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Hochsensibilität bei Kindern: Wie Eltern es herausfinden und was sie beachten müssen

Hochsensible Kinder nehmen Eindrücke intensiver wahr. Dadurch sind sie schneller gestresst oder ängstlicher. Melanie Vita erklärt, was Eltern und Kinder entlastet.

Wenn Kinder sich anders entwickeln, als ihre Eltern das erwartet haben, kann es zu Enttäuschungen kommen. Ein mögliches Szenario: Jan hat beobachtet, dass sein Sohn Tim irgendwie anders ist. „Ich hatte mir ausgemalt, was ich alles mit meinem Sohn unternehmen werde: Abenteuer erleben, Fußball spielen, raufen … Und dann stelle ich fest, dass all dies gar nicht dem Naturell meines Kindes entspricht, dass mein Kind vorsichtig, wenig spontan, feinfühlig ist. Da gerät die Welt ins Wanken.“

Eine andere mögliche Variante: Marie, Mutter von Lea, wird immer wieder auf ihren Erziehungsstil angesprochen. „Dein Kind traut sich nicht allein zum Bäcker? Das müsste in dem Alter aber längst drin sein. Du bist viel zu nachlässig.“ − „Was treibt dein Kind beim Essen für Spielchen mit dir? Was auf den Tisch kommt, wird gegessen! Du lässt Lea alles durchgehen. Würde sie bei mir groß werden, wäre sie längst nicht so ängstlich.“

Hochsensibilität kann eine Erklärung sein

Was Jan und Marie beschäftigt, ist die Andersartigkeit ihrer Kinder. Entspricht der Nachwuchs nicht der Norm, machen sich Eltern verständlicherweise Gedanken: Was steckt hinter dem Verhalten meines Kindes? Habe ich Fehler gemacht? Wie kann ich mein Kind seinen Gaben entsprechend fördern und dafür sorgen, dass es stark und selbstsicher wird?

Auf der Suche nach Antworten stoßen etliche Eltern auf das Thema Hochsensibilität. In vielen Fällen machen die Reaktionen der Kinder plötzlich Sinn. Schnell wird klar, dass bestimmte Verhaltensweisen weder aufgrund eines Erziehungsfehlers noch aufgrund von Marotten des Kindes auftauchen, sondern ihre Ursache in der besonderen Wahrnehmungsverarbeitung zu suchen ist.

Was ist Hochsensibilität?

Laut E. Aron ist die Hochsensibilität ein angeborenes Persönlichkeitsmerkmal. Hochsensible Kinder haben von Geburt an ein empfindsameres Nervensystem. Sie nehmen Sinneseindrücke viel intensiver wahr als andere. Kaum etwas prallt an ihnen ab. Was sie beobachten, spüren und wahrnehmen, wollen sie verarbeiten, durchdenken, verstehen. Sie nehmen viel mehr Details auf als andere Kinder und denken intensiver über alles nach. Verständlich, dass ihnen schnell alles zu viel wird. Die Menge an Eindrücken – Stimmungen von Mitmenschen, Geräusche, Gerüche… – sorgt dafür, dass die Kinder viel Zeit brauchen, um Geschehnisse zu verarbeiten.

Strömen zu viele Eindrücke auf diese Kinder ein, kann es zu einer Reizüberflutung kommen. Sie fühlen sich erschöpft, geraten unter Stress, möchten sich von der Außenwelt abschirmen oder sind gereizt. Sie beginnen zu weinen oder signalisieren durch Wutausbrüche, dass ihnen alles zu viel ist. Auch Schlafprobleme, Kopf- und Bauchschmerzen können Warnsignale für eine Überreizung sein. Neuen Situationen stehen hochsensible Kinder vorsichtig und beobachtend gegenüber. Sie durchdenken alle Risiken. Erst wenn sie sich sicher fühlen, werden sie aktiv und handeln.

Wie erkenne ich Hochsensibilität?

E. Aron benennt vier wesentliche Merkmale, die in ihrer Gesamtheit bei hochsensiblen Kindern zu finden sind. Anhand von Lea und Tim lassen sich die Eigenschaften gut erläutern:

Verarbeitungstiefe
Lea und Tim haben eine sehr hohe Beobachtungsgabe. Während sie manches Mal passiv oder träumend wirken, arbeitet ihr Gehirn auf Hochtouren, um viele Details aufzunehmen. Sie sind wissbegierig und haben eine schnelle Auffassungsgabe. Schwer fallen ihnen hingegen spontane Aktionen oder Situationswechsel. Für Antworten, Entscheidungen und Anweisungen benötigen sie viel Zeit, weil sie ihre Aufgaben korrekt machen wollen.

Überreizung
Lea und Tim durchleben den Alltag sehr intensiv, haben ihre Antennen durchgängig auf Empfang, sind mit all ihren Sinnen präsent. Dies führt schnell zu einer Überreizung. Wie sich diese zeigt, ist unterschiedlich. Lea zieht sich eher zurück und wird weinerlich. Tim lädt seine Gefühle bei seinen Mitmenschen ab, geht also mit seinem Stress nach außen. Beide benötigen mehr Rückzugs- und Ruhephasen als andere Kinder, um im Gleichgewicht zu bleiben.

Emotionale Intensität
Lea zeigt ihre Gefühle nur sehr spärlich. Konflikte und Missverständnisse machen sie betroffen. Streiten andere Kinder, fühlt sie mit und gerät selbst unter Stress. Deswegen ist Lea Harmonie sehr wichtig. Dafür würde sie auch ein Nein zur Abgrenzung lieber verschweigen. Tim zeigt seine Gefühle direkt. Er ist mitfühlend und hilfsbereit. Empfindet er Situationen aber als ungerecht, zeigen sich explosive Gefühle. Egal, welche Emotion er durchlebt, jede ist intensiv.

Sensorische Feinfühligkeit
Lea wirkt manchmal gestresst. Es sind dann Klagen zu hören wie „Der Pulli kratzt“ oder „Die Jeans ist viel zu sperrig“. Tim wiederum ist es im Klassenzimmer zu laut und auf dem Pausenhof zu viel Tumult. Was sich anhört wie eine Marotte, ist in Wirklichkeit neurologisch erklärbar. Hochsensible Kinder nehmen Sinneswahrnehmungen wie durch einen Verstärker wahr, wodurch Stress ausgelöst werden kann.

Das Stop-and-go-System oder Ampelsystem
Zusätzlich zu den vier Hauptmerkmalen gibt es einen weiteren Hinweis, ob ein Kind hochsensibel ist. Wie bereits geschildert, kann es sein, dass Kinder in unbekannten, neuen Situationen nur beobachten oder für sich sein wollen. Diese Reaktion hat einen bedeutenden Sinn, den es zu verstehen gilt: Ein hochsensibles Kind hat ein ausgeprägtes Sicherheitssystem. Es sieht sich so lange vor einer roten Ampel, bis es weiß, was die Regeln und Erwartungen sind, und bis es sich verstanden fühlt. Erst wenn das Kind das Gefühl hat, dass es die Situation meistern kann, wird es aktiv: Die Ampel springt auf Grün.

Worauf sind Stärken und Herausforderungen?

Hochsensible Kinder haben viele wertvolle Fähigkeiten. Dazu gehören ein gutes Einfühlungsvermögen, ein starkes Gerechtigkeitsempfinden, Verlässlichkeit und Kreativität. Eigenschaften, die für eine Gruppe bereichernd sind. Durch die hohe sensorische Wahrnehmung zeigen sich oft musische oder künstlerische Begabungen. Um diese Stärken zu fördern, ist es wichtig, sie zu erkennen und ihnen Raum zu geben. Zeigen Kinder Fürsorge gegenüber Spielkameraden, trösten sie diese bei kleineren Unfällen oder sind sie im Spiel entgegenkommend, kann dies positiv bestärkt werden. Gleichzeitig haben auch die anderen Kinder dadurch die Chance, Toleranz und Rücksichtnahme zu lernen. Damit sich dieses Potenzial entfalten kann, ist es notwendig, den Kindern Ruhephasen zu ermöglichen und ihr Bedürfnis nach Rückzug ernst zu nehmen. Auf diese Weise können sie Geschehnisse und Informationen verarbeiten.

Hochsensible Kinder zeigen meist dann schwieriges Verhalten, wenn sie durch Stress und Hektik aus dem Gleichgewicht kommen. Neue Situationen und unvorhergesehene Aktivitäten lösen bei ihnen Stress aus. Werden Stresssignale wie Jammern, emotionale Ausbrüche, Boykottieren von Aktivitäten oder auch Trödeleien nicht als solche erkannt, kommt es zu Missdeutungen. Ein Ernstnehmen und Beachten des Energielevels der Kinder hilft, Stress zu minimieren.

Was können Eltern bei Hochsensibilität tun?

Ob ein Kind seine Hochsensibilität als Stärke oder Schwäche, Gabe oder Last empfindet, hängt sehr stark von seinen Erfahrungen ab. Grundsätzlich ist es wichtig, dem Kind Verständnis entgegenzubringen, es in seiner Eigenart anzunehmen und zu akzeptieren. Das Abwägen zwischen den Bedürfnissen des Kindes und den gesellschaftlichen Anforderungen kann für Eltern sehr herausfordernd sein. Neue Situationen sollten mit hochsensiblen Kindern durch Gespräche, Rollenspiele etc. vorbereitet werden. Jedes Gespräch, jeder Hinweis und jede zusätzliche Information über das, was die Kinder erwartet, bedeutet für Hochsensible mehr Sicherheit und damit weniger Grund zur Angst. Je mehr Zeit in die Vorbereitung einer neuen Situation investiert wird, umso gelassener kann das Kind auf die unbekannte Situation zugehen.

Da hochsensible Kinder schnell überfordert, gestresst und reizüberflutet sind, benötigen sie kontinuierlich Ruhephasen und Rückzugsmöglichkeiten. Dies heißt unter Umständen, Freizeitaktivitäten zu reduzieren und aktivitätsfreie Zeiten einzuplanen. Auch Familienrituale und ein strukturierter Alltag sind förderlich. Hochsensible Kinder sind selbstkritisch, haben hohe Ansprüche an sich und sind damit beschäftigt, es allen recht zu machen. Umso wichtiger ist es, dass Eltern Milde walten lassen, wenn Fehler gemacht werden oder die Kinder es nicht schaffen, über ihren Schatten zu springen. Damit erfahren hochsensible Kinder eine Entlastung und lernen, dass sie geliebt und angenommen sind.

Nicht auf Hochsensibilität reduzieren!

Das Wissen um die Hochsensibilität des eigenen Kindes ermöglicht es, Verhaltensweisen besser beurteilen zu können. Gleichzeitig ist es wichtig, das Kind nicht ausschließlich auf die Hochsensibilität zu reduzieren, sondern den vielen weiteren Facetten der Persönlichkeit Raum zu geben. Ein Kind ist nicht nur zurückhaltend, sondern vielleicht auch interessiert, mutig, anpackend. Diese Ressourcen gilt es zu ergreifen und das Kind auf diese Weise in der Entwicklung zu unterstützen. In kurzen Worten gesagt: annehmen, was ist, aber auch Wachstum ermöglichen. Raus aus dem „Die ist halt so“ hin zu „Da geht noch was“.

Melanie Vita ist Diplomsozialpädagogin, Lerntherapeutin und Buchautorin. Sie berät hochsensible Kinder, Jugendliche, Eltern und Erwachsene in ihrer Privatpraxis „Hochsensibel leben“. hochsensibel-leben.de

Keine Kraft mehr, sich selbst etwas Gutes zu tun

Elternsein ist anstrengend. Kaum eine Mutter oder ein Vater macht das mit links. Hochsensible Menschen sind allerdings besonders herausgefordert in dieser Lebensphase. Von Melanie Vita

Eltern werden bedeutet, sich einer neuen Lebensphase zu öffnen und gewohnte Strukturen hinter sich zu lassen. Das ist wohl für alle Eltern eine Herausforderung. Hochsensible Eltern sehen sich dabei vor besondere Schwierigkeiten gestellt. Strategien, die für ihre innere Balance wichtig sind, wie Rückzugsmöglichkeiten, Stille und Reizreduktion, sind weniger möglich. Die persönliche Zeit wird knapper, Eindrücke, Gefühle und Reize werden intensiver, und nicht selten fühlt man sich einfach erschöpft.

So zum Beispiel bei der fiktiven Ann, Mutter von drei Kindern. Sie hat sich entschieden, ganz für die Kinder da zu sein und gab ihre Berufstätigkeit auf. Sie liebt ihre Familie über alles. Dennoch hat sie Momente, in denen sie sich vor Erschöpfung am liebsten unter der Decke verkriechen würde und das Gefühl hat, nur noch für die täglichen Aufgaben zu funktionieren. Wäsche machen, kochen, Kinder chauffieren, bei den Hausaufgaben helfen, alle Kinder ins Bett bringen – die Liste ist lang. Dabei sagt doch jeder, dass alles gut laufe bei ihr. Ihre Kinder entwickeln sich prächtig, ihr Mann unterstützt sie, und sie kann ihre zur Verfügung stehende Zeit voll für die Familie nutzen. Viele beneiden sie darum. Darf sie da erschöpft sein?

Ungenügend in Job und Familie

Tom hat einen Job in gehobener Position mit viel Verantwortung und ist Vater von Zwillingen, absolute Wunschkinder. Seit die Kleinen auf der Welt sind, hat er das Gefühl, niemandem mehr gerecht werden zu können. Im Büro bleibt vieles liegen. Und wenn er abends nach Hause kommt, erwarten ihn zwei Rabauken, die ihn voll vereinnahmen. Während er zu Hause das Gefühl hat, zu wenig Zeit und Liebe zu investieren, bleibt im Job einiges auf der Strecke. Dabei ist Tom jemand, der sich gern zu 100 Prozent engagiert, sich in Themen, Dinge und auch Beziehungen voll und ganz vertieft. Aber das Bedürfnis nach Ruhe wird immer stärker. Wie machen das andere Väter?

So wie Ann und Tom geht es vielen Müttern und Vätern. Besonders hochsensible Eltern werden sich hier wiederfinden. Sie starten optimistisch in die neue Lebensphase, investieren all ihre Liebe und ihre Fähigkeit der vollen Hingabe an etwas. Mit der Zeit merken sie aber, dass ihre Kräfte schwinden. Wenn Eltern bei der Lösungssuche auf das Thema Hochsensibilität stoßen, fällt ihnen nicht selten ein Stein vom Herzen. „Jetzt verstehe ich endlich, warum es mir so geht“, ist einer der meistgehörten Sätze in meiner Beratung.

Was ist Hochsensibilität?

Hochsensible Menschen nehmen Sinneseindrücke viel intensiver wahr als andere. Nichts prallt einfach an ihnen ab. Was sie beobachten, spüren und wahrnehmen, wollen sie verarbeiten, durchdenken, verstehen: Warum ist mein Kind resigniert von der Kita gekommen? Wieso kann mein Jüngster nicht mehr durchschlafen? Welche Beweggründe hat meine Große, nicht mehr in die Teensgruppe zu wollen? Warum ist meine Frau so angespannt?

Eine hohe Sensibilität lässt sich anhand folgender Merkmale (nach E. Aron) erkennen:

Verarbeitungstiefe
Tom sitzt am Schreibtisch und überlegt, wie er seine Kinder während des Homeschoolings unterstützen, wie die Arbeitsaufteilung zwischen seiner Frau und ihm lösen, wie er zeitgleich das knifflige Problem in seiner Firma beheben kann. Dabei analysiert er die jeweiligen Situationen von allen Seiten und durchdenkt jedes Detail.

Was sich bei Tom zeigt, ist die Fähigkeit, viele Informationen und Einzelheiten aufzunehmen, zu durchdenken und daraus nachhaltige Schlüsse zu ziehen. Logisches und auch weitblickendes Denken liegen ihm.

Überreizung
Es ist spätabends. Ann sitzt am Küchentisch und ist ausgepowert. Von früh bis spät organisiert, macht und tut sie. Sie kümmert sich um den Haushalt, die Kinder, den Ehemann und ihr kirchliches Ehrenamt. Abends, wenn es still wird im Haus und die Kinder endlich schlafen, wäre die Zeit, sich selbst etwas Gutes zu tun. Aber dafür fehlt Ann meist die Kraft.

Durch die herausstechenden Merkmale wie die Verarbeitungstiefe, die starken Gefühle und die ausgeprägte sensorische Wahrnehmung kommt es schneller als bei anderen zu einem Overload.

Himmelhochjauchzend – zu Tode betrübt

Emotionale Intensität
Ann kämpft mit den Tränen. Ihre Tochter ist in der Kita gestürzt, weint und hat Schmerzen. Das Mitgefühl übermannt Ann regelrecht und sie gibt sich Mühe, stark zu sein, um trösten zu können. Kurze Zeit später kommt ihre Große mit einer guten Klassenarbeitsnote nach Hause – die Freude ist übergroß. Tage wie diese kosten Ann viel Kraft, weil sie emotional stark gefordert ist, egal in welcher Richtung.

Hochsensible erleben Emotionen sehr intensiv. Sie haben ein außergewöhnliches Gespür dafür, wie es anderen geht, und fühlen stark mit.

Sensorische Feinfühligkeit
Tom hat schon immer ein feines Gehör. Eine Stärke, die seinem musischen Talent entgegenkommt. Er hat eine Vorliebe für leise Töne und Harmonien. Steigt der Lärmpegel zum Beispiel durch das Schreien der Kinder, fühlt er sich gestresst.

Hochsensible nehmen Sinneswahrnehmungen jeglicher Art wie durch einen Verstärker wahr und fühlen sich von Reizen schneller gestört als andere. Die Konzentration auf Wesentliches ist dann erschwert.

Hochsensibilität – Segen und Fluch

Hochsensible Eltern bringen für das Begleiten von Kindern eine Menge Fähigkeiten mit. Dazu gehören insbesondere ein gutes Einfühlungsvermögen sowie ein ausgeprägtes Gespür für Bedürfnisse, woraus gute Entscheidungen zum Wohl des Kindes getroffen werden können. Die Entfaltung des Potenzials hängt dabei stark von der inneren Balance, dem Wahren eigener Bedürfnisse und dem Grad der Selbstfürsorge ab.

Hochsensible Eltern verlieren den Zugang zu ihren Stärken, wenn sie durch Stress und Hektik aus dem Gleichgewicht kommen. Dabei können Übergänge wie die Geburt eines Geschwisterkindes, der Eintritt des Nachwuchses in die Kita oder die Einschulung des Kindes genauso kräftezehrend sein wie die tägliche Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen und ohne Unterlass Ansprechpartner für alle Familienmitglieder zu sein. Eigene Bedürfnisse geraten ohne bewusste Abgrenzung schnell in den Hintergrund. Das Haushalten mit den eigenen Kräften ist elementar, um einem Ausbrennen vorzubeugen und zu gewährleisten, dass all die Talente einer oder eines Hochsensiblen zum Zug kommen.

Das sind die Alarmzeichen

Um in Balance zu leben, ist es wichtig, eigene Bedürfnisse und persönliche Grenzen ernst zu nehmen. Hochsensible Eltern dürfen sich selbst die Erlaubnis geben, nicht nur auf das Wohlergehen der Familienmitglieder zu achten, sondern auch auf sich selbst. Wer gibt, darf auch empfangen. Es ist das Prinzip einer Waage. Sind die Schalen einseitig gefüllt, kommt das Gleichgewicht abhanden und die innere Ruhe geht verloren.

Doch wie erkenne ich, dass ich nicht mehr im Gleichgewicht bin? Gibt es Anzeichen? Die zuverlässigsten Warnsignale sendet unser Körper. Haben Sie ein super Gedächtnis und von einem Moment auf den anderen sind Sie vergesslich? Zeigen sich Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen? Schlafen Sie schlecht oder sind Sie wider Erwarten unkonzentriert? Sind Sie gereizt oder niedergeschlagen, obwohl Sie eigentlich eine Frohnatur sind? Das kann ein Hinweis darauf sein, dass es dringend Zeit ist für Selbstfürsorge.

Überlebensstrategien für hochsensible Eltern

1. Sich selbst Wertschätzung entgegenbringen
Ein wichtiger Schritt ist die Selbstfreundlichkeit. Fragen Sie sich: Wie rede ich mit mir? Wie sehen meine inneren Gespräche aus? Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob Ihre Reaktion auf ein verbranntes Mittagessen diese ist: „Wie blöd bin ich, sowas kann auch nur mir passieren“ – oder ob Sie das dahintersteckende Signal erkennen und freundlich mit sich sind: „Dass mir das Essen verbrannt ist, ist ein Zeichen, dass ich mich dringend mal hinsetzen und mir eine wohltuende Tasse Tee gönnen sollte.“ Jede Form von Selbstkritik raubt Kräfte.

2. Auf seine Bedürfnisse achten
Achten Sie auf Ihre Bedürfnisse. Sie müssen nicht die Supermama oder der Superpapa sein, die/der alles bewerkstelligt, ohne müde zu werden und Hilfe anzunehmen. Ihre Kinder lernen von authentisch gelebten Grenzen mehr als von Perfektion. Fragen Sie sich: Was brauche ich, damit es mir gut geht? Welche Art der sinnvollen Unterstützung kann ich annehmen?

Austausch tut gut

3. Kontakt zu Gleichgesinnten suchen
Sie denken, Sie sitzen allein im Boot? Weit gefehlt. Man geht davon aus, dass ca. 15-20 Prozent der Bevölkerung hochsensibel sind. Damit muss es auch in Ihrem Umfeld hochsensible Eltern geben. Auch andere sind überwältigt von den unterschiedlichsten Herausforderungen. Beugen Sie der Isolation vor und suchen Sie Gleichgesinnte. Der Austausch wird Ihnen guttun.

4. Äußere Belastungsfaktoren verringern
Delegieren Sie Aufgaben, wo immer es möglich ist. Setzen Sie Grenzen, lernen Sie, Nein zu sagen. Auch andere können die Kuchenspende fürs Schulfest übernehmen. Viel wichtiger ist, dass Sie Ihr Gleichgewicht behalten, um gut für sich und Ihre Familienmitglieder sorgen zu können und einer Entkräftung vorzubeugen.

Ein Kaffee zur Entspannung

5. „Tankstellen“ suchen
Wie tanken Sie auf? Welche Momente geben Ihnen Kraft? Als Eltern haben Sie selten die Möglichkeit, sich lange Auszeiten zu ermöglichen. Umso wichtiger sind die kleinen Auszeiten und Entspannungsmomente. Notieren Sie sich einmal, was Ihnen guttut. Ist es das kurze Innehalten am Fenster, um Sonne zu tanken? Ein Kaffee oder Tee zwischen den Pflichten? Musik beim Kochen? Oder regelmäßig frische Blumen auf dem Esstisch?

Zu guter Letzt
Es gibt immer wieder Ausnahmesituationen, in denen diese Impulse nicht greifen. Vielleicht, weil Ihre volle Präsenz und Unterstützung in einer familiären Situation dringend gefordert ist. Um körperlich und seelisch gesund durch solche Situationen zu kommen, ist es wesentlich, immer wieder für kurze Momente der Entspannung zu sorgen.

Melanie Vita ist Diplomsozialpädagogin (FH), Lerntherapeutin (IFLW) und Buchautorin. Sie berät hochsensible Kinder, Jugendliche, Eltern und Erwachsene in ihrer Privatpraxis „Hochsensibel leben“. hochsensibel-leben.de

Buchtipps

Brigitte Küster: Hochsensibilität. Den eigenen Weg finden (SCM Hänssler)
Brigitte Schorr: Hochsensible Mütter (SCM Hänssler)
Anja Bätscher: Fein, aber oho! Hochsensibilität besser verstehen und als Gabe begreifen