CLOWNS STATT DÖNER
Katharina Hullen kann manchmal nicht Nein sagen.
Katharina: Neulich beim Abendbrot: Es klingelt an der Tür. Wie üblich stürmt eine Horde neugieriger Kinder zur Tür, um sie lautstark zu öffnen und wenige Sekunden später „Mama“ herbeizurufen. Ich schlurfe los und sehe mich alsbald einem jungen Studenten gegenüber, der einen roten Teppich vor unserem Eingang ausgerollt hat. Er stellt uns sympathisch und hintergründig die gute Arbeit des „Rote Nasen Deutschland e.V.“ vor, einer Organisation, die durch Clownerie Lachen und Lebensfreude zu leidenden Menschen bringt. Umringt von enthusiastischen Kindern, die fröhlich in die Ausführungen des Studenten hineingrätschen mit ihren Geschichten vom eigenen Krankenhausaufenthalt, bei dem man damals um einen Tag den Clown leider verpasst hatte, oder dem tollen Schul-Zirkus-Projekt, bei dem es auch so lustige Clowns gab, erahne ich natürlich schon den Spendenaufruf. Angesichts der freudigen Anteilnahme meiner Kinder, dem wirklich guten Ansatz, Leid mit Humor zu begegnen, und vielleicht auch wegen des prominenten Unterstützers – Dr. Eckart von Hirschhausen – bin ich innerlich schon im Spendenmodus. Wie sich zeigt, ist es leider nicht möglich, nur einmalig zu spenden. Aber gut, die Kinder betteln, doch bitte, bitte, bitte mitzumachen – dann eben monatlich ein kleiner Beitrag. Gesagt, getan. Unter dem Jubel der Mädchen sind die Formalien schnell geklärt. Eine freundliche Verabschiedung und wir strömen zurück zum Abendbrottisch – wo mich ein resigniert kopfschüttelnder, etwas verärgerter Ehemann erwartet. Er murmelt etwas von Familieneinkommen und „Mal sehen, was wir stattdessen mal streichen können, damit wir ab jetzt Clowns unterstützen können“.
Oje, er hat Recht! Es ist schon wieder passiert! Normalerweise versuche ich recht rigoros Haustürgeschäfte abzuwimmeln. Was mir in der Regel auch gelingt. Ich will keine Fassadenreinigung und auch keine neuen Dachfenster.
Aber trotzdem gibt es manchmal Anfragen, die treffen mich so sehr ins Herz – oder besser in den Bauch –, dass plötzlich zum Beispiel eine Malteser-Mitgliedschaft dabei herauskommt.
Hauke ist viel besser in so etwas – bei ihm löst der Bauch (außer an der Dönerbude) niemals den Kopf ab. Er schafft es, angemessen freundlich oder unfreundlich jedes Gespräch zu einem Punkt zu bringen. Er lässt sich nicht von sentimentalen Geschichten einfangen. Ihm passiert es auch niemals, im Wartezimmer oder beim Einkaufen in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nein, in der Zeit, in der mir das passieren würde, füttert Hauke seinen Kopf mit den Informationen der Verpackungen, der Rechtschreibung der Werbeschilder oder den Magazinen im Wartebereich.
Ich liebe meinen Mann für seinen klugen, kühlen Kopf! Ich brauche dieses Korrektiv. Aber die Welt braucht auch mitfühlende Warmherzigkeit und impulsive Großzügigkeit. Dann essen wir halt einen Döner weniger im Monat und geben dieses Geld in Hände, die mehr daraus machen als nur einen satten Bauch. Ganz schön klug von mir, oder?
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
HOTSPOT FÜR SPENDENSAMMLER
Hauke Hullen könnte Nein sagen, aber dafür ist es oft schon zu spät.
Hauke: Man stelle sich vor: Während des Urlaubs in einer ausländischen Einöde passiert etwas, ein Unfall oder eine schwere Erkrankung – wäre es dann nicht toll zu wissen, dass man kostenlos einfach nach Hause geflogen wird? Eine beruhigende Vorstellung, nicht wahr?
Diese Vorstellung war der besten Ehefrau von allen dann auch direkt eine Mitgliedschaft und einen jährlichen Beitrag wert. Prompt fühlte sie sich sicherer und der Vertreter, der ihr den Deal an der Haustür aufgeschwatzt hatte, zog fröhlich weiter.
Dazu muss man wissen: Wir fahren kaum ins Ausland. Unser Radius endet meist an der Nordsee – die Lust auf längere Fahrten sank proportional mit der Anzahl der quengelnden Kinder auf den Rücksitzen. Auch habe ich nie verstanden, warum Urlaubsorte nur dann attraktiv sein sollen, wenn sie weit weg sind. Und schließlich kommt dazu, dass die Abenteuerlust meiner Frau auf einer Skala von 1 bis 10 bei minus 1 liegt. Letzteres macht verständlich, dass sich Katharina besser fühlt, wenn sie weiß, dass stets ein vollgetankter Jet im Dschungel bereitsteht, um sie nach einem Schlangenbiss nach Duisburg auszufliegen. Nur: Wir sind halt nie im Dschungel.
Nachdem wir die statistische (Un-)Wahrscheinlichkeit ausgiebig erörtert hatten, einen Nottransport in Anspruch nehmen zu müssen, den unsere Krankenkasse nicht bezahlen würde, hat Kathi die Mitgliedschaft schweren Herzens wieder gekündigt. In anderen Bereichen lassen sich die Folgen von Kathis Weichherzigkeit deutlich schwieriger eingrenzen. Und das hat vor allem moralische Gründe. Denn während ich bei der Flugrettung argumentieren kann: „Das brauchen wir nicht!“, sagt Kathi bei all den anderen Großherzigkeiten zu Recht: „Das brauchen die anderen!“ Und in der Tat – die Not in der Welt ist groß, es gibt unzählige unterstützungswerten Anliegen, und natürlich bricht unser Lebensstandard nicht zusammen, wenn einer weiteren Organisation mit 5 Euro im Monat geholfen wird.
Doch wo will und darf man da die Grenze ziehen? Dank meiner Frau ist unsere Haustür zum Hotspot der lokalen Spendensammel-Szene geworden und die Bettlerinnen vor unserem Supermarkt bekommen wahlweise Münzen, komplette Einkäufe oder kistenweise ausrangierte Kinderkleidung geschenkt. Doch was, wenn jetzt alle kommen und die Hand aufhalten? Was, wenn das alle machten?
Tief in meinem Herzen weiß ich, dass genau dies die eigentliche Frage ist: Was, wenn das alle machten? Was, wenn alle sich erweichen ließen und auf ein (durchaus ansehnliches) Stück ihres Wohlstandes verzichteten, um den Nächsten mit dem Nötigsten zu versorgen und um für den Übernächsten die passende Hilfsorganisation zu unterstützen? Während in meinem Kopf noch der Stellungskrieg tobt, ist meine Frau schon längst über meinen Schatten gesprungen und hat ohne groß nachzudenken wieder Geld ausgegeben für irgendetwas, was irgendjemandem eine große kleine Freude bereiten wird.
Streng genommen hat sie dabei auch mein Geld mit ausgegeben – und ich lasse sie gewähren.
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.