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Viel entspannter beim zweiten Kind

Erst nach der Geburt ihres zweiten Sohns fiel Anna Koppri auf, dass sie beim großen Bruder zu fokussiert auf die prompte Stillung seiner Bedürfnisse gewesen war. Ihre Hebamme spielte hierbei eine wichtige Rolle.

Antonin, mein jahrelang ersehntes Wunschkind – endlich ist er da. Natürlich möchte ich alles richtig machen. Deshalb habe ich mich in der Schwangerschaft ausführlich mit dem Mutterwerden und bedürfnisorientierter Begleitung (das Wort Erziehung mochte ich noch nie) befasst. Ich beherzige den Rat meiner Hebamme: Messe täglich sechsmal seine Temperatur, notiere mir die Stillminuten an jeder Brust, Farbe und Konsistenz seiner Ausscheidungen. Beim Wickeln habe ich stets eine Hand auf dem Kind, damit es nicht vom Tisch purzelt.

Immer an der Seite des Kindes

Schon bald liegt er jeden Abend pünktlich um 19 Uhr in seinem Bettchen, um die „richtige Zeit zum Einschlafen“ zu verinnerlichen. Niemals würde ich ihn allein in einem Raum lassen, es sei denn er schläft gerade und das Babyfon ist eingeschaltet. Wenn mein Baby meckert, bin ich sofort zur Stelle, nehme es hoch, schuckle, biete Brust oder Schnuller an – schließlich möchte ich, dass er eine sichere Bindung zu mir bekommt. Einige meiner Rezeptoren sind stets mit meinem Baby verbunden, und so fällt es mir in den ersten Monaten sehr schwer, abzuschalten. Wandle ich durch die Wohnung, um etwas zu erledigen, wird das mit ziemlicher Sicherheit durch ein Bedürfnis des Kindes unterbrochen.

Glanzfolie und Glöckchen zur Beschäftigung

Sobald er etwas wacher ist, bemühe ich mich, meinen Sohn bestmöglich zu beschäftigen. Der Spielebogen steht eigentlich ununterbrochen über dem kleinen Geschöpf, das so neugierig alles aufsaugt, das man ihm bietet. Bald reichen ihm die drei Figuren, die da baumeln, nicht mehr aus. So hänge ich auf Anraten der Hebamme ständig neues Spielzeug über ihm auf: knisternde Glanzfolie, Glöckchen … Meinen Tagesablauf gestalte ich nach den Schlaf-, Wach- und Essenszeiten meines Babys. Gegen 17:30 Uhr weint er viel, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten, weshalb ich um diese Zeit stets mit ihm zu Hause bin. Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Ich dachte, ich könnte ihn überall hin mitnehmen.

Fast eine Helikoptermutter

Naja, ich bin in Elternzeit, und die ist schließlich dazu da, meine ganze Energie in das neue Leben zu stecken. Klar mache ich auch Dinge, die mir Spaß machen. Zum Beispiel verbringe ich fast den ganzen Sommer mit ihm am See. Meine Freunde würden wohl nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet mich als Helikoptermutter zu beschreiben. Doch dieses Kind ist mein absoluter Fokus. Ich achte darauf, dass er in seinem ersten Jahr möglichst kein Körnchen Salz zu sich nimmt und auch kein Sonnenstrahl ihn direkt trifft. Sein Vater und ich, beide sehr freiheitsliebende Individualisten, bekommen eine ganze neue Verbindung durch den gemeinsamen Fokus auf unser Kind.

Das zweite Kind ändert alles

Drei Jahre später ist Antonins kleiner Bruder Benjamin da. Dieses Ereignis erleben wir wesentlich unaufgeregter als die Ankunft des Ersten. Wir sind zwar genauso verliebt in das kleine Wesen, doch beschäftige ich mich wesentlich weniger damit, was ich nun alles richtig oder falsch machen könnte. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich um mein erstes Baby gekreist bin. Ständig habe ich mir Gedanken gemacht, ob ihm zu kalt, zu warm oder etwa langweilig sein könnte. Ständig hatte ich dieses unbestimmte Gefühl, ein Bedürfnis zu übersehen oder ihm nicht gerecht zu werden. Ständig waren alle Augen und Erwartungen auf ihn gerichtet.

„Lass ihn ruhig meckern“

Mit meiner neuen Hebamme, die ich als tiefenentspannt und sehr ganzheitlich erlebe, lerne ich einiges, was ich gern schon bei Antonin gewusst hätte. Wir stehen am Wickeltisch, auf dem das neugeborene Menschlein liegt. Als Benjamin anfängt zu meckern, stecke ich routiniert meinen kleinen Finger in seinen Mund, um ihn zu beruhigen. „Lass ihn ruhig ein bisschen meckern. Das darf er, er möchte sich auch mitteilen. Wenn er immer sofort etwas in den Mund bekommt, erhält er die Botschaft, dass das unerwünscht ist,“ erklärt Susanne. Okay, so habe ich das noch gar nicht gesehen.

Das Kind braucht Zeit alleine

Weil Benja so ein ausgeglichener Knirps ist, lasse ich ihn manchmal allein im Wohnzimmer liegen – sofern der große Bruder gerade keine Gefahr für ihn darstellt. Der probiert gern mal aus, ob er ihn schon tragen kann. Ich schaue so gut wie gar nicht auf die Uhr, sondern gestalte ganz normal meinen Tag mit dem Großen, der coronabedingt gerade monatelang zu Hause ist. Das Baby kommt einfach immer mit.

Oft liegt Benja mehr als eine Stunde zufrieden auf einer Decke im Garten oder Wohnzimmer und unterhält sich mit den Bäumen oder der Wand. Manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen, dass sich so lange niemand mit ihm beschäftigt. Doch meine Hebamme bestärkt mich darin, einfach zu genießen, dass ihm das Liegen und Schauen schon ausreicht: „Es ist sogar wichtig für die Entwicklung der Kleinen, auch mal allein zu sein, ihre Umgebung wahrzunehmen und nicht ständig beschäftigt zu werden oder im Fokus zu sein.“ Den Spielebogen soll ich ihm frühestens mit sechs bis acht Wochen anbieten und dann auch immer nur mal für ein paar Minuten, um ihn nicht zu überfordern oder an zu viel Entertainment zu gewöhnen. Benja ist in diesen Spielzeug-Minuten tatsächlich immer völlig aus dem Häuschen und braucht danach eine Weile, um wieder runterzukommen. Sein liebstes Spielzeug sind schon seit Wochen seine kleinen Händchen und Füßchen.

Viel mehr Vertrauen – trotz weniger Aufmerksamkeit

Aus Gewohnheit biete ich ihm auch noch mit drei Monaten alle eineinhalb bis zwei Stunden die Brust an, wenn er meckert, so wie ich es aus seinen ersten Wochen kenne. Er trinkt meist ein paar Schluck, wendet sich dann ab und schreit oder verschluckt sich. Zuerst halte ich das für ganz normal. Aber als er ein paar Tage lang fast völlig das Trinken verweigert, frage ich meine Hebamme um Rat. Sie erklärt mir, dass Benja ein sicher gebundenes Kind ist und in diesem Alter höchstens alle drei bis vier Stunden Milch braucht. Nicht jedes Mal, wenn er an seinen Fingern lutsche, bedeute das, dass er Hunger habe. Ein echter Augenöffner für mich, und sobald ich ihren Rat beherzige, reguliert sich unsere Stillbeziehung wie von selbst. Erstaunlich, dass mein zweiter Sohn, der den Großteil des Tages mit sich allein auf einer Decke liegt, mehr Vertrauen zu haben scheint als mein erster, dem ich jedes Bedürfnis von den Augen abgelesen und sofort gestillt habe.

Corona schafft Routinen

Mit vier Monaten liegt Benjamin noch immer zufrieden auf seiner Decke. Natürlich nicht immerzu, er ist ein ganz normales Baby, das auch mal schreit. Doch der Corona-Lockdown bekommt ihm sehr gut. Immer dieselben Routinen und Umgebungen lassen ihn sich sicher und aufgehoben fühlen. Solange sein Bruder um ihn herum spielt und seine Eltern sich ihm zwischendurch immer mal zuwenden, ist seine kleine Welt im Lot.

Von meiner Hebamme lerne ich, dass es dem Kind auch Sicherheit vermittelt, wenn ich ihm jeweils nach etwa eineinhalb Stunden Wachphase wieder in den Schlaf helfe, sofern er nicht selbst dorthin findet. Jetzt mit vier Monaten könne es auch immer mal vorkommen, dass er dann schreit. Erstaunlich oft und immer wieder große Verwunderung bei unseren Freunden auslösend, schafft er es allerdings, ganz allein in den Schlaf zu finden. Seinen Nachtschlaf beginnt er, genau wie sein großer Bruder, gegen 21 Uhr, und dafür schläft er morgens auch bis acht oder neun (natürlich mit Stillunterbrechungen). Als Eltern können wir uns nicht über zu kurze Nächte beklagen. Manchmal frage ich mich, weshalb ich damals bei Antonin das Gefühl hatte, keine Zeit zu haben. Wenn ich jetzt nur Benjamin zu Hause hätte, hätte ich unglaublich viel Zeit für alles Mögliche.

Nachts schreien beide noch

Mein Dreijähriger wacht nachts immer mal auf und schreit dann fast wie ein Baby. Ich frage meine Hebamme, weshalb er das wohl tut. Sie vermutet, dass das damit zusammenhängt, dass wir immer sofort gesprungen sind und ihm etwas angeboten haben, wenn er sich als Baby gemeldet hat. Er habe dadurch noch nicht gelernt, sich selbst zu regulieren. Nachts greife er auf das Schreien zurück, um von uns reguliert zu werden. Auch Benja lassen wir natürlich nicht schreien, doch manchmal darf er sich ein bisschen beschweren und meckern, ohne dass wir ihm sofort etwas anbieten. Meist findet er einen seiner Finger und nuckelt daran, bis er sich wieder entspannen kann, oder ich rede ein bisschen mit ihm, was ihn auch schon beruhigt.

Inzwischen ist Benja ein halbes Jahr alt, Antonin geht wieder in die Kita und dem Kleinen ist es manchmal ein bisschen zu ruhig mit Mama allein. Dann bemühe ich mich um etwas Entertainment, versuche das aber in Grenzen zu halten und habe recht viel Zeit für anderes. Selten gibt es Situationen, die mich beunruhigen, was am gesunden, ausgeglichenen Wesen von Benja, aber sicher auch an meiner inneren Entspanntheit liegt. Davon hätte ich mir bei meinem Großen ein wenig mehr gewünscht.

Anna Koppri liebt es, Mama zu sein und sich nebenher Gedanken über Gott und die Welt zu machen, zum Beispiel auf ihrem Blog: liebenlernenblog.wordpress.com

Helikoptermutter? Erst bei ihrem zweiten Kind kann Anna entspannen

Anna Koppri liest ihrem ersten Sohn jeden Wunsch von den Lippen ab. Erst beim zweiten Kind merkt sie: Das kann ein Fehler sein.

Antonin, mein jahrelang ersehntes Wunschkind – endlich ist er da. Natürlich möchte ich alles richtig machen. Deshalb habe ich mich in der Schwangerschaft ausführlich mit dem Mutterwerden und bedürfnisorientierter Begleitung (das Wort Erziehung mochte ich noch nie) befasst. Ich beherzige den Rat meiner Hebamme: Messe täglich sechsmal seine Temperatur, notiere mir die Stillminuten an jeder Brust, Farbe und Konsistenz seiner Ausscheidungen. Beim Wickeln habe ich stets eine Hand auf dem Kind, damit es nicht vom Tisch purzelt.

Immer an der Seite des Kindes

Schon bald liegt er jeden Abend pünktlich um 19 Uhr in seinem Bettchen, um die „richtige Zeit zum Einschlafen“ zu verinnerlichen. Niemals würde ich ihn allein in einem Raum lassen, es sei denn er schläft gerade und das Babyfon ist eingeschaltet. Wenn mein Baby meckert, bin ich sofort zur Stelle, nehme es hoch, schuckle, biete Brust oder Schnuller an – schließlich möchte ich, dass er eine sichere Bindung zu mir bekommt. Einige meiner Rezeptoren sind stets mit meinem Baby verbunden, und so fällt es mir in den ersten Monaten sehr schwer, abzuschalten. Wandle ich durch die Wohnung, um etwas zu erledigen, wird das mit ziemlicher Sicherheit durch ein Bedürfnis des Kindes unterbrochen.

Glanzfolie und Glöckchen zur Beschäftigung

Sobald er etwas wacher ist, bemühe ich mich, meinen Sohn bestmöglich zu beschäftigen. Der Spielebogen steht eigentlich ununterbrochen über dem kleinen Geschöpf, das so neugierig alles aufsaugt, das man ihm bietet. Bald reichen ihm die drei Figuren, die da baumeln, nicht mehr aus. So hänge ich auf Anraten der Hebamme ständig neues Spielzeug über ihm auf: knisternde Glanzfolie, Glöckchen … Meinen Tagesablauf gestalte ich nach den Schlaf-, Wach- und Essenszeiten meines Babys. Gegen 17:30 Uhr weint er viel, um die Eindrücke des Tages zu verarbeiten, weshalb ich um diese Zeit stets mit ihm zu Hause bin. Das hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Ich dachte, ich könnte ihn überall hin mitnehmen.

Fast eine Helikoptermutter

Naja, ich bin in Elternzeit, und die ist schließlich dazu da, meine ganze Energie in das neue Leben zu stecken. Klar mache ich auch Dinge, die mir Spaß machen. Zum Beispiel verbringe ich fast den ganzen Sommer mit ihm am See. Meine Freunde würden wohl nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet mich als Helikoptermutter zu beschreiben. Doch dieses Kind ist mein absoluter Fokus. Ich achte darauf, dass er in seinem ersten Jahr möglichst kein Körnchen Salz zu sich nimmt und auch kein Sonnenstrahl ihn direkt trifft. Sein Vater und ich, beide sehr freiheitsliebende Individualisten, bekommen eine ganze neue Verbindung durch den gemeinsamen Fokus auf unser Kind.

Das zweite Kind ändert alles

Drei Jahre später ist Antonins kleiner Bruder Benjamin da. Dieses Ereignis erleben wir wesentlich unaufgeregter als die Ankunft des Ersten. Wir sind zwar genauso verliebt in das kleine Wesen, doch beschäftige ich mich wesentlich weniger damit, was ich nun alles richtig oder falsch machen könnte. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich um mein erstes Baby gekreist bin. Ständig habe ich mir Gedanken gemacht, ob ihm zu kalt, zu warm oder etwa langweilig sein könnte. Ständig hatte ich dieses unbestimmte Gefühl, ein Bedürfnis zu übersehen oder ihm nicht gerecht zu werden. Ständig waren alle Augen und Erwartungen auf ihn gerichtet.

„Lass ihn ruhig meckern“

Mit meiner neuen Hebamme, die ich als tiefenentspannt und sehr ganzheitlich erlebe, lerne ich einiges, was ich gern schon bei Antonin gewusst hätte. Wir stehen am Wickeltisch, auf dem das neugeborene Menschlein liegt. Als Benjamin anfängt zu meckern, stecke ich routiniert meinen kleinen Finger in seinen Mund, um ihn zu beruhigen. „Lass ihn ruhig ein bisschen meckern. Das darf er, er möchte sich auch mitteilen. Wenn er immer sofort etwas in den Mund bekommt, erhält er die Botschaft, dass das unerwünscht ist,“ erklärt Susanne. Okay, so habe ich das noch gar nicht gesehen.

Das Kind braucht Zeit alleine

Weil Benja so ein ausgeglichener Knirps ist, lasse ich ihn manchmal allein im Wohnzimmer liegen – sofern der große Bruder gerade keine Gefahr für ihn darstellt. Der probiert gern mal aus, ob er ihn schon tragen kann. Ich schaue so gut wie gar nicht auf die Uhr, sondern gestalte ganz normal meinen Tag mit dem Großen, der coronabedingt gerade monatelang zu Hause ist. Das Baby kommt einfach immer mit.

Oft liegt Benja mehr als eine Stunde zufrieden auf einer Decke im Garten oder Wohnzimmer und unterhält sich mit den Bäumen oder der Wand. Manchmal habe ich fast ein schlechtes Gewissen, dass sich so lange niemand mit ihm beschäftigt. Doch meine Hebamme bestärkt mich darin, einfach zu genießen, dass ihm das Liegen und Schauen schon ausreicht: „Es ist sogar wichtig für die Entwicklung der Kleinen, auch mal allein zu sein, ihre Umgebung wahrzunehmen und nicht ständig beschäftigt zu werden oder im Fokus zu sein.“ Den Spielebogen soll ich ihm frühestens mit sechs bis acht Wochen anbieten und dann auch immer nur mal für ein paar Minuten, um ihn nicht zu überfordern oder an zu viel Entertainment zu gewöhnen. Benja ist in diesen Spielzeug-Minuten tatsächlich immer völlig aus dem Häuschen und braucht danach eine Weile, um wieder runterzukommen. Sein liebstes Spielzeug sind schon seit Wochen seine kleinen Händchen und Füßchen.

Viel mehr Vertrauen – trotz weniger Aufmerksamkeit

Aus Gewohnheit biete ich ihm auch noch mit drei Monaten alle eineinhalb bis zwei Stunden die Brust an, wenn er meckert, so wie ich es aus seinen ersten Wochen kenne. Er trinkt meist ein paar Schluck, wendet sich dann ab und schreit oder verschluckt sich. Zuerst halte ich das für ganz normal. Aber als er ein paar Tage lang fast völlig das Trinken verweigert, frage ich meine Hebamme um Rat. Sie erklärt mir, dass Benja ein sicher gebundenes Kind ist und in diesem Alter höchstens alle drei bis vier Stunden Milch braucht. Nicht jedes Mal, wenn er an seinen Fingern lutsche, bedeute das, dass er Hunger habe. Ein echter Augenöffner für mich, und sobald ich ihren Rat beherzige, reguliert sich unsere Stillbeziehung wie von selbst. Erstaunlich, dass mein zweiter Sohn, der den Großteil des Tages mit sich allein auf einer Decke liegt, mehr Vertrauen zu haben scheint als mein erster, dem ich jedes Bedürfnis von den Augen abgelesen und sofort gestillt habe.

Corona schafft Routinen

Mit vier Monaten liegt Benjamin noch immer zufrieden auf seiner Decke. Natürlich nicht immerzu, er ist ein ganz normales Baby, das auch mal schreit. Doch der Corona-Lockdown bekommt ihm sehr gut. Immer dieselben Routinen und Umgebungen lassen ihn sich sicher und aufgehoben fühlen. Solange sein Bruder um ihn herum spielt und seine Eltern sich ihm zwischendurch immer mal zuwenden, ist seine kleine Welt im Lot.

Von meiner Hebamme lerne ich, dass es dem Kind auch Sicherheit vermittelt, wenn ich ihm jeweils nach etwa eineinhalb Stunden Wachphase wieder in den Schlaf helfe, sofern er nicht selbst dorthin findet. Jetzt mit vier Monaten könne es auch immer mal vorkommen, dass er dann schreit. Erstaunlich oft und immer wieder große Verwunderung bei unseren Freunden auslösend, schafft er es allerdings, ganz allein in den Schlaf zu finden. Seinen Nachtschlaf beginnt er, genau wie sein großer Bruder, gegen 21 Uhr, und dafür schläft er morgens auch bis acht oder neun (natürlich mit Stillunterbrechungen). Als Eltern können wir uns nicht über zu kurze Nächte beklagen. Manchmal frage ich mich, weshalb ich damals bei Antonin das Gefühl hatte, keine Zeit zu haben. Wenn ich jetzt nur Benjamin zu Hause hätte, hätte ich unglaublich viel Zeit für alles Mögliche.

Nachts schreien beide noch

Mein Dreijähriger wacht nachts immer mal auf und schreit dann fast wie ein Baby. Ich frage meine Hebamme, weshalb er das wohl tut. Sie vermutet, dass das damit zusammenhängt, dass wir immer sofort gesprungen sind und ihm etwas angeboten haben, wenn er sich als Baby gemeldet hat. Er habe dadurch noch nicht gelernt, sich selbst zu regulieren. Nachts greife er auf das Schreien zurück, um von uns reguliert zu werden. Auch Benja lassen wir natürlich nicht schreien, doch manchmal darf er sich ein bisschen beschweren und meckern, ohne dass wir ihm sofort etwas anbieten. Meist findet er einen seiner Finger und nuckelt daran, bis er sich wieder entspannen kann, oder ich rede ein bisschen mit ihm, was ihn auch schon beruhigt.

Inzwischen ist Benja ein halbes Jahr alt, Antonin geht wieder in die Kita und dem Kleinen ist es manchmal ein bisschen zu ruhig mit Mama allein. Dann bemühe ich mich um etwas Entertainment, versuche das aber in Grenzen zu halten und habe recht viel Zeit für anderes. Selten gibt es Situationen, die mich beunruhigen, was am gesunden, ausgeglichenen Wesen von Benja, aber sicher auch an meiner inneren Entspanntheit liegt. Davon hätte ich mir bei meinem Großen ein wenig mehr gewünscht.

Anna Koppri liebt es, Mama zu sein und sich nebenher Gedanken über Gott und die Welt zu machen, zum Beispiel auf ihrem Blog: liebenlernenblog.wordpress.com

Sie schlagen ihre Kinder!

„Ich habe mitbekommen, dass ein Ehepaar aus unserer Kirchengemeinde seine Kinder (3 und 5 Jahre) schlägt, wenn sie ihnen nicht ‚gehorchen‘. Ich finde das total schlimm und würde gern etwas dagegen unternehmen – schließlich hat jedes Kind das Recht auf gewaltfreie Erziehung! Wie kann ich mich einmischen?“

Zunächst einmal möchte ich Sie in Ihrer Aufmerksamkeit für Ihr Umfeld bestärken. Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen, dass die Gesellschaft genau hinschaut, wenn ihnen Gewalt angetan wird. Denn Sie haben völlig recht: Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Es ist verboten, Kinder zu schlagen.* Dazu gehören übrigens auch der berühmte „Klaps auf den Hintern“ oder die „Backpfeife“. Dabei handelt es sich nicht um harmlose Erziehungsmaßnahmen, sondern um Gewalt.

ELTERN MÜSSEN AUFGEKLÄRT WERDEN

Dass Eltern ihren Kindern Gewalt antun, hat mannigfaltige Ursachen. Manch einer weiß gar nicht, dass er Unrecht begeht, wenn ihm „die Hand ausrutscht“. Hier ist Aufklärung notwendig! Gleichzeitig entsteht Gewalt zumeist dann, wenn Eltern sich nicht anders zu helfen wissen. Kinder können in manchen Entwicklungsphasen sehr fordernd, für manche überfordernd sein. Wer Stress und Sorgen im Job hat, verliert nach einem langen Arbeitstag vielleicht schnell die Geduld, wenn das Kind zu Hause nicht das tut, was es soll. Auch Konflikte in der Partnerschaft können belasten. Ich bin sicher: Niemand schlägt sein Kind mit reinem Gewissen.

WAS SIE TUN KÖNNEN

Suchen Sie bei einer guten Gelegenheit des Gespräch mit den Bekannten. Machen Sie deutlich, dass Schläge inakzeptabel sind und das Vertrauensverhältnis zwischen ihnen und ihren Kindern zerstören. Vielleicht ergründen Sie, warum die Kinder gewaltvoll gezwungen werden, zu „gehorchen“. Bieten Sie Ihre Hilfe an oder machen Sie auf Hilfsangebote aufmerksam. Bei den Elternkursen des Kinderschutzbundes „Starke Eltern – Starke Kinder“ beispielsweise lernen Eltern, mit konfliktbehafteten Situationen anders umzugehen als mit Gewalt. Und sie lernen, dass in der Erziehung das „Gehorchen“ der Kinder nicht an allererster Stelle stehen sollte.

Sind die Eltern nicht zugänglich und reagieren abweisend, informieren Sie das Jugendamt. Das ist auch anonym möglich. Und immer gilt: Sollten Sie das Gefühl haben, dass die Kinder sich in akuter Gefahr befinden, verständigen Sie die Polizei. In so einer Situation können Sie nichts falsch machen – außer, gar nicht zu handeln.

Cordula Lasner-Tietze ist Bundesgeschäftsführerin des Kinderschutzbundes. Sie hat selbst Elternkurse im Rahmen von „Starke Eltern – Starke Kinder“ geleitet und Trainer/innen ausgebildet.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

* In Deutschland und Österreich ist das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung gesetzlich festgelegt, das Schlagen von Kindern somit strafbar. In der Schweiz gibt es keine klare gesetzliche Regelung.

Das Baby schreien lassen?

„Meine Freundin lässt ihr wenige Wochen altes Baby schreien, damit es lernt, allein zu schlafen. Ich finde es nicht nur viel zu früh, sondern auch falsch. Was kann ich tun?“

Ihre Gefühle kann ich gut verstehen. Wichtig wäre mir noch zu klären: Was meint Ihre Freundin mit „allein schlafen“? Heißt das „ganz allein in seinem Bettchen, ohne seine Mama zu spüren“? Und wenn ja, wie kam Ihre Freundin dazu, so zu handeln?

OFFEN REDEN

Manche Babys schreien gerade in den ersten drei Lebensmonaten sehr viel und finden schwer in den Schlaf. In der Regel nimmt eine Mutter ihr schreiendes Baby ja intuitiv zu sich und versucht es zu trösten, bis es sich beruhigt hat. Doch das andauernde Schreien kann für Mütter sehr herausfordernd und gleichzeitig auch verunsichernd sein. Solche Erfahrungen machen sie empfänglich für Ratschläge von anderen, die nicht immer hilfreich und gut sind. Woher kommt dieser Rat? Welche Erziehungsvorstellung steckt dahinter? Womöglich: Die Erwachsenen geben vor, wie ein Kind „funktionieren“ soll, ohne dabei die kindlichen Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Früher wurde dies oft so gehandhabt, und natürlich haben die Kleinen dann irgendwann resigniert und sind vor Erschöpfung eingeschlafen. Aber mit welch trauriger Grunderfahrung: „Niemand ist da, keiner hilft mir!“ Wie fühlt sich eigentlich die Mama dabei, wenn sie ihr Baby im Nebenraum schreien hört? Reden Sie offen und achtsam mit Ihrer Freundin. Fragen Sie sie, wie es ihr geht. Was sind ihre Sorgen oder Nöte? Wie würde sie es eigentlich lieber machen? Wer kann sie dabei ermutigen und ihr guttun? Wer kann sie praktisch unterstützen? Ich glaube, in ihrem „Mama-Herzen“ weiß sie, wie es richtig wäre, aber dafür braucht sie Mitgefühl und Entlastung.

URVERTRAUEN ENTWICKELN

Wenn ein Baby schreit, gibt es immer einen Grund dafür – auch wenn es satt und gewickelt ist. Oft, vor allem nach einer langen Wachphase, drückt es damit aus: „Es geht mir nicht gut, Mama, ich brauche dich! Ich bin so aufgewühlt, ich kann noch nicht einschlafen!“ Je kleiner es ist, umso mehr braucht ein Baby eine ruhige, vertraute Person, in deren Armen es sich gehalten fühlt und seinen Stress rausschreien darf. Diese Erfahrung ist wichtig, um Urvertrauen entwickeln zu können. Erst auf dieser Basis von Geborgenheit kann ein Kind zum späteren Zeitpunkt lernen, allein (ein-)zu schlafen.

Dazu braucht es aber Zeit (mehrere Monate), in denen kindliche Entwicklungsprozesse reifen können, Rituale vertraut werden und das Kind tief verinnerlicht hat: „Mama ist da, auch wenn ich sie nicht sehe oder spüre. Ich kann sie rufen und sie wird mir helfen, wenn ich sie brauche.“ Den Zeitpunkt kann man nicht vorher festlegen. Das Baby oder Kleinkind zeigt es von sich aus, wenn es sich entspannt ablegen lässt und Mama den Raum verlassen kann, ohne dass es schreien muss.

Beate Döbel arbeitet als Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin in eigener Praxis. Viele Jahre begleitete sie vor allem Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. www.therapiepraxis-doebel.de Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Mut zum Mittelmaß

„Jeder Mensch ist etwas Besonderes“ – diese Botschaft, die wir oft an unsere Kinder vermitteln, kann motivieren. Aber sie kann auch gewaltig nach hinten losgehen. Von Jennifer Zimmermann

Mein Sohn zählt Klavier. Er hat damit kurz nach Beginn des ersten Schuljahres angefangen, als die obligatorischen Einladungen für die Probestunden der Musikschule in der Ranzenpost lagen. Ich würde nie wagen zu schreiben, dass er Klavier lernt. Oder gar spielt. Es wäre einfach nicht wahr. Alle zwei Tage begibt er sich planmäßig an sein Instrument. Dann wanken diese tastenden, manchmal qualvoll schleichenden Töne von „Summ, summ, summ“ durch die Wohnung, die auch ich schon vor 25 Jahren auf meiner Kindergitarre fabriziert habe. Und dazwischen kann man ihn flüstern hören. 1, 2. 1, 2, 3.

Musizieren nach Zahlen

Mein Sohn liebt Musik, denn Musik hat Regeln. Man kann Pausen abzählen und wichtige Worte auswendig lernen. Es gibt einen Takt und einen Notenschlüssel und wirklich viele Zahlen. Man könnte sagen, es ist genau sein Ding. Mein Sohn ist nur wirklich kein leidenschaftlicher Musiker. Es ist ihm relativ egal, wie das Instrument klingt, das er spielt. Wie der Text des Liedes ist. Ob es irgendeine Stimmung mit sich trägt. Irgendein Temperament. Egal. Mein Sohn zählt.

Keine Musik im Blut

So hatte ich mir das mit dem ersten Instrument nicht vorgestellt. Ich persönlich arbeite mehr „nach Gefühl“. Das gilt für alle Lebensbereiche. Als also der obligatorische Zettel mit den Probestunden in der Ranzenpost lag, da dachte ich an leuchtende Musiklehreraugen, an Worte wie „Naturtalent“ und „Überflieger“, an Talentwettbewerbe. Jetzt sitze ich hier im Wohnzimmer, höre „Summ, summ, summ“ im Schneckentempo und fühle mich, als wäre ich im Sport als Letzte in die Völkerballmannschaft gewählt worden. Warum? Weil mein Sohn zwar ein begeisterter Mathe-, aber ein ziemlich durchschnittlicher Musikschüler ist.

Irgendwann zwischen dem letzten Weltkrieg und dem ersten Social-Media-Account sind wir westlichen Gesellschaften auf die Idee gekommen, dass Selbstbewusstsein eine wirklich wichtige Sache für unsere persönliche Entwicklung sein muss. Für unseren Erfolg. Unsere Leistungsfähigkeit. Wir haben uns auferlegt zu denken, dass jeder von uns etwas ganz Besonderes ist. In vielfacher Hinsicht.

Sehnen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen

Wir wachsen mit der Vorstellung auf, dass sich tief in unserem Inneren ein ganz eigenes Leuchten verbirgt wie die Perle in der Auster. Es braucht vielleicht nur die richtigen Umstände, den richtigen Anreiz, um die Auster zu knacken und dieses Leuchten an die Oberfläche zu bringen, damit es über die ganze Welt strahlt. Wir lechzen nach dem „Ah“ und „Oh“ der anderen, die unser Leuchten in ihren Augen widerspiegeln. Wir sagen es uns selbst, wir sagen es jedem Menschen, der es gerade vergessen hat. Sogar unseren Kindern.

Für jeden Menschen gibt es den richtigen Beruf, in dem seine besonderen Fähigkeiten zur Entfaltung kommen. Jeder Mensch ist zu Großem berufen. Vielleicht sogar von Gott. Jedes Kind hat ein Talent. Es gibt das richtige Instrument für jeden Erstklässler. All die zu oft gehörten Motivationssätze, sie fangen an, mich gewaltig zu nerven. Denn sie behalten ihre motivierende Wirkung nur so lange, bis wir uns an ihrer Grenze gewaltig die Zehen stoßen. Der Autor und Coach Mark Manson schreibt es laut und geradeheraus: „Die Botschaft schmeckt super, wenn man sie runterschluckt, aber im Grunde sind es leere Kalorien, von denen man nur emotional fett und aufgeblasen wird, der sprichwörtliche BigMac für dein Herz und Hirn.“

Keine Wettkampfbilder

Ich habe meine Gitarre an den Nagel gehängt, als ich feststellte, dass ich zwar viel Rhythmus im Blut, aber wenig Lust zum Üben hatte. Und keinerlei Sinn für Musiktheorie. Ich habe Sozialarbeit studiert, nicht weil meine Fähigkeiten in einer helfenden Tätigkeit am besten zur Geltung kommen, sondern weil ich, um ehrlich zu sein, ein kleines Helfersyndrom in meiner Handtasche versteckt halte. Meine Facebook-Chronik ist ziemlich langweilig. Ich bin in der Elternzeit nicht um die Welt gereist. Es gibt keine Bilder von mir und meinen Kindern im Partnerlook. Keine Wettkampfbilder von meinem so sportlichen Nachwuchs. Keine extrem emotionalen Bekundungen meiner Liebe zu meinem Mann.

Nichts Besonderes

Mein Leben ist ziemlich durchschnittlich. Das meiner Kinder auch. Sie jetten nicht von einem Termin zum nächsten. Sie räumen keine Preise ab. Können sie auch gar nicht, weil sie nämlich ständig krank sind. Irgendwann auf meiner Reise durch das Leben habe ich festgestellt, dass die allermeisten Menschen auf dieser Welt keine Naturtalente sind. Dass die allermeisten Menschen auf der Welt in einem Moment großartig sind und im nächsten wirklich furchtbar. Dass sie glänzen und im Dreck liegen. Dass sie, kurz gesagt, wirklich nichts Besonderes sind. Und dass ich dazugehöre.

Vom Versagen zur Erleichterung

Aber jedes Mal, wenn ich es wage, so ehrlich zu mir zu sein, dann fühlt sich das an wie Sterben. Wie, wenn ich jemandem meine schlaflose Nacht mit dem rotznasigen Kind haarklein darlege, demonstrativ Kaffeedampf inhaliere und lediglich ein „Normal“ zu hören bekomme. Wie, wenn ich auf einer Party den Witz meines Lebens reiße und keiner lacht, manche nur verlegen auf ihre Schuhe gucken. Sich einzugestehen, dass man überwiegend so normal ist wie die allermeisten Menschen auf diesem Planeten, sich seine eigene Großartigkeit abzuerkennen, ist schmerzhaft. Peinlich. Kränkend. Und befreiend. Weil endlich pfeifend die Luft aus dem Ego entweicht, die mir die ganze Zeit aufs Herz gedrückt hat. Es fühlt sich kurz an wie Versagen. Und dann muss man schrecklich über sich selbst lachen.

Geduld statt geniale Pläne

Ich wünsche mir für meine Kinder nicht, dass sie möglichst viel und möglichst großartige Leistung erbringen. Dass sie ihre Berufung finden, auf den Bühnen dieser Welt stehen und dabei ihren unverwechselbaren Stil präsentieren. Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass meine Kinder Menschen werden, die sich selbst vergessen können. Dass sie aufgehen können in einer Tätigkeit. Dass sie Zeit haben, unverplante Zeit, in der ihnen etwas wichtig werden kann und seien es Zahlen – auch wenn ich das am wenigsten verstehen kann. Ich wünsche ihnen, dass sie Geduld lernen. Ich wünsche ihnen, dass sie sich unterbrechen lassen in ihren vermeintlich genialen Plänen. Dass sie von ihrer eigenen Großartigkeit absehen, um einem anderen Menschen Platz zu machen, um jemanden ausreden zu lassen, jemanden zu halten, der weint.

Eine Revolution des Weniger

Ich wünsche mir eine Revolution des Weniger. Eine Revolution der Ruhe gegen den Zeitgeist, der mit seinen ständigen Erinnerungen und bimmelnden ach-so-wichtigen Nachrichten an meinem Hosenbein zuppelt und mich und meine Familie zur Hektik ruft. Der uns heiser ins Ohr wispert, dass wir irgendetwas verpassen, irgendetwas falsch machen, irgendeine Chance ungenutzt lassen und versagen, weil wir nur mittelmäßig sind. Dass wir uns einfach noch nicht genug angestrengt haben, unser inneres Leuchten zu finden und die Anerkennung zu kassieren, die uns zusteht.

Es braucht Menschen, die leidenschaftlich lieben

Die Welt braucht nicht unbedingt noch mehr leidenschaftliche Klavierspieler. Aber sie braucht unbedingt noch mehr Menschen, die leidenschaftlich lieben. Mitten im „Normal“ des Alltags. Menschen, die in die Politik gehen, weil sie sich dafür einsetzen wollen, dass die Autos auf der Hauptstraße nicht mehr länger den Gehweg zuparken. Menschen, die sich von ihren pubertierenden Kindern stundenlang alle wichtigen YouTuber zeigen lassen. Menschen, die ehrenamtlich verletzte Fledermäuse aufpäppeln. Menschen, die ein Foto von ihrem Samstagnachmittagsesstisch schießen, von ihren stinkenden verwelkten Blumen und der Plastikverpackung vom Fertigkuchen und damit Instagram unsicher machen.

Leid lässt uns reifen

Es gibt beeindruckende Menschen, wirklich mutige, charakterstarke, tiefvertrauende Menschen, die genau deshalb so besonders sind, weil sie sich kein bisschen dafür interessieren, welches Instrument ihnen am besten steht. Es gibt sie in allen Altersklassen. Oft sind sie durch Leid, Verluste und Fehler hindurchgegangen. Sie haben erlebt, dass das Leben weh tut. Dass es traurig ist. Dass es langweilig ist. Dass es in Hochs und Tiefs verläuft. Dass es konfliktreich ablaufen kann. Und dass das alles nicht nur nicht zu ändern, sondern auch ziemlich okay ist.

Einfach Mensch sein

Wenn unser Leben nicht nur aus Hoch-Zeiten und Highlights, aus wehenden Haaren im Sonnenuntergang und leuchtenden Kinderaugen besteht, dann sind wir so, wie jeder andere Mensch auf dieser Welt. Wir sind Menschen. Wir gehören zu dieser handgemachten, verrückten, grausamen, liebenswerten Truppe, die diese Erde bevölkert. Das ist eine Ehre. Unser Leben wird nicht wertvoller, weil wir den Talentwettbewerb gewonnen haben. Weil wir etwas ganz besonders gut können. Oder ganz besonders große Probleme haben. Wir sind Menschen. Gottes Menschen. Das ist alles.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Gerade ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Versuch etwas anderes!

Fünf Ideen, eingefahrene Erziehungssituationen zu verändern. Von Debora Güting

Mein Mann und ich haben früh Kinder bekommen und damit auch früh mit der Erziehung von Kindern begonnen. Mit Mitte zwanzig hatten wir bereits zwei kleine Kinder. Einige Freunde haben in dieser Zeit noch nicht an Kinder gedacht. So waren wir einige Jahre voraus in Thema Erziehung, als diese dann ihr erstes und zweites Kind bekamen. Immer mal kam und kommt es vor, dass sie uns fragen, was wir über Erziehung denn gelernt hätten und ob wir ein paar Tipps weitergeben können. Dieser eine Erziehungstipp, schlicht und flexibel, wirkungsvoll und jederzeit anwendbar, hat sich immer wieder bewährt und gefestigt: „Wenn es auf eine Art und Weise nicht funktioniert, dann versuch‘ etwas anderes.“

Jedes Kind ist einzigartig, und jedes Kind reagiert anders auf diverse Erziehungsmethoden. Gibt es also ein unerwünschtes Verhalten des Kindes, das wir als Eltern nicht in den Griff bekommen? Oder soll das Kind etwas lernen, und es klappt nicht? Dann ist es immer wieder notwendig, sich an die Situation anzupassen und kreativ zu werden. Habe ich als Mutter auf eine Situation immer gleich reagiert, zum Beispiel geschimpft, wenn das Kind Schuhe stehen lässt, ist es unwahrscheinlich, dass das Kind bei einer weiteren gleichen Situation sein Verhalten ändert. Daher ist es schlauer, wenn ich selbst mein Verhalten ändere. Damit provoziere ich eher eine andere, neue und hoffentlich bessere Reaktion auf Seiten des Kindes. Wenn wir als Eltern die dafür notwendige Energie investiert haben, und es tut sich was auf der Seite des Kindes, dann macht es Freude, schafft Freiräume und verbessert die Beziehung zum Kind.

Hier einige Beispiele, die es leichter machen sollen, an festen Schemen zu rütteln und auf neue Ideen zu kommen:

1. DEM UNERWÜNSCHTEN VERHALTEN KEINE AUFMERKSAMKEIT SCHENKEN

Unser ältester Sohn, Nino, hat immer gut darauf angesprochen, wenn wir ihm Dinge erklärt haben. Wenn er etwas verstanden hat, dann hielt er sich meist an die damit verbundenen Erwartungen, auch schon als ganz kleiner Junge. Mit etwa vier Jahren fing er an, mit den Zähnen zu knirschen. Ich hatte gehört, dass das nicht gut für die Zähne sei, und zusätzlich war das Geräusch für mich unangenehm. In diesem Fall versagten die uns bekannten Methoden: Kein Erklären half. Kein Schimpfen half. Kein Bitten half. Schließlich beschlossen wir, dem Knirschen für eine Weile einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken und zu sehen, was passiert. Das Erstaunliche geschah: Innerhalb von ein paar Tagen hat Nino von allein aufgehört, die Zähne aneinander zu reiben. Durch unser geändertes Verhalten änderte sich auch das Verhalten unseres Sohnes.

2. VORBILD SEIN

Unsere Tochter Lucy rannte als älteres Kindergartenkind immer quer über jede Straße, ohne zu schauen, ob ein Auto kam. Wir warnten sie, wir zeigten die Gefahr, wir erschraken in solchen Situationen und schimpften schließlich. Lucy ließ sich nicht dazu bringen, nach den Autos zu schauen. Was die Situation änderte, war, dass mir bei einem gemeinsamen Spaziergang klar wurde, dass die Art und Weise, wie ich die Straße überquerte, für Lucy genauso aussah, wie das, was sie tat. Dass wir als Erwachsene eine Verkehrssituation schnell überblicken können, war für sie nicht zu erkennen. Für sie sah es so aus, als gingen wir ohne zu gucken über die Straße. Also änderten mein Mann und ich mit Lucy gemeinsam unser Verhalten. Wir blieben aktiv und deutlich stehen, und ich zeigte ihr, wie ich nach rechts und nach links schaue, bevor ich über die Straße gehe. Unser Vorbild machte den Unterschied. Wir zeigten es ihr, und sie machte es dann richtig nach. So lernte sie das Verhalten, was wir uns von ihr wünschten.

3. SCHLECHTES VERHALTEN NACHMACHEN

Unser jüngster Sohn Jakob, der einige Jahre später als zweiter Nachzügler nachkam, hatte sich angewöhnt, Grimassen zu schneiden. Es waren nicht unbedingt provokative Gesichter, wie Zunge rausstrecken, aber es waren unangenehme Grimassen, die so mancher Fremde grundlos zu sehen bekam und die Jakob auch oft in unserer Familie zeigte – manchmal einfach so, manchmal auch als Reaktion auf eine Frage oder Anforderung. Ignorieren, schimpfen, erklären und wettern half nicht. Aus einem spontanen Impuls heraus zog ich ihm als Reaktion auf sein Gesichterziehen auch mal ein Gesicht. Ich rollte die Augen, verzerrte den Mund und versuchte, auch mal grimmig zu sein. Ich war etwas geschockt, als Jakob anfing zu weinen. Es war ihm offenbar sehr unangenehm, selbst eine Grimasse abzubekommen. Ich bin nicht sicher, ob ich danach noch etwas erklärte oder sagte, um seinen Frust pädagogisch zu lenken. Aber seither ist das Grimassenschneiden kein Thema mehr.

Ich ziehe nicht den Schluss daraus, dass es schlau ist, mit dem Kind immer zu machen, was es selbst mit anderen gemacht hat. Aber ich ziehe es als Möglichkeit in Betracht. Im Nachhinein war es so besser, als weitere Wochen nur darum zu kämpfen und nicht weiterzukommen. Immer mal muss man sich klarmachen, dass es weder für die Kinder noch für die Eltern angenehm ist, in einem ungelösten Erziehungs-Kampf zu stecken. Für beide Partien ist es gut, wenn wir Eltern nach einer weiteren und schließlich funktionierenden Lösung suchen, die nicht ständig auf Kosten einer guten Beziehung geht.

4. EIGENVERANTWORTLICHKEIT STÄRKEN

Als unsere beiden Großen Grundschüler waren, hatten wir nach dem Gottesdienst immer wieder den gleichen Reibungspunkt: Jeden Sonntag hingen sie meinem Mann und mir am Ärmel und fragten, ob sie Geld für eine Cola bekommen. Ohne System haben wir manchmal Ja gesagt, manchmal Nein, manchmal mussten sie es selbst bezahlen. Immer wieder wurden dabei Unterhaltungen unterbrochen, und immer wieder mussten wir die gleiche Entscheidung neu treffen. Uns als Eltern hat das angestrengt. Aber das war dann auch das Gute: Dass wir in einer Situation feststeckten und immer wieder genervt waren, musste uns auch erst mal auffallen. Wir mussten uns bewusst machen, wie aufreibend diese ständig wiederkehrende, unangenehme Situation war! Denn erst mit diesem Bewusstsein fingen wir als Eltern an nachzudenken, welche Hebel aus einer aufreibenden Situation herausführen könnten. Wir lösten es damals so, dass wir bei der anstehenden Taschengelderhöhung einen kleinen weiteren Betrag daraufgelegt haben. Damit hatten beide Kinder etwas Geld extra für den Bereich „Trinken nach dem Gottesdienst“ zur Verfügung, und es war die Entscheidung unserer Kinder, ob sie das Geld dafür ausgeben wollten oder nicht. Der Reibungspunkt war für alle überwunden. Klarheit und Eigenverantwortlichkeit haben für uns alle die Lage verbessert.

5. AUCH MAL AUFGEBEN

Ich habe mal in einem Artikel gelesen, dass die Kinder selbst machen sollen, was sie selbst machen können. Das klang gut, und ich wollte es anwenden. Jakob hatte schon gelernt, Schuhe mit Klettverschluss anziehen. Ich fand es daher eine gute Idee, das auch im Alltag von ihm zu verlangen. Aber Jakob nahm es gar nicht an. Es war jedes Mal ein Diskutieren und Schimpfen – schlichtweg nervenzehrend. Auch ein Belohnungssystem zog nicht. Nach einigen Wochen fand ich den Kampf einfach unrentabel. Ich verschwendete meine Energie für null Ergebnis. Diesen Frust wollte ich mir nicht länger aufladen. Ich beschloss, diesen guten Erziehungsrat in diesem Fall nicht weiter umzusetzen und meine Kraft lieber für andere Situationen einzusetzen. Also zog ich unserem Jakob die Schuhe wieder an. Jetzt hatte ich emotional wieder mehr Raum, andere Dinge anzugehen, die vielleicht mehr Erfolg versprachen. Wenige Wochen später war Saisonwechsel. Mit einem Paar neuer Schuhe, die Jakob begeisterten, lief das Schuheanziehen auf einmal von ganz allein. Die Zeit hatte Jakob dann doch noch dazu gebracht, seine Schuhe selbst anzuziehen.

LOS GEHT’S!

Es gibt natürlich Themen, da sind wir als Eltern jahrelang gefordert, dran zu bleiben, und es wird immer ein Auf und Ab geben. Es wird nicht den einen Trick geben, mit dem wir unseren Kindern zum Beispiel Höflichkeit beibringen. Aber gerade, wenn bestimmte Situationen immer wieder auftauchen und uns Kraft und vielleicht sogar eine gute Beziehung zum Kind kosten, lohnt es sich, einen extra Gedanken zu investieren.

Wir sollten möglichst nicht so weit kommen, über unsere Kinder die Augen zu rollen und zu ihnen zu sagen „Wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst …!“ Damit vermitteln wir unseren Kindern, wie hoffnungslos die ganze Erziehung ist. Das tut uns und dem Kind weh. Die Kinder lassen sich davon auch wenig beeindrucken und haben kaum Mitleid mit uns Eltern, auch wenn wir in einer Sackgasse stecken. Zudem kommen die Kinder nach einem solchen Satz auch in den seltensten Fällen auf die Idee, ihr unerwünschtes Verhalten zu ändern, um uns Eltern zu entlasten. Also: Wir sind die Eltern, und wir sind am Zug!

Debora Güting ist Referentin und Teil des Patoralteams der Kirche des Nazareners in Seligenstadt, verheiratet mit Johannes und hat vier Kinder.

UND BEI EUCH?

Habt ihr ähnliche Erfahrungen im Erziehungsalltag gemacht? Was hat euch geholfen, wenn ein Verhalten keine Wirkung gezeigt hat? Und welche Tipps von Debora Güting findet ihr hilfreich? Schreibt uns an redaktion@family.de, Stichwort „Versuch etwas anderes“.

Als Eltern versagt?

Eltern wollen gern alles richtig machen, um ihren Kindern keine Steine für ihr späteres Leben in den Weg zu legen. Doch ohne Fehler geht es nicht. Von Debora Güting

Ich habe als Vater versagt.“ Daniel* sitzt vor mir und weint. Ich bin erschüttert. Er ist ein Vater wie aus dem Bilderbuch. Wir kennen uns seit etwa 15 Jahren, in denen seine beiden Söhne geboren sind. Ich weiß, wie wichtig es ihm ist, ein guter Vater zu sein. Denn sein eigener Vater war abwesend bis abweisend. Daniel unternimmt viel mit seinen Jungen. Er ist ein Abenteurer, und seine beiden Kinder erleben viel mit ihm. Linus, der Ältere, war gerade in einer schweren Phase in der Schule, hörte nicht auf seine Eltern und sortierte sich als Teenager neu. Da passierte es: Linus wollte auf ein Wochenende mit Freunden. Kurz vorher gab es einen Konflikt, und Daniel nahm ihm als Konsequenz das Handy weg. So wie das Wochenende geplant war, würde Linus es nicht wirklich brauchen und sich hoffentlich mal mehr offline beschäftigen. Aber das Wochenende verlief anders. Linus geriet in eine traumatisierende Notlage, die über das ganze Wochenende anhielt. Er konnte sich nicht mit seinen Eltern in Verbindung setzen, weil ihm das Handy fehlte. „Ich habe ihn im Stich gelassen“, sagt Daniel gebrochen. „Als er mich brauchte, konnte ich ihn nicht schützen. Ich bin schuld an dem, was er erlebt hat.“ Als ich mit Daniel rede, ist der Vorfall schon ein Vierteljahr her. Sie waren zusammen in einer Beratungsstelle, Linus hatte psychologische Betreuung, und die Situation in der Schule ist noch schwerer als vorher. Zu Hause ist der Umgang mit Linus so unerträglich und voller ungelöster Konflikte, dass Daniel überlegt, ihn in einem Heim unterzubringen. Er und seine Frau Petra sind mit ihrer Erziehung am Ende. Daniel weint. So hat er sich das Vatersein nicht vorgestellt. Ich leide mit, als ich seine Geschichte höre. Ich habe Daniel noch nie weinen gesehen. Was würde ich in einer Situation machen, in der mein Kind, teilweise durch mein Zutun, in eine solche Notlage gerät? Wie würde ich mit so einer Schuld umgehen?

DAS LEBEN VERMASSELT?
Das Wort „Schuld“ erinnert mich schmerzlich an einen Artikel, den ich von einer Freundin empfohlen bekam. Darin ging es um „sechs wahre Ursachen von Süchten“ Erwachsener, die alle auf die Erziehung ihrer Eltern zurückzuführen seien. Ursache könne sowohl sein, dass der Erwachsene als Kind überbehütet wurde, als auch dass er allein gelassen und seine Bedürfnisse nicht befriedigt wurden. Nach dem Lesen dieses Artikels hatte ich Schuldgefühle und sah meine vier Kinder als verkorkste Erwachsene vor mir, die mir vorwerfen, ich habe ihr ganzes Leben vermasselt. Nach Aussage dieses Artikels hatte ich schon alles Mögliche falsch gemacht. Ich fühlte mich fast schuldig, dass ich meinen Kindern angetan hatte, meine Kinder zu sein. Mit etwas Abstand fragte ich mich: Wie vielen Eltern, die diese Auflistung lesen, hilft dieser Artikel, gute Eltern zu sein? Sind wir alle von Schuldgefühlen getrieben? Bemüht, nur nichts falsch zu machen? Sind wir Eltern wirklich an allem schuld, was unsere Kinder in ihrem Erwachsenenleben tun oder nicht tun? Ich bin gern Mutter von meinen vier Kindern. Ich freue mich, wenn meine Kinder etwas erobern, wenn sie aus ihren Fehlern lernen, wenn sie Freude aneinander haben, wenn sie einander trösten oder mit sich selbst ringen. Ich freue mich, wenn wir Zeit miteinander verbringen, lesen, spielen, die Sonne genießen. Ich finde, Elternsein sollte Freude machen – und nicht ständig von möglichen Mängeln oder falschen Entscheidungen beherrscht sein.

ZEHN ERZIEHUNGSFEHLER
Vor ein paar Jahren war ich bei einem Vortrag zum Thema Erziehung. Ich erinnere mich, dass der Referent sagte, dass wir als Eltern auch Fehler machen dürfen – und dass selbst kleine Kinder Erziehungsfehler verzeihen würden. Sein Argument war, dass Kinder merken, wie wir es grundsätzlich mit ihnen meinen, selbst wenn wir mal anders handeln oder überreagieren. Wenn wir unsere Kinder im Allgemeinen mit ihren Bedürfnissen wertschätzen und annehmen, wird aus einem Mal, an dem wir sie übergehen, keine Problematik entstehen. Bis zu zehn Erziehungsfehler am Tag seien völlig normal. Erst ab über zwanzig Fehlern pro Tag verliere ein Kind die Orientierung in der Erziehung. Was für eine Befreiung! Ich darf als Mama auch noch Mensch sein! Meine Kinder sind robust und können mich als Otto-Normal-Mutter aushalten und einordnen – auch wenn ich nicht immer alles richtig mache. Ein wunderbarer Ratschlag kommt von Christof und Hedwig Matthias von der christlichen Beratungsorganisation Team.F. Sie wissen um die Problematik, dass wir als Eltern unseren Kindern nicht alles sein und alles geben können. Sie geben diese Sorge um ihre Kinder in Gottes Hand, indem sie beten und ihn bitten, die Lücken zu füllen. Das Gebet könnte so aussehen: „Herr, hilf uns, die guten Eltern zu sein, die du dir in uns vorgestellt hast. Fülle du die Lücken und gib unserem Kind die Dinge, die es braucht, die wir aber nicht geben können.“ Gott ist mit im Spiel. Er ist der Schöpfer von Eltern und Kindern. Er hat uns als Familie zusammengestellt. Gott findet offenbar, dass ich meinem Kind eine gute Mutter sein kann. Und das will ich, so gut ich kann, erfüllen. Gott weiß, dass ich menschlich bin, Fehler habe und meinem Kind nicht alles vermitteln kann. Aber Gott hat noch mehr Möglichkeiten. Ich will ihm zutrauen, mein Kind in der Hand zu halten und sich um mein Kind zu kümmern – besser und umfangreicher, als ich es kann.

LAST ABGEBEN
Aber was ist, wenn etwas kolossal schiefläuft wie bei Daniel und Linus? Hier gibt es natürlich keine universalen Antworten. In Daniels und Linus‘ Fall hat Daniel es grundsätzlich gut gemeint, aber im entscheidenden Moment tatsächlich das Unglück mit provoziert. Was passiert ist, ist aber nicht Daniels Schuld. Das Leben auf diesem Planeten läuft nicht reibungslos oder gar schmerzlos ab – für niemanden. Nicht für Daniel, nicht für Linus, nicht für mich oder für Sie. Dafür immer nach dem Schuldigen zu suchen, führt niemanden in die richtige Richtung: weder „Opfer“ noch „Täter“. Natürlich sollte sich Daniel bei Linus entschuldigen und seinen Anteil an dem Vorfall besprechen – aber die Schuld an dem, was andere Linus angetan haben, trägt er nicht. Er konnte nicht wissen, wie sich sein Handeln auswirken würde. Jesus hat die Schuld der Welt am Kreuz getragen. Er hat auch unsere Schuld getragen, egal, ob wir etwas absichtlich oder aus Versehen falsch gemacht haben. Er kann diese Last tragen. Wir können es nicht. Es macht uns kaputt. Wir dürfen diese Last an Jesus abgeben – immer wenn sie uns drückt oder erdrückt.

SEGEN GESCHENKT
Ich denke da gern an Josef aus der Bibel: Josef hat einen Weg gefunden, mit einem „Vorfall“ fertig zu werden. Seine Brüder hatten ihn aus Neid als Sklaven in ein fremdes Land verkauft. Sicherlich grollte Josef ihnen. Aber als er den Brüdern viele Jahre später begegnete, war er nicht ein verbittertes Opfer. Josef hatte unterwegs gelernt, seinen Lebensweg anzunehmen und Schritte von da aus zu gehen, wo er war – so deplatziert das auch schien und so gern er seine Schritte woanders gegangen wäre. Gott gab Josef eine Schlüsselposition, um später seine ganze Familie zu retten. Josef vergab seinen Brüdern. Er ließ das geschehene Unrecht in Gottes Hand – und Gott konnte Schritte mit Josef gehen. Er konnte Josefs Leben lenken und einen Segen schenken, der ohne das Leid in Josefs Leben nicht so enorm groß und faszinierend ausgefallen wäre. Trauen wir Gott zu, dass er das Leben unserer Kinder heute in seiner Hand hält, auch wenn sie – wie wir ja auch – Leid erleben und ertragen müssen. Gott hat die Kontrolle – nicht wir Eltern. Was für ein Befreiungsschlag!

 

Debora Güting ist Referentin und Teil des Pastoralteams der Kirche des Nazareners in Seligenstadt, verheiratet mit Johannes und hat vier Kinder.

„Ich habe einiges falsch gemacht“

Eltern machen Fehler. Kleine und große. Eine Auseinandersetzung damit ist unverzichtbar. Von Kathrin Koch

Neulich saß ich mit einer jungen Mutter im Gespräch zusammen. Sie offenbarte mir ihre Sorge: „Ich habe solche Angst, dass ich meinem Sohn keine gute Mutter bin. Und dass ich durch meine schwierige Vergangenheit Fehler an ihm mache.“ – „Herzlichen Glückwunsch“, war meine spontane Reaktion. „Du wirst definitiv Fehler machen, weil du und ich nicht perfekt sind. Willkommen im Club!“ Wir Eltern leben in großen, inneren Spannungsfeldern. Mit den eigenen Kindheitserlebnissen im Rücken wollen wir es bei den eigenen Kindern richtiger machen, als es geht. Für mich war es eine ernüchternde Feststellung, dass ich meine Kinder nur bedingt vor meinen Schwächen und Fehlern behüten kann. Ich bin nun mal ein Mensch und nicht Gott. Gott macht keine Fehler – ich schon.

AUS PUREM GEHORSAM
Unsere Kinder sind volljährig. Ich erlebe jetzt, wie sie als junge Erwachsene Entscheidungen treffen und in Situationen reagieren. In manchen Situationen hat mich das nachdenklich gemacht. Warum handeln sie so und nicht anders? Bei diesen Fragen kam ich nicht umhin, den Bogen auch zu mir und meinen erzieherischen Überzeugungen und Praktiken zu schlagen. Es war hart, mir einzugestehen, dass ich Fehler an meinen Kindern begangen habe, und obendrein auch noch die Auswirkungen davon in ihrem Verhalten sehe. Von meiner Ältesten habe ich im Teenageralter erwartet, dass sie an all unseren Gemeinde-Veranstaltungen teilnimmt, obwohl sie das nicht immer wollte. Sie saß also öfter aus purem Gehorsam in unseren Events. Einige der Prediger schenkten gerade den Teenagern ihre Aufmerksamkeit. Meine Tochter stand mehrmals ungewollt im Mittelpunkt. Das verletzte sie und veranlasste sie zu bestimmten Entscheidungen. Ich war in den jeweiligen Situationen nicht in der Lage, sie zu schützen. Ich war überzeugt, dass „ein bisschen Herausforderung“ gut täte. Erst Jahre später erkannte ich, dass die Verpflichtung meiner Tochter zu diesen Veranstaltungen keine guten Früchte trug. Noch schlimmer: Ich realisierte meinerseits ein Misstrauen ihr gegenüber. Ich traute ihr nicht zu, bezüglich des Glaubens gute Entscheidungen zu treffen. Und genau da begann mein Herz zu bluten. Ich war bestürzt und beschämt über meine Denk- und Handlungsweise. Es kostete eine ordentliche Portion Mut, mich dem eigenen Versagen zu stellen, der Wahrheit ins Auge zu sehen und mich für mein Verhalten angemessen zu entschuldigen.

ENTSCHULDIGUNG!
Wer meint, in Autoritätsverhältnissen – als Mutter gegenüber meinem Kind – diese demütigenden Prozesse nicht durchlaufen zu müssen, hat sich meiner Meinung nach geirrt. Gerade hier zeigt sich charakterliche Reife, die im Heilungsprozess für mein Kind sehr wichtig sein kann. Für mich wurde es auf zwei Ebenen praktisch:

1. Selbsterkenntnis ist die beste Erkenntnis: Ich hatte versagt! Trotzdem war jetzt wichtig zu differenzieren und nicht die ganze Erziehung an meiner Tochter als miserabel zu betrachten.

2. Es galt, ein Gespräch in angemessenem Rahmen zu suchen, mich vor ihr zu erklären und sie um Verzeihung zu bitten. Ganz nebenbei war nicht ganz unwichtig, wie ich meine Entschuldigung vorgetragen habe. Hier muss ich erwähnen, dass ich über Jahre Teil einer Elterninitiative in unserer Realschule war. Mit dem Gewaltpräventionsprojekt f.ü.r. (Freunde üben Rücksicht) haben wir Schüler im Umgang mit Wut und Ärger trainiert. Ein kleiner Teil des Programms zielt darauf ab, wie man sich richtig entschuldigt. Diese Vorgehensweise setze ich – weil es so hilfreich ist – in persönlichen Konfliktklärungen um:

Aufrichtig sein: Meine Entschuldigung soll von Herzen kommen. Mir ist klar, was ich falsch gemacht habe, ohne Wenn und Aber. Außerdem ist es wichtig, dass ich fähig bin, mich in die Lage des anderen zu versetzen. Das hilft zu verstehen, was ich verursacht habe. Konkret kommunizieren: Ich muss klar ausdrücken, für was ich mich entschuldige. Das zeigt auch, dass ich mich innerlich damit auseinandergesetzt habe und Verantwortung übernehme. Von Angesicht zu Angesicht: Zeit und eine persönliche Begegnung sind unerlässlich, um respektvoll eine Entschuldigung vorzubringen. Augenkontakt und mindestens ein fester Händedruck zur Versöhnung sind Standard. Schadensersatz/Wiedergutmachung leisten: Ich muss mich in irgendeiner Form für den Schaden praktisch verantwortlich machen. Das ist nicht immer möglich. Spätestens bei seelisch zugeführten Verletzungen kommt bei uns Christen das Kreuz ins Spiel. Das Kreuz, an dem Jesus für unsere Schuld gestorben ist. Das Kreuz als der Ort, wo wir Vergebung empfangen und auch vergebungsbereit unseren Nächsten entlasten können.

DIE VERANTWORTUNG ENDET HIER
Eine wichtige Feststellung ist, dass die gebräuchliche Formulierung „Ich entschuldige mich für …“ nicht korrekt ist. Wir können uns nicht selbst entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten. Unsere Bitte um Entschuldigung annehmen, akzeptieren und vergeben, also ENTschuldigen, kann nur der Geschädigte. Und genau hier habe ich die Geschicke im Gespräch mit meiner Tochter nicht mehr in der Hand. Hier endet die elterliche Verantwortung. Wie sie mit meiner Offenbarung umgeht, kann ich nicht beeinflussen. Wird sie mich aus der Schuld entlassen? Kann sie mir vergeben? Für meine Tochter war es befreiend zu erleben, dass ihre Mutter nicht perfekt ist und Fehlverhalten einsieht. Sie hat mir von Herzen verziehen. Doch es hätte auch anders ausgehen können. Wir Eltern können dann lediglich darauf vertrauen, dass unsere Kinder sich zur Entlastung der Schuld entscheiden. Und wir können darauf vertrauen, dass die Kraft des Kreuzes auch in der nächsten Generation keine Kraft verloren hat.

 

 

Kathrin Koch leitet die Arbeit von YWAM Altensteig. Sie ist verheiratet, hat drei volljährige Kinder und liebt es, zusammen mit ihrem Mann das Tanzbein zu schwingen.