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Dürre in Somaliland: Wenn der Klimawandel auf Armut trifft

Die Folgen des Klimawandels sind in Deutschland schon zu spüren. Aber wir haben viele Ressourcen, um damit umzugehen. Viel drastischer sind die Auswirkungen im globalen Süden. Darüber berichtet Jelena Schwarnowski von Tearfund Deutschland.

Du leitest die Kommunikation bei Tearfund, einer christlichen Organisation, die Entwicklungsprojekte betreut und Nothilfe leistet. Vor Kurzem warst du in Somaliland. Was hast du dort erlebt?

Ich war für eine Woche dort, um unsere Projekte zu besuchen, aber vor allem um die Menschen kennenzulernen, mit denen wir in Somaliland zusammenarbeiten. Oft kooperieren wir nämlich mit anderen Organisationen, da wir gemeinsam viel mehr erreichen können. In der Region hat es übrigens zum ersten Mal seit drei Jahren geregnet. Wir hatten fast jeden Tag Regen. Dass davor eine so lange Dürrezeit herrschte, war unvorstellbar! In Somaliland fuhren wir kilometerweit an nichts vorbei, sahen Kamele, die wild rumliefen und grasten. Und auf einmal sieht man runde Hütten, nur aus bunten Stoffen und Zweigen gebaut. Auf einmal merkt man: Da leben Menschen, leben Frauen, leben Kinder mitten im Nichts.

Das war ein Flüchtlingscamp, in dem – je nachdem, wie stark die Dürre ist – bis zu 3.500 Leute leben. Dort sind wir hingefahren – ich zum allerersten Mal –, sind ausgestiegen und wurden herzlichst in Empfang genommen. Die Frauen haben ein kleines Fest veranstaltet. Wir haben getanzt und Musik gemacht und ich wurde direkt mitgenommen und sollte auch tanzen. Das war meine allererste Erfahrung in diesem Flüchtlingscamp.

Die Dürre verschlimmert die Armut

Warum mussten diese Menschen fliehen?

In Somaliland leben die meisten Menschen von ihren Viehherden mit Ziegen, Kamelen oder Schafen und ziehen als Nomaden von Ort zu Ort. Immer, wenn sie in grüne Gegenden gekommen sind, haben sie dort ihre Zelte aufgeschlagen und wenn das abgefressen war, sind sie weitergezogen. Aufgrund der Dürre ist dieser Lebensstil nicht mehr möglich. Eine Frau namens Muna hat uns erzählt, dass sie eine große Viehherde hatte und auch sehr stolz darauf war. Das war ihr Reichtum und sicherte ihren Wohlstand. Dann kam die Dürre und irgendwann gab es kein Gras mehr.

So investierte sie das wenige Geld, das sie hatte, in Futter, damit die Tiere überlebten, aber die Dürre hörte nicht auf und irgendwann hatte sie kein Geld mehr. Also hat sie angefangen, sich von der Verwandtschaft Geld zu leihen und hat weiterhin Futter gekauft, weil sie ihre Tiere dringend am Leben halten musste. Von denen bekommt sie Milch, man kann sie schlachten und Fleisch essen oder auch mal verkaufen, was wieder Geld einbringt. Das heißt, die Tiere müssen auf jeden Fall überleben, und so hat sie sich verschuldet.

Die Dürre hat aber einfach kein Ende genommen. Muna fand keine Möglichkeit mehr, irgendwie an eine Wasserquelle zu kommen oder weiter Gras zu finden.Sie musste zusehen, wie ein Tier nach dem nächsten, ihre komplette Herde gestorben ist. Ihr ganzer Lebensunterhalt war zunichte. Und in diesem Zustand, hungrig, durstig, ohne Viehherde und hoch verschuldet, kam sie mit ihrer Familie in dieses Flüchtlingscamp, wo Hilfswerke wie wir Nothilfe leisten und gemeinsam mit den Menschen arbeiten.

Schutzlos ausgeliefert

Der Globale Süden sind Länder, die wirtschaftlich und politisch schlechter entwickelt sind als die Industrieländer des Globalen Nordens. Wie hängt das mit dem Klimawandel zusammen?

Gehen wir nochmal von dem Beispiel mit der Dürre aus. Hitzewellen kennt man mittlerweile auch in Deutschland. Wir haben das gerade letztes Jahr erlebt. Als meine Oma noch gelebt hat und im Altenheim war, war das richtig heftig, weil es so heiß war und es keine Klimaanlage gab. Da hatten wir als Familie richtig Sorge um sie. Aber immerhin gab es ein festes Zuhause, es gab viel Wasser, das sie trinken konnte. Meine Mama kam jeden Tag vorbeigefahren, hat ihr kalte Wickel gemacht. In dieser Hitzewelle haben wir hier in Deutschland, im Norden, ganz viele Mechanismen, die wir benutzen können, um mit solchen Situationen umzugehen. Wir haben Häuser, wir haben Klimaanlagen, wir haben Möglichkeiten, die Hitze irgendwie erträglicher zu machen.

Und jetzt zum Globalen Süden: Überlege dir mal eine Hitzewelle in einer Region, wo Menschen in Zelten leben, wo es sowieso schon kein Wasser gibt, wo Menschen keine Autos haben, wo sie vielleicht ohnehin schon unterernährt sind, einfach weil es so wenig zu essen gibt. Und dann hast du vielleicht noch ein Baby, das du stillen möchtest, das heißt, das Baby ist schon durch deine Unterernährung geschwächt. Wenn dann eine Hitzewelle kommt, gibt es diese Mechanismen nicht. Menschen in Armut sind von diesen Katastrophen viel krasser betroffen. Weil sie keine staatlichen Hilfen und nicht genügend Ressourcen haben. Das ist dieser große Unterschied.

Das Gleiche passiert bei einem Tsunami oder bei großen Stürmen. Wir haben Möglichkeiten, die Infrastruktur wieder aufzubauen. Im Globalen Süden kann es passieren, dass, wenn es endlich regnet, es vielleicht so stark regnet, dass alles zerstört wird. Wenn dann auch noch Hagel oder eine Überschwemmung kommt, halten das die Stoffhütten nicht aus. Der Klimawandel ist wie ein Bedrohungs-Multiplikator für Menschen in Armut. Die Bedrohung ist die Dürre oder der starke Regen oder der Tornado, aber wenn du sowieso schon in Armut lebst, wie z. B. die Menschen in Somaliland, ist das wie ein Brennglas, das noch viel krassere Auswirkungen hervorbringt.

Wir können etwas tun

Diese Not lässt nicht jeden so aktiv werden wie dich. Was können Leute tun, die sich vielleicht ohnmächtig fühlen?

Informiere dich! Fang an, Geschichten von Menschen, Artikel, Bücher zu lesen, dann wird sich etwas in dir verändern. Erst dann wirst du merken, dass wir so mit Gottes Schöpfung nicht mehr lange umgehen können. Und dann kommen die Fragen: Was kann ich konkret in meinem Alltag, in meinem Umfeld verändern? Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir die Welt nicht alleine komplett retten können. Auch wenn jeder nur noch Bambus-Zahnbürsten oder vegane Schuhe kauft und vegetarisch lebt, haben wir diese großen Probleme noch nicht gelöst. Ich bin mehr auf der Schiene: Worin bin ich besonders gut? Wo habe ich eine Plattform, wo ich Leute beeinflussen und auf das Thema aufmerksam machen kann?

Das hab ich z.B. durch Musik. Oder wenn ich in Kirchen predige. In der Bibel steckt ganz viel über den Umgang mit Gottes Schöpfung und erst recht über Gerechtigkeit. Oder wenn du gut schreiben kannst: Schreib darüber. Deine persönlichen Begabungen und kreativen Ideen werden Wellen schlagen und andere Leute anstecken. Übrigens: Politisch engagieren (im weitesten Sinne) sollten wir uns meines Erachtens alle.

Die Fragen stellte Helena Berger.

Auf den Schlips getreten …

„Im Übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht“, schrieb Kurt Tucholsky 1922 in einem Brief an Herbert Ihering. Leider aktuell, muss ich feststellen. Gestern war ich bei einer Klimademo von „Fridays for Future“. Viele Kommentare, die ich anschließend bei Facebook lesen musste, haben mich fassungslos zurückgelassen.

Da wird bemängelt, dass demonstrierende Schüler Kabelbinder aus Plastik für ihre Demoplakate verwendet haben. Und sie haben Smartphones. Und manche trinken auch aus Einweg-Wasserflaschen! – Also, wenn sie sowas machen, dürfen sie doch gar nicht demonstrieren für das Klima, schreibt einer. Sie sollen doch erst mal ihr Leben ändern. Und andere stimmen ihm begeistert zu. Mal ganz abgesehen von aggressiven und verletzenden Kommentaren …

Das macht mich traurig und wütend! Natürlich wären Mehrwegflaschen besser. Und Demoplakate ohne Plastik auch. Aber muss ich erst selbst perfekt sein, bevor ich von meinem Demonstrationsrecht Gebrauch machen kann? So ein Quatsch!

Wenn ich genauer hinschaue, stelle ich fest, dass sich besonders häufig Menschen 50+ über Jugendliche beschweren, die sich für Klimaschutz einsetzen und dafür auch mal die Schule schwänzen. Warum fühlen sie sich von den friedlich protestierenden Jugendlichen so dermaßen auf den Schlips getreten? Halten sie es nicht aus, dass ihnen der Spiegel vorgehalten wird? Dass sie, wenn sie ehrlich sind, zugeben müssen, dass sie häufig nicht sehr klima- und menschenfreundlich unterwegs sind?

Ja, es ist unbequem, wenn Jugendlichen einen kritisieren, herausfordern, zum Nach- und Umdenken bringen wollen. Aber ich finde es großartig, dass sich mittlerweile so viele Jugendliche engagieren. Und ich erlebe nicht, dass sie nur freitags demonstrieren und an den anderen Tagen so weitermachen wie bisher. Da entscheiden sich Jugendliche, auf Fleisch zu verzichten. Sie kaufen ein gebrauchtes Smartphone und Second-Hand-Klamotten. Und stecken mich damit an.

Zum Glück sind die krittelnden Midlife-Männer und -Frauen nur die eine Seite der Medaille. Bei der Demo gestern waren viele  „ältere Semester“ engagiert dabei. Weil sie ihre jugendlichen Kinder oder Enkel unterstützen wollen. Und weil sie gut finden, dass die jungen Menschen „auf den Schmutz hinweisen“, wie Tucholsky sagen würde.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family und FamilyNEXT und Mutter von zwei Teenagern.