Reife Entscheidung

„Unsere Tochter (23) ist erst seit einem halben Jahr mit ihrem Freund zusammen. Jetzt sprechen sie schon vom Heiraten. Wir meinen, dass sie sich noch Zeit lassen sollten. Wie können wir es ihr oder ihnen vermitteln?“

Als mein 16-jähriger Neffe im Brustton der Überzeugung verkündete, er habe die Frau seines Lebens gefunden, musste ich innerlich schmunzeln. Wer würde nicht skeptisch reagieren, wenn junge Menschen in der Phase des Verliebtseins ans Heiraten denken? Insofern kann ich Ihre Sorge gut verstehen. Ganz egal, ob die Kinder noch in der Pubertät stecken oder mit 23 Jahren eigentlich im besten Alter sind, einen Partner zu finden. J a, es stimmt: D ie Liebe braucht Zeit und muss sich im Alltag bewähren. Allerdings – in meiner Praxis als Therapeutin erlebe ich es oft genau umgekehrt: Junge Menschen haben große Selbstzweifel, ob sie je in der Lage sein werden, sich zu binden. Sie haben die Ausbildung mit Bravour abgeschlossen, machen Karriere und fragen sich ernsthaft, ob sie mit Mitte dreißig überhaupt schon die nötige Reife besitzen, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Insofern freue ich mich, wenn junge Menschen damit offensichtlich kein Problem haben und beizeiten mit dem Partner an einer gemeinsamen Zukunft bauen.

UNERFÜLLTE WÜNSCHE?
Natürlich sollte eine Eheschließung gut überlegt sein. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Punkt den Kern Ihrer Zweifel ausmacht. Sie wünschen sich für Ihre Tochter, dass sie in dieser Frage eine reife Entscheidung trifft. Eine Entscheidung, die nicht durch den Filter der rosaroten Brille gefällt wird. Diesen Aspekt können Sie ohne Probleme in einem offenen Gespräch zu bedenken geben. Aber dann sind Sie gut beraten, sich mit Ratschlägen zurückzuhalten. Aber bevor wir als Eltern irgendwelche Bedenken zum Ausdruck bringen, sollten wir uns erst einmal fragen, was uns so skeptisch macht. Sind es die Vorstellungen für das Leben unserer Kinder, die wir in Gefahr sehen? Oder die eigenen unerfüllten Wünsche, die uns umtreiben? Haben wir selbst das Gefühl, uns zu früh oder zu schnell gebunden zu haben? Wie zufrieden sind wir mit der Wahl des Partners? Oder haben wir die Sorge, dass die eigenen Kinder noch nicht die nötige Reife besitzen, eine derart existenzielle Entscheidung zu treffen?

AUF AUGENHÖHE
Gehen Sie offen in das Gespräch und zeigen Sie Interesse. Lassen Sie ihre Tochter erzählen: Was gefällt ihr an ihrem Partner? Wie stellen sie sich die gemeinsame Zukunft vor? Was macht Ihre Tochter so sicher, dass er der Richtige ist? Und auf was müssten beide verzichten, wenn sie sich noch ein bisschen Zeit lassen? Schön, wenn unsere Kinder als Erwachsene, unseren Rat suchen, aber halten Sie sich mit Ratschlägen zurück. Stellen Sie offene Fragen und bleiben Sie mit dem jungen Paar auf Augenhöhe. Und übrigens: Ich war 23 Jahre alt, als ich meinen Mann geheiratet habe. Das war vor 31 Jahren. Der Gedanke, Friedhelm könnte der Mann fürs Leben sein, ist auch bei mir nach kurzer Zeit gereift. Und was soll ich sagen: Es hat funktioniert!

 

Christina Rosemann ist systemische Familientherapeutin und Supervisorin in eigener Praxis und lebt in Lüdenscheid. www.christina-rosemann.de

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