Zeit zum Glücklichsein

Eigentlich geht es uns gut. Wir nehmen uns nur so selten die Zeit, glücklich zu sein.“ Diese beiden Sätze von Anja Schäfer haben mich ins Mark getroffen. Bei einer Joyce-Sitzung gehört, habe ich sie mir sofort aufgeschrieben. Aber das wäre nicht nötig gewesen: Ich kann und will sie nicht vergessen. Sie haben mir den Spiegel vorgehalten und sind mir seitdem Ermutigung und Mahnung geworden, das Glück meines Lebens wahrzunehmen und zu genießen.

„Eigentlich geht es uns gut.“ Wenn ich mir bewusst mache, wie reich ich bin, kann ich das „eigentlich“ ersatzlos streichen. Ich lebe in einem reichen Land, habe ein Dach überm Kopf und mehr als genug zu essen. Ich kann meine Meinung frei äußern und einem Beruf nachgehen. Meine Kinder haben Zugang zu einer guten Ausbildung, und wenn wir krank werden, gibt es Ärzte und Krankenhäuser, die uns versorgen. Dass sich das Leben trotzdem manchmal alles andere als gut anfühlt ist eine Tatsache – und oft ein Luxusproblem.

Letzte Woche hatte ich so einen Tag, an dem alles zusammenkam und mir die Last meines Lebens unerträglich schien. Als ich dann im heute-journal das Bild einer syrischen Mutter sah, deren Säugling verhungert war, wusste ich, was wirklich unerträglich ist.

Das ist die eine Seite, die ich immer wieder versuche zu sehen: Es gibt so viel Gutes in meinem Leben! Das möchte ich auch dann nicht aus dem Blick verlieren, wenn das Schwere sich so übermächtig in mein Leben drängt. Die andere Seite ist aber auch zu sehen: Das Schwere ist schwer. Es gibt Situationen, die hart sind, ungerecht oder verletzend, und meinem wunden Herzen hilft es dann nicht, wenn ich diesen Schmerz angesichts der Not der Welt klein rede. Ich möchte mich dem stellen. Schauen, was ich verändern kann oder was ich betrauern muss und was mir dabei hilft. Und so versuche ich, die Balance zu finden und beides im Blick zu haben. Nicht im Selbstmitleid zu versinken, aber auch nicht über Schmerz und Not hinwegzugehen. Am besten finde ich diese Balance, wenn ich mich schriftlich sortiere. Ich komme mir leichter auf die Schliche, auf welcher Seite ich gerade vom Pferd zu fallen drohe, wenn ich lese, was ich geschrieben habe.

„Wir nehmen uns nur so selten die Zeit, glücklich zu sein.“ Dieser Satz ist mir vor allem für den „ganz normalen Alltagswahnsinn“ wichtig geworden. Viel zu schnell lasse ich mich von einem zum nächsten hetzen, möchte nichts verpassen und verpasse dabei das Wesentliche: Herzensbegegnungen mit Menschen, die mir wichtig sind; Innehalten und wahrnehmen, wenn Gott mir die Schönheit seiner Natur vor Augen führt oder einfach nur ein richtig schönes Wannenbad. Manchmal gelingt es mir, runter zu schalten. Mich mit meiner Tochter auf der Couch unter die Decke zu kuscheln und ihr wirklich zuzuhören. An einer Rose zu riechen und den Duft in seiner ganzen Intensität aufzusaugen. Oder mit meinem Mann einen Cappuccino mit ganz viel Milchschaum zu trinken – dann bin ich glücklich.

Es ist nicht das „Wahnsinnssupererfolgsglück“, sondern das leise Alltagsglück, das mein Leben reich macht und an dem ich allzu oft vorübergehe. In einem Interview mit Meryl Streep habe ich gelesen, dass sie ihre Oscars leichten Herzens hergeben würde, wenn sie sich zwischen ihnen und ihrer Familie entscheiden müsste. Auf Oscars muss ich ja nicht verzichten, aber den Vorzug vor vielen anderen und vielleicht „glänzenderen“ Möglichkeiten dem leisen Lebensglück Familie zu geben, das möchte auch ich tun.

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

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