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Freiheit gewinnen

Ein Plädoyer fürs Loslassen. Von Priska Lachmann

Loslassen – ein Wort, das mit Schmerz verbunden ist. Sorgen und Ängste treiben mich als Mutter um, wenn mein Kind mir früh im Kindergarten vom Fenster aus winkt. Sie haben mich eingenommen, als unsere große Tochter zweimal in drei Jahren die Schule gewechselt hat. Kontrolle zu behalten und alle unschönen Erfahrungen von unseren Kindern fernzuhalten – das wäre mein Traum. Vor einem Jahr sind wir umgezogen. Wir haben gebaut und sind in unsere spießige Doppelhaushälfte mit Garten gezogen. Und ich saß in unserem neuen Haus und konnte die alte Wohnung in der Innenstadt nicht loslassen. Erinnerungen durchströmten mich, während ich in unsere braune Matschwüste – Garten genannt – starrte. Doch in diesen Empfindungen zu bleiben, bringt uns nicht weiter. Loslassen bedeutet auch Freiheit gewinnen. Freiheit von Ängsten und Sorgen. Freiheit von Lebenssituationen, die ich nicht mehr ändern kann.

ANDERS SCHÖN

Eine Freundin von mir hat vor einiger Zeit eine schlimme Diagnose bekommen: Multiple Sklerose. Da stand sie nun mit Säugling im Krankenhaus, gerade vom Sommerurlaub nach Hause gekommen, und sah ihr Leben vor einem Scherbenhaufen. Verzweiflung gehört in so einer Situation dazu, aber danach gilt es: Hoffnung schöpfen, die Ärmel hochkrempeln und anfangen zu kämpfen. Das alte Leben loslassen. Das perfekte alte Leben ohne Krankheit loslassen. Es kommt nicht wieder, aber es kann anders schön sein, und die Krankheit muss nicht das Leben bestimmen. Wenn sie nicht losgelassen hätte, hätte sie nicht anfangen können zu kämpfen. Loslassen kann man oft nur mit Gottes Hilfe. Allein sind wir häufig zu kraftlos, um alte Situationen aus unserem Leben loszulassen. Sei es eine zerbrochene Beziehung, Träume, die man in die Tonne werfen muss. Kinder, die ausziehen oder einfach nur in die Schule kommen oder ihren ersten festen Freund haben.

NEUE HERAUSFORDERUNGEN

Und wenn man loslässt, findet man Freiheit. Die Bande der Angst, die unsere Kehle zuschnüren, verschwinden. Sorgen weichen. „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ So steht es in der Bibel. Ängste loslassen führt zu Freiheit. Furcht vor etwas Unbestimmtem, vor etwas, das eventuell in der Zukunft passieren könnte, lähmt und engt ein. Loslassen bedeutet, Kraft, Liebe und Besonnenheit ins eigene Leben einziehen zu lassen. Das eigene Herz wird frei. Die Kinder werden frei und können sich entwickeln, Stärke bilden und Selbstbewusstsein entwickeln. Neue Freunde kommen, die das Leben bereichern, neue Herausforderungen verändern den Charakter positiv. Loslassen schaffe ich im Gebet und im Vertrauen auf Gott. Ich kann nicht wissen, was die Zukunft bringen wird. Ich weiß nicht, ob mein Kind heute nicht vielleicht Probleme in der Schule haben wird. Ich weiß nicht, was das Leben für uns bereithält. Es ist nicht perfekt. Es ist aber in der Hand eines himmlischen Vaters und ich entscheide, wie ich mit den Dingen umgehe, die das Leben mit sich bringt. Ich entscheide loszulassen.

Priska Lachmann studiert Theologie und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Leipzig. Sie bloggt unter mamalismus. de.


Einen weiteren Artikel aus dem Dossier „Loslassen“ finden Sie hier.

Loslassen!

Ängste, Sorgen, Träume, das Bild von mir selbst und natürlich die Kinder: Wie wir das alles loslassen können, damit beschäftigen wir uns gerade intensiv in der Redaktion. Denn „Loslassen“ ist das Dossier-Thema der nächsten Ausgabe von Family und FamilyNEXT.

„Wenn man loslässt, findet man Freiheit“, schreibt Priska Lachmann zum Beispiel. Und Roswitha Wurm sagt in ihrem Artikel über das Loslassen von Lebensträumen: „Jedes ‚Hätte ich doch‘ wirft uns zurück in ein Leben, das nicht mehr zu unserem Heute gehört.“ Spannende Gedanken, die dazu anregen, eine Standortbestimmung zu machen: Wann ist Loslassen angesagt? Und wann ist Festhalten dran?

Das ist ja auch immer wieder die Frage in Bezug auf unsere Kinder. Wir müssen sie ganz oft festhalten, ihnen Halt geben. Aber wir dürfen den Moment nicht verpassen, wenn das Loslassen wichtig wird. In schöne Wort hat das Mariana Leky in ihrem Roman „Was man von hier aus sehen kann“ gefasst:

Selma und der Optiker hatten uns das Fahrradfahren beigebracht. Der Optiker hielt Martins Gepäckträger fest, Selma meinen. „Wir lassen nicht los“, sagten sie. Und irgendwann: „Wir lassen jetzt los!“ Und Martin und ich fuhren, erst wackelig und dann immer sicherer.

 

Bettina Wendland, Redakteurin Family und FamilyNEXT

„Wir haben beide unseren Platz gefunden“

Patric Graf ist Hausmann, seine Frau arbeitet Vollzeit. Ein Modell, das sich für sie bewährt hat.

Als meine Frau Kerstin mit unserer heute 18 Jahre alten Tochter schwanger war, war ich für längere Zeit krankgeschrieben. Meine damalige Arbeit konnte ich nicht wieder aufnehmen. Da ich durch meine Arbeitszeiten in der Bäckerei schon von Beginn unserer Beziehung an die Haushaltstätigkeiten überwiegend übernommen hatte und auch gerne koche, kam uns die Idee, die typischen Rollen zu tauschen. Nach der Geburt unserer Tochter und dem gesetzlichen Mutterschutz arbeitete meine Frau wieder zu 100 Prozent in ihrem Beruf als Krankenschwester. Schnell merkten wir, dass ihre Arbeit im Dreischichtbetrieb viele Vorteile für uns hatte: Wir konnten zum Beispiel Kinderarzttermine so legen, dass wir gemeinsam hingehen konnten. Später, als die Kinder im Kindergarten waren, hatten wir als Eltern die Möglichkeit, ohne Kinder etwas zu unternehmen, sei es der Wocheneinkauf oder ein gemeinsames Frühstück in einem Café.

Bei unserem Sohn (15) und unserem Nesthäkchen, unserer achtjährigen Tochter, behielten wir diese Rollenverteilung bei. Seit 13 Jahren arbeite ich zusätzlich auf 450-Euro- Basis in der Systemgastronomie. Ich habe das Glück, dass ich meine Arbeitszeiten dem Dienstplan meiner Frau anpassen kann. Diese Arbeit ist für mich ein Ausgleich zum Hausmannsjob. Ich komme mit vielen Menschen aus verschiedenen Nationen in Kontakt, da unser Betrieb auf einem Autohof an der Autobahn liegt.

Wenn das Kind seine Mama (nicht) braucht

Gegenüber ihrem Chef bei der Bundeswehr muss sich unsere Autorin rechtfertigen, dass sie „nur“ Teilzeit arbeitet. Andererseits hat sie Gewissensbisse, dass sie einige typische „Mama-Aufgaben“ nicht übernehmen kann.

Wie, zwei Jahre Elternzeit? Andere kommen doch auch schon nach einem Jahr zurück in den Beruf!“ Mit dieser Bemerkung meines Chefs fing alles an. Gerade hatte ich meinen Antrag auf zwei Jahre Elternzeit eingereicht, schon musste ich mich das erste Mal für meine Entscheidung, für mein Lebensmodell, für mein Mutterdasein rechtfertigen.

Die zwei Jahre zu Hause habe ich in vollen Zügen genossen. Ich hatte ein sehr entspanntes Kind und konnte unseren Alltag so gestalten, wie man sich das Leben einer Vollzeitmama vorstellt: montags Frühstück mit Freundinnen, dienstags Babyschwimmen, mittwochs Zeit für mich und meinen Sohn allein, donnerstags Kaffeetrinken … Zwei Jahre Auszeit waren genau die richtige Entscheidung für mich, mein Kind, meine Familie.

Doch auch diese Zeit ging vorbei und ich freute mich darauf, wieder zu arbeiten. Im Kindergarten lief die Eingewöhnung super. Mein Sohn geht bis heute sehr gerne dorthin. Dennoch waren die ersten Wochen nicht leicht. Ständig überkamen mich Zweifel: „Ist es so auch wirklich das Beste für mein Kind? Er ist doch noch so klein. Warum tue ich mir den Stress eigentlich an?“

Unsere Freiheit, ganz anders zu leben. Oder auch nicht.

Anja Schäfer plädiert dafür, dass Familien ihren eigenen Weg finden, das Familienleben zu planen – ohne sich gegenseitig kritisch zu beäugen.

Die ältere Dame hob ihre Augenbrauen und blickte mich tadelnd an. Wir waren auf einer christlichen Veranstaltung, hatten geplaudert, und ich erzählte ihr, dass wir unseren zweijährigen Sohn an drei Vormittagen in der Woche zu einer Tagesmutter brachten. Auf dem kleinen Bio-Bauernhof spielte er zwischen Hühnern und Treckern mit drei oder vier anderen Kindern, und mittags holten wir ihn ab. Perfekt, fanden wir. Die ältere Dame nicht. Fremdbetreut in diesem Alter, das hielt sie für entschieden nicht mit dem biblischen Familienmodell vereinbar.

Zwei oder drei Tage später traf ich mich mit Freunden in der Kneipe. Anschließend, vor der Tür, kamen wir auf das damals hochbrisante Thema „Betreuungsgeld“ zu sprechen, das ausgezahlt werden sollte an Familien, die ihre Kinder zwischen null und drei (!) Jahren zu Hause betreuten. Indiskutabel, empörten sich meine Freunde. Relikte alter Rollenbilder. Typisch bayerische Schnapsidee. Und so stand ich da in unserer Runde vor der Kneipe. Erst ein paar Tage zuvor hatte ich mich noch rechtfertigen müssen für unsere liebevolle Tagesmutter. Und hier stand ich mit meinen Freunden, für die es undenkbar war, eine Lebensform staatlich zu unterstützen, bei der Mama oder Papa eine Weile für ihre Kinder zu Hause bleiben. Ich musste fast lachen.

Ganz im Beruf, ganz im Familienalltag

Jan-Martin Klinge und seine Frau Angela teilen sich Erwerbs- und Familienarbeit. Und haben gelernt, wie sie sich trotzdem nicht als Paar verlieren.

Trinken, Papa!“, forderte meine Tochter mich mit ihren zwei Jahren damals unmissverständlich auf. „Wie sagen Erwachsene?“, entgegnete ich. Und man konnte den genervten Unterton in ihrer Stimme nicht überhören, als sie ein enttäuschtes Gesicht machte und mir erwiderte: „Später …“

Heute, viele Jahre später, werden wir von unseren Kindern immer noch und immer wieder in unserem Verhalten gespiegelt. „Wir“, das sind meine Frau Angela (38), Pastorin mit einer 70-Prozent-Stelle und ich, Jan-Martin (35), Lehrer an einer Ganztagsschule, zusammen mit unseren Töchtern Carolina (10) und Amélie (2). Unsere Berufe ermöglichen uns eine wunderbare Aufteilung der Familienarbeit: Ich bin vor allem vormittags unterwegs, kann mir aber die Nachmittage und Abende frei einteilen, während Angela eher in der zweiten Tageshälfte außer Haus ist. Diese Konstellation funktioniert weitgehend reibungslos, und jeder von uns liebt sowohl den beruflichen als auch den familiären Part.

GEMEINSAME ZEIT ERKÄMPFEN
Aber: So großartig die zeitliche Aufteilung der Kinderbetreuung funktioniert, so herausfordernd ist es, sich nicht als Ehepaar zu verlieren. Es gab Zeiten, da haben Angela und ich uns immer nur die Schlüssel in die Hand gedrückt. „Die Kinder sind versorgt, das Essen steht im Ofen – kümmere dich bitte um die Wäsche, und im Wohnzimmer muss dringend staubgesaugt werden!“ Natürlich gibt es so Phasen im Leben, aber wir mussten immer wieder aufpassen, dass sie unsere Ehe nicht zerstörten. Wenn man sich wochen-, manchmal monatelang nicht wirklich sieht, kann aus Familienleben schnell Zweckgemeinschaft werden und man verliert die gemeinsamen Hoffnungen, Träume und Ziele aus den Augen. Job und Kinderbetreuung, Predigtschreiben und Unterrichtsvorbereitung – kann das alles sein? Und während ich als Lehrer zumindest die Wochenenden frei gestalten darf, ist der Sonntag für eine Pastorin ein voller Arbeitstag. So praktisch die Verteilung von Haushalt und Kinderbetreuung ist – gemeinsame Zeit bleibt kaum noch.

„Allein auf weiter Flur“

Julia Strobel hat sich dafür entschieden, Vollzeit-Mama zu sein. Und fühlt sich damit ziemlich einsam.

Vor eineinhalb Jahren saß ich bei einem Kindergeburtstag mit anderen Müttern am Kaffeetisch zusammen, als mich plötzlich ein „Sag mal, bist du wieder schwanger?“ eiskalt erwischte. Nun saß ich da, ziemlich angeschlagen, mit einem Bauch, der nach dem zweiten Kind nicht mehr so recht weichen wollte, und einem Herzen, das sich nach einem weiteren kleinen Menschen in eben diesem sehnte.

Eben saß ich noch entspannt mit einem Stück Maulwurftorte auf dem Teller mitten in dem ganzen Trubel – und im nächsten Moment versuchte ich, die Fassade meines bröckelnden Selbstbilds aufrecht zu erhalten. Die beiden anderen Mütter am Tisch waren überzeugte Ein- Kind-Mamas, die mein erschüttert-knappes Nein mit Erleichterung aufnahmen und gleich mal alle „Vorzüge“ des Mutterseins aufzählten: schlaflose Nächte, fremdbestimmt sein, abends das Haus nicht mehr ohne großen organisatorischen und/oder finanziellen Aufwand verlassen können, Urlaube antreten, die mit dem eigentlichen Sinn (nämlich Erholung) nichts mehr zu tun haben … Die beiden redeten sich geradezu in Rage, und ich fühlte mich mal wieder fehl am Platz. Ich kannte das schon: Ich habe meine beiden Kinder erst zu ihrem dritten Geburtstag in den Kindergarten eingewöhnt, sie besuchen die Einrichtung nur halbtags, mein Mann und ich wünschen uns ein drittes Kind … Gesellschaftlicher Mainstream sieht anders aus.

Der Segen der Wahlfreiheit

Jennifer Zimmermann ist gern mal kämpferische Hausfrau. Und trotzdem stolz auf ihre Mutter, die mit Baby auf dem Arm ihr Diplom machte.

Seit endlos scheinenden Minuten sitze ich fest. Auf dem Spielteppich in unserem Wohnzimmer stapeln sich Töpfe, eine Armada von Holzkochlöffeln umzingelt mich und strahlend hält mir mein Sohn die zwanzigste Tasse Murmel-Suppe entgegen. Zwischen meiner Schulter und meinem Ohr klemmt der Telefonhörer, meinen dreifachen Espresso halte ich fest umklammert, denn jeder Gedanke, den ich fassen will, endet in einem Gähnen. So wundert es mich gar nicht, dass da ein kleiner Funke Neid in mir knistert, als ich höre, wie meine Freundin am anderen Ende der Leitung vom Krippenstart ihres Sohnes erzählt. Um ihren Frust geht es, um die unerschöpfliche Energie eines Einjährigen, die sie dazu brachte, schon früher als geplant wieder arbeiten zu gehen. Und dann wieder mal diese Frage: „Wie machst du das? Wie schaffst du’s nur, zu Hause zu bleiben?“ Und nicht verrückt zu werden, ergänze ich still.

ROMANTISCH VERKLÄRTE VORFREUDE
1986. Meine Eltern hatten einen Plan: Lange schon träumte meine Mutter davon, ihr Abitur nachzuholen, Psychologie zu studieren und als Therapeutin zu arbeiten. Neun Jahre nach der Geburt meiner großen Schwester war sie nun auf dem besten Weg, sich diesen Traum zu erfüllen. Mühsam hatte sie sich neben Kind und Beruf durch die Abendschule gequält, ihr Studium gemeistert, sah das Diplom in Reichweite – und wurde mit mir schwanger. Ein zweites Kind hatte keiner geplant. Für mich hieß das vor allem: Oma-Zeit. Und so sehr ich diese Zeiten liebte, so sehr nagte auch die, mit Worten nicht fassbare, Gewissheit an mir, dass ich etwas Entscheidendes vermisste.

Als ich 2011 mit meinem ersten Kind schwanger wurde, stellte ich deshalb meine Bachelorthesis ins Regal und blieb daheim, obwohl uns das finanziell ans Existenzminimum brachte. Mit romantisch verklärter Vorfreude wartete ich nestbauend auf die heimelige Zeit fern von meinem Beruf in der liebevollen Zweisamkeit mit diesem wunderbaren neuen Menschen. Ziemlich unsanft schlug ich in der Mamarealität auf. Der neue Mensch begegnete mir mit unstillbarem Hunger zu allen Nachtzeiten und schlief ausschließlich auf meinem eigenen zarten Körper. Als ich an meinem ersten Tag allein daheim um drei Uhr nachmittags vor einer endlich aufgetauten Kürbissuppe saß und überlegte, ob ich dringender aufs Klo oder essen musste und just in diesem Moment wieder ein Schreien aus dem Schlafzimmer tönte, brach ich in Tränen aus. Die Unfähigkeit, meinen Sohn zufriedenzustellen, geschweige denn noch irgendetwas anderes zu leisten, traf mich unvorbereitet hart. Bin ich eigentlich noch genug, wenn ich mich einfach nur um mein Kind kümmere und sonst nichts schaffe?

ES REICHT
Bin ich genug? Diese Frage verfolgte mich das ganze erste Jahr hindurch. Besonders eindringlich biss sie sich fest, wenn wieder mal eine Mama vom Krippen- und Arbeitsstart erzählte. Lange begegnete ich dann immer wieder dem kleinen Mädchen in mir, das so gern selbst mehr von seiner Mama gehabt hätte. „Ich kann nicht aus meiner Haut!“, sagte ich oft, mich mit meiner eigenen Geschichte für mein Hausfrauen-Dasein entschuldigend. Aber hier und da tauchte auch eine andere wohlvertraute Stimme in mir auf. Immer mehr konnte ich sehen, dass ich diesen Weg gehe, mitten in einer Gesellschaft, die Leistung und Selbstverwirklichung vergöttert. Heilsame Gott-Gedanken rückten mir die Perspektive zurecht, ganz schlicht: Es geht nicht um mich. Und ich bin genug, begabt, beschenkt, auch wenn mir das Geschenk manchmal verschwimmt vor meinen müden Augen. Ich bin genug, auch wenn ich nichts leiste. Ich bin begabt und diese Begabung verliert nicht an Wert, wenn ich mit ihr meine Kinder, meinen Mann, meine Nachbarschaft beschenke – und ein „nur“ gibt es hier nicht. Es reicht. Dankbarkeit macht sich breit in meinem Herzen, weil mein Aushalten daheim mich diesen Worten näher gebracht hat.

STOLZ AUF DIE MUTTER
Dankbar bin ich aber heute auch für meine Mutter, die eine andere Abzweigung genommen hat. Ich stehe als Frau in einer langen Reihe von Müttern, die nicht immer ihren eigenen Weg gehen konnten. Als mein Vater auf die Welt kam, managte seine Mutter einen Bauernhof, einen dement werdenden Schwiegervater und die Spätfolgen diverser Kriegstraumata. Für ihre zwei Kinder sicherte sie die Existenz und opferte dafür die Zeit mit ihnen. Tapfer ging sie diese Wegstrecke, unter der alle Beteiligten gelitten haben. Sie hatte keine Alternative. Es tut mir gut, hin und wieder diesen Blick über die Schulter zu üben, zu merken, dass Wahlfreiheit nicht selbstverständlich ist. Und neben dem kleinen Mädchen in mir gibt es dann eine erwachsene Frau, die stolz ist auf ihre Mutter, die mit dem Säugling auf dem Arm für die Diplom-Prüfung gelernt, mutig den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und sich mitten durch das Gestrüpp einer Gesellschaft gekämpft hat, die von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht viel wissen wollte.

TIEFER GRABEN
Das kleine Mädchen in mir verkleidet sich, nebenbei bemerkt, immer mal wieder als kämpferische Hausfrau, die plakativ den Wert der Daheimgebliebenen hochhält. Nur der Blick auf meine Geschichte holt mich immer wieder von meinem Thron des Schwarz-Weiß-Denkens herunter. Es gibt mehr als gute Hausfrauen und Rabenmütter. Und egal, wie meine Freundin sich entscheidet, ich will ihr eine Weggefährtin sein. Heute dürfen wir unseren Weg wählen. Da möchte ich ihr Mut machen, tiefer zu graben durch die vielen Schichten von Rollenbildern und Gesellschaftserwartungen hindurch. Ich will sie in ihrer einzigartigen Familiensituation ernst nehmen. Will ihr von meinem eigenen, ganz normalen Frust erzählen. Will sie betend umhegen, auf dass sie und ihr Mann den Weg finden, den sie mit ruhigem Herzen gehen, auf dem sie die Aussicht genießen können. Und ich will wertschätzen, was sie leistet, ganz egal, welche Abzweigung sie wählt.

Unser Gespräch wird unterbrochen, als mein Sohn arrhythmisch auf einen Topf einschlagend beginnt, Backe- Backe-Kuchen zu singen. „Wie machst du das?“, fragt sie mich noch. „Ich mache ja gar nichts!“, brülle ich lachend. Jennifer Zimmermann ist Sozialarbeiterin und derzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Homburg.