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Enttäuscht von meinem Kind

Gerade, wenn sie erwachsen werden, entsprechen Jugendliche oft nicht dem Bild, das ihre Eltern von ihnen haben. Stefanie Diekmann über die schädliche Dynamik der Enttäuschung und wie wir sie durchbrechen können.

Die kleinen Dinge des Alltags geben dem Zusammenleben von Eltern und Jugendlichen immer wieder ganz neue Facetten. Bei uns jedenfalls. Neue Themen fordern neu heraus: Freundschaften verändern sich, Lieblingsessen sind plötzlich tabu und Familienrituale „laaangweilig“. Der Support beim Jeanskauf ist jetzt überlebenswichtig, wie auch die offene Tür für Wochenendbesuche. Zu vielen Themen finden Eltern Rat in Online-Artikeln oder Messenger-Gruppen. Zu einem Thema habe ich jedoch wenig gefunden: die Enttäuschung über unser Kind. In manchen Momenten ist mir mein Kind innig vertraut und herzensnah. In vielen Situationen leben wir das mit einer unaufgeregten Vertrautheit. Je älter das Kind und je deutlicher sichtbar die Persönlichkeit durch ausgedrückte Emotionen und Handlungen wird, desto mehr greift aber die Dynamik der Enttäuschung.

UNERFÜLLTE WÜNSCHE

Aber darf ich als Mutter enttäuscht von meinem eigenen Kind sein? Vorsichtig teste ich und formuliere eher: „Ich mache mir Sorgen …“ oder „Ich verstehe nicht, warum …“. Der Austausch über Enttäuschungen ist scheu wie eine Maus in unserer Abstellkammer. Ich wage es nur selten, meine Gedanken über meine innere Zerrissenheit zu teilen. Ich bin nicht gewohnt, über wirkliche Herzensthemen zu sprechen. Ja, über das unaufgeräumte Teenie-Zimmer reden – das geht. Aber tiefergehende Gedanken behalte ich lieber für mich. In der Psychologie gibt es eine Sicht auf diese Irritation zwischen mir und dem gleichzeitig fremden und so nahen Kind. Die Definition des Begriffes Enttäuschung ist da– rauf zurückzuführen, dass die Betroffenen darunter leiden, dass ihre Wünsche oder Hoffnungen nicht in Erfüllung gegangen sind. Wenn die Wünsche der Eltern nicht erfüllt wurden, entsteht bei ihnen Kummer.

INNERE BILDER

Das kenne ich von kleinen Alltagsmomenten: Lange schon fordert mich heraus, dass ich einen unsicheren jungen Mann am Tisch habe. Menschen irritieren ihn, fordern ihn, und ich habe keine Ahnung, ob er eine Meinung zu bestimmten Themen hat. Alle Tipps aus Internetforen und von Freunden greifen nicht. Wenn ich ehrlich bin, eskaliert es schon in mir, wenn ich spüre, dass unser Kind sich im Raum näher zu mir orientiert. Immer wieder bekomme ich Rückmeldungen, wie wichtig es sei, dass ich meinen Heranwachsenden zu Mut ermutige. Ich möchte meinen Part gut erfüllen und habe das Gefühl, mein schweigender, kopfschüttelnder, abwehrender und farbloser Sohn tut das nicht. Harte Worte? Er soll bald im Beruf stehen, gehört werden, eine Beziehung gestalten. Wie? So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Nach überstandenen Stresssituationen sammelt sich in mir eine Mischung von Erschöpfung und Ratlosigkeit, die mich in meinem mütterlichen Handeln lähmt. Das innere Bild von meinem Jugendlichen nehme ich mit zur nächsten Großfamilienfeier, wo jede und jeder meinen Sohn ausfragt und kaum Antworten bekommt. Das Bild wird verstärkt beim Besuch im Museum, wo mein Sohn murrt und keine Ruhe zum Verweilen hat. Ich schlucke den Frust des Tages herunter und will mein verspanntes Herz ausschütteln, nur um festzustellen: Das Gefühl der Verunsicherung und des inneren Abwehrens klebt an mir.

GEDANKENSPIRALE

Die Dynamik der Enttäuschung kann vor allem zerstörerisch sein, wenn ich nicht hinsehe. Die inneren Enttäuschungsmomente führen mehr und mehr in eine Gedankenspirale der Distanz. Und diese Distanz spürt mein Kind als Verunsicherung. Sogar vor Gott, dem ich doch vertraue, fällt es mir schwer, ehrlich zu sein. Ich bin enttäuscht. Es läuft nicht. Das kann vieles sein: Mein Kind ist nörgelig oder unmusikalisch oder ängstlich oder unfreundlich oder unsportlich … Dabei ist es wichtig, meine Enttäuschung anzusehen und auszusprechen. Wenn ich wegsehe, machen mich die gesammelten Enttäuschungsmomente immer weniger liebesfähig. Enttäuschungen haben so viel mit meinen Hoffnungen, Wunschvorstellungen und Erwartungen zu tun. Bei Enttäuschungen handelt es sich um eine subjektive Wahrnehmung. Das bemerke ich allein dadurch, dass mein Mann ganz anders mit bestimmten Situationen umgeht. Es ist wichtig, meine Emotionen, Erwartungen und Handlungen zu verstehen, um letztendlich meinen Frieden mit der ungewohnten Enttäuschung zu schließen. Ich wäre so gern verständnisvoll. Ich verstehe gerade mein Kind nicht. Ich hatte es mir anders vorgestellt. Je mehr ich meinen Kummer vor Gott ausbreite, desto mehr fällt mir mein „Ich“ auf. Ja, mein Kind ist vom Charakter und vom Handeln her anders, als ich es mir ausgemalt habe. Es geht aber tatsächlich um mich in dieser schmerzhaften Herzensverkalkung.

 

Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus.

Stefanie Diekmann

 

EIGENE ERWARTUNGEN

Die Dynamik der Enttäuschung hat etwas mit meinem Bild von meinem Kind und besonders mit meinem Bild von mir als Mutter zu tun. Die Enttäuschung fühlt sich so an, als würde ich meinen eigenen Erwartungen nicht gerecht. Hinter jeder Enttäuschung steckt meine persönliche Hoffnung oder ein Versprechen, das nicht in Erfüllung gegangen ist. Die ursprüngliche Erwartung war demnach höher als das tatsächliche Ergebnis. Und spätestens hier werde ich wach: Die Beziehung zu meinem Kind ist für mich keine abrufbare Investition. Sie ist ein offener Prozess voller Nähe- und Distanzübungen. Wenn nun diese Dynamik der Enttäuschung erneut loslegen will, möchte ich mich hinterfragen: Die Entwicklung einer Persönlichkeit ist keine Gleichung: Liebe rein – Charakter raus. Eine Idee oder ein Plan können sich ändern, Misserfolge können passieren. Das sind die natürlichen Aufs und Abs des Lebens. Situationen, die nicht meinen Erwartungen gerecht wurden, sollten nicht immer als eine komplett negative Situation gewertet werden. Ich darf in jeder Zeit versuchen, der Situation etwas Positives abzugewinnen und es als Chance für Eltern und Kind zu betrachten. Ich möchte versuchen, den irritierenden Charakterzug oder die Situation objektiv zu beurteilen und zu hinterfragen: Schadet das Verhalten meinem Kind? Was erzählt mir mein Kind mit seinem Agieren? Als Mutter kann ich Vorbild sein und einen Platz zum Austausch unserer Gefühle finden, um diese zu verarbeiten. Zusammen mit dem Jugendlichen oder bewusst ohne ihn, nur für mich.

SCHRITTE AUS DEM SCHWEIGEN

Um einen Schutzraum der Entwicklung zu gestalten, verzichte ich auf negativ festlegende Gedanken und Aussagen über mich. Mich als Mutter an den Pranger zu stellen und mir Vorwürfe zu machen, belastet nicht nur mich, sondern auch die Nähe zum Kind. Wenn Erwachsene zu ihren Eltern befragt werden, wird oft ein Gefühl benannt, das aus der Dynamik der Enttäuschung entstanden ist: „Ich konnte meinen Eltern nichts recht machen.“ „Meine Eltern hatten sich ihren Sohn wohl anders vorgestellt!“ Das will ich nicht. Um Annahme und Begleitung zu verbinden, gebe ich meine Vorstellungen, Hoffnungen und Wünsche ganz bewusst an Gott zurück. Ich ringe um ein Miteinander im Heute, das meinem tastenden Jugendlichen ermöglicht, sich angenommen und geliebt zu wissen und dennoch Hinweise von mir zu prüfen oder eine Rückmeldung gewinnbringend zu verarbeiten. Diese Tatsache zwingt mich zu manchmal schmerzhaften Übungen im Alltag: Ich lächle meinen Jugendlichen an, wenn er den Raum betritt.mIch kommentiere das Agieren meines Sohnes nicht, es sei denn, er fragt mich. Ich frage: Wie ging es dir? Was schlägst du vor? Vielleicht finden wir zusammen so eine Idee für mutige Schritte aus dem Schweigen. Solange bleibe ich in der Übung, das Gute zu sehen und zu benennen. Solange, bis es meinen Sohn über Unsicherheiten hinwegträgt. PS: Unser Sohn ist charakterlich nicht wie der skizzierte Sohn. Wir haben andere Themen miteinander, die aber nicht öffentlich zu lesen sein werden.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen, verheiratet und Mutter von drei (fast) erwachsenen Kindern.

Spieglein, Spieglein an der Wand …

Die Schönste will man ja gar nicht sein. Aber wenigstens stilvoll, hübsch, elegant, attraktiv … Doch was tun, wenn die Bilder im Kopf nicht zum Bild im Spiegel passen? Und wenn die Schwangerschaften Spuren hinterlassen haben – wie bei Jennifer Zimmermann?

„Darf man gratulieren?“ In den letzten fünf Wochen haben mir fünf Menschen unabhängig voneinander diese Frage gestellt. Ich möchte ein T-Shirt haben, auf dem „Nein, darf man nicht!“ steht. In Großbuchstaben. Quer über meinen Bauch. Der ist nämlich nach dem dritten Kind nicht mehr, was er mal war. Die Neun-Monate-Marke, nach der der Körper sich angeblich von der Schwangerschaft erholt hat, ist seit über einem Jahr verstrichen. Aber vielleicht muss man das nach mehreren Schwangerschaften auch individuell berechnen. Rational betrachtet kann ein Körper nach der Beherbergung von drei kleinen Menschen nicht mehr so aussehen wie davor. Und trotzdem kann mich dieser Satz an einem besonders trüben Tag zum Weinen bringen. „Darf man gratulieren?“

Beim Frausein versagt

Ich bin überfordert von dieser Aufgabe namens „Frau sein“. Ständig scheint es darum zu gehen, das Leben möglichst stilvoll über die Bühne zu bringen. In den richtigen Klamotten möglichst lässig dazustehen, pickel- und faltenfrei und mit rasierten Beinen. Es scheint diese Frauen zu geben. Ich sehe sie, wenn ich mit ungekämmten Haaren zum Bäcker stolpere und sie gebügelt und gestylt an mir vorüberziehen. Oder wenn sie mir in knallengen Sporthosen winkend entgegentraben. Wider besseres Wissen ziehe ich Vergleiche und verliere jedes Mal. Wenn es beim Frausein darum geht, sich möglichst gut zu präsentieren, möglichst knackig zu bleiben und möglichst genau zu wissen, was mir steht, dann habe ich schlicht und ergreifend versagt.

Regenbogensocken unter Miniröcken

Wenn ich als Teenager meine Mutter anbettelte, mir die teure Markenjeans zu kaufen, weil ich so unbedingt dazugehören, so dringend in die Masse passen wollte, dann sagte sie jedes Mal etwas, das ich ziemlich schwer zu verdauen fand: „Ich wünsche mir nicht für dich, dass du so aussiehst wie alle anderen. Ich wünsche mir, dass du selbst kreativ wirst.“ Ich habe sie dafür brennend gehasst. Ungefähr ein Jahr lang. Dann wurden unsere Schulklassen neu gemischt und ich hatte das unfassbare Glück, auf eine Gruppe von Mädchen zu treffen, die genau das zu ihrem Lebensmotto gemacht hatten.

Sie trugen Regenbogensocken unter Miniröcken. Sie nähten ihre Klamotten selbst. Sie färbten sich ihre Haare in blau und grün und rosa, und sie schnitten sie sich gegenseitig, wenn sie einen Mutanfall hatten. Manche belächelten sie. Sie passten nicht dazu, und sie hatten entschieden, das nicht zu ändern. Sie standen zu sich. Sie waren kreativ statt Einheitsbrei. Sie taten das, was Teenies tun sollten. Sie spielten mit dem Begriff Schönheit, mit Farben und Ideen, um sich besser kennenzulernen. Ich verstand, warum meine Mutter die immer gleichförmige, glattgebügelte Masse der markenjeanstragenden Mädchen nicht mochte. Diese Mädchen hier waren bunt und laut und lustig und echt. Und sie scherten sich einen Dreck darum, was andere von ihnen hielten.

Überall pickelfreie Frauen

Irgendwann zwischen der siebten Klasse und meinem ersten Kind scheint mir dieses Wissen abhanden gekommen zu sein. Fast ist es, als legten sich täglich neue Bilder in meinen Kopf. Bilder, die dichter sind als meine lachenden Teenagererfahrungen. Jeden Tag blättern sich Fotos von rasierten Beinen und lackierten Nägeln, von hautengen Jeans und straffen Bäuchen in unsere Seelen. Wir müssten schon Einsiedler werden, um das zu verhindern. Jedes noch so harmlose Bild in jedem noch so neutralen Artikel zeigt eine pickelfreie Frau mit farblich abgestimmten Klamotten. Keine ungeschminkte Mutti mit Jogginghose, die ihre schreienden Kinder vom Spielplatz nach Hause schleift.

Ich weiß nicht, wie lange wir es schon tun, aber wir Menschen erschaffen konstant Bilder von uns, denen wir im wahren, turbulenten, langweiligen, bunten Leben nie standhalten können. Es ist, als fügten wir uns selbst Schmerzen zu. Wir sind zu einer sich selbst verletzenden Gesellschaft geworden, und das betrifft längst nicht mehr nur Frauen, auch wenn unsere Geschichte mit diesem Thema schon ewig zu sein scheint.

Ungefragte Ratschläge

Die Schönheitsindustrie hat ein ganzes Waffenarsenal anzubieten, mit dem wir uns selbst, diese langweiligen, manchmal stinkenden, pickeligen, strähnigen Alltagsmenschen, die wir eigentlich sind, bekämpfen können. Sie eröffnet mir jeden Tag unendlich viele ungefragte Ratschläge, wenn ich mein Smartphone entsperre und den Internetbrowser öffne. Und ich ziehe meinen Kopf ein und lasse die Schläge über mich ergehen. Wenn deine Haare nicht so glänzen wie die von deiner Nachbarin, dann hast du wohl die falsche Bürste oder nicht hundertmal gebürstet. Wenn dein Teint nicht strahlt, solltest du eine Kosmetikerin besuchen. Oder diese Creme kaufen. Oder eine Typberatung machen. Je tiefer ich mich in diesen Dschungel der Must-dos wage, desto dunkler wird es um mich herum und desto ängstlicher und vorsichtiger schleiche ich voran. In meinem depressiven Gedankenkarussell steht mir immer wieder der britische Autor Matt Haig zur Seite, der seine weise Sicht auf eine chaotische Welt mit mir teilt. „Wie verkauft man Antifaltencreme? Indem man Menschen Angst vor Falten macht“, schreibt er und bringt mich zum Grübeln. Was würde passieren, wenn wir keine Angst mehr hätten, nicht hübsch zu sein? Was wäre, wenn wir nicht mehr darüber nachdenken würden, ob wir genug sind?

Nie genug?

Etwas, das die Schönheitsindustrie uns nicht sagt, ist, dass es einen Unterschied gibt zwischen „hübsch“ und „schön“. Jes Baker, eine US-amerikanische Schriftstellerin, die sich für ein positives Körperbild („Body Positivity“) einsetzt, beschreibt den Begriff „hübsch“ als ein „von Unternehmen fabriziertes physisches Ideal, das vermittelt, dass man nie genug ist, bevor man es nicht erreicht hat“. Nie genug. Das beschreibt mein Lebensgefühl im Moment sehr gut. Es beschreibt das Gefühl, das ich habe, wenn ich aus der Dusche steige und die Bilder in meinem Kopf nicht zu dem Bild in meinem Spiegel passen. Die Haut an meinem Bauch, die drei Kindern Platz gemacht hat und dabei eingerissen ist, erscheint gegen die glatte Haut auf den Werbeplakaten des Modeschweden wie eine Kraterlandschaft. Hübsch, sagt mein Kopf, ist das nicht, was ich da im Spiegel sehe.

Wenn ich meinen Schöpfer frage – den Gott, der sich nicht nur meinen Körper ausgedacht, sondern auch die Kinder in meinem Bauch mit unvorstellbarer Freude willkommen geheißen hat – wenn ich ihn frage, dann sagt er sicherlich auch nicht „hübsch“ dazu. Der allmächtige, allwissende, liebende Gott wird mir zu keinem Zeitpunkt meines Lebens sagen, dass ich hübsch bin. Nicht mit sechzehn und nicht mit sechsundneunzig. Er wird mir nie sagen, dass ich aussehe wie die Supermodels auf den Hochglanzplakaten. Und ich möchte niemals anfangen, meine selbstverneinenden fremdbestimmten Vorstellungen von einem Frauenkörper mit seinen Maßstäben gleichzusetzen. Gott hat einen besseren Begriff für das, was er sieht, wenn ich aus der Dusche steige: schön!

Schrumpelhagebutte und Bauchspeck

Gottes „Schön“ muss etwas ganz anderes sein als das glattgebügelte „Hübsch“ der Plakate. Es könnte vielleicht dem ähneln, was ich in den bunten, lauten Mädchen meiner Teenagerzeit gefunden habe. Sicherlich ist es ein lebendiges „Schön“, eines, das dem wahren Leben standhält. In der Natur kann ich das am besten begreifen. Ich kann die überbordend duftend blühende Rose in meinem Garten ebenso schön nennen, wie die Heckenrose, über deren schrumpelige Hagebutten sich die Vögel freuen. Ich kann die Weinbergschnecke mit ihrem faszinierend strukturierten Haus schön nennen und die geheime Choreografie einer Ameisenstraße. Gottes „Schön“ lebt. Es atmet. Es verändert sich mit den Jahreszeiten des Lebens. Pflanzen, Tiere, Menschen, die ihr Wesen nach außen tragen, sind schön. Schneckenschleim, Schrumpelhagebutte oder Bauchspeck inklusive.

Er bleibt beim Schön

Unter Gottes Blick darf ich atmen. Darf dieses „Schön“ mich leise streifen lassen wie der Wind im Mai das frische Grün so tröstlich rascheln lässt. Ich muss ihm nicht glauben, dass er mich schön findet. Vielleicht fühle ich mich heute wie die graueste Maus von allen. Er zwingt mich nicht dazu, meine Meinung zu ändern. Aber er bleibt bei seinem „Schön“, so sicher, wie der Maiwind vom Beginn des Sommers erzählt. Heute bin ich einfach nur still und lausche auf den Wind. Vielleicht fange ich dann langsam wieder an, mich in meinem Körper zu Hause zu fühlen. Vielleicht erinnere ich mich wieder an meine kreative Freiheit. Daran, dass bunte Socken gute Laune machen und dass Farben, die mir eigentlich nicht stehen, manchmal meiner Seele guttun. Dass es Spaß macht, roten Lippenstift zu tragen, nur um den Müll rauszubringen. Und dann passiert vielleicht das Wunder. Nicht, dass ich mich endlich wunderschön fühle, sondern dass ich mich selbst vergesse. Dann entscheide ich, um was ich mich drehen möchte. Womit ich meine Lebenszeit füllen möchte. Und es wird weder mein Teint noch mein Bauch sein.

Wenn ich wählen kann, für was ich im Leben kämpfen möchte, wähle ich weder meine Frisur noch meinen Farbtyp. Ich wähle Liebe. Freundschaft. Sommernächte. Blätterrascheln. Schneeknirschen. Ich wähle die Sehnsucht nach Schönheit, die ich nicht mit Online-Shopping stillen kann. Ich bin auf dem Weg dorthin. Ich werde noch eine Weile meine Wunden lecken und vielleicht noch einmal weinen, wenn ich das nächste Mal gefragt werde, ob man gratulieren darf. Aber vielleicht kaufe ich dann einfach doch das T-Shirt. „Nein, darf man nicht!“. Jetzt eben zwei Nummern größer.

Family-Autorin Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor kurzem ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Warum Sie Ihr Kind nicht vor den Hürden des Lebens bewahren sollten

Hausaufgaben sind blöd, der Klavierunterricht nervt? Eltern sollten ihren Kindern trotzdem nicht zu viel Last abnehmen, rät Pädagogin Stefanie Diekmann.

„Das ist so blöd mit dem Theaterstück. Immer üben wir die gleiche Stelle. Den Mist-Text kann ich mir nicht merken. Ich geh‘ da nicht mehr hin!“, mault Piet. Sein Vater Mario schaut müde auf und zuckt mit den Schultern. „Dann lass es halt!“

Später grübelt Mario, ob diese Reaktion richtig war. Hätte er das Klavierspielen damals nicht aufgegeben, könnte er jetzt in der Kirchengemeinde Musik machen. Er hatte zu dem Zeitpunkt als Kind keine Lust dazu. Wollte lieber kicken gehen. Er hat viel gemeckert, und seine Mutter hat ihm irgendwann erlaubt, zu Hause zu bleiben. Nicht selten denkt er an dieses Aufgeben. Er hat die Hürde nicht genommen, sondern Anstrengung vermieden. Hilft er Piet, wenn er ihn aus dem Theaterprojekt aussteigen lässt?

Nicht alle Hürden aus dem Weg räumen

Kinder und Jugendliche dürfen lernen, Hindernisse zu überwinden – auch wenn dies mit Aufwand und inneren Schmerzen verbunden ist. Alle Gefühle kennenzulernen, hilft der Seele, sich weiterzuentwickeln und erwachsen werden zu können. Kinder und Jugendliche dürfen erfahren, wie sich Schmerz und Trauer, Forderung und Anstrengung anfühlen. Zum Erreichen der Ziele gehört ebenfalls dazu zu akzeptieren, dass sie phasenweise unglücklich sind oder auch mal weinen.

Wenn ein Kind sich im Schwimmkurs oder beim Erlernen kniffeliger Kartenspiele anstrengt, greift es die Herausforderung spielerisch auf. Es durchlebt dabei Frust, Mut, Freude, Größenwahnsinn, Zorn – und alles das ist Leben. Wenn aber ein 9-Jähriger vor Wut den Ball in die Dornen schießt, weil er beim Kicken mit Freunden unterliegt, scheint das Verlieren nicht oft geübt worden sein. Wenn eine 16-Jährige aus der Kirchenband aussteigt, weil sie gebeten wird, das Solo eifriger zu üben, hat sie sich wohl bisher zu selten anstrengen müssen.

Annahme ist der Schlüssel

Anstatt kritische Themen zu meiden und nicht mehr Karten zu spielen, Kuchen zu backen, Mathe zu üben, weil es beim Scheitern fiese Gefühle gibt, sind Trost, Annahme und Begleitung des Kindes oder Jugendlichen Schlüssel, um in Hindernissen nicht aufgeben zu müssen.

Kinder und Jugendliche checken in Herausforderungen schnell ab, ob ihre Eltern ihnen zutrauen, das Problem zu lösen. So wäre der Satz: „Piet, du schaffst es. Du hast bestimmt eine Idee, wie du dir den Text draufschaffen kannst“, eine echte Ermutigung.

Eltern sollten sich zurücknehmen

Eltern, die ihren Kindern alle Hürden aus dem Weg räumen, erleichtern ihnen keinesfalls das Leben. Sie verschieben die Auseinandersetzung mit dem Bewältigen von Schwierigkeiten lediglich auf einen späteren Zeitpunkt. Dabei ist es unerlässlich, dass Kinder und Jugendliche lernen, mit Misserfolgen umzugehen.

Viele Eltern greifen so schnell ein, dass das Kind oder der Jugendliche die Situation gar nicht richtig erleben kann. Oft ist es so, als würde das Hindernis des jungen Menschen zum Hindernis der Eltern. Wir Eltern hüpfen gern über Hindernisse, die gar nicht unsere sind. Es ist also unser Job, bei Hindernissen in die Hände zu klatschen und zu rufen: „Hurra. Mein Kind lernt jetzt etwas Wesentliches. Und ich bin dabei!“

Eigene Lösungen finden

Als unsere Tochter 16 war, gab es am Elternabend vor der anstehenden Klassenfahrt einen kollektiven Aufschrei. Die Jugendlichen sollten sich selbst versorgen: planen, einkaufen, kochen. Fast alle waren sich einig: Das geht gar nicht! Aufgelöste Eltern steckten ihren Kindern bei der Abreise Geld für einen Döner pro Tag zu. Aber ich habe das Konzept gefeiert! Das Team um unsere Tochter hatte sich bei uns getroffen und eine ihrer Freundinnen sagte: „Natürlich kann ich nicht kochen. Meine Mutter nervt das voll, wenn sie mir was erklären muss.“ Tatsächlich haben die Mädchen kaum gewusst, wie sie die Mahlzeiten planen sollen. Ich habe ein paar Fragen in den Raum geworfen und merkte, als sie Feuer fingen: schnell raus! Ich habe nämlich großes Talent, meine Ideen so lange auszuschmücken, bis meine Teens ergeben nicken und ihre eigenen Ideen verwerfen. Aber wenn mein Kind ein Hindernis bewältigen soll, muss ich es aushalten, dass nicht meine Strategien die Lösung sind.

Es gibt die Tendenz zu glauben, dass das Leben schmerzfrei sein soll. Diese Vorstellung nimmt unseren Kindern die Möglichkeit, von ihren eigenen, überraschenden Erfahrungen zu lernen, Hindernisse – oft schmerzvoll – zu überwinden und die Folgen ihres Handelns zu begreifen.

Begleiten statt kontrollieren

Wir Eltern verfallen hier oft zu sehr in die „Vor-Sorge“: Ich sorge mich schon im Vorhinein vor der Niederlage, die durch eine Hürde droht. Ich sorge mich schon vorher vor Wut, Enttäuschung oder Traurigkeit, bevor mein Kind überhaupt eine Krise formuliert. Ich taste schon vor dem Lauf den Puls meines Hürdenläufers. Mein Fehlermelder ist aktiviert, noch lange bevor die erste Hürde krachend auf die Lebensbahn meines Kindes niedergeht.

Wir dürfen das Kontrollieren aufgeben und Begleiter werden. Ohne zu bewerten, wie der Lauf über die Hürden nun richtig zu gewinnen sei. Eine hilfreiche Grundhaltung ist die Frage: „Tue ich das, weil es meinem Kind zugute kommt oder um mich selbst zu beruhigen oder zu trösten?“

Mario versucht sich zu erinnern, was ihm geholfen hätte, durchzuhalten. Erstaunlicherweise fällt ihm dazu, neben dem Aufmuntern, auch strenge Gelassenheit ein. Er will Piet gönnen, Teil des Erfolges beim Theater zu sein. Will ihm ermöglichen zu erleben, warum es gut ist, sich anzustrengen.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und arbeitet als Bildungsreferentin in einer Baptistengemeinde. Sie lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

Umgang mit Enttäuschungen

„Unser Sohn (3) gerät schnell aus der Fassung, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich vorstellt. Wie können wir ihn darin unterstützen, den Umgang mit Enttäuschungen zu lernen?“

Kindern fällt es noch deutlich schwerer als uns Erwachsenen, mit Frust umzugehen. Das liegt daran, dass sie ihre Gefühle noch nicht so gut regulieren können. Der Bereich des Gehirns, welcher für die Vernunft zuständig ist, entwickelt sich erst nach und nach und ist erst mit ca. zwanzig Jahren voll funktionstüchtig. Der Gehirnbereich der Gefühle hingegen ist schon von Geburt an voll ausgebildet. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche viel öfter von ihren Gefühlen überflutet werden. In solchen Situationen an ihre Vernunft zu appellieren („Jetzt reiß‘ dich mal zusammen!“), hilft überhaupt nicht.

EMOTIONEN ZULASSEN
Stattdessen sollten Sie als Eltern Ihrem Kind auf der emotionalen Ebene begegnen, also durch Berührungen, Umarmungen und beruhigendes Zusprechen. Wählen Sie Worte, die die Gefühle ernst nehmen, aber gleichzeitig Sicherheit vermitteln. Also nicht „So schlimm ist das doch nicht“, denn das führt nur dazu, dass Ihr Kind sich unverstanden fühlt. Besser sind Aussagen wie: „Ich verstehe, dass das jetzt ganz blöd für dich ist! Das ist normal, dass man sich ärgert, wenn so etwas passiert!“ Wichtig ist, nicht gleich ein „Aber …“ hinterherzuschieben, sondern das erst einmal so stehen zu lassen. Hilfreich ist es ebenfalls, das Weinen oder Toben zuzulassen, solange niemand gefährdet wird. Babys und auch Kinder brauchen diese Ausdrucksformen immer wieder, um Stress abzubauen und das Erlebte zu verarbeiten. Sagen Sie also nicht: „Du musst doch nicht weinen!“, sondern lieber: „Es ist okay, wenn man weint. Das tut manchmal ganz gut.“

LÖSUNGSVORSCHLÄGE ANBIETEN
Wenn Ihr Kind ein wenig ruhiger wird, können Sie mögliche Lösungsvorschläge anbieten, zum Beispiel: „Sollen wir es nochmal zusammen versuchen?“ Oder den Konflikt nachbesprechen, beispielsweise: „Ich weiß, dass du gern zum Spielplatz wolltest und sauer warst, dass es nicht ging. Das lag daran, dass wir einen Arzttermin hatten und sonst wären wir zu spät gekommen. Manchmal geht nicht alles, was man gern möchte und das ist dann ärgerlich. Aber wenn du möchtest, können wir heute Nachmittag zum Spielplatz gehen.“

UMGANG MIT MISSERFOLG
Es gilt, die Gefühle immer erst ernst zu nehmen und wenn der erste Gefühlssturm nachlässt, sanft das Denken in eine positive Richtung zu lenken. So könnten Eltern sagen: „Ich verstehe, dass du dich darüber ärgerst, dass das nicht geklappt hat. Manches braucht einfach noch Zeit und man muss lange üben. Aber du kannst schon so viel anderes: Laufrad fahren, auf die Toilette gehen und ganz schnell rennen …“ Wichtig ist auch der eigene Umgang mit Misserfolgen. Wir können unseren Kindern vorleben, dass es nicht schlimm ist, Fehler zu machen. Es hilft Kindern, wenn Eltern ehrlich zugeben: „Das kann ich leider nicht, da müssen wir mal schauen, ob uns jemand helfen kann.“ Oder: „Schade, das hat nicht geklappt. Aber nicht so schlimm, ich versuche es noch einmal.“ Damit hängt auch die Botschaft zusammen, dass der Wert eines Menschen nicht von seinen Leistungen oder Erfolgen abhängt.

Melanie Schüer ist Erziehungswissenschaftlerin und Gesundheitsberaterin für Schwangere. Sie bietet Onlineberatung für Eltern von Babys und Kleinkindern mit Schrei- und Schlafproblemen sowie für Schwangere (www.neuewege.me).