Purer Luxus
Auftanken ohne schlechtes Gewissen – darf man das?
Gut möglich, dass es den regelmäßigen Lesern meiner Tankstelle schon aufgefallen ist: Ich bin eher so der Genießer-Typ. Kürzlich habe ich irgendwo gelesen: „Meine Liebessprache ist Essen.“ Das könnte ich durchaus auch unterschreiben. Nur, manchmal ist das mit dem Genuss so eine Sache: Wie kann man bewusst genießen, während die To-Do- Liste immer länger und länger wird? Oder: Wie kann ich auf Genießer-Modus schalten, während der Rest der Familie in hektischer Betriebsamkeit feststeckt? Ich kann das tatsächlich. Da ich ja für mein persönliches Auftanken selbst verantwortlich bin, muss ich mir Genießer-Inseln schaffen, ganz unabhängig von der Hektik rund um mich herum. Ich darf mir auch mal Zeitung lesend ein Vollbad gönnen, während Frau und Kinder mit Haushaltsaufgaben beschäftigt sind. Versteht sich von selbst: Natürlich nur, wenn ich auch meinen Teil der Haushaltspflichten beigetragen habe. Auf der anderen Seite darf ich mein Auftanken nicht vom Auftanken meiner Frau abhängig machen. Die tankt nämlich ganz anders auf als ich. Gerade neulich habe ich beobachtet, wie es ihr schon nach zehn Minuten Vollbad langweilig wurde. Während ich im Entspannungsmodus passiv auftanke (zum Beispiel mit einem einstündigen Vollbad), ist für sie das Auftanken etwas Aktives (beispielsweise Nähen). Für uns war es ein Schlüsselmoment, zu entdecken und uns auch einzugestehen, dass wir unterschiedlich auftanken. Durch die Wochenend-Auszeiten, die wir für andere Paare organisieren, haben wir festgestellt, dass es vielen anderen auch so geht. Immer wieder tanken wir aber auch gemeinsam auf: Ein gutes Essen in einem schicken Restaurant bedeutet uns beiden viel. Mindestens einmal im Jahr verreisen wir auch in einen Kurzurlaub. Hoch im Kurs ist dabei die gemeinsame Auszeit in einem Wellnesshotel. Wenn wir etwas besonders zu feiern haben, darf es auch einmal ein Luxushotel sein. Wie dieses Jahr, als wir vier Tage im Lenkerhof, einem 5-Sterne-Haus im Berner Oberland, verbrachten. Man muss wissen: Der Lenkerhof ist nicht einfach ein gutes Hotel unter vielen. Der Lenkerhof ist die Adresse und wurde als beste Genusslocation der Schweiz auserkoren. Mit anderen Worten: Luxus pur, wie wir ihn nicht jeden Tag erleben – eigentlich vorher noch nie erlebt hatten. Ein 15-Gang-Abendessen ist ja wahrlich nichts Alltägliches … Die Wellness-Oase, die gemeinsamen Spaziergänge, das Essen, die sympathischen Leute – wir haben unsere Auszeit sehr genossen. Darf man ohne schlechtes Gewissen solchen Luxus genießen und dann sogar noch andere davon erzählen? Vor allem: Darf man das, wenn man von Spenden lebt wie wir? Fürs Auftanken sollte man sich nicht schämen müssen, darum erzähle ich auch davon.
Stefan Gerber, Theologe im Bundes- Verlag (Schweiz), ist Leiter der Netzwerk- Kirche „gms – gospel movement seeland“ und freiberuflich als Autor („Glück finden – hier und jetzt“), Seminarleiter und Coach tätig. Er ist verheiratet mit Brigitte Gerber- Urfer und Vater von Joy Nina (13 J.) und Janosch Noah (11 J.).