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„Glaubt die Zahnfee auch an Gott?“ – Diese Tipps helfen, wenn Kinder Glaubensfragen stellen

Kinder reden ganz unbefangen über Gott und den Glauben. Sie stellen oft lustige, manchmal aber auch herausfordernde Fragen. Die Theologin Gabriele Berger-Faragó gibt Anregungen, wie Eltern darauf reagieren können.

Die Gedanken und Gespräche von Kindern über Gott sind oft lustig, ihre Fragen an uns Erwachsene mitunter anstrengend. Für Eltern mit wenig Bezug zum Glauben ist ein „theologisches“ Gespräch mit Kindern im besten Fall irrelevant, im schlimmsten Fall wird es als Zumutung empfunden. Manche Eltern wollen ihre Kinder nicht beeinflussen, also reden sie lieber gar nicht über das Thema. Oder sie wollen sich aus persönlichen Gründen nicht damit beschäftigen und fühlen sich von den religiösen Fragen ihrer Kinder bedrängt, weshalb sie lieber ausweichen oder das Thema wechseln.

Aber auch für Eltern mit kirchlicher Bindung ist das theologische Gespräch mit Kindern oft eine Herausforderung. Manche meinen, sie müssten die „richtigen“ Antworten auf Glaubensfragen ihrer Kinder wissen und setzen sich dadurch selbst unter Druck.

Vier Themengebiete

Kinder hingegen sind dem Glauben gegenüber völlig unvoreingenommen. Sie stellen Fragen, haben selbst oft interessante Antworten und denken viel über Gott und die Welt nach. Manche ihrer Gedanken lassen uns schmunzeln, andere Fragen sind so tiefgründig, dass wir selbst als Erwachsene lange darüber nachdenken und zu keiner umfassenden Antwort kommen, egal, wie gut wir uns mit Glaube und Theologie auskennen.

Dabei drehen sich die theologischen Fragen und Aussagen von Kindern, wenn man sie näher betrachtet, grob gefasst um vier Themengebiete:

1. Wer und wie ist Gott?

Bei diesem Thema geht es nicht nur darum, wie Gott aussieht, sondern oft um Gottes Allmacht, seine Allwissenheit, sein Schöpfer-Sein und uns als seine Geschöpfe. Kinder empfinden sich nicht nur im Vergleich zu uns Erwachsenen, sondern auch Gott gegenüber als „klein“. Ihnen ist ihre Nicht-Allmacht und ihr Nicht-Wissen oft viel bewusster als uns Erwachsenen. Dabei empfinden sie Gottes Größe jedoch meistens nicht als bedrohlich, sondern als beruhigend und stabilisierend. Es ist erstaunlich, dass selbst völlig religionslos aufwachsende Kinder oft eine innere Ahnung oder ein Gefühl haben: Da ist einer über allem, der unendlich stark ist und der es gut mit mir meint. Das spiegelt sich in ihren Fragen und Gedanken zum Wesen Gottes wider. Das kann beispielsweise so klingen:

Magdalena (5) hüpft auf und ab: „Guck mal, Papa, ich hüpfe ganz doll in Gottes Hand, und ich falle nicht runter!“
Papa: „Nun ja, du hüpfst auf dem Boden.“
Magdalena: „Ja, aber Gott hält die ganze Welt in seiner Hand, also hält er auch mich auf dem Boden.“

Wie geht man mit Fragen über Gott und sein Wesen um? In jedem Fall ist es gut, sein Kind in dem Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit zu bestärken, das aus dem Glauben an eine große, liebende Macht erwächst. Wie die obigen Fragen zeigen, geben sich Kinder oft selbst die Antworten. Daher ist es besser, nachzufragen: „Was denkst du?“, als vorgefertigte Antworten zu geben.

Achtung vor der Angst

Wenn sich bei Kindern religiöse Ängste zeigen – vor Gott, seiner Allmacht, Allwissenheit oder Ähnlichem –, ist es hilfreich, nachzufragen, welche Vorstellung genau beim Kind herrscht und woher diese kommt. Häufig stellt sich dann heraus, dass Gehörtes missverstanden wurde. Oder dass Dinge kombiniert wurden, die nichts miteinander zu tun haben: Aus einem bösen Monster mit „Zauberkräften“ kombiniert mit Gottes „Allmacht“ kann ein beängstigendes Gottesbild entstehen. Es ist wichtig, diesem frühzeitig auf die Spur zu kommen und es auf liebevolle Weise aufzulösen.
Gleichzeitig ist es sinnvoll, sich selbst offen auf die Fragen nach Gott einzulassen. Kinderfragen bieten die Möglichkeit, verkrustete Denkmuster aufzubrechen und nochmal neu nach dem zu fragen, was man schon längst verstanden zu haben meint. Dabei lässt sich Gott neu entdecken, der viel größer, weiter und unverständlicher ist, als wir manchmal meinen. Egal, wo wir selbst als Eltern glaubensmäßig stehen: Unsere Kinder können uns mit ihren Fragen bereichern, wenn wir uns darauf einlassen und uns mit ihnen gemeinsam auf Spurensuche machen.

2. Woher komme ich und wohin gehe ich?

Hier gilt es, zwischen „biologischen“ und „ontologischen“ Fragen zu unterscheiden. Die „biologischen“ Fragen wollen wissen, wie das Werden und Vergehen rein faktisch funktioniert: Befruchtung, Schwangerschaft, Geburt ebenso wie Sterben, Beerdigung, Zerfall des Körpers. Hier gilt es, Kindern altersgemäße, ehrliche Antworten zu geben, ohne sie zu überfordern. Als Unterstützung für Eltern gibt es hierzu viele Kinderbücher für das jeweilige Alter (siehe Buchtipps). Beispiele für „biologische“ Fragen und Gedanken von Kindern können sein:

Samuel (4): „Wenn man dick ist und stirbt, haben die Ameisen mehr zu fressen, gell?“
Tabea (6): „Mama, trink mal einen Kakao, dann trinkt dein Baby im Bauch auch Kakao, gell? Und wenn es den Kakao wieder rauspieselt, schwimmt es dann im Kakao?“

Kindgerechte Antworten

Die „ontologischen“ Fragen dagegen wollen über das „Sein“ vor und nach dem Tod Auskunft erhalten und fragen nach dem Sinn des Lebens. Kinder formulieren das einfach und konkret, beispielsweise so:

Magdalena (5): „Hat Gott sich selber gemacht? Er hat doch ‚alles, alles, alles gemacht‘ (Liedzitat). Oder?“

Die Antworten müssen ebenfalls kindgerecht sein, ohne jedoch simpel zu werden. Kinder sind durchaus in der Lage, größer und komplexer über das Sein zu denken, als wir oft meinen. Rückfragen, die das Denken der Kinder anregen und zum Finden eigener Antworten herausfordern, sind auch hier oft besser als Erwachsenen-Antworten, und können zu tiefgründigen Erkenntnissen führen, wie der Gesprächsfortgang von obiger Frage zeigt:

Mama: „Was glaubst du? Hat Gott sich selbst gemacht?“
Magdalena: „Ja!“
Mama: „Und wie geht das? Kann man sich selbst machen?“
Magdalena denkt eine Weile stumm nach, dann: „Wir Menschen können uns nicht selbst machen. Aber Gott kann alles. Also kann er sich auch selbst machen.“
Mama: „Du hast echt tiefe Gedanken.“
Magdalena denkt weiter: „Und was war, bevor Gott sich selbst gemacht hat?
Mama: „Ja, gell? Gute Frage!“
Magdalena: „Da war er auch schon da.
Mama: „Und woher kam Gott dann?
Magdalena: „Ja, woher? Schon immer immer da, wie kann das sein? Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Mama: „Ja, es ist schwer, Gott zu verstehen oder sich vorzustellen. Darum ist er ja auch Gott.“
Magdalena grübelt, nach einer langen Zeit: „Ich hab’s! Gott war erst ein Nix-Gott, und dann hat er sich selbst zum Gott-Gott gemacht, der dann die Welt gemacht hat. Gell?“

3. Fragen nach dem Unsichtbaren und Sichtbaren

Kinder wollen alles wissen. Für sie ist die Welt so neu, so faszinierend, dass sie nicht zwischen „Immanent“ und „Transzendent“, das heißt zwischen „Materiellem“ und „Über-Irdischem“ trennen. Für sie ist das ganze Leben, das Universum eins. Alles ist denkbar, alles ist möglich. Die Frage nach der Farbe von Pudding und der Farbe von Engelsflügeln macht für sie keinen Unterschied. Daher ist es wichtig, unsere Kinder nicht zu belächeln und von oben herab zu belehren, nicht die immanenten Fragen ernsthaft-wissenschaftlich und die transzendenten Fragen mystisch-märchenhaft zu beantworten, sondern auf sämtliche Fragen ernsthaft, aber doch mit spielerischer Leichtigkeit einzugehen. Theologische Gespräche von Kindern untereinander haben oft diese unverkrampfte Offenheit, wie folgendes Beispiel zeigt:

Magdalena (6): „Kann man Engel sehen? Welche Farbe haben ihre Flügel?“
Tabea (13): „Ich glaube, ihre Flügel können jede Farbe haben. Meistens sind sie unsichtbar.“
Samuel (11): „Manchmal sehen Engel wie Menschen aus und helfen uns.“
Magdalena: „Verkleiden sie sich als Menschen? Wo verstecken sie dann ihre Flügel?“
Samuel: „Nein, nicht verkleidet. Sie machen sich einfach so menschlich. Oder Gott macht das.“
Magdalena: „Ach so, ja. Gott kann alles. Aber hat er dann keine Engel mehr im Himmel?“
Tabea: „Doch, der hat genug Engel für Himmel und Erde. Er hat Heerscharen davon.“
Magdalena: „Ja, er ist ja auch der Herrscher, gell?“

4. Konkrete Wissensfragen, die sich auf die eigene Glaubensgemeinschaft beziehen

Diese Fragen entstehen bei kirchlich geprägten Kindern durch (Kinder-)Gottesdienst und Familienalltag, bei nicht-kirchlich aufwachsenden Kindern durch den Religionsunterricht oder durch Gespräche mit Gleichaltrigen. Solche Fragen oder Aussagen lauten beispielsweise so:

Ali (8), mit islamischem Hintergrund, will mehr über die Pfingstferien in Deutschland wissen: „Was ist Pfingsten? Feiern Christen das auch mit Schokotieren?“

Oder: 

Unsere Familie unterhält sich beim Essen über Gaben, die Gott uns schenkt und die wir zum Wohl unserer Mitmenschen einsetzen können. Als Beispiele nennen wir verschiedene Teams in der Gemeinde, zum Beispiel Küchenteam, Musikteam, Kindergottesdienstteam.

Magdalena (5): „Gibt es auch ein Schlafteam?“

Gemeinsam nach Antworten suchen

Auch bei religiösen Wissensfragen gilt es für Eltern, nicht gleich mit vorgefertigten Antworten zu kommen, sondern erst einmal nachzuhaken, woher die jeweilige Frage kommt und welche Gedanken das Kind selbst dazu hat. Für nichtreligiöse Eltern kann es hilfreich sein, sich ein Religionslexikon anzuschaffen (siehe Buchtipps), um mit dem Kind gemeinsam nach Antworten zu suchen. Gläubige Eltern tun gut daran, ihren Kindern zwar die Gedanken mit auf den Lebensweg zu geben, die ihnen selbst als tragfähig erscheinen, ihnen aber dabei Freiraum zu lassen, eigene Gedanken zu verfolgen.

Toleranz bewahren

Ebenso ist es wichtig, mit Kindern auch offen und tolerant über andere Weltanschauungen zu sprechen, wie folgendes Beispiel zeigt:

Im Chinarestaurant sieht Tabea (10) eine Buddha-Statue und fragt nach deren Bedeutung. Nach der kurzen Erklärung über Buddhismus staunt sie: „Und die glauben an so einen fetten Gott?“
Mama: „Nicht Gott, weiser Lehrer. Du solltest höflicher sein gegenüber dem, was andere glauben.“
Tabea: „Okay, sorry. Trotzdem mag ich Jesus lieber. Der ist dünner und sitzt nicht nur rum.“
Samuel (8): „Besser dick rumsitzen als dünn am Kreuz hängen.“
Tabea: „Stimmt, von außen betrachtet ist unsere Religion auch komisch. Aber ich glaub trotzdem an Jesus.“

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es für Kinder meistens gar nicht um die „korrekte“ Antwort geht, sondern darum, dass man sie ernst nimmt und mit ihnen ins Gespräch kommt. Das ist die erleichternde Botschaft sowohl für die „unreligiösen“ als auch für die „religiösen“ Eltern, die alles richtig machen wollen. Wenn man das Theologisieren mit Kindern entspannt als Möglichkeit sieht, die tiefsten Gedanken und Gefühle der Kinder besser zu verstehen und dabei selbst auf neue Ideen und Gedankenwege zu stoßen, kann es richtig großen Spaß machen.

Gabriele Berger-Faragó ist evangelische Theologin, Psychologische Beraterin und Systemische Ehe- und Familientherapeutin in eigener Praxis. Sie wohnt mit ihrer Familie in Heidelberg. Die meisten Zitate stammen von ihren drei Kindern, die mit der Veröffentlichung einverstanden sind. Bei den Zitaten anderer Kinder sind die Namen geändert.

 

Buchtipps

Religionslexika für Kinder:
Monika & Udo Tworuschka: Die Weltreligionen – Kindern erklärt (Gütersloher)
Religionen der Welt. Wieso? Weshalb? Warum? (Ravensburger)

Kinderbuch über Aufklärung, Schwangerschaft, Geburt:
Malcolm & Meryl Doney: Mama, Papa und ich. Wo kommen die kleinen Babys her? (Brunnen)

Bücher zu Tod und Sterben: 
Roland Kachler: Wie ist das mit der Trauer? (Gabriel)
Elke Barber & Anne Jarbis: Kommt Papa gleich wieder? Ein für Kindergarten- und Grundschulkinder verständliches Buch über den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen (Mabuse)

Theologie mit Kindern:
Lydia Fischer: Glaube und Gottesvorstellungen von Kindern im Alter von 3-6 Jahren. Theologisieren mit Kindern im Kindergartenalter (Akademiker)
Friedrich Schweitzer: Das Recht des Kindes auf Religion (Gütersloher)

Klaus Mayer: Dieser Mann überlebte die Nazis und brachte die Chagall-Fenster nach Mainz

Monsignore Klaus Mayer (97) ist es zu verdanken, dass Marc Chagall die Fenster der Pfarrkirche St. Stephan in Mainz gestaltete. Dabei wäre es beinahe ganz anders gekommen. Denn Mayer stand 1945 auf der Deportationsliste der Gestapo.

Pfarrkirche St. Stephan, Mainz. Als Stille-Ort thront sie über der pfälzischen Landeshauptstadt. Ich habe mir die Pole-Position in der Kirchenbank gesichert. Während ich mir die kalten Hände warmhauche, gleitet mein Blick fasziniert über die blau-bunten Kirchenfenster. Marc Chagall, der „Meister der Farbe und der biblischen Botschaft“, predigt durch diese zu mehr als 200.000 Besuchern im Jahr.

Ein surrendes Geräusch reißt mich aus der Stille. Neben mir parkt ein Rollator. Ich blicke in große, wache Augen. Zwei warme Hände fassen nach den meinen. Verschmitzt lachend begrüßt mich Monsignore Klaus Mayer: „Schön, dass Sie da sind! Hatten Sie eine gute Fahrt? Punkt zehn fangen wir an.“ Spricht’s und verschwindet mit seinem Gefährt schlurfend hinter einer Säule.

Meditation, die 4.032.

Zwölf Minuten später ist das Mikrofonkabel gelegt, haben sich die Reihen neben und hinter mir gefüllt. Die Gehhilfe steht zusammengefaltet vor den Altarstufen. Der 97-jährige (!) Priester begrüßt die Besucher zur Meditation der Chagall-Bilder. Es ist seine 4.032. Andacht. Der soeben noch gebeugt gehende Mann blüht freistehend auf. Mit der Leidenschaft eines scheinbar Dreißigjährigen nimmt er die Besucher mit in die Bilder voll Bewegung, in das Mysterium, in die Farbsymphonie des Glaubens.

Auf der Deportationsliste

Rückblende. Februar 1945. Eine Deportationsliste macht in Mainz die Runde. Auf ihr steht auch der 22-jährige Klaus Mayer. Er ist Halbjude. Der Vater ist nach Argentinien geflohen. Die Mutter hat ihren Sohn bisher mit vielen Winkelzügen vor der Gestapo in Sicherheit gebracht. Doch jetzt scheint der Abtransport unausweichlich. In der Nacht auf den 27. Februar 1945 klinken englische Bomber ihre todbringende Fracht über Mainz aus. 1.209 Menschen sterben. Um Seuchen zu verhindern, verbietet der im Gesundheitsamt zuständige Arzt Transporte. Dadurch gewinnt Klaus Zeit. Er taucht unter. Am 20. März hält ein Panzer der Alliierten direkt vor seinem Versteck. Er öffnet die Haustür, grüßt die Panzerbesatzung und gibt sich als „Half-Jew“ zu erkennen.

Nach 17 Jahren Wiedersehen mit dem Vater

15 seiner Familienangehörigen wurden ermordet oder nahmen sich das Leben. 1950 kommt es nach 17 Jahren zu einem tränenreichen Wiedersehen mit dem Vater. Klaus studiert inzwischen katholische Theologie. 1965 wird er Priester in der Kirche St. Stephan. Der Notverglasung sieht man die Kriegsschäden noch an. Mayer ist überzeugt: Kirchenfenster haben einen hohen Verkündigungswert. Er bekommt ein Buch des Künstlers Marc Chagall in die Hand. Darin: Fotografien seiner Fenster in der Hadassah-Synagoge in Jerusalem und der Kathedrale von Metz. Der Priester fängt Feuer: Wenn jemand Kirchenfenster mit Strahlkraft erstellen kann, dann dieser französische Jude mit russischen Wurzeln. 1973 schreibt Mayer dem 86-Jährigen einen Brief. Der Chef des Glasateliers, Charles Marq, antwortet ihm wenige Wochen später: „Chagall habe den Brief bekommen. Er bedanke sich dafür, das sei eine sehr interessante, aber auch sehr verantwortliche Aufgabe, die viel Zeit und Überlegung bräuchte. Hätten Sie es eilig, sollten Sie sich ruhig an einen anderen Künstler wenden.“

Keine Begegnung gewünscht

Mayer ist von der Nicht-Absage beseelt. Hartnäckig bleibt er dran. Er muss Überzeugungsarbeit leisten, denn der Jude Chagall hatte sich nach den Gräueln der Nazidiktatur vorgenommen, nie wieder etwas für Deutschland zu gestalten. Der Ateliermeister lässt sich nach Mainz einladen. Ein Jahr später bittet Chagalls Frau Vava um einen kleinen Film, da der Künstler aufgrund seines hohen Alters nicht mehr reisen könne. Den fertigen Bildstreifen will Klaus Mayer persönlich nach Saint-Paul-de-Vence bringen. Doch per Post erhält er eine Absage: Der Film sei für Chagall sehr interessant, aber für eine Begegnung sei es noch zu früh.

Chagall: Liebenswürdig, bescheiden, unverbindlich

Pfarrer Klaus Mayer ist unbeirrt. „Da dachte ich mir, das mach ich jetzt nicht mit. Das ZDF hatte viel Geld in den Film investiert, ich wollte ihn nicht der Post anvertrauen. So teilte ich ihm mit, ich käme allein, er bräuchte mich nicht zu empfangen, wenn er das nicht für gut hielte.“ An der Haustür empfängt ihn Vava Chagall. Sie führt ihn in den Salon. Schlurfend tritt von hinten der weltberühmte Künstler heran. Er fasst den Deutschen an der Hand und drückt ihn in einen großen Ohrensessel. Er selbst setzt sich auf ein kleines Holzbänkchen und hört zu. Marc Chagall ist liebenswürdig, sehr interessiert, äußerst bescheiden, aber auch unverbindlich. Mayer bekommt kein Ja, aber es entwickelt sich eine Freundschaft zum Ehepaar Chagall.

Zu Besuch bei Helmut Kohl

Daheim erklären ihn Freunde, Kollegen und Politiker mit seinem Ansinnen für verrückt. Doch dies stört ihn nicht. Stattdessen kümmert er sich schon mal um die Frage der Finanzierung. Er spricht bei Ministerpräsident Helmut Kohl vor, dem späteren Bundeskanzler. Als überzeugter Europäer ist der von dieser Idee angetan, gibt aber auch zu verstehen, dass er nicht an ein Gelingen glaube. Seinen Ministerialbeamten weist er jedoch an: Wenn Chagall diesen Auftrag übernehmen sollte, wird das Land Rheinland-Pfalz die Kosten für das erste Fenster übernehmen.

Am 30. Dezember 1976 landet ein Brief im Pfarrbüro St. Stephan. Darin teilt Vava Chagall mit, dass ihr 90-jähriger Mann an einem Fenster für die Kirche in Mainz arbeite. Bis zu seinem Tod im März 1985 folgen acht weitere Fenster zur biblischen Heilsgeschichte. Charles Marq vollendet das mit fast 180 Quadratmetern größte Glaskunstwerk der Welt mit weiteren neun Fenstern.

Der lebende Gottesbeweis

Marc Chagall wird zum Mainzer Bilderprophet, ohne die Stadt jemals betreten zu haben. Priester Klaus Mayer übersetzt seine „singenden Farben“. 42 Jahre nach seiner ersten Meditation sitzt er als lebender Gottesbeweis auf seinem Rollator auf den Altarstufen von St. Stephan. Er versteht es, den gebannten Besuchern die 18 Blautöne (von denen Chagall neun erst erfand), die Engel, die Heiligen und den Gekreuzigten, meist mit friedvollen und sanften Gesichtszügen dargestellt, zu erklären und in deren Leben zu übersetzen. Er nimmt die Suchenden und Zweifelnden mit hinein in die Bibel, das Geheimnis Gottes, den Anfang und die Vollendung der Weltgeschichte, die Erde und den Himmel. Der Priester macht Lust auf die Herrlichkeit Gottes. Nach einer Andacht kommt ein Mann auf ihn zu: Herr Pfarrer, gestern noch wollte ich mir das Leben nehmen, hier habe ich wieder Lebensmut geschöpft. Eine Frau schreibt ihm: Hier in St. Stephan im Blick auf die Fenster habe ich meinen verlorenen Glauben wiedergefunden.

Genau die richtige Botschaft

Die Andachtsbesucher sind von der Wanderung in den Ost- und Westchor wieder zurück im Mittelschiff der Kirche. Die Beine des 97-Jährigen scheinen müde, aber aus seinem Mund, seinen Augen sprudelt Lebendigkeit, Lebensfreude und Hoffnung. Mit einem Gebet beendet er seine 90-minütige Andacht. Spontaner Applaus. Menschen stehen auf. Eine Frau schnäuzt ins Taschentuch. Ein Mann im Rollstuhl lässt sich ein Segenswort zusprechen. Jemand drückt berührt seine Hand und sagt: Danke, dies war genau die richtige Botschaft für mich. Ich erlebe hautnah die Mission des Priesters: „Die Bilder machen Menschen froh!“

Papst Franziskus lächelt

Zehn Minuten später sitze ich dem Vater der Chagall-Bilder in der kahlen Sakristei gegenüber. Gedämpft dringt der Lärm der Stadt herein. Der Putz bröckelt von der Wand. Papst Franziskus lächelt aus einem Bilderrahmen. Er lacht in meine letzte Frage und die Antwort von Monsignore Klaus Mayer hinein. Wie lange wollen Sie noch die Chagall-Meditationen durchführen? „Solange ich noch krabbeln kann, muss ich dies tun. Ich bin dazu berufen. Viele Menschen haben doch heute keinen Boden mehr unter den Füßen. Ich will ihnen den Glauben und die Gute Nachricht verkündigen. Und dann stehe ich hier als alter Mann für Völkerverständigung. Ein Jude, der nie mehr etwas in und für Deutschland gestalten wollte, ließ sich durch meine Beharrlichkeit gewinnen, die Fenster einer christlichen Kirche zu gestalten. Das ist doch die Botschaft, die unsere Welt braucht, die wir zu verkündigen haben, damit wir nicht wieder mit Nationalismus geplagt und von ihm heimgesucht werden.“

„Wir können nicht in ihr Herz sehen“

Sie haben sich nicht vom Glauben losgesagt, sich aber auch nicht bewusst dafür entschieden. Die Söhne unserer Autorin scheinen schlichtweg kein Interesse am Glauben zu haben.

 

Mein Mann und ich haben zwei Söhne, die jetzt Mitte zwanzig sind. Vom Beginn ihres Lebens an haben wir sie in unseren Glauben mit hineingenommen – wie es unsere Eltern mit uns auch gemacht hatten. Das, was uns wichtig ist, haben wir versucht, unseren Kindern zu vermitteln: Dass Gott uns persönlich kennt und liebt und wir deshalb fröhlich und geborgen leben können. Dass wir mit ihm reden und ihm vertrauen können. Dass wir einander mit der gleichen Liebe, Wertschätzung und Ehrlichkeit begegnen wollen, mit der Jesus uns begegnet. Dass wir Fehler machen und Vergebung erfahren dürfen. Der sonntägliche Kindergottesdienst in der Freikirche, zu der wir gehören, war unseren Söhnen ebenso vertraut wie das Vorlesen und Erzählen biblischer Geschichten und das Beten vor dem Einschlafen.

KEIN INTERESSE
Die weitere Entwicklung unserer Kinder verlief, was den Glauben angeht, allerdings anders als unsere eigene. Sie waren in ihrer Teenagerzeit keine begeisterten Freizeit-Teilnehmer und Jugendkreis-Besucher. Sie „bekehrten“ sich nicht öffentlich und äußerten nie den Wunsch, sich taufen zu lassen. Sie wurden aber auch keine Rebellen, die den Glauben in hitzigen Diskussionen zerpflückt oder einen extremen Lebensstil gewählt haben. Stattdessen haben sie sich, irgendwann im Alter zwischen 14 und 18, still und unauffällig von der Gemeinde – vielleicht auch von Gott? – verabschiedet. Sie wollten nicht mehr regelmäßig mitkommen in den Gottesdienst, und der Glaube war (und ist bis heute) kein Thema mehr für sie. Offene Gespräche über Glaubensfragen sind schwierig, weil unsere Söhne einfach kein Interesse daran haben. Unsere gelegentlichen Gesprächsangebote werden höflich abgeblockt, was wir respektieren. Natürlich fragen wir uns: Warum wollen sie von Gott und der Gemeinde nichts wissen? Mein Mann und ich tragen unseren Glauben nicht so auf der Zunge wie manche andere, für uns ist unsere Beziehung zu Jesus etwas sehr Persönliches. Es mag sein, dass diese Eigenschaft in der Erziehung zum Glauben hinderlich war. Wir wollen uns aber nicht zu sehr mit Selbstvorwürfen und der Frage quälen, was wir hätten anders machen müssen. Wir sind überzeugt, dass Glaube ein Geschenk ist, keine automatische Folge eines bestimmten Erziehungsstils. Welches Ereignis, welche Erfahrung auch immer den Anstoß gibt, dass jemand anfängt, persönlich an Jesus zu glauben: Wir können das nicht durch Willenskraft oder „Missionierungsversuche“ herbeiführen.

VERTRAUEN UND BETEN
Heute gehen unsere beiden Söhne an Heiligabend mit in den Gottesdienst und senken beim Tischgebet den Kopf. Es gibt aber keine für uns offensichtlichen Anzeichen, dass der Glaube an Gott ihnen persönlich etwas bedeutet oder dass sie sich überhaupt damit beschäftigen. Sie lassen uns unseren Lebensstil – und leben ihren eigenen. Wie wir als Eltern damit klarkommen? Nicht immer gleich gut. Natürlich wünschen wir ihnen den Halt und die Geborgenheit, die wir selbst in unserem Glauben erfahren. Sicher bereitet uns die Vorstellung, unsere eigenen Kinder könnten in der Ewigkeit „verlorengehen“, manchmal Schmerz und Sorgen. Auf der anderen Seite halten wir uns daran fest, dass das letzte Wort darüber längst nicht gesprochen ist. Wir können nicht in ihr Herz sehen. Vielleicht haben sie sehr wohl eine Beziehung zu Gott, von der wir nur nichts wissen. Und wenn das im Moment nicht der Fall ist, kann es an einem Punkt in der Zukunft ja noch passieren. Menschen können sich, so lange sie leben, verändern – oder verändert werden. Wir können nur darauf vertrauen und dafür beten, dass Gott einen Weg findet, unseren Söhnen persönlich zu begegnen. Es würde uns glücklich machen, das mitzuerleben.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Nordrhein-Westfalen.

 

*In der Ausgabe 1/17 schreibt Dieter Martschinke einen weiteren Artikel zum Thema „Wenn die Kinder anders Glauben“

Kinder zum Glauben erziehen?

Um diese Frage ging es bei einem Family-Talk, der gestern auf der Allianzkonferenz in Bad Blankenburg stattfand. Von Anfang an war klar, dass dies mehr eine rhetorische Frage ist. Schließlich hat Gott nur Kinder und keine Enkel. Deshalb können Eltern ihren Kindern den Glauben nicht anerziehen. Kinder und Jugendliche müssen einen selbstständigen, mündigen Glauben entwickeln.

Wie das gelingen kann, darum ging es in der Talk-Runde, an der unter anderen der Psychologie-Professor, Familientherapeut und vierfache Vater Dr. Ulrich Giesekus, die Pfarrerin und dreifache Mutter Monika Deitenbeck-Goseberg und der Erzieher, Pastor und fünffache Vater Uwe Heimowski teilnahmen.

Einig waren sich die Talk-Gäste darin, dass christliche Erziehung weniger mit bestimmten Aktivitäten oder Ritualen zu tun hat. Vielmehr gehe es darum, dass Eltern ihren Alltag als Christen leben und von ihrem Glauben prägen lassen. Diese Prägung spiegelt sich dann ganz automatisch in der Erziehung und im Familienleben wider.

Grundsätzlich hat eine christliche Erziehung positive Ausprägungen und Folgen. Aber wie in allen Bereichen machen Eltern natürlich auch hier Fehler. Und letztlich gibt es für viele Fragen keine pauschale Antwort, die für alle Familien richtig ist. Das wurde zum Beispiel bei der Frage deutlich, wie Eltern reagieren sollen, wenn ihre Teens nicht mit in den Gottesdienst gehen wollen. Während Ulrich Giesekus dafür plädierte, dass man ihnen die Freiheit lassen sollte, zu Hause zu bleiben, sprach sich Monika Deitenbeck-Goseberg dafür aus, dass Teenager am Gottesdienst teilnehmen – allerdings müssten dann natürlich die Gottesdienste auch so gestaltet sein, dass sie für die Jugendlichen ansprechend sind.

Einigkeit herrschte darüber, dass es gerade für Teens wichtig ist, neben dem Elternhaus ein zweites christliches Zuhause zu haben, zum Beispiel in einem Teenkreis, bei Freizeiten oder Jugendcamps.

Beeindruckend war eine Talkteilnehmerin, die selbst keine Christin ist, der es aber wichtig war, ihr inzwischen fünfjähriges Kind taufen zu lassen. Sie selbst sieht für sich keinen Weg zum Glauben, möchte diesen Weg aber ihrer Tochter eröffnen und ermöglichen.

Bettina Wendland, Family-Redakteurin