ALLES JUCKT
Durch eine beiläufig gestellte Diagnose gerät Familie Hullen in einen Ausnahmezustand, den Katharina eigentlich nicht gebraucht hätte.
Katharina: Es ist Freitagnachmittag. Heute gab es einen Elternbrief, in dem über einen Krätzmilbenbefall bei einem Kind der Schule berichtet wird. Dazu eine To-do-Liste, sollte man selbst jemals davon betroffen sein. Da unser Jüngster heute noch geimpft werden soll, kommt unsere Kinderärztin, die in der Nachbarschaft wohnt, netterweise bei uns vorbei. Wir kommen ins Gespräch über diesen Krätzebrief und unsere Zwillinge zeigen ihr der Form halber die seit Tagen juckenden Stellen unter dem Arm und am Rücken. Die Ärztin schaut kurz auf die Stellen, dann mitleidig zu mir und sagt: „Ja, das sieht nach Krätzmilbe aus! Aber ist noch nicht viel.“ Worte sind mächtig! Denn was diese zwei Sätze auslösen, wünsche ich niemandem. Ich flitze in die nächste Apotheke, um die Großfamilienpackung Krätzecreme zu kaufen. Zu Hause stellt sich heraus, dass die Hälfte der Familie diese Creme überhaupt nicht benutzen darf, weil zu jung, stillend oder zu Krampfanfällen neigend. Inzwischen sind bereits alle Betten abgezogen, alle Kissen, Decken, Kuscheltiere in einem Plastiksäcke-Gebirge im Keller aufgetürmt, alle Böden und Polster abgesaugt. Sämtliche Wäsche muss bei mindestens 60 Grad gewaschen werden, Betten täglich zwei Wochen lang frisch bezogen und Handtücher zweimal täglich gewechselt werden. Es ist nicht so, als wäre ein 7-Personen-Haushalt nicht ohnehin schon wäschereich. Mir stehen buchstäblich die Haare zu Berge. Alles juckt plötzlich. So wie bei Ihnen gerade in diesem Moment. Aber es gibt ja auch noch dieses Creme-Problem. Die Kinderärztin können wir an dem Abend nicht mehr erreichen. So rufen wir eine Freundin an, die ebenfalls Kinderärztin im Duisburger Norden ist, und sich bestens mit Krätze auskennt. Sie empfiehlt uns sofort ein Mittel, das für uns alle geeignet und schneller wirksam ist. Die Notfallapotheke hat sogar genug vorrätig und so vercremen wir noch am späten Abend die ganze Herde. Derweil laufen unsere Waschmaschine und der Trockner auf Hochtouren. Insgesamt jagen wir 30 (!) Ladungen an diesem Wochenende durch die Maschine. Die Kinder sind nun Profis im Bettenbeziehen und somit zu 100% klassenfahrttauglich. Es kommt aber noch schlimmer. Eine Woche zuvor habe ich meinen 40. Geburtstag mit 50 Leuten gefeiert, davon knapp 30 Kinder. Bei Krätzebefall muss man alle informieren, die in den letzten vier Wochen engeren Kontakt zu dir hatten. Also erst mal eine Infomail an alle Gäste. Vorsichtshalber. Arrrgh! Montags gehen wir alle zur Notfallsprechstunde beim Hautarzt, der uns entseucht-schreiben sollte, damit alle wieder in Schule und Kiga gehen können. Ein kurzer Blick auf die betroffenen Hautstellen, und sein Urteil steht: Das ist und war auf keinen Fall Krätze. Allenfalls Neurodermitis. Wir gehen leicht verstört, aber erleichtert nach Hause. Immerhin können wir unsere Freunde entwarnen und genießen ein paar Tage lang den Zustand einer völlig entwesten Wohnung. Jemandem die Krätze an den Hals zu wünschen, ist echt gemein!
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
GHOSTBUSTER
Hauke Hullen stürzt sich mit viel Leidenschaft in die Schädlingsbekämpfung.
Hauke: Schnee-Chaos, Überschwemmung, Stromausfall – herrlich! Wer kennt nicht dieses wohlige Gefühl, das einen mitten in der Katastrophe befällt? So produziert der Wintereinbruch stets eine warme Welle von Solidarität: Beim Scheibenkratzen nickt man dem Nachbarn nicht nur beiläufig zu, sondern tauscht mit dem Leidensgenossen ein paar freundliche Worte; nebenan helfen wildfremde Passanten bereitwillig, entsaftete Autos anzuschieben, und im Büro hat jeder eine spannende Geschichte zu erzählen, wie er der Winterhölle entkommen konnte. Und alle, wirkliche alle fühlen sich verbunden im Überlebenskampf der Spezies Mensch gegen die Naturgewalt! Die letzte Naturgewalt, die durch unsere Wohnung stob, war die Diagnose der Kinderärztin am Freitag: „Ja, das ist Krätze!“ Krätze! Dieses Wort kannte ich bislang nur aus historischen Romanen über das Mittelalter. Schnell steht fest, dass im Gegensatz zu anderen Katastrophen keine echte Bedrohung für Leib, Leben oder Konto besteht. Es ist nicht wirklich gefährlich, sondern nur ein bisschen gruselig, so wie ein Kinofilm, wo man sich im Schutz der Sessel gerne auf fiktive Monster, Mörder und Meteore einlässt. Daher verspüre ich eine tatendurstige Packen-wir-es-an-Stimmung: Krätze? Kleinigkeit! Meine Frau hat hingegen so überhaupt gar keine Lust auf diese Art von – Achtung, Wortwitz! – Nervenkitzel und fährt erst mal shoppen. In die Apotheke. Inzwischen streife ich mit den Kindern durch die Wohnung. Das Hullensche Ghostbuster-Team macht kurzen Prozess mit allem, was auch nur entfernt nach Textilien aussieht. Der Wäscheberg im Flur erreicht beachtliche Höhen. Eine Wohnung schön einzurichten ist sicherlich eine befriedigende Angelegenheit, alles wieder auseinanderzureißen aber auch! Vandalismus für einen guten Zweck – was für ein Spaß! Auch das weitere Krisenmanagement ist spannend wie ein Thriller: Die Salbe aus der Apotheke ist riskant, es folgen Telefonate mit der Giftnotrufzentrale, eine andere befreundete Kinderärztin wird angerufen, anschließend die Notfallapotheke, ob das alternative Mittel in ausreichenden Mengen vorrätig ist. Im Netz mache ich mich derweil über die zwei Zentimeter langen Fressgänge der Milben schlau und wie man sie unter der Haut erkennen kann. Dann wird die ganze Meute duschen geschickt. Aus der Apotheke kommt ein Sammelsurium von Tuben. Die Knobelaufgabe besteht nun darin, aus diversen Packungsgrößen exakt die Grammzahlen zusammenzustellen, die jeder von uns je nach Alter auftragen muss. Danach ist der Krieg zwar noch nicht gewonnen, aber die erste Schlacht erfolgreich geschlagen. Am Sonntag regen sich bei mir die ersten Zweifel, ob das ständige Waschen auf Dauer vielleicht doch nicht so aufregend sein könnte, die Moral der Truppe sinkt. Als der Hautarzt uns dann am Montag für porentief rein befindet, bin ich dann doch ein wenig erleichtert. Katastrophen machen nur Spaß, wenn sie maximal zwei Tage dauern!
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.