Beiträge

Abitur oder Ausbildung? Eltern fragen sich: „Was passt zu unserem Kind?“

Expertin Corinna Kühne meint: Eine Frage entscheidet darüber, ob Jugendliche weiter die Schule besuchen oder eine Ausbildung anfangen sollen.

„Bald steht die Entscheidung an, ob unser Sohn nach der Sekundarstufe 1 eine Berufsausbildung startet oder in die Sekundarstufe 2 geht, um das Abitur zu machen. Von den Noten steht er so dazwischen. Wie können wir eine gute Entscheidung treffen?“

Sie schreiben, dass Ihr Sohn von den Noten „dazwischen steht“. Er hat also wahrscheinlich gerade so die schulischen Voraussetzungen für den Besuch der Sekundarstufe 2. Für viele Familien ist es in dieser Situation selbstverständlich, dass ihr Kind Abitur (oder Matura) machen soll.

In Gesprächen merke ich jedoch oft, dass Eltern dabei nicht primär ihr Kind mit seinen Interessen und Begabungen im Blick haben. Das kann zum einen daran liegen, dass viele Mitschülerinnen und Mitschüler Abitur machen werden, sie selbst Abitur gemacht haben oder die Gesellschaft ihnen suggeriert, dass man eigentlich nur mit Abitur richtige berufliche Chancen habe. Andere Eltern wollen, dass ihre Kinder einen Abschluss erreichen, den sie selbst nicht geschafft haben. Sie projizieren ihre unerfüllten Ziele auf ihre Kinder. Letztendlich ist es auch die einfachste Entscheidung, da man sich keine Gedanken über Alternativen machen muss.

Was braucht er für den Traumberuf?

Das sind jedoch alles keine guten Gründe, die Sekundarstufe 2 zu besuchen. Wichtig für diese Entscheidung ist neben der schulischen Qualifikation der Berufswunsch. Die Teenager setzen sich bereits ab der 7. oder 8. Klasse damit auseinander, welche Interessen, Fertigkeiten und Begabungen sie haben und lernen unterschiedliche Berufsfelder kennen. Auch ein Betriebspraktikum kann eine wichtige Entscheidungshilfe sein.

Wenn Ihr Sohn schon genaue berufliche Vorstellungen hat und er für seinen „Traumberuf“ das Abitur benötigt, sollte er diesen Weg auf jeden Fall gehen. Dabei muss ihm klar sein, dass der Weg zum Abitur mit harter Arbeit verbunden ist. Es gibt Kinder, die sich dieser Herausforderung gern stellen und an ihr wachsen, die bereitwillig ihre Aufgaben erledigen, für Klassenarbeiten lernen und Referate vorbereiten. Wenn Ihr Sohn zu diesen Kindern gehört, kann der Weg zum Abitur ebenfalls genau der richtige sein. Es kann aber auch sein, dass die Schule für ihn schon lange eine Qual ist und mit Druck und negativem Stress verbunden ist. Dann ist es eher an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen.

Keine Angst vor Ausbildung

Begleiten Sie Ihr Kind, indem Sie Gesprächsbereitschaft zeigen und sich für seine Überlegungen interessieren. Sollte er Interesse an einem Ausbildungsberuf zeigen, unterstützen Sie ihn darin. Insbesondere wenn sie merken, dass ihm Schule keinen Spaß macht und er lieber etwas Praktisches machen möchte. Ich habe schon oft erlebt, dass insbesondere Jungen zunächst einen Beruf erlernen und zu einem späteren Zeitpunkt das Abitur machen, weil sie noch studieren möchten.

Eine gute Alternative für Kinder, die „dazwischen stehen“, kann auch der Erwerb eines Fachabiturs auf einem Berufskolleg sein (ähnlich der Fachmittelschule in der Schweiz). Dies umfasst sowohl einen schulischen als auch einen praktischen, berufsbezogenen Teil. Dieser Weg ist dadurch sehr abwechslungsreich und für viele Jugendliche motivierend.

Corinna Kühne ist Abteilungsleiterin für die Jahrgangsstufen 8-10 an der Matthias-Claudius-Schule in Bochum. 

Ihr Sohn bricht das Studium ab und wird Koch – das lehrte Barbara-Christine diese Phase

Nicht jeder muss studieren. Barbara-Christine Schild hat das bei ihrem Sohn selbst erlebt. Und warnt davor, dass Eltern beim Berufswunsch mitbestimmen.

Mit der Entscheidung für einen zukünftigen Beruf stellen viele Jugendliche erstmals im Leben eigenverantwortlich die Weichen für ihre Zukunft. Das ist sowohl Chance als auch Risiko und für viele eine immense Herausforderung. Sie müssen sich mit sich selbst auseinandersetzen, ihre Talente und Interessen erkennen und gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit des anvisierten Berufes abwägen. Darüber hinaus ist der Weg zum Ziel nicht immer gleich erkennbar. An dieser Stelle brauchen die Jugendlichen Unterstützung. Uns als Eltern kommt dabei eine besondere Rolle zu, auf die wir uns bewusst vorbereiten und in die wir nicht einfach hineinrutschen sollten.

Denn nicht nur in den Gesprächen, die wir mit unseren Kindern zu deren beruflicher Zukunft führen, auch ganz nebenbei im Alltag formulieren wir Vorstellungen, die wir für unsere Kinder haben. Damit machen wir Vorgaben, die oft für den Nachwuchs zur Orientierung oder gar Leitlinie werden – nicht zuletzt im Vertrauen darauf, dass die Eltern mit ihrer Lebenserfahrung schon wissen, was für die Kinder gut sein könnte.

Nicht ganz unvoreingenommen

Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit im Bundesinstitut für Berufsbildung könnte man vielleicht vermuten, dass ich die ideale Begleiterin in Sachen Berufswahl der eigenen Kinder sein könnte. Ich denke, dass das für mich persönlich nicht gilt – sonst wären die Dinge bei uns anders gelaufen. Auch in unserer Familie wurden die Gespräche über die berufliche Zukunft offenbar nicht ganz ergebnisoffen geführt: Tatsächlich hatte sich bei unserem Sohn die Vorstellung manifestiert, dass wir von ihm erwarten, nach dem Abitur ein Studium zu absolvieren. Dies hat uns doch sehr überrascht, denn eigentlich hatten wir gedacht, den Zukunftsvorstellungen unserer Kinder unvoreingenommen begegnet zu sein. Erst die persönliche Erfahrung hat meinen Blick dafür geschärft, wie man die Kinder begleiten sollte, wenn sie wichtige Entscheidungen für die berufliche Zukunft treffen müssen – und dass wir immer wieder unsere eigene Neutralität hinterfragen sollten.

Die befreiende Frage

Unser heute 27-jähriger Sohn hat das Gymnasium besucht, in der Oberstufe die Leistungskurse Sport und Mathe belegt und nach dem Motto „Ein kluges Pferd springt nicht höher, als es muss“ ein eher mittelprächtiges Abitur abgelegt. Anschließend hat er die Entscheidung zur eigenen Zukunft zunächst einmal vertagt und für sich eine „Findungsphase“ eingefordert. Die haben wir ihm unter der Auflage gewährt, dass er sich einen Job sucht und eine fixe Aufgabe im Haushalt übernimmt. Gesagt, getan: Den Job fand er schnell in einem Restaurant, zu Hause übernahm er das Kochen für die Familie.

Wir merkten schnell, wie begeistert er von diesen Aufgaben war. Dennoch hatte sich bei ihm der Gedanke, „dass man nach dem Abitur halt studiert“ und dass dies ja auch mit den elterlichen Vorstellungen einhergeht, offenbar schon sehr gefestigt. Deshalb begann er nach diesem Jahr mit einem Studium. Begeisterung dafür war jedoch keine zu spüren, er berichtete kaum über seinen Unialltag. Stattdessen drehten sich die Gespräche mit ihm immer wieder um das Kochen und wie welche traditionellen Gerichte zu modernisieren wären. Irgendwann haben wir dann die „befreiende“ Frage gestellt, was er denn nun wirklich möchte: studieren oder eine Ausbildung zum Koch machen?

Plötzlich ist der Berufswunsch klar

Es sprudelte nur so aus ihm heraus. Den Plan, Koch zu werden, hatte unser Sohn schon vollends ausgeklügelt, das erforderliche Vorgehen bereits klar durchdacht. Er wusste, dass er die französische Küche von der Pike auf lernen wollte, und hatte sich bereits ein Restaurant mit bestem Ruf ausgesucht. Die zentrale Begründung war, dass dort der Koch nicht im Fernsehen, sondern in der Küche zugegen sein und ihn einweisen würde. Wir haben ihm zugestimmt, es zu versuchen. Von da an ging alles schnell. Die Bewerbung war nach drei Tagen auf den Weg gebracht, weitere drei Tage später kam die Einladung des Restaurants. Für eine Woche wollten sie ihm die Möglichkeit geben, die Anforderungen des Hauses kennenzulernen.

Er war so beseelt von seinem Tun dort, dass völlig klar war: Hier hat jemand seine Profession gefunden. Eine Woche nach dem Praktikum lag der unterschriebene Ausbildungsvertrag in unserem Briefkasten. Die Ausbildung war wirklich hart, menschlich wie fachlich. Aber nicht einen Tag hat unser Sohn diese Entscheidung in Zweifel gezogen. Inzwischen leitet er die Küche eines Düsseldorfer Restaurants und sagt: „Das Kochen ist für mich das Bedienen eines Grundbedürfnisses. Und ich darf das jeden Tag tun – wow!“ Jetzt sind wir froh, dass wir alle zusammen rechtzeitig die Kurve bekommen haben. Für uns als Eltern bleibt die Erkenntnis, mehr auf unsere Kinder zu vertrauen. Sie wissen schon ganz gut, wie sie sich auf den Weg in die eigene Zukunft machen müssen. Das Ziel sollten die Jugendlichen selbst wählen – auf dem Weg dorthin können und müssen wir sie unterstützen.

Eltern sollten nur begleiten, nicht leiten

Die unvoreingenommene Beratung ist für Eltern nicht ganz einfach, denn sie „wollen ja immer das Beste“ für ihre Kinder – und glauben gern, das auch beurteilen zu können, denn sie haben ihre Kinder auf ihrem bisherigen Weg stets „gelenkt“. Aber in diesem Fall verändert sich unsere Rolle vom Leitenden zum Begleitenden. Sich dessen bewusst zu sein, dass für uns eine neutrale Beratung der eigenen Kinder bei der Berufswahl nicht ganz einfach ist, kann ein erster Schritt hin zu einer ergebnisoffenen Begleitung sein. Die fehlende Objektivität gegenüber den Kindern ehrlich zu formulieren, kann sie motivieren, die elterlichen Vorstellungen tatsächlich mit Blick auf die Vereinbarkeit mit den eigenen Ideen zu hinterfragen. Es muss für Kinder deutlich werden, dass die kritische Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Eltern legitim ist – was im Übrigen nicht nur bei der Berufswahl gilt.

Wenn die Berufsorientierung zum Thema wird, gilt die Devise: erst einmal zuhören und die Kinder reden lassen. Darüber hinaus sollten wir als Eltern uns bewusst machen, dass es heute nicht nur eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, sondern auch, dass sich Berufsbilder sehr stark gewandelt haben. So kann es sein, dass meine Vorstellungen von Berufen und deren Tätigkeiten sowie Anforderungen nicht mehr aktuell sind. Es hilft auch, sich als Eltern über den heutigen Stand in den jeweiligen Berufen erst einmal zu informieren.

Traumberuf: ja oder nein?

Ich sollte mein Kind nicht von seinem Berufswunsch abbringen, selbst wenn dieser nicht dem entspricht, was ich mir erhoffe: Wenngleich es Zeit kostet und vielleicht auch mit Enttäuschungen verbunden ist, sollten Kinder sich mit ihren Ideen versuchen dürfen. Allein schon, damit keine „offenen Fragen“ im Leben bleiben – getreu dem Motto: „Hätte ich doch …“. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Jugendliche, die zunächst einen ähnlichen Weg wie die Eltern einschlagen möchten. Sich ein Stück weit auf „vertrauten Pfaden“ zu bewegen, etwas zu tun, was man schon zu kennen glaubt, erscheint zunächst vielleicht als der Weg des geringsten Widerstands.

Dabei sollten wir Eltern aber schon erkennen, ob bei unseren Kindern ein echtes Interesse vorliegt. Falls ja, ist es aus meiner Sicht sinnvoll, dass sie die Ausbildung in einem fremden Betrieb der gleichen Branche machen und nicht im elterlichen Unternehmen. Oder man zeigt den Kindern ähnliche Optionen auf. So nennen viele Kfz-Mechatroniker/in als Berufswunsch, aber vielleicht wäre auch eine Ausbildung als Zweiradmechaniker/in oder Land- und Baumaschinenmechatroniker/in spannend. Das erweitert zudem die Perspektive.

Einfach in Berufe reinschnuppern

Eltern sollten die vielfältigen Informationsmöglichkeiten nutzen, zum Beispiel digitale Angebote (siehe unten) oder Elternabende zur Berufsorientierung in der Schule. Vorteil des heutigen Schulsystems sind die vielfältigen Angebote zur Berufsorientierung: zum Beispiel Potenzialanalysen, Berufsfelderkundungen oder Praktika. Als Eltern können wir unsere Kinder motivieren, sich auszuprobieren und in Berufe hineinzuschnuppern, die sie nicht auf dem Schirm hatten. Sie sind ja auch einen Schritt weiter, wenn sie wissen, was auf keinen Fall in Frage kommt. Vielleicht werden sie aber auch positiv überrascht. Es hilft, praktische Erfahrungen zu sammeln.

Generell sollten wir als Eltern unsere Kinder stärken, sich etwas zuzutrauen und Rückschläge nicht als totales Versagen zu interpretieren. Die wichtigste Botschaft an die Jugendlichen ist: Welchen Beruf auch immer ihr auswählt, entscheidend ist, dass ihr es so gut macht, wie ihr könnt!

Barbara-Christine Schild ist Diplom-Geografin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Hilfreiche Online-Portale

berufenavi.de: Das neue Berufsorientierungsportal für Jugendliche des Bundesministeriums für Forschung (BMBF) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) will Jugendliche bei der Suche nach ihrem Wunschberuf unterstützen. Neben einer Selbsteinschätzung bietet es Orientierungshilfen, Talenttests, Praktikumsbörsen und Beratungsangebote sowie Links zu weiteren Online-Angeboten.

berufsberatung.ch: Das offizielle schweizerische Informationsportal bietet eine Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung und beantwortet Fragen rund um Lehrstellen, Berufe, Aus- und Weiterbildungen.

jugendportal.at/themen/arbeit-beruf/ berufsorientierung: Hier gibt es zahlreiche Links zu Websites und Beratungsangeboten in Österreich.

Ein Paar, zwei Perspektiven: Herz versus Kopf

„Wichtigeres als Schule“

Katharina Hullen weiß, wie die Freunde ihrer Kinder heißen. Wo Bhutan liegt, findet sie nicht so essenziell.

Katharina:

Mark Twain sagte einmal: „Für mich gibt es Wichtigeres im Leben als die Schule.“ Nach monatelangem Homeschooling mit fünf Kindern weiß ich gar nicht, ob ich diesem Satz zustimmen oder widersprechen soll. Insbesondere, da Bildung für die Lehrer-Dynastie Hullen seit Generationen Elternsache ist. Es ist ein Wunder, dass sie mich ungebildetes Wesen überhaupt in ihren Kreis aufgenommen haben, denn wie sich zeigt, bin ich dem Homeschooling schon rein inhaltlich nicht mehr gewachsen. Was für ein Segen, dass es den klugen Lehrer-Papa gibt, der in allen Fächern aushelfen kann, wenn’s mal nicht läuft. Wie wichtig doch Schule und Lehrer sind!
Dennoch kann ich auch Haukes Schüler verstehen, die nicht interessiert, wo Bhutan auf der Weltkarte zu finden ist oder wie sich ein Parlament zusammensetzt. Ich suchte in meiner Schulzeit auf der Landkarte nur die Länder heraus, aus denen Freunde stammten. So wusste ich genau, wo Sri Lanka lag, bei Österreich konnte ich nur raten. Mein Vater ist parteipolitisch engagiert, und zu Hause wurde immer viel diskutiert und gestritten. Ich schaltete bei diesen Debatten immer automatisch ab, was leider auch zu großen Wissenslücken führte. Als ich Hauke kennenlernte, wusste ich daher nicht einmal, was eine „Opposition“ ist. Peinlich. Bei einem der ersten Treffen bei meinen Schwiegereltern in spe wurde beim Kaffeetrinken über die physikalischen Abläufe beim Abbrennen einer Kerze philosophiert. Eine mir bis dahin völlig fremde Gesprächskultur. Und mitreden konnte ich auch nicht. Warum gab es für den belesensten Ehemann von allen und das naive Landei doch noch ein Happy End? Nun, mir waren diese Bildungslücken peinlich. So kaufte ich mir eine große Weltkarte, hängte sie über mein Bett und studierte sie. Ich las in der Zeitung nicht mehr nur den Panorama-Teil und ersetzte einige Serien durch Dokumentationen. Bildung lässt sich also aufholen.
Aber noch viel entscheidender für das Happy End war dieses „Wichtigere im Leben“, das Mark Twain vermutlich meint. Der andere, der bessere Teil von mir, der super zuhören, mitdenken, praktische Lösungen finden, mitfühlen, spontan reagieren und sich jede Menge Zeit für mein Gegenüber nehmen kann. Was hilft das Zahlen-Daten-Fakten-Wissen, wenn man nicht erkennt, wie es den Menschen um einen herum geht? Was nützt Bildung, wenn ich nicht fühlen kann, was jetzt wichtig ist?
Unsere Kinder wachsen in einem Haushalt auf, wo Wissen und Bildung durch Schule, Eltern, Großeltern und der Sendung mit der Maus quasi rund um die Uhr vermittelt wird. Sie erleben den klugen Papa, den man alles zur großen weiten Welt fragen kann, und eine kluge Mama, die weiß, wie die Freunde ihrer Kinder heißen, worüber sie lachen und weinen, die spielt, bastelt, Anteil nimmt und ihnen hilft beim Finden kreativer Ideen. So manche dieser guten Gespräche mit den Kindern gehen an meinem gebildeten Hauke vorbei, obwohl er mit am Tisch sitzt – weil er gerade Zeitung liest!
Ich bin sehr dankbar über unsere Mischung – denn so können unsere Kinder gebildete und einfühlsame Menschen werden. Gott sei Dank!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

„Weil Liebe nie zerbricht“

Hauke Hullen ist entsetzt, wenn ein Schüler London in Ostchina verortet. Wie gut, dass sein 5-Jähriger die Umrisse von Deutschland kennt.

Hauke:

Beim Abendbrot entspinnt sich ein Gespräch übers Sodbrennen. Da beginnt die 14-Jährige zu dozieren: Die Speiseröhre sei mit einer Schutzschicht ausgekleidet, diese werde jedoch von der Magensäure zerstört, wenn sie aus dem Magen hochsteigt. Anschließend geht es mit Einzelheiten zur Phosphorsäure weiter. Woher sie das alles weiß? Aus dem Chemie-Unterricht. Vor lauter stolzer Glückseligkeit kann ich kaum in mein Brot beißen. Doch es wird noch besser: Wenige Minuten später rupft unser 5-Jähriger den Schinken von seinem Brötchen. Der Knirps hält triumphierend den Fleischlappen in die Runde und ruft: „Das sieht ja aus wie Deutschland!“ Tatsächlich: Durch ein paar Bisswunden entstellt hat der Aufschnitt eine Form angenommen, in der man mit ein bisschen gutem Willen die Umrisse Deutschlands erkennen kann. Nun, ich will das nicht überbewerten, doch dass der jüngste Spross meiner Lenden unsere Landesgrenzen in Rindersaftschinken mit Pfefferkruste wiederfindet … Sicherheitshalber kontrolliere ich, ob das Telefon frei ist, falls das Nobelpreis-Komitee anruft. Denn in der Schule sehe ich oft das Gegenteil: Jugendliche, die erschreckend wenig von der Welt da draußen wissen. Während meinem Dreikäsehoch Aufschnitt reicht, um Deutschland zu identifizieren, kenne ich Oberstufenschüler, die die Bundesrepublik selbst auf einer Weltkarte nicht finden. Angehende Abiturienten, die Kronjuwelen unseres Bildungssystems, welche in Bälde studieren und die Geschicke unseres Landes lenken werden, aber nicht wissen, wo London liegt und irgendwann auf die Ostküste Chinas tippen, weil es dort offensichtlich viele große Städte gibt. Da wird das „Land“ (!) Afrika in Südamerika vermutet, die Entfernung zum Mond auf 80 Kilometer geschätzt und in einem Referat die Eröffnung eines NS-Konzentrationslagers im Jahre 1994 verortet. Das habe so im Internet gestanden. Wer gerade Bundespräsident ist, wissen auch nur 25 Prozent meines Leistungskurses Sozialwissenschaften. Und wenn Sie mal richtig schlechte Laune kriegen wollen, dann fragen Sie einen Teenager, was 15 Prozent von 200 Euro sind. Nun, es ist wohlfeil, sich über Wissenslücken von Jugendlichen lustig zu machen. Aber hier geht es nicht um Unterrichtswissen, sondern um Allgemeinbildung, die jedem zufliegt, der mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht. Wie will man diese Welt verstehen, wenn man nichts von ihr weiß? Wie will man Absurditäten erkennen, wenn kein Orientierungswissen vorhanden ist? Trotz 500 Jahren Aufklärung halten viele Menschen YouTube-Videos für seriöser als den wissenschaftlichen Konsens, vertrauen auf homöopathische Placebo-Medizin und lassen sich willfährig von allerlei Geschwurbel infizieren.

Da tut Bildung not! Darum hatten die beste Ehefrau von allen und ich direkt eine Weltkarte übers Ehebett gehängt. Mit einem Zeigestock ging es dann auf abendliche Weltreise, damit man weiß, wo die Freiheit am Hindukusch verteidigt wurde, wo Nordkorea die USA mit Raketen bedroht oder wo im Nahen Osten die Kulturen aufeinanderstoßen. Und damit man mitreden kann, wenn der 5-Jährige in der Wurst fündig wird.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

„Möglichst wenig Stress, viel gemeinsame Zeit“

Die Corona-Pandemie hinterlässt besonders bei Kindern und Jugendlichen Spuren. Wichtige Entwicklungen im kindlichen Gehirn fanden während der Lockdown-Phasen nur eingeschränkt statt. Die Neurobiologin Dr. Nicole Strüber erklärt in ihrem Buch „Coronakids“, wie Eltern ihren Kindern helfen können, die Pandemie gut zu verarbeiten.

Was braucht das kindliche Gehirn normalerweise für eine gesunde Entwicklung?
Das kindliche Gehirn braucht Erfahrungen. Es muss sich weiterentwickeln und sich mit all seinen Verschaltungen an seine jeweilige Umwelt anpassen – es muss lernen. Über den eigenen Körper, über die eigene emotionale Welt, über die Naturgesetze und – ganz wichtig – über die soziale Welt. Damit dies möglich ist, benötigt das Kind eine Umwelt, die ihm diese Erfahrungen bietet und die ihm ausreichend Sicherheit vermittelt. Also eine verlässliche Begleitung durch Menschen, mit denen es verbunden ist, und damit einhergehend Ruhe und Entspannung. Nur in diesem Zustand kann das kindliche Gehirn gut lernen.

Was hat den Gehirnen unserer Kinder in der Pandemie und speziell in den Lockdowns gefehlt?
Vor allem entspannte Eltern, denen es gelingt, sich in das Kind und seine Belange einzufühlen. Wir Eltern waren sehr gestresst in der Pandemie, zumindest viele von uns: existenzielle Sorgen, Angst vor einer Erkrankung, Home-Office mit quengelndem Kind auf dem Schoß, Homeschooling, kaum Möglichkeiten zum Stressabbau durch Sport oder Treffen mit Freunden. Ist das elterliche Gehirn im Stressmodus, dann ist es stumpf gegenüber den Bedürfnissen der Kinder. Den Eltern gelingt es nur schlecht, sich in das Kind einzufühlen, zu erkennen, was es gerade braucht, welche Bedürfnisse und Gefühle es daran hindern, ruhig und entspannt zu sein – und von der Umwelt zu lernen.

Masken für Kinder: „Als würde man einem Hund die Nase zuhalten“

Schadet es den Kindern, wenn sie eine Welt voller Masken sehen?
Schön findet das kindliche Gehirn diese Welt voller Masken bestimmt nicht. Es benötigt den Gesichtsausdruck anderer Menschen, um sich in der sozialen Welt zu orientieren. Versiegt diese Informationsquelle, ist das ungefähr so, als würde man einem Hund die Nase zuhalten. Dem kindlichen Gehirn dürfte es zwar nicht so wichtig sein, ob Menschen etwa in der U-Bahn oder im Supermarkt Masken tragen, immens wichtig ist aber die Mimik der Bezugspersonen des Kindes. Über deren Gesichtsausdruck lernt das Kind nämlich auch über seine eigenen Gefühle. Und auch das Erkennen der Mimik der Erziehenden und Lehrenden ist ungemein wichtig für die Orientierung in der sozialen Welt, aber auch für das Lernen.

Schadet es Kindern, dass sie so lange isoliert waren?
Mit zunehmendem Alter benötigen Kinder immer mehr das Miteinander mit anderen Kindern. Sie benötigen das Spiel mit anderen, das Rollenspiel, das gemeinsame Erproben der Welt. Sie üben dabei, eigene negative Gefühle in den Griff zu bekommen und die Perspektiven anderer zu verstehen und zu berücksichtigen. Und sie lernen auch, sogenannte Soft Skills zu entwickeln: Durchhaltevermögen, Konzentration, Kooperationsfähigkeit und weitere. Waren Kinder wirklich isoliert von anderen, dann dürften sie hier zunächst Defizite aufgebaut haben. Viele Kinder hatten aber ja auch ein paar wenige Gleichaltrige oder auch Geschwister, mit denen sie spielen konnten.

Nicht auf Bildung fokussieren

Schadet es ihnen auch, wenn sie die Angst und Not der Pandemie wahrnehmen?
Gerade für die kleineren Kinder sind die Gefahren der Pandemie ja noch sehr abstrakt, sie können die meisten der damit verbundenen Probleme gar nicht einordnen. Ihnen ist vor allem wichtig, dass ihre Bezugspersonen verlässlich bei ihnen bleiben. Ist das nicht sicher, bekommen auch sie Angst. Die elterliche Angst vor all den potenziellen Folgen der Pandemie nehmen sie aber durchaus wahr – und reagieren, vor allem dann, wenn sie selbst eine eher ängstliche Natur haben, ebenfalls mit Angst. Da ist es ganz wichtig, mit den Kindern zu reden, für sie da zu sein und ihnen zu zeigen, dass die Beziehung nicht gefährdet ist.

Was können wir Eltern tun, damit unsere Kinder aufholen, was sie verpasst haben?
Wichtig ist, dass wir uns nicht vor allem auf die Bildung fokussieren. Natürlich ist Bildung wichtig, überaus wichtig, gerade auch für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern. Aber – und das ist ein Punkt, den wir nicht vergessen dürfen: Das Gehirn braucht einen Zustand der Ruhe, um nachhaltig lernen zu können. Das Kind muss einigermaßen entspannt sein, darf keine unerfüllten Grundbedürfnisse haben, und es muss gewisse Eigenschaften mitbringen, die ihm das Lernen überhaupt ermöglichen, die oben erwähnten Soft Skills. Füttern wir unsere Kinder nun ausschließlich mit Lerninhalten, ist das in etwa so, als würden wir Wasser in eine verrostete und löchrige Tonne schütten: Es würde versickern.

Wir brauchen Verständnis und Vertrauen

Was brauchen unsere Kinder jetzt am ehesten?
Kinder, Eltern, wir alle brauchen Verständnis füreinander und möglichst wenig Stress. Kinder brauchen Verständnis, wenn das mit dem effizienten Lernen nicht sofort hundertprozentig gelingt. Und auch Jugendliche brauchen Verständnis. Für sie war die Pandemie besonders problematisch, darauf bin ich in meinem Buch ausführlich eingegangen. Es hilft ihnen nicht, wenn sie jetzt hören: „Du hast doch nun schon eineinhalb Jahre eine ruhige Kugel geschoben, jetzt gib mal Gas!“ So funktioniert ihr Gehirn nicht. Und wir alle brauchen Vertrauen darin, dass die Kinder die für sie wichtigen Lerninhalte schon bekommen werden, Vertrauen in das Gehirn, zu dessen Eigenschaften es gehört, sich fehlende Puzzleteile im Weltverständnis selbst zu suchen, und Vertrauen in die Kompetenz der Lehrkräfte, die wichtigen, pandemiebedingt entstandenen Lücken in der Bildung der Kinder aufzuspüren.

Was müssen Familien in den kommenden Monaten beachten, damit sie sich von der Pandemie erholen?
Sie sollten sich auf das Wesentliche konzentrieren. Darauf, möglichst wenig Stress zu haben und viel Zeit gemeinsam zu verbringen. Dinge, die man verschieben kann, zu verschieben. Muss wirklich dieses Jahr renoviert werden? Der Kleiderschrank ausgemistet werden?

Kinder brauchen Aufmerksamkeit, damit der gesellschaftliche Graben sich nicht verschärft

Wie kann Familien geholfen werden, die durch die Pandemie vielen verschiedenen Stresskomponenten ausgeliefert sind oder waren?
Diese Familien brauchen Unterstützung. Sie müssen aufgefangen werden, brauchen Ansprechpartner, niedrigschwellige Hilfen im Stadtteil, um ihre Schwierigkeiten zu bewältigen. Die Eltern benötigen diese Unterstützung, aber auch die Kinder selbst. Gerade Kinder, deren Zuhause kein sicherer Hafen ist, brauchen Menschen außerhalb der Familie, mit denen sie reden können, Erziehende in der Kita, Lehrende in der Grundschule oder auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den verschiedenen Einrichtungen. Wollen wir verhindern, dass die soziale Schere sich noch weiter öffnet, muss hier personell drastisch aufgestockt werden. Gegenwärtig hat ja kaum jemand Zeit für die Kinder und ihre Probleme. Und Therapieplätze für diejenigen, deren Schwierigkeiten zu groß sind, gibt es auch nicht.

Man kann also knapp sagen: Familien, die viele Ressourcen haben, können sich wahrscheinlich – mit Verständnis und viel freier Zeit – von der Pandemie erholen. Die Kinder aus Familien, die über weniger Ressourcen verfügen, brauchen besonders viel Aufmerksamkeit von außen, damit der gesellschaftliche Graben sich nicht weiter verschärft.

Welche Ressourcen meinst du?
Es geht vor allem um die inneren Ressourcen. Um die Fähigkeit der Eltern, sich in die Kinder einzufühlen, ihre Gefühle zu erkennen und ihnen verlässlich Sicherheit zu vermitteln, sich selbst im Miteinander der Familie entspannen zu können, die Herausforderungen des Alltags anzugehen und auch bewältigen zu können – ohne dass es zu einer Implosion oder Explosion kommt. Aber auch äußere Bedingungen sind wichtig: Gibt es ausreichend Platz, damit sich alle auch mal aus dem Weg gehen können, damit die Kinder ihren Bewegungsdrang ausleben können, ohne allen gleich auf die Nerven zu gehen? Gibt es einen Garten? Gibt es soziale Unterstützung, Großeltern oder Nachbarn, die sich mit den Kindern beschäftigen können, wenn es den Eltern zu viel wird?

Kinder können die Pandemie psychisch unbeschadet überstehen

Wie können wir eine optimistische Einstellung erlangen hinsichtlich der Folgen der Pandemie?
Für uns als Gesellschaft bietet die Pandemie die Gelegenheit, strukturelle Probleme anzugehen, die schon seit Langem gegeben sind, deren Auswirkungen aber nun in Zeiten der Krise deutlich an die Oberfläche treten. Wir können da an die häufig entfremdete Art des Lernens in der Institution Schule oder auch an die Wartelisten im Bereich Psychotherapie denken. Und für die Kinder selbst gilt: Jede Krise, die bewältigt wird, macht stärker. Gelingt es uns, unsere Kinder so zu unterstützen, dass sie gegebenenfalls verpasste Erfahrungen nachholen können und nicht durch erhöhten Bildungsdruck noch mehr emotionale und soziale Erfahrungen verpassen, dann werden sie die Pandemie psychisch unbeschadet überstehen. Und dies mit dem Wissen, dass Krisen überwindbar sind. Dieses Gefühl wird sie auch dann begleiten, wenn sie später auf eigenen Füßen stehend Krisen überwinden müssen. Sie sind gerüstet für Herausforderungen, stark, resilient.

Das Interview führte Priska Lachmann, Autorin und Bloggerin aus Leipzig.

Buchtipps
Dr. Nicole Strüber: Coronakids. Was wir jetzt tun müssen, um unsere Kinder vor den seelischen Folgen der Pandemie zu schützen (Beltz)

Dr. Paul Plener/Dr. Silvia Jelincic: Sie brauchen uns jetzt. Was unsere Kinder psychisch belastet und wie wir sie schützen (edition a)

Homeschooling: Jetzt machen die Öffentlich-Rechtlichen Bildungsfernsehen – aber gucken die Schüler das überhaupt?

Die öffentlich-rechtlichen Sender haben ihr Bildungsprogramm erweitert, um Familien während der Schulschließungen zu unterstützen. Dabei machen sie jedoch einen entscheidenden Fehler.

Seit Montag (11. Januar) bieten ARD und ZDF ein erweitertes Fernsehprogramm an. Der Bildungskanal ARD-alpha sendet zum Beispiel wochentags von 9- 12 Uhr das Programm „Schule daheim“, der Kinderkanal KiKa reagiert mit einer Sonderprogrammierung, das ZDF erweitert sein Angebot »Terra X plus Schule« in der Mediathek und auf YouTube. Doch erreichen die Sendungen die Zielgruppe?

Simon ist 16 Jahre alt und geht in die zehnte Klasse einer privaten Gesamtschule. Über die Frage, wann er sich das letzte Mal eine öffentlich-rechtliche Informationssendung angeschaut hat, muss er länger nachdenken. „Bei Terra X habe ich schon öfter mal reingeguckt, wenn ich irgendwelche Fragen zum Unterricht habe. Das ist aber extrem selten“, sagt er dann. Den Fernseher schaltet er eigentlich nur an, wenn er Sportsendungen schauen möchte. Dass für ihn extra das Bildungsprogramm im Fernsehen erweitert wurde, interessiert ihn relativ wenig. Und selbst bei Interesse könnte er es gar nicht gucken, da er vormittags Videokonferenzen hat und für die Schule ansprechbar sein muss.

Klassisches Fernsehen kann sinnvoll sein

Gibt es also überhaupt Kinder oder Jugendliche, die von einem erweiterten linearen Bildungsfernsehen profitieren? „Ja“, sagt Markus Sindermann, Geschäftsführer der Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW: „Auch im Jahr 2021 gibt es noch Haushalte, die über keinen oder lediglich über einen eingeschränkten Internetzugang verfügen.“ Zudem könne es an technischen Geräten fehlen, wenn es zum Beispiel nur einen Laptop im Haushalt gebe, aber mehrere schulpflichtige Kinder und Eltern, die parallel im Homeoffice arbeiten müssten. „Die Nutzungszahlen sprechen dafür, dass die linearen Angebote genutzt werden“, sagt auch die Medienwissenschaftlerin Maya Götz. Gerade Kinder und Preteens profitierten davon, denn auch im zweiten Lockdown könnten viele Schulen besonders für die Jüngeren nicht genügend Angebote auf die Beine stellen.

Wirklich gut nutzen lässt sich das klassische Fernsehprogramm allerdings nur, wenn es pädagogisch begleitet wird. Indem Eltern oder Lehrerende zum Beispiel einzelne Sendungen auswählen, die zur individuellen Lernsituation des Kindes passen. „Insbesondere bei jüngeren Kindern ist eine Begleitung durch einen Elternteil wichtig, damit über die gezeigten Inhalte gesprochen werden kann“, erklärt Markus Sindermann. Damit das Fernsehprogramm auch einen langfristigen Lerneffekt hat, sollten die Formate im Idealfall zum Mit- oder Nachmachen aufrufen.

Jugendliche nutzen vor allem Online-Videos

Je älter die Kinder werden, desto uninteressanter wird das lineare Bildungs-Fernsehen allerdings für sie. „Bei den Älteren […] wird es schon kniffeliger. Denn für den Unterricht sind die Angebote dann sinnvoll, wenn sie den ganz konkreten Lernstoff betreffen“, sagt Maya Götz. Die Chancen, dass ein Schüler in drei Stunden „Schule daheim“ den passenden Input für das anstehende Deutschreferat oder den nächsten Englisch-Test bekommt, sind jedoch verschwindend gering.

In einem der seltenen Fälle, in denen Simon Terra X guckt, schaut er es nicht im Fernsehen, sondern auf YouTube. Das Videoportal nutzt er auch, wenn er etwas für die Schule recherchieren muss. Geschichtliche Fragen lässt er sich gerne von MrWissen2go erklären, bei Problemen in Mathe schaut er sich ein Video vom YouTuber Lehrerschmidt an. Auch die Eltern von jüngeren Kindern erzählen, dass ihre Kinder vor allem auf Online-Videos zurückgreifen, wenn sie öffentlich-rechtliche Formate wie Checker Tobi oder Anna und die wilden Tiere nutzen. Umso wichtiger also, dass die Inhalte des Fernsehprogramms auch online verfügbar und gut über Suchmaschinen auffindbar sind. So kann das Wissen dann abgerufen werden, wenn es benötigt wird.

Angebote sind kaum zu finden

Zwar bauen die öffentlichen Fernsehsender ihre Online-Angebote gerade aus, aber leider wird einem die Suche nicht immer leicht gemacht. Jede Bundesanstalt hat eigene Angebote. Die meisten sind nach Themen sortiert, allerdings nur grob nach Alter. Wer gezielt nach Videos für den Matheunterricht in der 7. Klasse sucht, wird hier wahrscheinlich nicht fündig. Am übersichtlichsten strukturiert ist da noch das Lernangebot der BR-Mediathek „Schule Daheim“. Und leider ist auch die Auffindbarkeit durch die Suchmaschinen noch nicht optimal, berichtet Maya Götz: „Hier sind die Wissensinfluencer*innen und kommerziellen Anbieter den öffentlich-rechtlichen Anbietern in Sachen Suchmaschinenoptimierung zurzeit etwas voraus, sodass deren Angebote schneller gefunden werden.“

Grundsätzlich ist der Ausbau der Bildungsangebote von ARD und ZDF, vor allem der ihrer Online-Mediatheken, ein tolles Angebot mit viel Potential – auch für die Zeit nach Corona. Simon lernt gerne mit Videos: „Videos gucken ist tatsächlich oft einfacher. Wenn ich nach acht Stunden aus der Schule komme, dann hab ich nicht mehr Bock, zuhause auch noch zu lesen.“ Jetzt müssen diese Angebote nur noch besser gefunden werden.

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

Eine Übersicht zu allen Bildungsprogrammen der ARD gibt es auf einer extra Seite.

Nicht mehr belastbar?

In letzter Zeit kam ich bei verschiedenen Gelegenheiten mit Freundinnen ins Gespräch, die auf der Arbeit mit Auszubildenden zu tun haben. Und von fast allen hörte ich ähnliche Beschwerden: „Die Azubis sind nicht mehr belastbar.“ „Sie halten sich nicht an Regeln.“ „Wenn man sie kritisiert, sind sie am nächsten Tag krank.“

Eine Freundin meinte, es liege an der Schule. Dort wäre alles viel zu lasch: „Wenn sie das Referat nicht bis zum vorgegebenen Termin fertig haben, können sie es auch später machen. So lernen die doch gar keine Verbindlichkeit.“ Meinen Einwand, dass hier doch vielleicht das Elternhaus den größeren Einfluss habe als die Schule, ließ sie nicht gelten. Nein, es liege definitiv an der Schule!

Interessant fand ich in diesem Zusammenhang ein Interview mit dem Fußballtrainer Christian Streich. Auf die Frage, ob die heutigen jungen Spieler sensibler als früher seien, antwortete er: „Gleich sensibel. Nicht besser, aber auch nicht schlechter. Die Welt, die jetzt ist, die machen wir: die 50-Jährigen und 40-Jährigen, nicht die Kinder. Die Kinder sind in diese Welt hineingeboren worden.“ Und er fährt fort: „Die Leute, die erzählen, die Kinder heutzutage sind so und so, die reden doch über sich selber. Wir Erwachsenen machen doch die Sozialisation und alles.“ Streich geht auch auf den Vorwurf ein, die Kinder heutzutage seien verwöhnt: „Ja, wer hat sie denn verwöhnt? Wer kauft ihnen die Smartphones? Wer kauft ihnen das Auto, wenn sie 18 Jahre alt werden? Das sind doch nicht die Kinder.“

Ich glaube, da ist was dran. Wir Eltern wollen unseren Kindern möglichst alle Wege ebnen. Wollen ihnen Schwierigkeiten aus dem Weg räumen, das Leben leicht machen. Das ist ja auch erst einmal gut. Aber vielleicht schießen wir dabei doch über das Ziel hinaus. Kinder müssen schwierige Situationen auch mal selbst bewältigen. Sie müssen auch mal auf Dinge verzichten, mal für eine Sache kämpfen. Selbstwirksamkeit lernen – so heißt wohl das Zauberwort.

Übrigens mache ich mit unseren Auszubildenden hier im Verlag nicht die Erfahrungen, die mir meine Freundinnen schildern. Sie sind motiviert, engagiert und machen einen guten Job. Da haben ihre Eltern und ihr Umfeld wohl vieles gut gemacht!

Bettina Wendland, Redakteurin Family und FamilyNEXT

„Ist ein Studium besser?“

„Unsere Tochter (17) macht im nächsten Jahr das Abitur. Eigentlich würde sie gern eine Ausbildung machen, aber alle raten ihr zum Studium, weil das langfristig bessere Möglichkeiten bietet. Stimmt das?“

So pauschal kann man das nicht sagen. Zwar sind statistisch gesehen Akademiker weniger von Arbeitslosigkeit betroffen und verdienen tendenziell mehr, aber im Einzelfall kann das ganz anders aussehen. Statt Berufs- und Einkommensaussichten sollte Ihre Tochter lieber ihre Interessen und Fähigkeiten in den Blick nehmen.

VIELE MÖGLICHKEITEN
Wer sich gern theoretisch mit Themen beschäftigt, ist bei einem Studium gut aufgehoben. Wer Dinge lieber praktisch angeht, sollte eher nach einer Ausbildung schauen. Sinnvoll kann auch eine Kombination aus beidem sein: zum Beispiel erst eine Ausbildung zur Medienkauffrau, anschließend ein Studium der Betriebs- oder Medienwissenschaft. Oder Ihre Tochter informiert sich über die Möglichkeiten eines dualen Studiums: Hierbei wechseln sich Studierphasen an der Hochschule mit praktischen Phasen im Ausbildungsbetrieb ab. Wie bei einer betrieblichen Ausbildung wird der Studierende bezahlt. Allerdings sind duale Studiengänge oft sehr arbeitsintensiv. In der Schweiz steckt das duale Studium noch in der Pilotphase. Hier gibt es neben der betriebsinternen Ausbildung und dem Hochschulstudium in manchen Berufsfeldern auch die Möglichkeit einer schulischen Ausbildung an einer Höheren Fachschule. Bei einem Studium müsste sich Ihre Tochter selbst finanzieren, es sei denn, sie kann ein Stipendium oder BAföG (in der Schweiz Bildungs-Darlehen) in Anspruch nehmen. In der Ausbildung sind die Gehälter zwar nicht üppig, aber viele Jugendliche genießen es, von den Eltern mehr oder weniger unabhängig zu sein.

DIE QUAL DER WAHL
Aber wie findet man nun den passenden Ausbildungsberuf oder das geeignete Studienfach? Hier bietet sich die Studien- und Berufsberatung der Agentur für Arbeit als erste Anlaufstelle an, in der Schweiz ein Berufsinformationszentrum. Erfahrene Berufsberater können mit Ihrer Tochter zusammen herausfinden, wo ihre Stärken und Interessen liegen und welche Berufe oder Studienfächer diesen entsprechen. Universitäten bieten für bestimmte Studienfächer auch sogenannte Self-Assessment-Tests an, die zeigen können, ob man für diesen Studiengang geeignet ist. Auch Studien- und Berufswahlmessen können Ihrer Tochter bei ihrer Entscheidung helfen. Die sollte sie aber nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen treffen.

 

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT. Sie hat Literaturwissenschaft studiert, obwohl viele meinten, dass das brotlos sei …

„Müssen wir das Studium finanzieren?“

„Unsere Tochter studiert und wohnt in einem Studentenwohnheim. Sie erwartet, dass wir ihre Miete übernehmen und den Lebensunterhalt finanzieren. Das bringt uns finanziell an unsere Grenzen. Ist es nicht normal, dass Studenten sich zum Teil selbst finanzieren durch entsprechende Jobs?“

Die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber Kindern in der Ausbildung hat der Gesetzgeber in Deutschland und der Schweiz sehr genau geregelt. Denn der Staat hat ein Interesse daran, dass junge Bürger eine qualifizierte Ausbildung erhalten. Deshalb sind Eltern auch für volljährige Kinder unterhaltspflichtig, bis eine erste Ausbildung abgeschlossen ist. Ab dann ist das Kind in der Lage, sich selbst zu ernähren, und die Unterhaltspflicht ist beendet. Ab dem 18. Lebensjahr sind Eltern in Deutschland sogar zum Barunterhalt verpflichtet. Das heißt: Studierenden, die einen eigenen Haushalt haben, stehen monatlich 735,- Euro zu, davon sind 300,- Euro für die Warmmiete einkalkuliert. Gebühren für die Krankenversicherung und Studiengebühren sind noch nicht eingeschlossen. Der Gesetzgeber gibt auch vor, wie viel Geld Eltern als Eigenbedarf verbleiben muss. Orientierung bietet hier die sogenannte Düsseldorfer Tabelle (siehe Infokasten).

ZÜGIG STUDIEREN
Im Gegenzug verlangt der Gesetzgeber von den Studierenden, dass sie zügig und zielorientiert studieren. Außerdem sind sie den Eltern gegenüber zu Informationen und Nachweisen über den Fortgang des Studiums verpflichtet. Sollte das Einkommen der Eltern nicht ausreichen, können Studierende staatliche Unterstützung (D: BaföG, CH: kantonale Stipendien) beantragen. Ebenfalls kann sich die Recherche zu Stipendien diverser Stiftungen oder Organisationen lohnen! Nicht immer entscheiden nur die Noten. Sich um diese Informationen zu kümmern, liegt allerdings in der Verantwortung der Studierenden, nicht der Eltern.

DAZUVERDIENEN?
Viele Studierende verdienen etwas Geld dazu. Aber je nach Studiengang sind die Belastungen unterschiedlich. Bei manchen Studiengängen ist es gut machbar, nebenher zu arbeiten. Bei anderen ist man mit den Veranstaltungen und dem Lernpensum komplett ausgelastet. Geld ist ein sensibles Thema. Und Unterstützung schafft eine – mehr oder weniger spürbare – Abhängigkeit in einer Lebensphase, in der es gleichzeitig der Wunsch ist, sich hin zu einer gleichberechtigten Beziehung auf Augenhöhe zu entwickeln. Wie bei vielen anderen Themen auch, wird hier ein offenes und ehrliches Gespräch die Beziehung stärken und Sie einer einvernehmlichen Lösung näher bringen.

Michaela Schnabel ist Mutter von drei erwachsenen Töchtern. Sie arbeitet als Sozialpädagogin und lebt in Witten.