuß über Beine, Rücken, Kopf bis zurück zum anderen Fuß mit kräftigem Druck abgerollt. Die Vorgabe war, dabei nicht zu sprechen. Einfach die leisen Tönen des Atmens zu hören. Am Ende der Ruhephase habe ich oft einen Segen gesprochen, und nicht selten ist ein Kind dabei eingenickt. Was ich gerade gerne übe, ist der liebevolle Blick Gottes. Ich habe diesen Gedanken im Gebetshaus Augsburg kennengelernt. Ich atme bewusst ein und aus. Manchmal ist mein Sohn dabei, manchmal alle. Wir stellen uns vor, welche Blicke von Menschen auf uns ruhen. Welche Erwartungen von diesem Tag drängen. Es gibt einen Punkt in meiner Vorstellung, der wie durch einen Spot hell erleuchtet ist. Dort ist nun mein Platz. Ich stelle mir vor, dass Gott mich hier liebevoll ansieht als seine Tochter. Ich lasse mich von ihm ansehen. Von ihm. Voller Liebe. Ich trete nicht schnell und zappelig wieder aus dem Licht. Ich halte es aus. Ruhe ist Raum, das Innere zu spüren. Es gibt viele Wege, wie Familien diese Stille für sich entdecken können: in die Sternennacht schauen, beim Hören einer Geschichte oder beim schaumigen Vollbad in eine Kerze blicken … Stille ist ein spannender Weg voller Entdeckungen.

family_16_6_ds-pdf-adobe-acrobat-pro-dcStefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

Oktopus-Sehnsucht

Ingrid Jope hätte manchmal gern zehn Arme.

Mamaaaa!“ – Unüberhörbar dringt der Ruf aus der Richtung des stillen Örtchens an mein Ohr. Unser Dreijähriger hat sein großes Geschäft fabriziert. Während ich abwische, fordert er mich (als späte Nachwirkung des Ohne-Windel-Trainings) auf: „Du kannst sagen: Ich bin stolz auf dich!“ Ich muss schmunzeln, und anerkennende Worte kommen ganz von selbst über meine Lippen. Die Drittklässlerin hat eine Frage bei den Mathehausaufgaben. Noch bevor ich die Antwort geben kann, klingelt das Telefon. Der Handwerker schafft es nicht rechtzeitig und fragt, ob er zwei Stunden später kommen kann. Zu diesem Zeitpunkt bin ich allerdings mit den Kindern beim Zahnarzt vorgemerkt. Das Essen auf dem Herd riecht verdächtig angebrannt. Es klingelt an der Haustür. Eine Nachbarin bringt das Paket, das sie heute Vormittag für uns angenommen hat. Aus dem Kinderzimmer höre ich frustriertes Heulen. Das fast fertiggestellte Bügelperlen-Herz ist auf den Boden gefallen. Die Perlen sind auf dem ganzen Fußboden verteilt. Manchmal wünsche ich mir, Gott hätte sich Mütter mit zehn Armen und zehn Händen ausgedacht. Die fehlenden acht könnten doch während der Schwangerschaft dazuwachsen. Mit dieser Oktopus-Ausstattung könnte man gleichzeitig im Suppentopf rühren, mit der Arztpraxis telefonieren, bei den Hausaufgaben assistieren, den umgekippten Saft aufwischen und Bügelperlen aufsammeln. Oder wahlweise das Baby trösten, mit dem Kindergartenkind puzzeln und nebenbei noch ein berufliches Meeting per Telefonkonferenz bewältigen und die Einträge im Kalender machen. Ja, warum eigentlich nicht? Er muss sich etwas dabei gedacht haben. Darin, dass Gott uns keine zehn Hände zugedacht hat, steckt die Botschaft: Er wollte keine Multitasking-fähige, ständig beschäftigte Alleskönner-Super-Mutti. Er schenkt uns Zeit und Kraft und Liebe – aber eben nur für 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche. Er schenkt uns so viel Kraft und Nerven, wie man mit zwei Händen und einem Herzen aufbringen kann. Wir dürfen Grenzen haben. Wenn wir alles könnten, was wir wollten und was andere in Form von Bedürfnissen und Wünschen an uns herantragen – Hand aufs Herz –, dann würden wir noch mehr hetzen und uns noch mehr in den Tag packen. In unserer Begrenzung liegt die Chance, dass wir lernen, gute Entscheidungen zu treffen und Prioritäten zu setzen, dass wir den Wald der Erwartungen ausforsten und im Stehenlassen von Lücken barmherzig werden mit uns selbst und anderen. Nebenbei buchstabieren unsere Kinder, was es heißt, zu warten, Verständnis zu haben, nicht alle Wünsche erfüllt zu bekommen – auch wenn das manchmal ein mühsamer Weg ist. Und daran, dass ihre Eltern keine Alles- gleichzeitig-super-Könner sind, lernen sie, gut mit ihren eigenen Gaben und Grenzen zu leben. Alles in allem bin ich doch froh, dass ich keine Oktopus- Mutter sein muss.

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr. Weitere Mutmach-Texte für Mütter sind in ihrem neuen Buch zu finden: „Mit dem Papst nach Bullerbü. Von Mamastress und Maxiglück“ (Brunnen)

Qualitätszeit statt Zeitfresser

89 Prozent aller Eltern würden gern mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. 86 Prozent würden gern mehr schlafen. Und 84 Prozent hätten gern mehr Zeit für partnerschaftliche Intimität. Im Auftrag des deutschen Familienministeriums hat McKinsey Eltern von minderjährigen Kindern zu Qualitätszeit und Zeitfressern befragt. Mehr Zeit hätten Eltern auch gern für Kultur und Unterhaltung, Nichtstun, Hobbys und persönliche Bildung. Warum kommt das alles zu kurz? Was sind die Zeitfresser im Alltag? Womit würden Eltern gern weniger Zeit verbringen? Hier werden am häufigsten Putzen und Aufräumen, der Weg zur Arbeit und Arztbesuche genannt.

Vor diesem Hintergrund hat McKinsey untersucht, inwieweit digitale Technologien Eltern helfen könnten, ihre Zeit mehr mit dem zu verbringen, was ihnen wichtig ist. Sie haben drei Möglichkeiten zusammengefasst:

1. Selbstorganisation

Durch einfachere und bessere Planung können Eltern Zeit und/oder Geld einsparen. Beispiele dafür sind der gemeinsame digitale Einkaufszettel, auf den jedes Familienmitglied Zugriff hat, oder der Familienkalender, mit dem sich die wöchentlich anstehenden Termine inklusive Fahrten organisieren lassen.

2. Außenkontakte

Werden möglichst viele Produkte und Dienstleistungen bei einem Anbieter gebündelt und verstärkt Onlineangebote genutzt, lassen sich ebenfalls zeitliche Freiräume schaffen. Ein Beispiel ist Video-Streaming als Ersatz für die stationäre Videothek oder Onlinebanking, das heute selbst Kontoeröffnungen ohne jeden physischen Kontakt erlaubt.

3. Strukturelle Veränderungen

Weiterreichende Möglichkeiten ergeben sich, wenn bestehende Strukturen verändert und durch neue ersetzt werden. Dazu zählen beispielsweise neue Wohnkonzepte und Smart Cities sowie neue Konzepte für Mobilität (z.B. autonomes Fahren) und Arbeit (z.B. flexible Arbeitszeiten, Home Office).

Neben dem, was heute schon möglich ist (Roboter fürs Saugen oder Rasenmähen, Tools fürs Home-Office, Lebensmittel online kaufen und liefern lassen …) entwirft die Studie einen Ausblick auf 2025: Das Leben im „Smart Home“ ermöglicht durch Vernetzung und Automatisierung eine Zeitersparnis bei typischen Hausarbeiten. Der „Smart Assistant“ organisiert Familien-, Handwerker- und Arzttermine. Beim „Smart Driving“ ermöglicht das selbstfahrende Auto mit Routenoptimierung kürzere Fahrzeiten. Und „Smart Shopping“ lenkt einen direkt zum richtigen Supermarktregal, weil der Kühlschrank schon vorher gemeldet hat, was gebraucht wird.

Dass diese Entwicklungen alle kommen werden, bezweifle ich nicht. Ob sie dazu führen, dass Familien mehr Zeit fürs Wesentliche haben, allerdings schon. In einzelnen Bereichen wird es sicher Entlastung geben, in anderen werden neue unliebsame Aufgaben dazukommen. Dann stürzt nicht nur das Laptop ab, sondern auch der Kühlschrank. Jede Vernetzung muss auch gesichert werden – das erfordert einiges an Knowhow.

Digitale Hilfsmittel sind nicht mehr als das: Hilfsmittel. Meinen Umgang mit meiner Zeit muss ich schon selbst auf die Reihe bekommen. Und was mich wundert: Bei den Zeitfressern werden gar nicht die digitalen Medien genannt. Dabei sind es oft ja sie, die uns die Zeit rauben. Wie schnell ist eine halbe Stunde vorbei, wenn ich auf Facebook unterwegs bin? Wie oft unterbricht eine Whatsapp-Nachricht das, was ich gerade tue? Deshalb finde ich es etwas lebensfremd, digitale Technologien als Allheilmittel darzustellen. Entscheidend bei allen Hilfsmitteln ist, wie der Mensch damit umgeht. Und das gilt meiner Meinung nach auch und ganz besonders für die schöne neue digitale Welt.

Bettina Wendland

Family-Redakteurin

„Warum tu ich mir das eigentlich an?“

Ein ganz normaler Tag um die Mittagszeit. Der Dreijährige ist k. o. vom Kindergarten und entsprechend nervenstrapazierend. Unsere Achtjährige stochert meckernd auf ihrem Teller herum. Zwei Wochen zuvor war dieses Essen noch ihr Lieblingsgericht. Ohne aufzuschauen bemerkt sie: „Wenn du arbeiten gehen würdest, dann könnte ich in der Betreuung zu Mittag essen. Meine Freundin wünscht sich immer, dass ich auch dableibe.“ Na toll, denke ich mir einigermaßen frustriert, dafür habe ich nun am Herd gestanden.

Nach den Hausaufgaben machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf in Richtung Spielplatz. Auf dem Umweg zum Bäcker, den wir vorher noch machen, entfaltet der Dreijährige seine Künste, sich lautstark zu widersetzen. „Ich will nicht zum Bäcker!“ Einmal rennt er fast vor ein Auto. Dann trödelt er im Schneckentempo. Als ich an der Hauptstraße entlang darauf bestehe, dass er an meiner Hand bleibt, brüllt er so laut, dass sich Passanten nach uns umdrehen. Ich seufze und frage mich: Warum tu ich mir das eigentlich an? Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, einige Jahre Vollzeit-Familienfrau zu sein. Ich will mir Zeit für die Kinder nehmen und bin dafür bereit, auf materielle Annehmlichkeiten zu verzichten. Aber an Tagen wie diesem kann ich Eltern, die ihre Kinder den größten Teil des Tages im Kindergarten und in der Schule betreuen lassen, extrem gut verstehen. Voller Selbstmitleid fange ich innerlich an, nach Stellenanzeigen Ausschau zu halten …

Später auf dem Spielplatz habe ich Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Mit der Frühlingssonne im Gesicht und zwei zufriedenen Kindern verblasst das Selbstmitleid schon etwas. Mir kommt ein Gespräch mit einer berufstätigen Mutter in den Sinn. Ihr Beruf macht ihr Spaß und sie ist grundsätzlich zufrieden mit ihrer Wahl, aber neulich sagte sie: „Ich wünschte, ich hätte erst später wieder angefangen zu arbeiten. Ich bin oft so gehetzt, mein Alltag ist so vollgestopft. Manchmal fühle ich mich richtig schlecht, dass ich nicht mehr Zeit für die Kinder habe.“

Ich tauche vollends aus meinem Selbstmitleid auf und denke mir: Keine Art, Familie zu leben, ist frustfrei. Egal, wie ich mich entscheide – ich habe Punkte, an denen ich mich reibe und die mich Kraft kosten. In dieser Hinsicht sind sich die unterschiedlichen Lebensentwürfe vermutlich sehr ähnlich. Ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden und will ihn durchhalten, auch wenn die Kinder es nicht zu jeder Zeit schätzen. Vielleicht würdigen sie es später, vielleicht auch nicht. Jedenfalls brauche ich mich nicht woanders hin zu wünschen. Denn genau die Lebensumstände, in denen ich stecke, sind meine Herausforderung, um Gelassenheit, Widerstandskraft und Meckerresistenz zu lernen. Dazu ermutigt mich auch ein Zitat von Romano Guardini: „Was geschieht, kommt von Gott her, aus seiner Liebe, auf mich zu. Es ruft mich an. Es fordert mich auf. Darin soll ich leben und handeln und wachsen und der werden, der ich nach Gottes Willen sein soll.“

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.

Kinder brauchen freie Zeiten!

Ein Plädoyer für mehr Leerlauf

Es ist mit Käse dasselbe wie mit Wein. Beide werden dann richtig gut, wenn wir ihnen Zeit zum Ruhen geben, zum Reifen. Tomaten und Melonen bekommen solche Reifezeiten, genauso wie junge Pferde oder gute Gedanken. Jedermann weiß es: Was gut werden soll, muss in Ruhe gedeihen.

Merkwürdigerweise gönnen viele Eltern ihren Kindern solche Reife- und Ruhezeiten kaum. Wehe, eine Viertklässlerin liegt zu lange untätig auf dem Sofa. Wehe, ein Zweitklässler spielt zu oft allein in seinem Zimmer mit Lego (ohne einen Freund!). Da werden Eltern schnell nervös: Ist das Kind vernachlässigt oder vereinsamt? Ist es gar entwicklungsverzögert?

Gedanken nachhängen

Tatsächlich aber brauchen Kinder solche Zeiten, in denen sie ungestört und ohne Zeitdruck und ohne erwachsene Anleitung sind. Zeiten, in denen sie nicht bespaßt werden und auch nicht fernsehen dürfen. Sie brauchen Momente, in denen ihre Kreativität reifen kann, Momente, in denen Eindrücke verarbeitet und sortiert werden. Manchmal müssen sich Kinder auch zurückziehen dürfen, um allzu bedrohliche Erfahrungen mal für eine Zeit lang auszublenden. Sie erholen sich dann von der rauen Wirklichkeit und Alltagshektik. Sie hängen Gedanken nach und entwickeln kühne Ideen. Sie kosten Traurigkeiten aus. Sie überdenken ihre Freundschaftsbeziehungen. Gerne sind sie bei Oma und Opa. Eltern aber sind oft getrieben von dem Anspruch, Kinder immer sinnvoll beschäftigen zu wollen. Sie erwarten von ihren Kindern außerdem schulische, musische und sportliche Höchstleistungen. Kinder sollen gerüstet sein für den Wettbewerb des Lebens. Zusätzlich sollen auch Grundschulkinder heutzutage viele gute Freunde haben, beliebt sein und alle guten Gelegenheiten ausnutzen, die das Umfeld nur bietet (und es gibt zurzeit sehr viele gute und einmalige Gelegenheiten). Zuletzt werden Kinder zu zahllosen Ereignissen mitgeschleppt, von deren Existenz ich selbst als Kind noch nicht einmal eine Ahnung hatte: Kinder-Unis, Gewerbefeste, Modenschauen, Ballonfahrten, Musicals, Spanisch-Kurse, Tauch-Urlaube, Mega-Partys, Bergbesteigungen und andere supertolle Angebote.

Produktive Langeweile

Aber oft bleibt bei den Kindern etwas auf der Strecke. Verkümmert wirken bei Grundschülern, mit denen ich als Lehrer zu tun habe, oft die Herzensbildung, die Initiativkraft, die Kreativität, der Problemlöse-Mut, die Empathiefähigkeit, die Freude am Leben und das Selbst-Bewusstsein.

Wenn Kinder zu lebensfrohen, verantwortlichen und reifen Persönlichkeiten heranwachsen sollen, müssen Eltern deren Leben und auch das Familienleben beherzt entschleunigen. Die Rolle des stets engagierten Förderers und die des Entertainers sollten sie ablegen. Erwachsene sind im Grunde nicht zuständig, wenn Kinder darüber klagen, dass sie Langeweile haben. Kinder können selbst überlegen, wie sie sich beschäftigen und selbst Spielideen entwickeln. „Produktive Langeweile“ nenne ich das.

Es gilt für Eltern auch, mutig die meisten guten Gelegenheiten auszulassen, die sich für ihre Kinder bieten. Vielleicht müssen Grundschüler noch gar kein Musikinstrument lernen oder in einem Sportverein sein. Vielleicht können sie Spanisch und Zehn-Finger-System auch noch als Jugendliche oder im Erwachsenenalter lernen. Vielleicht müssen Kinder auch nicht bei jeder Aufführung die Hauptrolle spielen. Und zuletzt: Vielleicht werden sie die richtigen Freunde und das passende Hobby erst später entdecken.

Kinder brauchen Zeit dafür, selbst ihren Weg hinein in ein gutes Leben zu finden. Geben wir sie ihnen!

Johannes Köster ist Leiter der Primarstufe an der Freien Christlichen Schule Ostfriesland. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern (10 und 11 Jahre) im Landkreis Leer.

Illustration: Thees Carstens