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Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

Mit Nicht-Gläubigen über Gott und den Glauben zu sprechen, ist nicht einfach. Das gilt umso mehr in der Familie. Wie es aber trotzdem gelingen kann und uns nebenbei noch selbst weiterbringt, berichtet Matthias Kleiböhmer.

Wir sitzen vor dem Kamin und sprechen darüber, wie die letzten Jahre gelaufen sind. Meine Frau sagt: „Wir können doch ganz zufrieden sein: Job okay, Kinder gesund und wir wohnen in einer guten Gegend.“ Ich denke: „Ja, Gott hat uns gesegnet.“ Aber ich sage es nicht. Meine Frau glaubt nicht an Gott. Und ich möchte den Augenblick nicht kaputt machen. Denn davon zu sprechen, was Gott in unserem Leben tut, führt eigentlich immer zu Diskussionen. In diesem Fall wäre das Thema: „Wieso segnet er dich und andere nicht?“ Aber wir werden noch darüber sprechen. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.

Außerhalb der Kirchenmauern

Es braucht Mut, über den Glauben zu sprechen. Nicht in der Gemeinde – da geht es einfach. Aber fast überall sonst. Meine letzte Blitzumfrage nach dem Gottesdienst hat gezeigt: Es geht vielen so. Was Businesstrainer für den Smalltalk empfehlen, haben wir schon längst verinnerlicht. Geld, Politik und Glaube lässt man besser außen vor, sonst wird es zu persönlich, übergriffig oder einfach zu emotional – und es kann eskalieren. Deswegen bleiben wir mit unserem Glauben unter uns in der Gemeinde oder in der Anonymität unserer Social Media-Bubble. Alle anderen lassen wir besser außen vor.

Wenn man – wie ich – „die anderen“ direkt in der Familie hat, geht das nicht. Für den Moment kann man Gott schon mal aus einem Gespräch ausklammern. Aber auf Dauer gelingt es nicht. Man kommt sich sonst vor, als müsste man öffentlich erklären, dass die Erde eine Scheibe ist. Wir können unser Christsein nicht an der Haustür neben dem Schlüsselbrett ablegen. Wir bringen den Glauben mit. Er begleitet uns durch eine Gesellschaft, in der der Unterschied zwischen denen, die glauben, und „den anderen“ immer größer wird. Immer mehr haben Gott nicht nur vergessen; sie vergessen, dass sie ihn vergessen haben. Schon allein deshalb glaube ich, dass es in Zukunft mehr Beziehungen wie unsere geben wird. Zu Hause kann man sich aber nicht dauerhaft verbiegen. Deswegen können wir nicht permanent auf den Gottesdienst verzichten. Und wir können Gott – wie alles andere Wichtige im Leben auch – nicht für immer aus allen Gesprächen verbannen.

Also braucht es Mut. Denn wir wissen ja selbst, wie brüchig, unvollständig und schwach unser Glaube manchmal ist. Und das kann ein solches Gespräch offenbaren. Wie peinlich! Dabei ist das nicht einmal das Schlimmste. Viel schlimmer ist es, dass es uns oft schwerfällt, unsere Liebe zu Gott in Liebe zu den Menschen zu übersetzen. Schließlich erleben uns unsere Angehörigen immer und überall in der Nahaufnahme. Sie kennen unsere Stärken und Schwächen sehr genau. Der Mut besteht nicht nur darin, von Gott zu erzählen und die verständnislosen Blicke, das Desinteresse oder die anschließende Diskussion auszuhalten. Er besteht vor allem darin, sich selbst mit dem Maßstab des Glaubens messen zu lassen.

Der Anspruch ist gewaltig

Viele Menschen haben zwar Gott vergessen, aber trotzdem gewaltige Ansprüche an Christinnen und Christen, was Geduld, Barmherzigkeit und Nächstenliebe angeht. Drei Disziplinen, in denen ich ständig versage. Als Bibelleser denke ich dabei oft an Paulus, und das macht es nicht leichter. Er ist nämlich der Meinung, dass in Beziehungen wie meiner nicht-gläubige Partnerinnen und Partner gewonnen werden können durch die vorbildliche Lebensweise der Christinnen und Christen. Das ist die wichtigste Art, wie wir über unseren Glauben sprechen, und es ist die schwierigste.

Man kann das alles maximal groß und kompliziert denken oder man kann die Freiheit des Glaubens ernst nehmen. Was ich meine: In meiner Situation spürt man den Erwartungsdruck der anderen, man liest Paulus und hört vielleicht sogar Jesu Aufforderung, „alle Welt“ mit dem Evangelium in Kontakt zu bringen. Das überfordert nicht nur mich, sondern auch Menschen, die im Glauben fester sind als ich. Tatsächlich hat Gott aber die Neigung, Menschen mit großen Schwächen zu Zeugen seiner Liebe zu machen. Petrus war ein Verräter, Paulus ging keinem Streit aus dem Weg und ein Berufssoldat der verhassten Römer erkennt als Erster: „Dieser Mann ist Gottes Sohn gewesen!“ Willkommen in der Gemeinschaft der Unvollkommenen!

Nicht-Gläubige, die wissen, dass wir Christen sind, werden sich sicher immer mal wieder fragen, wie glaubwürdig wir leben. Aber sie verstehen darunter meist etwas anderes, als Gott darunter versteht. Sie meinen meist eine moralische Christlichkeit mit selbstlosem Einsatz für den Nächsten. Dabei sind sie so ungnädig, wie wir Menschen eben sind. Gott kann da liebevoller drüber hinwegschauen und das sollte unser Maßstab sein. Wir müssen es trotzdem mit aller Kraft versuchen. Wir sind dran, weil es eben niemand anderen gibt, der es tun kann. In der Familie kann man sich nicht vertreten lassen.

Aber wie macht man das?

Wie findet man Worte für den Glauben und wie spricht man ihn aus? Ich meine, der einfachste Weg ist, mit einem eigenen Erlebnis zu beginnen. Da braucht man keine große Theologie und keine Argumente. Man darf einfach erzählen, wie man etwas erlebt hat. Zum Beispiel, dass man Gott erlebt hat, wo andere nur einen glücklichen Zufall sehen. Beispielsweise so, dass Gott in mein Leben positiv eingreift.

So habe ich es gemacht, als ich mich bei einem Beinahe-Unfall auf der Autobahn „bewahrt“ gefühlt habe. Das ist so ein typisches „Christenwort“, aber so habe ich es erlebt: Ein BMW fuhr viel zu schnell an meinem und einigen anderen Fahrzeugen vorbei und prallte in die Leitplanke. Dabei drehte er sich nur wenige Meter vor mir um die eigene Achse. Beim Aussteigen war ich geschockt – und fühlte mich bewahrt. Ich habe das bewusst auch denen genau so erzählt, die meinen Glauben nicht teilen. Was ich erlebe, darf ich auch so erleben. Wenn dann daraus eine theologische Fragestunde entsteht, in der ich nicht alle Antworten habe – sei es drum. Da bin ich trotz Studium und Predigtdienst manchmal nicht so gescheit, wie ich gern wäre. Aber was macht das schon? Ein anderer Christ oder eine andere Christin ist eben nicht da.

Bestätigung statt Zweifel

Was wir erleben, ist das eine. Das andere sind die Worte dafür. Und die kann man sehr gut mit Menschen üben, die den Glauben teilen. Nicht, weil es ein Formulierungstraining braucht, sondern weil man sich am Anfang etwas dazu überwinden muss. Und das geht leichter in einem Umfeld, das ein solches Erlebnis nachempfinden kann. Der Partner oder die Partnerin ahnt ja vielleicht nicht, dass die Situation auch für uns eine Herausforderung ist. Wir wissen es aber und wir brauchen gerade am Anfang Bestätigung und nicht Zweifel. Deswegen kann man solche Erlebnisse (ich meine solche mit Gott, sie müssen nicht unbedingt so spektakulär sein wie in meinem Fall) gut zunächst in der Gemeinde oder im Hauskreis erzählen. Später dann in der Familie.

Als dritte Möglichkeit, neben einem authentischen christlichen Lebensstil und dem Reden über den Glauben, bleibt noch die subtilere Sprache der Symbole. Wer keine Worte findet, kann die Kunst in Bild oder Ton sprechen lassen. Dabei geht es weniger darum, die Wohnung sakral zu möblieren. Aber wenn der Glaube zu deinem Leben dazugehört, findet er auch einen Platz im Wohnraum, in der Spotify-Playlist oder beim Streaming. Ich selbst schaue die Streaming-Version der Jesusgeschichte („The Chosen“) zwar meist allein, aber ich erzähle davon, was ich daran gelungen finde und was nicht. Solange es nicht zu nerdig wird, ist es in Ordnung. Solange es kein dogmatischer Vortrag ist, sondern persönlich, darf es einen Platz im Familienleben haben. Deswegen gibt es im Wohnzimmer auch ein Kreuz, obwohl es nicht allen Familienmitgliedern etwas bedeutet. Es berührt mich, also darf es bleiben.

Aushalten

Trotzdem ist meine Erfahrung, dass man im Gespräch mit Nicht-Gläubigen einiges aushalten muss. Und das empfinden die Gesprächspartner umgekehrt auch manchmal so. Die gegenseitige Zumutung besteht darin, sich zu lieben und dennoch wichtige, grundlegende Sichtweisen auf das Leben nicht zu teilen. Das lässt sich aushalten, wenn man sich der Beziehung grundsätzlich sicher ist und die Tagesform passt. Bei beiden. Denn auch der Partner oder die Partnerin erlebt dann im Gespräch einen „Die-Erde-isteine-Scheibe“-Moment. Deswegen kommt es auf den richtigen Moment für das Gespräch an.

Ich weiß, dass solche Gespräche trotz guter Vorbereitung, entspannter Stimmung und tiefer, inniger Liebe scheitern können. Niemand möchte das und doch passiert es. Ich kann nur für mich selbst sprechen. Aber ich muss sagen, dass mich solche Gespräche letztlich immer weitergebracht haben. Denn sie führen dazu, dass ich meine Gedanken neu ordne und meine Antworten neu durchdenke. Und das stärkt auch meinen eigenen Glauben. Mein Christsein wird tiefer, wenn es regelmäßig durchgeschüttelt wird. Denn manchmal lernt man aus gescheiterter Kommunikation mehr als aus gelungener.

Matthias Kleiböhmer ist mit einer atheistischen Naturwissenschaftlerin verheiratet. Der Theologe leitet den YouTube-Kanal der Stiftung Creative Kirche.

BUCHTIPP

Matthias Kleiböhmer „Sonntagmorgensingle – Wie es ist, der einzige Christ in der Familie zu sein“ (Gütersloher Verlagshaus)

Alles nur in meinem Kopf

Gedankliche Muster und Haltungen können unsere Ehe prägen und eine Negativspirale auslösen. Doch wir sind ihnen nicht ausgeliefert, ist Bernd C. Trümper überzeugt.

Als ich ein Junge war, trennten sich meine Eltern. Sie kamen zwar sieben Jahre später wieder zusammen und sind bis heute sehr glücklich miteinander verheiratet, und das nun seit über fünfzig Jahren, und doch war die Trennung für mich ein Schock, der mir erst viel später bewusst wurde.

In den ersten Jahren unserer Ehe war ich ein sehr eifersüchtiger Ehemann. Ich konnte es nicht ertragen, wenn sich meine Frau mit einem anderen Mann länger unterhielt. Dass sie täglich bei der Arbeit – sie war damals Beamtin – von Kollegen umgeben war, machte mich schier wahnsinnig. Ich war der erste Mann in ihrem Leben und ich wusste, sie würde mich nie betrügen. Trotzdem waren da diese Gefühle, diese bodenlose Angst.
Das spitzte sich in dem Jahr zu, in dem unsere Erstgeborene elf wurde. Wir führten zu diesem Zeitpunkt schon viele Jahre eine sehr gute Ehe und liebten uns sehr. Doch war da diese Barriere, die ich lange nicht erkannte. Als mir schließlich bewusst wurde, dass meine Mutter meinen Vater genau in dem Jahr verlassen hatte, als ich selbst elf Jahre alt gewesen war, wurde mir so manches klar. Tief in mir drin glaubte ich, nein, ich erwartete es regelrecht, dass es mir genauso gehen würde wie meinem Vater damals und dass Iris mich verlassen würde. Iris war jedoch die treuste und hingebungsvollste Ehefrau, die man sich vorstellen kann.
Diese Barriere war einzig in meinem Kopf. Ich hatte einfach kein inneres Bild für eine heile Ehe, die andauerte. Iris hielt meine Ängste aus, und durch ihre Sanftheit, ihre Liebe und dass sie sich mir zuliebe von bestimmten Männern auf Abstand hielt (die Männer waren nicht das Problem, ich war es), ließen mich innerlich heilen. Als dann dieses elfte Lebensjahr unserer Tochter vorbei war, wusste ich, ich hatte diese Barriere durchbrochen.
Ich wusste auch, dass ich sie nicht nur für mich selbst durchbrochen hatte, sondern für unsere Kinder, die diese Barriere nicht mehr haben würden.
Unsere Gedanken können mächtige Feinde, aber auch wundervolle Freunde sein. Darum schauen wir uns jetzt die grundlegenden Funktionsweisen und Auswirkungen unseres Gedankenlebens etwas genauer an.

Gedanken und Gefühle produzieren Haltungen

Zunächst wirken sich unsere Gedanken und Gefühle verstärkt auf unsere Haltungen aus. Wenn es zum Beispiel am Morgen eine größere Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und Ihrem Ehepartner gab oder sein Verhalten Sie verletzt hat, ist es unwahrscheinlich, dass Sie ihm abends, wenn Sie sich wiedersehen, gleich ein eindeutiges Angebot machen. Ihre Haltung ihm gegenüber ist so lange verändert, bis beseitigt wurde, was zwischen ihnen steht.

Wie anders hätten Sie sich wahrscheinlich am Abend verhalten, wenn Ihr Mann Sie am Morgen mit einem „Ich liebe dich“ verlassen hätte und Ihnen, während er Sie beim Abschied küsste, noch eine Tafel Ihrer Lieblingsschokolade überreicht hätte, auf der Sie die gleichen drei Worte in seiner Handschrift erkennen.

Haltungen produzieren Handlungen

Die meisten unserer Handlungen, also das, was wir sagen, entscheiden und tun, entstammen unseren unsichtbaren Haltungen, die durch unsere Gedanken und Gefühle massiv beeinflusst werden. Wie also unsere Haltung zu jemandem oder etwas ist, wird darüber entscheiden, wie wir auf ihn oder es reagieren.

Mal angenommen, Sie werden von einem Ihnen nur oberflächlich bekannten Herrn gebeten, bis nächste Woche 100 000 Euro aufzutreiben. Sicher wäre Ihre Antwort Nein. Ihre Haltung dieser Person gegenüber ist eher neu-tral. Doch dieser Mann lässt Sie wissen, dass er der behandelnde Arzt Ihrer Tochter ist und dass Ihre Tochter wegen einer bestimmten Komplikation nur noch eine gute Woche hat, ehe ihre Organe versagen. Nur durch eine extrem teure Behandlung im Ausland wird sie überleben. Welche Antwort geben Sie nun?
Auch wenn Sie über solch eine Summe nicht verfügen, wäre Ihre Antwort: „Ja, ich treibe das Geld auf. Leiten Sie alles in die Wege!“ Denn hier hätte sich Ihre Haltung so weit geändert, dass Sie Haus und Hof versetzen, Ihr Auto verkaufen, jeden Kredit aufnehmen und jeden anpumpen würden, den Sie kennen, um das Leben Ihrer geliebten Tochter zu retten.
Dieses Beispiel verdeutlicht die große Bedeutung von Haltungen. Hier bestehen oder entstehen Motivationen, also Beweggründe, die uns tun lassen, was wir tun. Insofern erlauben unsere Handlungen auch zu einem gewissen Grad, unsere unsichtbaren Haltungen sichtbar zu machen und dadurch auch Rückschlüsse auf unsere Gedanken und Gefühle zu erhalten.

Handlungen produzieren wieder Gedanken und Gefühle

Das, was wir entscheiden, tun oder sagen, hat wiederum einen verstärkenden Einfluss auf unsere Gedanken und Gefühle. Genauer gesagt entsteht hier eine Spirale, die sich entweder negativ oder positiv dreht. In vielen Ehen ist diese Spirale schon seit Jahren negativ. Die Ehepartner konzentrieren sich mehr auf Problemlösungen in der Familie als aufeinander. Das Leben füllt sich mit Ritualen. Sich ständig wiederholende Abläufe sind an der Tagesordnung. Das Leben wird immer enger getaktet. Unter Druck kommt raus, was drinnen ist. Verletzungen geschehen. Diese Dinge werden verdrängt, unter den Teppich geschoben, eingefroren und dann, wenn es am wenigsten erwartet und gebraucht wird, platzt der Eisschrank und all die eingefrorenen Konflikte, Verletzungen und Enttäuschungen tauen auf einmal auf. Das ist dann nicht selten der Anfang vom Ende und der Beginn der Scheidungsmodalitäten.

Die Spirale umdrehen

Es gibt ein paar sehr einfache Eingriffsmöglichkeiten, um die Spirale zu drehen und Ihre Gedanken und Gefühle aktiv positiv zu verändern:

Ändern Sie Ihre Worte. Worte haben in sich Kraft und Auswirkung auf unsere Haltungen, Gefühle und Gedanken. Das erleben wir täglich beim Hören der Nachrichten, dem Getratsche der Kollegen oder der Szene einer Fernsehserie, die uns tief bewegt. Wenn Sie beginnen, die „richtigen Worte“ zu sprechen, verändern Sie immer Ihr Innerstes und oft auch Ihre Umgebung entsprechend. Also: Nehmen Sie bewusst Einfluss. Verbieten Sie sich toxische Worte und sprechen Sie das aus, was Sie wollen, auch wenn Sie es nicht fühlen. Tun Sie das beständig und beobachten Sie, was geschieht.
Genauso verhält es sich mit der Änderung von Handlungen. Vielleicht haben Sie Ihrer Frau schon seit Jahren keine Blumen einfach so geschenkt, weil Sie es für Geldverschwendung halten, Ihr sauer verdientes Geld für Grünzeug auszugeben, das in sieben Tagen doch in der braunen Tonne landet. Doch glauben Sie mir, allein die Investition Ihres Geldes verbindet Sie auch emotional mit dem oder besser gesagt mit der, für die Sie es ausgeben.
Auch Entscheidungen können Sie treffen, ohne dass Sie sich dabei besonders gut fühlen. In dem Moment, in dem Sie sich zum Beispiel für eine Städtereise entscheiden, weil es Ihrem Partner so wichtig ist, beginnen auch Ihre Gedanken sich um die ausgewählte Stadt zu drehen und Vorfreude kann entstehen, die Sie sich vorher gar nicht vorstellen konnten. Denn Ihre Haltung hat sich allein durch die Entscheidung verändert. Auf einmal ist London nicht nur eine europäische Stadt, sondern Sie finden heraus, dass Ihr Lieblingsmusical dort läuft, und Sie freuen sich schon auf das altehrwürdige Hotel, das Sie ausgesucht haben. Plötzlich können Sie es kaum noch erwarten, endlich dorthin zu kommen.

Als Iris und ich elf Jahre verheiratet waren, hatten wir zwei kleine Kinder. Ich hatte beruflich eine Menge um die Ohren und meine Frau war mit den kleinen Kindern, ihrer Mitarbeit in unserer Kirche und dem großen Haus auch bis zum Anschlag beschäftigt. Die Monate vergingen und während wir beide so unter Strom standen, verloren wir uns – obwohl ich von zu Hause aus arbeitete – emotional aus den Augen. Es geschah schleichend, doch irgendwann erkannte ich, dass meine Gefühle für meine Iris nicht mehr leidenschaftlich und romantisch waren. Sie war eher zu einer Schwester für mich geworden. Es gab nach der Geburt des zweiten Kindes noch weniger Sex und der Alltag machte das Übrige.
Später, nachdem wir diese Krise bewältigt hatten, sagte mir Iris, dass es ihr ganz ähnlich ergangen war und sie mit dem Gedanken gespielt hatte, mich zu verlassen. Ich wusste, dass ich bei unserer Trauung versprochen hatte, meine Frau zu lieben und bei ihr zu bleiben, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet. Ich hatte auch erkannt, dass Liebe kein Gefühl ist, sondern eine Entscheidung, der Gefühle folgen.
So nahm ich mir vor, ganz gezielt mit meinen Worten auszudrücken, was ich entschieden hatte zu wollen, nicht das, was ich fühlte. Meine Gefühle hätten nicht für viel mehr als „Du bist ganz nett“ oder „Ich mag dich“ ausgereicht.
Meine Entscheidung war jedoch, mit meiner Frau glücklich und leidenschaftlich alt zu werden. Also begann ich zu sagen, was ich wollte (aber nicht fühlte): „Du bist meine Traumfrau!“, „Ich liebe dich mehr als je zuvor!“, „Ich finde dich sexy!“, „Ich bin verrückt nach dir!“ usw. Es fühlte sich am Anfang seltsam an und es fühlte sich an, als würde ich lügen. Doch war es die reinste Wahrheit, denn es war genau das, was ich wollte. So machte ich weiter damit.
Tag für Tag. Die ersten Tage und Wochen vergingen und ich fühlte wenig bis nichts. Doch dann, irgendwann nach einigen Wochen erwachte etwas in mir und wurde immer stärker. Ich begann mehr und mehr zu fühlen, was ich sagte.
Schließlich übermannten mich Gefühle, wie ich sie seit unseren ersten zwei Jahren nicht mehr kannte. Ich schaute durch eine rosarote Brille und war Hals über Kopf verliebt.
Verliebt in meine eigene Frau. Um eine lange Geschichte kurz zu machen: An diesen Gefühlen hat sich während der letzten fast zwanzig Jahre nie wieder etwas geändert. Ich bin verrückt nach meiner bezaubernden Frau, und das kann ruhig jeder wissen. Allerdings habe ich auch nie wieder aufgehört, ihr die richtigen Worte zu sagen. Worte, die meine eigene Haltung, meine Gedanken und Gefühle und dadurch alles, was ich selbst sage, entscheide und tue, beeinflussen.

Sich für Liebe entscheiden

Seien Sie großzügig mit Lob, Komplimenten und Bestätigung. Loben Sie Ihren Ehepartner ganz bewusst vor anderen und tun Sie das häufig. Kritisieren Sie sich nie vor anderen. Entscheiden Sie sich, Ihren Partner so zu lieben, wie er ist. Geben Sie die Versuche auf, ihn oder sie zu ändern. Es gibt nur eine Person auf diesem Planeten, die Sie ändern können und das sind Sie selbst. Andere zu ändern, ist eine Illusion, und das zu respektieren, ist weise. Entwickeln Sie durch die richtigen Worte eine Haltung der Dankbarkeit. Es ist eine Haltung, mit der man sehr alt werden kann.

Folgende Worte, die häufig dem Talmud zugeschrieben werden, fassen die Auswirkungen unserer Worte sehr gut zusammen:
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Sie haben in Ihrem Ehepartner eine einzigartige und wundervolle Persönlichkeit geheiratet. Sie sind berufen, der größte Förderer für ihn oder sie zu sein und durch Ihre bestätigenden, lobenden und liebevollen Worte vieles von dem zu entfalten, was noch im Inneren schlummert. Sie werden sehen: Es lohnt sich!

Bernd C. Trümper ist Pastor und Autor. Der Artikel ist ein gekürzter und bearbeiteter Auszug aus dem Buch: „Quality Time in der Ehe – Die Zeit zu zweit genießen“, das er zusammen mit seiner Frau Iris veröffentlicht hat. Es ist erschienen bei SCM Hänssler.

Gut, dass wir einander haben!

Familien, Singles, kinderlose Paare und Alleinerziehende leben oft nebeneinanderher, nicht selten mit neidischem Seitenblick. Warum tun wir uns nicht einfach zusammen und profitieren voneinander? Anregungen dazu von Tina Tschage

Alle diese Aussagen der Einstiegsseite treffen mich mitten ins Herz. Ich leide unter dieser Trennung, der wir uns oft aussetzen. Jeder bleibt unter seinesgleichen. Als Single meide ich Paare und Familien, weil sie mir das vorleben, was ich selbst gerne hätte – und das schmerzt. Die Familien meiden die Singles, weil die was haben, was sie auch mal hatten – und was sie möglicherweise vermissen. Oder weil sie schlicht keine Zeit haben und meinen, Singles hätten vom Ehe- und Familienleben keine Ahnung und wären daher als Ansprechpartner wertlos. Wie schade!

Ich lebe seit vielen Jahren in Gemeinschaft. Mit meiner besten Freundin teile ich Auto, Wohnung und vieles andere. Nebenan wohnt eine Alleinerziehende. Unsere besten Freunde sind eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Und das tut so gut!
Ich weiß mittlerweile, wie sehr ich andere brauche. Ich weiß auch, wie anstrengend andere sein können. Aber es gibt viele Gründe, warum es sich lohnt, sich auf andere einzulassen. Mir wird immer wichtiger, den Zusammenhalt von Singles, Paaren, Familien und Alleinerziehenden zu stärken. Denn Gott hat uns als Gemeinschaft zusammengestellt.

Ideen gefällig?

 

Aus dem Leben erzählen: Warum sollten andere wissen, was mich geprägt hat, was mich umtreibt, belastet und freut? – Damit ich nicht mehr dem Gefühl erliege, ich wäre die Einzige, der es so geht. Und die Entdeckung dieser schlichten Tatsache ist so wohltuend! Damit fängt für mich Gemeinschaft an.
Gemeinsam essen: Tischgemeinschaft ist eine urchristliche Form, das Leben zu teilen. Als Single mal nicht allein zu kochen und zu essen, sondern sich an einen Familientisch setzen. Oder eine ganze Familie bekochen. Oder gemeinsam kochen … Es gibt viele Möglichkeiten!
Besondere Zeiten gemeinsam zelebrieren: Die großen Feiertage – aber auch Ferien, Urlaube, Freizeit – eignen sich zum Teilen: „Als Alleinerziehende und Single sind diese Familienfeste besonders schwer, weil sie mir das Gefühl geben, nicht Familie zu sein. Wenn man gemeinsam mit anderen feiern kann, geht dieses Gefühl ganz schnell verloren.“ (Laura, alleinerziehend). Wichtig: Klärt eure Erwartungen und bringt sie so gut wie möglich miteinander in Einklang.
Ressourcen teilen: Ob das Auto, die Gartenlaube mit Gemüsebeeten, die Einkaufsrunde, den Trockner – teilen ist nicht nur aus ökologischen und ökonomischen Gründen sinnvoll. Es tut auch dem Herzen gut. Was kannst du anbieten – oder wo könntest du etwas von anderen brauchen?
Geben und nehmen: Im Urlaub die Blumen gießen, bei Handwerksarbeiten unterstützen, Nachhilfe geben – nicht nur sprichwörtlich einander beim Tragen zu helfen, ist eine simple Form, den Zusammenhalt zu stärken.
Für andere mitmachen: Ob einkaufen oder Brot backen – wenn ich eh schon dabei bin, ist es ein Leichtes, einen zweiten Zettel zu bedenken oder doppelt so viel Teig zu verarbeiten. Für den anderen kann das eine enorme Erleichterung sein.
Regelmäßige Telefon-Dates: „Mein Vater hat über Jahre hinweg jeden Sonntag mit meinen Jungs telefoniert. Meistens haben sie über Fußball gesprochen. Da ist Beziehung entstanden, selbst über eine große Entfernung.“ (Birgit, alleinerziehend)
Patenschaft anvertrauen/übernehmen: Ich bin seit acht Jahren Patentante – mittlerweile von zwei kleinen Mädchen. Ich darf daher als Singlefrau wissen, wie toll Kinder sind und wie anstrengend. Diese Horizonterweiterung durch den Einblick in die andere Lebensform ist für uns alle hilfreich: Wir lernen das, was wir haben, umso mehr schätzen. Und für diese Mädchen bin ich eine wertvolle Bezugsperson: Wenn ihre Eltern mal so richtig doof und uncool sind, bin ich unparteiische Ansprechpartnerin. Und ich darf „Spaß mit den Kindern haben, ohne die ganze Kümmerarbeit – ein Vorteil für Singles“ – sagt die Mama meiner Patentöchter. Dafür beschenke ich sie immer wieder mit kinderfreier Zeit. Wir profitieren alle.
Wohn-Gemeinschaft: Ich selbst lebe schon seit vielen Jahren in Gemeinschaft. Auch für Alleinerziehende kann dies ein tolles Modell sein: „Als mein zweites Kind noch ganz klein war und ich wieder arbeiten gehen musste, habe ich mir eine Studentin und ihre Schwester einquartiert. Wir waren eine Super-WG: Drei Frauen und zwei kleine Kinder – eine Familie über Jahre hinweg!“ (Birgit, alleinerziehend)
Notfall-Kontakt: Hilfe in Notsituationen ist Gold wert. Diese Verantwortung zu teilen, ist für Singles und Eltern entlastend. Meine Mitbewohnerin ist einer der Notfall-Kontakte im Kindergarten der Patentochter. Und die Mama weiß, dass sie sie immer anrufen kann: „Für mich ist das eine große psychische Entlastung.“ (Katrin, verheiratet und Mama von zwei Töchtern). Für mich als Single ist ein sicheres Netzwerk genauso wichtig.

Bei mir selbst anfangen

 

Bei einigen dieser Ideen denkst du vielleicht, es sei ja nichts Neues. Aber mal ehrlich: Was davon hast du schon ausprobiert? Wenn du Mutter oder Vater bist: Lass die Singles und Kinderlosen an deinem Familienleben teilhaben! Wenn du Single und/oder kinderlos bist: Lass die Familien an deinem Leben teilhaben!

Dieser Zusammenhalt beginnt damit, dass ich ihn will. Ich kann immer nur bei mir selbst anfangen. Wenn ich den Zusammenhalt nur von anderen erwarte, warte ich oft lange. Also fang doch einfach an, nimm andere bewusst in den Blick und werde aktiv! Dann wirst du hoffentlich schnell merken: Gut, dass wir einander haben!

Tina Tschage lebt in München und ist Redakteurin, Autorin, Zeremoniarin, Coach und Trainerin. Mit ihrem Buch „Auf das Leben! Die großen und kleinen Meilensteine des Lebens feiern“ (adeo) will sie Menschen ermutigen, ihr Leben zu umarmen mit allem, was es ihnen bietet.

Studie zeigt: Jungs fällt es schwerer, Mitgefühl zu zeigen

Laut einer Studie zeigen Jungs weniger Solidarität und Mitgefühl als Mädchen. Psychologin Elisabeth Raffauf erklärt im Interview, was es damit auf sich hat.

Die Bepanthen-Stiftung hat eine Studie zum Gemeinschaftssinn bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Dabei kam heraus, dass die meisten von ihnen durchaus Solidarität und Mitgefühl zeigen. Ein zentrales Ergebnis der Studie: Der Einfluss der Eltern ist entscheidend. Fragen dazu an die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf.

Ein Ergebnis der Studie war, dass 22 Prozent der Kinder und 33 Prozent der Jugendlichen einen schwachen Gemeinschaftssinn haben. Wie kommt es zu dieser Entwicklung bei den Jugendlichen?

Raffauf: In der Jugend ist es ja erst mal dran, zu fragen: Wie finde ich meinen Weg? Es ist erst mal dran, das Eigene zu finden. Diese Phase ist notwendig, um seinen Weg zu machen. Viele Eltern sagen so etwas wie: „Meine Tochter ist wieder auf ihrem Planeten Ich.“ Das ist bei vielen auch eine vorübergehende Phase.

Wie wurde denn überhaupt Gemeinschaftssinn in der Studie definiert?

Es gab vier große thematische Blöcke: Empathie, Solidarität, Abwertung und Gleichgültigkeit. Empathie wurde durch Fragen ermittelt wie: „Würdest du einem anderen Kind helfen, wenn es sich verletzt hat?“

Mädchen werden anders erzogen

Jungs haben laut der Studie weniger Gemeinschaftssinn als Mädchen. Woran liegt das?

Ich denke, das hat damit zu tun, dass Mädchen und Jungs unterschiedlich erzogen werden und sich unterschiedlich äußern. Ich glaube nicht, dass Jungs es nicht so empfinden, z. B. wenn jemand Hilfe braucht. Aber es fällt ihnen schwerer, Mitgefühl zu zeigen. Sie haben oft die Sorge darüber, wie sie dann in der Clique dastehen. Und Mädchen werden nach wie vor mehr dazu erzogen, sich um andere zu kümmern und hilfsbereit zu sein.

Bei der Studie wurde auch die wirtschaftliche Situation der Familien berücksichtigt. Fördert wirtschaftliche Sicherheit, dass man sich eher um andere kümmert? 

Ich würde das nicht so verallgemeinern. Aber natürlich, wenn ich wenig habe, muss ich erst einmal auf mich selbst gucken. Grundsätzlich hat Gemeinschaftssinn vor allem mit dem zu tun, was uns die Eltern vermitteln: ob es ein Wert ist, sich um andere zu kümmern, oder nicht. Auch mit wenig Mitteln kann man sich um andere kümmern, und das tun auch viele.

Wie bringe ich meinem Kind Mitgefühl bei?

Sie würden also sagen, dass das Verhalten der Eltern dafür entscheidend ist, ob Kinder Gemeinschaftssinn entwickeln?

Ja. Mitgefühl mit anderen lernt man durch die Erfahrung, dass andere Mitgefühl mit einem haben. Und das sind in erster Linie die Eltern. Sie leben etwas vor, und das gucken sich die Kinder ab. Das geht sogar ohne Worte. Sind die Eltern großzügig? Denken sie an andere oder immer nur an sich? Fühlen sie sich oft selbst benachteiligt? So etwas überträgt sich auf die Kinder. Aber natürlich spielen Lehrer, Lehrerinnen, Erzieherinnen und Vorbilder in den Medien auch eine Rolle.

Können Eltern auch aktiv durch ihr Verhalten fördern, dass Kinder Gemeinschaftssinn entwickeln?

Dass Kinder und Jugendliche erst einmal an sich denken müssen, finde ich ganz gesund. Aber natürlich kann man das auch fördern. Schon kleine Kinder im Kindergarten gehen hin, wenn ein anderes Kind weint, und versuchen, es zu trösten. Das sind Kinder, die selbst erfahren haben, das Trösten eine gute Sache ist. Und das kann man bestärken und sagen: Toll, dass du das machst! Eltern sollten erst mal hinsehen: Was macht das Kind schon? Solches Verhalten sollte man bestärken und natürlich in erster Linie vorleben. Und weniger Vorträge halten.

Das Interview führte Family-Redakteurin Bettina Wendland.

Familiengenuss

Warum Tischgemeinschaft zum Familienleben dazugehört – auch mit großen Kindern. Von Stefanie Diekmann

Mit einem ordentlichen „Rumms“ scheppert die Haustür ins Schloss. „Was gibt’s zu essen, Mama? Oder habt ihr schon gegessen?“ Ich muss lächeln. Wenn mein Sohn vom Fußball-Training kommt, fragt er immer als Erstes, was er essen könnte … An unserem Esstisch spielt sich Familie ab. Hier war schon Raum für ausgewachsene Lachanfälle wegen lustiger Versprecher und Grimassen der Kleinkinder. Es gab Fantasiereisen mit den Kindergarten-Helden und Einmal- Eins-Probestunden. Nach dem Schweigemanöver während der Pubertät sind wir nun im Debattier-Club angekommen. Nicht immer ist unsere Tischgemeinschaft eine Oase der liebevollen Worte. Sie ist Raum für echtes Leben. Unser echtes Familienleben.

SMALLTALK UND SCHWEIGE-ANFALL

Schleichend haben Veränderungen an unserem Esstisch Platz genommen. Nach der Grundschulzeit waren wir nicht mehr als komplette Familie dreimal am Tag bei den Mahlzeiten zusammen. Rieka hatte ab der 5. Klasse länger Schule und kam erst nachmittags zurück, mit einem wehmütigen Seufzen, unser Mittagessen verpasst zu haben. Dabei ging es nicht so sehr um schmackhafte Gerichte, sondern um das Verpassen von Infos, Smalltalk und kleinen Absprachen. Wir haben manchmal sogar Gespräche ausgebremst, um nicht ohne Rieka Urlaube zu planen oder Geschenke für Freunde zu überlegen. Rieka hat sich vom Esstisch und vom Familiengefühl entfernt gefühlt. Durch die langen Oberstufen-Schultage haben unsere Mahlzeiten einen weiteren unrhythmischen Schwung bekommen. Kaum ein Tag gleicht dem anderen. Wo vorher feste Begegnungszeiten waren, sitzen nun Jugendliche, die Schweigen und Mürrisch-Sein abonniert haben und ein Gespräch fast zum Entertainment-Auftrag der Eltern machen. Nicht selten fühle ich mich bei einem Schweige-Anfall einsam und möchte die Veränderung als ungebetenen Gast bitten, den Tisch zu verlassen. Dabei erlebe ich meine Kinder als weiser als mich: Sie können mit mir verbunden sein, ohne viel zu reden und „rumzulabern“. Ihnen reicht das Zusammensein und das gemeinsame Ankommen im Zuhause ohne viele Worte: schmecken, durchatmen, genießen.

GEBRAUCHSSPUREN

Gerade weil die gemeinsamen Mahlzeiten reduziert worden sind, versuchen wir als Eltern, unseren Kindern ein Gegenüber zu bleiben. Schon rein körperlich: Wir setzen uns mit an den Tisch, wenn jemand allein nachisst. Wir trinken einen Tee und sind bereit, falls eine Episode aus dem Erlebten nach draußen sprudelt und uns einen Einblick in das pochende Herz des Heranwachsenden gibt. Und diese wundervollen Momente gibt es. Nach einem erhitzten Gespräch über die versemmelte Latein-Arbeit blitzt auf einmal ein Halbsatz mit einem Herzensanliegen auf. Wir haben als Eltern dann die Möglichkeit nachzufragen. Durch das gemeinsame Essen oder Sitzen am Tisch bekommen wir mit, wie traurig der oder die Jugendliche aussieht, wenn er oder sie von einer Mitschülerin spricht. Der Familientisch bleibt Ort von Hinweisen und Fragen – auch wenn manchmal jemand von uns mit erhitztem Gemüt aufspringen und die Diskussion beenden möchte. Durch unsere lange eingeübten Familienregeln bleiben alle am Tisch, bis die Mahlzeit beendet ist. Wir können und wollen uns nicht entrinnen. Hier füttern wir das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn wir als Familie und mit Freunden am Tisch sitzen, ist Raum für das WIR. Auf unserem Tisch steht immer eine Kerze, oft frische Blumen, manchmal auch Zettel mit Infos oder kleinen Ermutigungen. Henriks Wunsch war es, auch nach einigen Jahren Familienleben den Tisch nicht neu zu lackieren. Er will die Spuren des gemeinsamen Weges am benutzten Tisch sehen und fühlen können.

GEMEINSAMER START

Wir stehen morgens mit den Kindern auf, auch wenn sie 15 und 17 Jahre alt sind, um im Schweigen und Wachwerden eine Heimat zu bieten, bevor sie schlaftrunken zur Schule wanken. Und auch unsere 20-jährige Tochter genießt es, wenn jemand da ist, bevor sie in ihren Tag startet. Wir verlassen dabei bewusst unser Bett. Einfach als Geste, als Zeichen, dass an unserem Esstisch das Willkommen bleibt. Wir stellen Müsli hin und versuchen jeden Morgen neu, im richtigen Moment ermutigende Worte oder eine Umarmung anzubieten. In die Schule zu starten, kann für Teens eine Hürde sein. Diese wollen wir durch einen gemeinsamen Start einfacher machen. Der gesprochene S egen, oft mit H andauflegung oder U marmung, ist und bleibt seit Beginn der Kindheit unser „Go!“ in den Tag. Manchmal sitzen wir als Eltern mit einem Pausen- Kaffee am Nachmittag zusammen und erzählen uns vom Tag. Und auf einmal füllt sich der Tisch mit unseren Kindern. Eine Geste für uns und unser Herz: Sie werden ein Gegenüber für uns. Die großen Kinder kommentieren unsere Sicht auf den Tag und schenken uns ganz neue Ideen oder ein beherztes Augenrollen für seltsame Erwachsenen- Allüren.

GENUSS-MOMENTE

Wir besprechen immer wieder, was uns zusammen schmeckt. Gerichte haben sich verändert und mittlerweile sind aus Würstchen und Salat Frühlingsrollen oder Avocadocreme geworden. Auch Abneigungen und Vorlieben der Jugendlichen haben sich gefestigt. So essen wir Milchreis nur, wenn Timna nicht da ist und Lasagne an besonderen Tagen. Jahrelang haben wir jeden Freitag Brezeln gegessen (mit der regionalen Spezialität Spundekäs). Nun suchen wir nach neuen Ritualen, denn freitags trifft sich die Jugendgruppe in der Kirchengemeinde. Am Samstag frühstücken wir zu teenager-freundlichen Zeiten ab 12.00 Uhr. Sonntags verzichten wir mittlerweile auf großartige Essen und kochen lieber schnell Nudeln mit Pesto oder abends eine Tütensuppe, die wir alle in Jogginghose schlürfen und dabei die neue Woche durchsprechen. Nicht selten sind weitere Teens an unserem Tisch und bekommen außer Nudeln noch einen Schwung Familienleben mit. Das Essen ist an manchen Tagen ein bewusster Genuss-Moment. Nach wilden Tagen laden wir uns zum gemeinsamen Schmecken ein: Wir kochen zusammen, reden uns warm, um die Nähe aufzusaugen, die bei Tisch entsteht. Wir schnippeln, kommentieren und finden Kompromisse im Würzen oder Anrichten. Am Tisch ist dann die Bereitschaft zum Teilen spürbar. Ich gebe dem anderen einen Einblick in meine witzigsten Missverständnisse, in bohrende Fragen und Glaubenserlebnisse. Dabei ist meine Familie mir in allem ebenbürtig und in allem ehrlich nah – jeder in seiner von Gott gegebenen Charaktereigenschaft: schnell und emotional, zackig und klar, liebevoll zugewandt, fragend verstehend.

RAUER TON

Und bevor hier ein vermeintlich glitzerndes Bild von Familiengenuss entsteht: Der schillernde Glücksmoment endet schneller, als ich gucken kann. Ein Spruch über den Fußball- Schiri-Entscheid des letzten Spiels, und alle Harmonie und Nähe ist hin. Die eben noch gesichtete Seifenblase meines Familienideals ist an der Realität zerplatzt. Mir dämmert: Es bleibt Genuss, und es bleibt Arbeit. Heute gebe ich keine Hinweise zum richtigen Umgang mit dem Besteck, sondern zum Umgang mit verachtender Sprache – und das geht bei Fußballthemen an unserem Esstisch fix. Immer wieder erwische ich mich dabei, dass ich unter dem manchmal rauen Ton der Jugendlichen leide und mir höfliche Gespräche herbeisehne. Ein bisschen mehr Harmonieglitzer halt. Mit etwas Abstand weiß ich: Unsere Kinder und ihre Freunde üben, ihre Meinung zu sagen. Sie trainieren sich im Argumentieren, Entschuldigen und Provozieren. Ein Familientisch ist daher für mich der Genuss, sich selbstbewusst, mutig, forsch und immer wieder herrlich unsachlich nah zu kommen. Guten Appetit!

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.

„Wir sehnen uns nach Gemeinschaft“

In einer „klassischen“ Gemeinde haben Jessica Schlepphege und ihr Mann keine Heimat gefunden. Deshalb probieren sie neue Formen der Gemeinschaft aus.

Manchmal wage ich es gar nicht auszusprechen: Mein Mann, unsere Kinder und ich haben kein „geistliches Zuhause“. Wir gehen nicht jeden Sonntag in den Gottesdienst und sind auch in keinem Hauskreis. Zwar sind wir noch Mitglieder in unserer Heimatgemeinde, die wir hin und wieder besuchen, aber regelmäßige „Gemeindeaktivitäten“ pflegen wir dort nicht mehr. Seit gut zehn Jahren befinden mein Mann und ich uns auf der Suche nach dem, was Gemeinde für uns bedeutet. Angefangen hat dieser Prozess, als wir studiumsbedingt Richtung Norden zogen. Für uns war klar, dass wir auch in unserer neuen Heimat einer Kirchengemeinde angehören wollten. Also besuchten wir kurz nach dem Umzug die ersten Gottesdienste. Doch auch nach längeren Zeiträumen, die wir in einzelnen Gemeinden verbrachten, fühlten wir uns nirgendwo zu Hause. Sicherlich gab es auch hier und da Formen oder Strukturen, die uns befremdlich waren oder sogar irritierten. Doch der Illusion, einer perfekten Gemeinde zu begegnen, waren wir schon lange entwachsen. Schließlich wurde uns klar, dass unsere Gemeinde unbedingt vor Ort sein sollte. Wir sehnten uns nach Gemeinschaft, die regelmäßig ohne größeren Aufwand praktiziert werden konnte. Doch in den Gemeinden vor Ort kamen wir nie richtig an.

SCHLECHTES GEWISSEN
Immer seltener machten wir uns am Sonntagmorgen auf den Weg zum Gottesdienst, bis wir uns schließlich bewusst dazu entschieden, nicht mehr Teil einer Gemeinde vor Ort zu sein. Durch unsere gemeindliche Prägung meldete sich nicht selten das schlechte Gewissen: Ist es okay, wie wir unseren Glauben leben? Tun wir uns, anderen oder Gott damit Unrecht? Auch die sorgenvollen Fragen anderer Christen ließen uns manches Mal zweifelnd zurück. Wir suchten mehrmals wieder Kontakt zu einer Gemeinde, merkten aber beide relativ bald, dass unsere Bedürfnisse nicht gestillt wurden. Mit der Zeit kristallisierte sich heraus, wonach wir uns sehnten. Denn eigentlich klangen all unsere Gründe ‚gegen’ diese oder jene Gemeinde wie faule Ausreden. Wir sehnten uns nach anderen, vielleicht neuen oder eben nur ganz einfachen Formen des Gemeindelebens. Eine Gemeinschaft, die nahezu ohne Strukturen auskam. Strukturen, die wir immer mehr als hinderlich empfanden. Wir wollten eine Gemeinde nach dem Prinzip: Weniger ist mehr. Weniger Leute. Weniger Programm. Weniger Hierarchie. Weniger …

VERÄNDERTES GEMEINDEBILD
Schließlich traf das Buch „Der Schrei der Wildgänse“ von Wayne Jacobsen und Dave Coleman genau unseren Nerv. Es waren gar nicht so sehr einzelne Zitate oder Sätze, die mich berührten, sondern die Geschichte als Ganzes, der Lernprozess der Hauptfigur und seine oft dämlichen Fragen, die exakt so von mir hätten stammen können. Die Autoren beschreiben den Weg eines Gemeindeleiters und Pastors, der aus den Strukturen seiner (Mega-)Kirche ausbricht. Auf seiner Suche nach dem, was „Gemeinde“ bedeuten kann, begegnet er immer wieder einem mysteriösen Mann, der ihn herausfordert, seinen Weg ehrlich zu reflektieren. Im Grunde geht es in der Geschichte um die Einfachheit von Gemeinde. Um die Frage: Wo fängt Gemeinde eigentlich an? Auch meinen Mann und mich beschäftigen die Fragen, was Gemeinde eigentlich ist und welche Formen sie annehmen kann. Früher bedeutete Gemeinde für uns das, was die meisten Christen unter einer herkömmlichen Gemeinde verstehen: Sie hat einen Namen, einen Ort und ein Programm. An verschiedenen, über die Woche verteilten Terminen findet das Gemeindeleben statt. Das Gemeindeleben beziehungsweise die Gemeinschaft entstehen also durch diese Strukturen. Im Laufe der Jahre veränderte sich unser Bild von Gemeinde. Obwohl wir unser Leben oft als gemeindefern bezeichnet hatten, würden wir heute sagen, dass wir eigentlich schon lange, wenn nicht sogar immer, ein lebendiges Gemeindeleben führen. Wir leben enge Beziehungen zu anderen Christen, teilen mit ihnen die Tischgemeinschaft und ermutigen uns in unserem Weg mit Gott. Bei allem, was wir tun und in allen Beziehungen, die wir leben, möchten wir uns der Nähe von Jesus bewusst sein. Diesem Gedanken folgend fängt Gemeinde mit Gemeinschaft an. Ein organischer Prozess, bei dem authentische Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Beziehungen, wie Jacobsen schreibt, in denen „man einen offenen, ehrlichen Austausch pflegt, ein ehrliches Interesse am geistlichen Wohlergehen der anderen zeigt und sich gegenseitig ermutigt, Jesus zu folgen, wie auch immer er die Einzelnen führt“.

ERFAHRUNGEN
Wenn wir auf die vergangenen zehn Jahre mit unserer Form des Gemeinde- und Gemeinschaftslebens zurückblicken, wird uns Folgendes wichtig:

1. Mehr Eigeninitiative Eine Herausforderung war zunächst, dass wir mehr Eigeninitiative für unser Glaubensleben aufbringen mussten. Während wir früher mindestens jeden Sonntag und Donnerstagabend einfachen Zugang zu Lobpreis, Bibelauslegung und Gemeinschaft hatten, mussten wir uns nun bewusst darum bemühen, diese Komponenten in unseren Alltag einzubauen. Das versuchen wir, indem wir zum Beispiel Predigten über das Internet ansehen, eigene Lobpreiszeiten mit CD oder Klavier gestalten und die Gemeinschaft mit anderen Christen suchen. Je länger wir ohne festen Gemeindebezug auskommen wollten, umso natürlicher fühlte es sich an, Verantwortung für unser Glaubensleben zu übernehmen (was nicht heißen soll, dass Mitglieder einer herkömmlichen Gemeinde das nicht tun).
2. Missionales Leben Durch die Einfachheit von Gemeinde, wie wir sie leben wollen – das Weglassen von Strukturen und Terminen –, wurden Zeit und Kraft für einen anderen Bereich freigesetzt, der uns wichtig geworden ist: missionales Leben. Das bedeutet, wir möchten Gottes Licht und seine Liebe in den Beziehungen leben, die ganz natürlich in unserem Lebensumfeld entstehen. Obwohl wir dieses Prinzip auch schon vorher gelebt hatten, merkten wir, wie unser Alltag ohne die Veranstaltungen in der Gemeinde viel mehr Raum für Beziehungen bot: in der Nachbarschaft, bei Veranstaltungen für und mit den Kindern, bei der Arbeit und unseren Hobbys. Uns persönlich geht es dabei nicht darum, Menschen zu bekehren, sondern Gottes Liebe und all das Gute, das er uns schenkt, an die Menschen um uns herum weiterzugeben.
3. Kinder integrieren Im Laufe der Zeit wurden wir mit drei tollen Kindern beschenkt. Wir fragen uns immer wieder, wie auch sie Teil unseres Gemeindelebens sein können. Gerade sind sie im Baby-, Kindergarten- und Grundschulalter, und wir empfinden das Vorleben des eigenen Glaubens wichtiger als den Besuch eines Kindergottesdienstes oder der Jungschar. Aber auch unsere Kinder sehnen sich nach regelmäßiger Gemeinschaft vor Ort, sodass unser Ältester nun den Wunsch geäußert hat, eine Jungschar zu besuchen. Wir glauben nicht, dass das unserem Gemeindeverständnis widerspricht. Auch unsere Kinder sollen authentische Beziehungen zu anderen Gotteskindern leben und dürfen sich mit zunehmendem Alter für die Gemeindestrukturen entscheiden, die zu ihnen passen. Wie mit allem in unserem Gemeindeleben sind wir auch hier Suchende und Fragende. 4. Netzwerk Seit etwa vier Jahren sind wir Teil eines Netzwerkes, in dem wir uns über missionales Leben und alternative Gemeindeformen austauschen. Zwei- bis dreimal im Jahr treffen wir uns, um diese Themen zu vertiefen und voneinander zu lernen. Das Netzwerk hilft uns sehr, um mit all unseren Fragen nicht allein dazustehen. Es ermutigt uns zu erleben, dass andere Christen ähnliche Fragen haben und sich nach neuen Formen des Lebens mit Jesus sehnen.

BEZIEHUNGEN LEBEN
Gemeinde bedeutet für uns authentisch gelebte Beziehungen unter Gläubigen. Und ganz gleich, wie die einzelnen Gemeinden aussehen – wir sind überzeugt, dass jede Form ihre Berechtigung hat und gebraucht wird: ob mit traditionellen Strukturen im Gemeindehaus oder ganz hip im Stadtcafé; ob klein und persönlich, in der MegaChurch mit Eventcharakter oder irgendwo dazwischen. Mein Mann und ich leben Gemeinde seit gut zehn Jahren nach dem Beziehungsprinzip. Und vielleicht werden wir irgendwann auch wieder in einer „herkömmlichen“ Gemeinde zu Hause sein. Momentan träumen wir von kleinen Gemeinde-Zellen und wünschen uns Beziehungen mit anderen Gläubigen, die wir vor Ort leben können. Damit wir füreinander und gemeinsam den Menschen um uns herum Nachbarn und Nächste sein können. Wir sind mit Gott auf einem Weg, auf dem wir nicht alle Antworten kennen und auf seine Leitung angewiesen sind. Letztes Jahr zogen wir zurück in die alte Heimat und sind nun gespannt, was Gott hier mit uns vorhat.

 

 

Jessica Schlepphege hat Englische Fachdidaktik und Erziehungswissenschaften studiert. Sie ist Botschafterin der Anti-Sklaverei- Bewegung www.ijm-deutschland.de, arbeitet als freie Autorin und lebt mit ihrem Mann und den drei Kindern in der Nähe von Karlsruhe.

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