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„Mama, du bist zu früh!“ – So vermeiden Sie Zoff beim Abholen

Nicht selten erleben Eltern beim Abolen aus der Kita, dass die Kinder nicht nach Hause wollen. Warum das so ist und wie man damit umgehen kann, erklärt Erzieherin Pia Tober.

Es kommt immer mal wieder vor, dass Kinder scheinbar alles andere als Freude über das Erscheinen der Eltern empfinden. „Mama, du bist zu früh!“, oder ein protestierendes „Ich will noch nicht nach Hause!“ sind dann zu hören. Manche Kinder brechen beim Abholen auch zusammen und weinen und bekommen vor Emotionen kein Wort heraus. Was auch immer in diesem Moment in dir als Elternteil vorgeht, lass dir eins gesagt sein: Diese Reaktionen sind normal. Ich erlebe es täglich und kann dir sagen, dass es vielen Eltern so geht.

Lass uns gemeinsam beleuchten, was beim Abholen aus der Kita passiert und was du beachten kannst, damit der Abschied aus der Betreuung für alle Beteiligten zufriedenstellend wird.

Was geht in dem Kind vor?

Dein Kind hat einige Stunden in der Kita verbracht. Es hat sich an Regeln gehalten, Konflikte gelöst, mit verschiedensten Menschen gesprochen, kooperiert und alles in allem viel erlebt.

Gerade hat es sich einer Tätigkeit gewidmet, als du in die Tür kommst. Es ist mitten in seinem Tun. Das, was dein Kind im Gegensatz zu dir noch nicht kann, ist, sich schnell auf eine neue Situation einzustellen. Kitakinder haben noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl und reagieren hin und wieder mit für uns unpassend wirkenden Reaktionen.

Das hilft beim Abholen

Es gibt ein paar Kniffe, die das Abholen aus der Kita angenehmer gestalten können:

1. Sorge für dich und deine Bedürfnisse!
Du bist gestresst und in Eile? Sorge für einen Moment zum Durchatmen vor der Kita. Du bist hungrig? Sorge für einen Snack im Auto. Es macht einen großen Unterschied und sorgt für mehr Geduld.

2. Tauche in das Tun deines Kindes ein!
„Was machst du denn da?“, „Das sieht aber bunt aus!“, „Da hast du dir aber Mühe gegeben!“, „Wie hast du es geschafft, einen so hohen Turm zu bauen?“ – mit solchen Sätzen fühlt sich dein Kind gesehen und in seinem Tun wertgeschätzt. Erfahrungsgemäß lässt sich ein Kind mit dieser Haltung schneller aus seinem Spiel herausholen als mit rationalen Argumenten oder dem Versprechen einer Belohnung zu Hause.

3. Berücksichtige die Bedürfnisse deines Kindes und bleibe gleichzeitig bei deinem Plan!
Es geht nicht darum, mehr Zeit für das Abholen des Kindes einzuplanen, sondern um einen sanften Übergang. Es darf seine Tätigkeit in Ruhe beenden – mit deiner Hilfe. Wenn du möchtest, auf spielerische Art. Vielleicht hilft eine Vereinbarung: „Noch einmal Farbe nachnehmen.“ Überlege, wo sein Kunstwerk platziert werden kann, sodass es dies morgen wiederfindet. Bleibe klar und bewege es zum Gehen. Ist es heute an der Zeit, ihm beim Händewaschen und Anziehen zu helfen, obwohl es dein Kind schon kann? Wenn du merkst, dass dein Kind missmutig ist und nicht mit möchte, beziehe es nicht auf dich. Es liegt nicht an dir. Es war gerade in sein Spiel vertieft. Du darfst den Übergang liebevoll begleiten.

Pia Tober ist Erzieherin mit Leidenschaft und beschäftigt sich auch nach ihrem Feierabend mit Kinder- und Familienthemen.

Vorfreude oder schlechtes Gewissen? So gelingt der Kita-Start

Am Ende der Elternzeit steht der Wiedereinstige in den Beruf an. In die Vorfreude mischt sich aber oft das schlechte Gewissen, weil das Kind in die Kita muss. Familienberaterin Daniela Albert verrät, wie der Übergang gelingt.

Mit dem Gedanken an den Kita-Start tun sich viele Eltern schwer. Sie entscheiden sich, andere Menschen in das Leben ihres Kindes zu lassen und sie ein Stück loszulassen. Das Kind wird zukünftig ein paar Stunden am Tag ohne die Eltern verbringen und sie müssen sich darauf verlassen, dass es dem Nachwuchs dort gut geht. Dass Eltern da erst einmal nervös sind und nicht nur voller Vorfreude, ist normal.

Leider ist bei der U3-Betreuung auch das schlechte Gewissen ein Begleiter, besonders für Mütter. Gerade in Westdeutschland sozialisierte Frauen tun sich schwerer mit dem Gedanken, dass ihre Kleinkinder außerhäuslich betreut werden sollen. Das liegt daran, dass unsere eigene Müttergeneration und oft auch unsere Großmütter länger für die Kinderbetreuung zuständig waren. So hat sich bei uns eingebrannt, dass dies der beste Weg ist, ein Kind durch die Kleinkindjahre zu begleiten.

Oft gilt die Betreuung von Kleinkindern durch ihre Mütter auch als der „natürliche Weg“. Menschheitsgeschichtlich war es allerdings nur eine sehr kurze Zeitspanne so, dass Mütter nach der Geburt von Kindern mehrere Jahre Zeit hatten, sich nur auf diese zu konzentrieren. Selbst unsere Großmütter hatten diese Zeit nicht, sie hatten viele zusätzliche Aufgaben in Haus, Garten oder gar nicht so selten auch durch einen dringend benötigten Zuverdienst. Schon immer gab es andere Menschen, die Mütter deshalb bei der Betreuung ihrer Kinder unterstützt haben.

Viel Zeit für Eingewöhnung einplanen

Der Unterschied zur Kita ist allerdings, dass die sich kümmernden Personen zumeist von Anfang an im Umfeld der Kinder waren. In der U3-Betreuung muss ein Kind nun neuen Menschen vertrauen lernen – und die Eltern auch! Ich empfehle daher, viel Zeit für die Eingewöhnung einzuplanen, sodass Eltern und Kinder die Möglichkeit haben, die neuen Betreuungspersonen gut kennenzulernen. Vielleicht können die Eltern vor der offiziellen Eingewöhnung schon ab und zu für einen Besuch in der Kita vorbeigehen oder bereits Kontakte zu anderen Kita-Familien knüpfen. Je vertrauter dem Kind die neuen Menschen sind, desto leichter werden auch die Eltern sich tun.

Für den Anfang ist weniger mehr – Eltern sollten mit wenigen Stunden am Tag starten Sie mit wenigen Stunden am Tag, sofern der Beruf die Möglichkeit dazu bietet, und dann die Zeit steigern, wenn das Kind dafür bereit ist. Und ganz wichtig: Die Bindungsarbeit, die Eltern zu Hause machen, ist noch immer entscheidend! Ein liebevolles, zugewandtes Elternhaus, in dem ein Kind erlebt, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden, ist ein starker Rückhalt und gleicht auch eine eventuell einmal nicht ganz optimale Betreuungssituation aus. Nur Mut und viel Freude beim Wiedereinstieg!

Daniela Albert ist Autorin und Eltern- und Familienberaterin (familienberatung-albert.de), lebt mit ihrer Familie in Kaufungen.

3 bis 5 – Die Kita wechseln?

Elternfrage: „Unsere Tochter fühlt sich in ihrem Kindergarten immer unwohler. Sie weint häufig beim Abschied und erzählt von Konflikten dort. Ich habe kein gutes Gefühl. Ist das Anlass genug, die Kita zu wechseln?“

Ein Einrichtungswechsel ist immer möglich, jedoch eine heikle Sache. Denn wer weiß, wann ein Platz frei ist und ob sich das Kind in dieser Einrichtung dann wohl fühlt. Erfahrungsgemäß gibt es Kinder, die, wenn sie die Wahl haben, immer zu Hause bleiben wollen. Wann sollte also ein Wechsel in Betracht gezogen werden?

Bevor man das Prozedere „Einrichtungswechsel“ startet, sollten folgende Lösungsansätze ausgeschöpft werden:

Gespräche

Der wichtigste Schritt ist der, auf die Fachkräfte zuzugehen. Besprechen Sie Ihre Sorgen, lassen Sie sich erzählen, was Ihr Kind macht, wenn es in der Einrichtung ist. Besprechen Sie, was getan werden kann, um dem Kind das Ankommen zu erleichtern. Hierbei helfen Kuscheltiere und feste Abschiedsrituale meist am besten. Zum Beispiel können Sie selbst mit Ihrem Kind ein Puzzle machen, ihm das Frühstück auspacken helfen, Sie können von außen zum Abschied noch einmal winken, das Kind kann für Sie ein Bild malen, die Fachkräfte kümmern sich die erste Zeit etwas intensiver um das Kind oder Sie holen es früher ab. Es gibt viele Möglichkeiten, solche Situationen zu gestalten. Vielleicht kann Ihr Kind sagen, was hilft, was es braucht und möchte. Sprechen Sie mit anderen Eltern aus der Gruppe. Diese können Ihnen auch ein Bild davon geben, was das Kind macht und ob es sich wirklich nicht wohl fühlt.

Pausentag

Wenn es Ihnen möglich ist, lassen Sie Ihr Kind einen Tag zu Hause oder richten einen Opa/Oma-Tag ein. Manchmal sind fünf Tage einfach anstrengend und es hilft dem Kind, die anderen Tage zu meistern, da es sich auf diesen Tag freuen kann. Und die Tage vergehen schneller, es fällt dem Kind leichter, in der Einrichtung zu sein, und es findet immer mehr Dinge, die ihm gefallen.

Gruppenwechsel

Manchmal stimmt die Chemie einfach nicht. Da hilft vielleicht ein Gruppenwechsel. Hier hat das Kind die Chance, in dem bekannten Umfeld neue Erfahrungen zu machen, die seine Sicht auf die Dinge ändern können. Geben Sie Ihrem Kind Zeit, sich an die neuen Lösungen zu gewöhnen, diese anzunehmen und zu verinnerlichen.

Wenn das nun alles über einen längeren Zeitraum ausprobiert wurde und keinerlei Besserung bringt, dann sollten Sie den Einrichtungswechsel beginnen. Es sind prägende Jahre und diese sollten so positiv wie möglich gestaltet werden.

Anika Schunke wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Karlsruhe. Hauptberuflich ist sie als Erzieherin tätig. Darüber hinaus ist sie Autorin und Referentin mit dem Schwerpunkt Bewegung.

Expertin rät: Dann macht ein Kita-Wechsel Sinn

Wenn sich ein Kind im Kindergarten nicht wohlfühlt, muss das nicht bedeuten, dass die Einrichtung nicht passt. Erzieherin Anika Schunke gibt Tipps, wie man Kindern helfen kann und ab wann ein Wechsel sinnvoll ist.

Ein Einrichtungswechsel ist immer möglich, jedoch eine heikle Sache. Denn wer weiß, wann ein Platz frei ist und ob sich das Kind in dieser Einrichtung dann wohl fühlt. Erfahrungsgemäß gibt es Kinder, die, wenn sie die Wahl haben, immer zu Hause bleiben wollen. Wann sollte also ein Wechsel in Betracht gezogen werden?

Bevor man das Prozedere „Einrichtungswechsel“ startet, sollten folgende Lösungsansätze ausgeschöpft werden:

Gespräche

Der wichtigste Schritt ist der, auf die Fachkräfte zuzugehen. Besprechen Sie Ihre Sorgen, lassen Sie sich erzählen, was Ihr Kind macht, wenn es in der Einrichtung ist. Besprechen Sie, was getan werden kann, um dem Kind das Ankommen zu erleichtern. Hierbei helfen Kuscheltiere und feste Abschiedsrituale meist am besten. Zum Beispiel können Sie selbst mit Ihrem Kind ein Puzzle machen, ihm das Frühstück auspacken helfen, Sie können von außen zum Abschied noch einmal winken, das Kind kann für Sie ein Bild malen, die Fachkräfte kümmern sich die erste Zeit etwas intensiver um das Kind oder Sie holen es früher ab. Es gibt viele Möglichkeiten, solche Situationen zu gestalten. Vielleicht kann Ihr Kind sagen, was hilft, was es braucht und möchte. Sprechen Sie mit anderen Eltern aus der Gruppe. Diese können Ihnen auch ein Bild davon geben, was das Kind macht und ob es sich wirklich nicht wohl fühlt.

Pausentag

Wenn es Ihnen möglich ist, lassen Sie Ihr Kind einen Tag zu Hause oder richten einen Opa/Oma-Tag ein. Manchmal sind fünf Tage einfach anstrengend und es hilft dem Kind, die anderen Tage zu meistern, da es sich auf diesen Tag freuen kann. Und die Tage vergehen schneller, es fällt dem Kind leichter, in der Einrichtung zu sein, und es findet immer mehr Dinge, die ihm gefallen.

Gruppenwechsel

Manchmal stimmt die Chemie einfach nicht. Da hilft vielleicht ein Gruppenwechsel. Hier hat das Kind die Chance, in dem bekannten Umfeld neue Erfahrungen zu machen, die seine Sicht auf die Dinge ändern können. Geben Sie Ihrem Kind Zeit, sich an die neuen Lösungen zu gewöhnen, diese anzunehmen und zu verinnerlichen.

Wenn das nun alles über einen längeren Zeitraum ausprobiert wurde und keinerlei Besserung bringt, dann sollten Sie den Einrichtungswechsel beginnen. Es sind prägende Jahre und diese sollten so positiv wie möglich gestaltet werden.

Anika Schunke wohnt mit ihrer Familie in der Nähe von Karlsruhe. Hauptberuflich ist sie als Erzieherin tätig. Darüber hinaus ist sie Autorin und Referentin mit dem Schwerpunkt Bewegung.

Tochter (4) zofft sich im Kindergarten – So werden Eltern wieder Herr der Lage

Das Kind hat keine Lust auf die KiTa, weil es sich dort andauernd streitet? Expertin Daniela Albert sagt: Dem sollten Eltern auf den Grund gehen.

„Meine Tochter (4) streitet sich ständig mit einem Mädchen in ihrem Kindergarten. Laut der Erzieherin handelt es sich dabei um Lappalien, etwa, dass beide zur gleichen Zeit dasselbe Spielzeug haben oder in dieselbe Rolle schlüpfen wollen. Nun setzt es ihr so zu, dass sie manchmal gar nicht in den Kindergarten gehen will. Wie kann ich ihr helfen?“

Zunächst finde ich es wichtig, dass die Gefühle Ihrer Tochter ernst genommen werden. Es mag sein, dass ein Streit um dasselbe Spielzeug oder die Frage danach, wer welche Rolle im gemeinsamen Spiel haben darf, für Erwachsene nach einer Lappalie klingt. Für Kinder in diesem Alter sind solche Fragen aber sehr wichtig. Miteinander spielen und interagieren ist ja die Hauptaufgabe unserer Kinder im Kindergarten. Außerdem verbringen sie dort einen großen Teil ihres Tages. Wenn es immer wieder zu Konflikten mit demselben Kind kommt, dann ist es normal, dass ihre Tochter wenig Lust hat, sich dieser Situation auszusetzen.

Wie laufen die Streitereien ab?

Sie können noch einmal das Gespräch mit den Erzieherinnen suchen und etwas mehr über die Streitereien zwischen den Mädchen in Erfahrung bringen: Interessant wäre zu wissen, wie diese ablaufen. Finden die beiden gemeinsam Kompromisse oder gibt es ein Ungleichgewicht bei der Frage, wer zurückstecken muss? Welche Rolle nehmen die Erzieherinnen in diesen Konflikten ein? Wie wird zwischen den beiden Mädchen vermittelt? Welche anderen Spieloptionen hat Ihre Tochter im Kindergarten, wenn das Zusammensein mit diesem Mädchen so schwierig für sie ist?

Es kann zum Beispiel sein, dass es Ihrer Tochter schwerer fällt, ihren Standpunkt zu vertreten, weil das andere Mädchen besser in der Lage ist, zu argumentieren. Die Spanne der sprachlichen Fähigkeiten geht in diesem Alter weit auseinander. Gerade deshalb werden Konflikte oft auch noch körperlich ausgetragen, was entweder dazu führt, dass Ihre Tochter sich häufig unterlegen fühlt oder aber, dass sie die Stärkere ist und deswegen mit ihr häufiger geschimpft oder sie bestraft wird. In diesem Fall wäre gar nicht der Streit mit dem anderen Mädchen das eigentliche Problem, sondern die Reaktionen der Erwachsenen.

Diskutieren üben

Daneben können Sie Ihre Tochter aber auch zu Hause im Alltag unterstützen: Bei Konflikten zwischen Kindern in diesem Alter geht es ja immer auch um das Erlernen von Verhandeln und von Kompromissbereitschaft. Beides können Sie gut mit Ihrer Tochter üben. Wenn Sie beide unterschiedlicher Meinung über Dinge im Familienalltag sind, ermutigen Sie Ihre Tochter ruhig einmal, ihren Standpunkt auszudrücken und schenken Sie ihr Gehör. Gerade bei Dingen, die Ihnen nicht ganz so wichtig sind, lassen Sie sie auch einmal die Erfahrung machen, dass ihre Worte etwas bewirken können.

Ebenso können Sie Situationen, die im Kindergarten mit dem anderen Mädchen auftreten, zu Hause nachbesprechen. Und Sie können mit Ihrer Tochter zusammen überlegen, welche Kompromisse Ihnen zu den jeweiligen Themen einfallen. So bekommt sie Lösungsideen, auf die sie im Kindergarten zurückgreifen kann.

Daniela Albert ist Erziehungswissenschaftlerin und Eltern– und Familienberaterin (familienberatung-albert.de). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Kaufungen. 

Gehörlose Mutter: So meistert Influencerin Christine ihren Alltag

Instagram-Influencerin und Mutter Christine Eggert ist gehörlos zur Welt gekommen. Ihr Alltag bewegt sich zwischen Ablehnung und Mutterstolz.

„Gebärdensprache ist die schönste Sprache“, schreibt die 30-jährige Christine Eggert auf ihrem Instagram-Profil. Und: „Ich bin stolz, taub zu sein. So, wie ich lebe, bin ich stolz.“ Die zweifache Mama aus dem kleinen Ort Hettstadt bei Würzburg hat auf Instagram fast 40.000 Follower. Auf ihrem Account „_chocosecret_“ postet sie täglich über Lifestyle-Themen wie Mode, Beauty oder Reisen – und über ihre Gehörlosigkeit.

Das war nicht immer so: Als sie 2014 ihren Account startete, verlor sie in ihren Posts kein Wort darüber, dass sie taub ist. Erst knapp vier Jahre später wagte sie das „Outing“: „Ich habe lange überlegt“, signalisiert Christine ihrer Freundin, die sie heute als „Übersetzerin“ eingeladen hat, auf Gebärdensprache. Grund zu zögern hatte sie: „In meinem Alltag habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich Hörende zurückziehen, wenn sie mit uns Gehörlosen konfrontiert werden.“ Versucht sie Hörende, die sie nicht kennen, etwas zu fragen, komme es vor, dass sie einfach stehen gelassen wird. „Viele reagieren schockiert und gehen weg“, berichtet Christine. „Das ist typischer Alltag für mich: Viele geben sich überhaupt keine Mühe, mit mir zu kommunizieren.“

Vater lernte nie Gebärdensprache

Auch in ihrer Familie habe sie sich oft als Außenseiterin gefühlt, erzählt Christine. Ihre Eltern haben nicht gewusst, wie sie mit der Gehörlosigkeit ihrer Kinder umgehen sollen. Bis heute könne ihr Vater keine Gebärdensprache, ihre Mutter und ihre Schwester nur rudimentär. Auch ihr kleiner Bruder ist taub zur Welt gekommen, spreche aber mehr als sie, so Christine.

Ihre Befürchtung, auch ihre Instagram-Follower könnten sie wegen ihrer Gehörlosigkeit ablehnen, hat sich nicht bestätigt: „Einige haben sich sogar dafür interessiert, die Gebärdensprache zu lernen“, sagt Christine. Wir sitzen im hell und clean eingerichteten Wohn- und Esszimmer der Eggerts. Christines zweijähriger Sohn Levian schläft, Töchterchen Emilie ist in der Nachmittagsbetreuung ihrer Grundschule. Bevor sie Mama wurde, hat Christine eine Ausbildung zur Köchin gemacht. „Ich war sehr unsicher mit meiner Berufswahl und habe nur Party im Kopf gehabt, keine Ziele“, erinnert sie sich.

Während ihrer Ausbildung lernt sie ihren Mann Ringo kennen, der auch taub ist. Sie zieht nach Nürnberg, wo Ringo eine Arbeitsstelle gefunden hat – und drei Monate später ist sie schwanger. „Das war nicht geplant“, erzählt sie. „Es war eine harte Zeit, alles ging so schnell und wir mussten uns entscheiden, ob wir das Kind behalten wollen. Ich war erst 21 Jahre alt.“

Implantat oder nicht?

Ihr Gefühl habe ihr gesagt, dass ihr Kind hören können wird, sagt Christine. Als Tochter Emilie zur Welt kommt, ist sich der Arzt nicht sicher. Nach sechs Monaten wird bei Emilie unter Narkose ein Hörtest gemacht. Das Ergebnis: Emilie ist komplett gehörlos. „Ich war schockiert und konnte das erst nicht akzeptieren“, sagt Christine. „Ich wollte Emilie gleich Cochlea-Implantate einsetzen lassen, Ringo war erst skeptisch.“ Solche Implantate ermöglichen tauben Menschen das Hören und damit auch den Spracherwerb. Aber sollte ein Implantat mal einen Defekt haben, müsste Emilie wieder operiert werden.

Christine hat selbst ein Implantat auf einem Ohr. Die Erfahrung, die sie bei der Operation als Siebenjährige gemacht hat, hielt sie davon ab, ein zweites Implantat einsetzen zu lassen: „Es war ein Schock für mich, nach der Operation auf einmal mit einem Verband am Kopf aufzuwachen.“ Vor der Operation habe ihr niemand verständlich erklärt, was mit ihr geschehen würde.

Später sei sie natürlich überglücklich gewesen, als sie schließlich hören konnte, sagt Christine. Doch ihre Sprachentwicklung konnte sie nicht mehr aufholen: „Ich war sehr faul mit dem Sprechen“, sagt Christine. „Es war mir nicht so wichtig, besonders als 2002 die Gebärdensprache anerkannt wurde.“ Ohne ihr Implantat, sagt Christine, könnte sie nicht leben. Auch wenn sie es in der Tasche lasse, wenn sie allein zu Hause oder nur mit Gehörlosen zusammen ist.

Kindergarten für Hörgeschädigte ist keine Lösung

Durch Christines Wohnung schießen Lichtblitze: Ihr „Alarm“, der signalisiert, dass ihr Sohn aufgewacht ist. Wenige Minuten später machen sich alle auf den zwanzigminütigen Fußweg zu Emilies Schule. Mit ihrer pinkfarbenen Schultasche kommt Emilie durchs Schultor gerannt. Ein Erzieher ruft ihr etwas hinterher. Emilie dreht sich um: „In Ordnung!“ Sie versteht und spricht ausgezeichnet. Einziger Hinweis darauf, dass sie taub ist, sind die beiden Implantate, die man unter ihren langen, braunen Haaren erst auf den zweiten Blick sieht.

„Mit der Sprache hat sich Emilie als Kleinkind schwergetan. Sie hat nur mit Gebärdensprache kommuniziert.“ Als Emilie zwei Jahre alt ist, findet Christine Arbeit im Frühstücksservice eines Hotels. Die kleine Familie ist inzwischen aus Nürnberg weg- und zurück in die Nähe beider Eltern gezogen. „Ich habe Emilie im Kindergarten für Hörgeschädigte angemeldet, aber das hat nicht gut funktioniert“, erzählt Christine. „Zu Hause hat sie viel gebärdet, aber im Kindergarten und nach außen hin war sie sehr verschlossen.“

Glücklich in der Regelschule

Ein bilingualer Kindergarten in Würzburg war die Lösung: „Emilie konnte mit und ohne Gebärdensprache sprechen und war glücklich“, erinnert sich Christine. Heute geht Emilie in die Regelschule am Ort und hat dort einen Dolmetscher. „Sie spricht sehr gut und will nicht in die Schule für Gehörlose“, sagt Christine. „22 Kinder ihrer Schulklasse lernen durch sie sogar Gebärdensprache – ich bin sehr stolz auf sie.“

Nach der Nachmittagsbetreuung gehen Christine und ihre Kids regelmäßig zum Bäcker. So auch heute – Emilie führt an und hat ihren kleinen Bruder auf seinem Kinderfahrrad stets im Blick. Beim Bäcker bestellt sie für alle und vergewissert sich bei ihrer Mama auf Gebärdensprache, dass auch nichts fehlt.

Levian wächst zweisprachig auf

Wenig später geht’s zum Spielplatz. Auf dem Weg sieht Emilie immer wieder Freunde aus der Nachbarschaft, grüßt und winkt. „Emilie möchte nicht als Gehörlose wahrgenommen werden, sondern als Hörende“, sagt Christine. „In der Öffentlichkeit gebärdet sie nicht so gern und sie will ihre Haare lieber offen tragen, um ihre Implantate zu verstecken.“ Christine ist froh, sich früh für die Implantate für Emilie entschieden zu haben: „Freunde haben mich gewarnt, dass Emilie sich eines Tages ärgern könnte, aber so ist es nicht: Sie liebt ihre CIs und trägt sie von morgens bis abends.“

Genau wie Emilie hat auch Levian im Alter von einem Jahr zwei Cochlea-Implantate bekommen, denn auch er ist von Geburt an gehörlos. „Levian war ein Wunschkind“, erzählt Christine. „Wir hätten gern noch mehr Kinder gehabt, aber da nun auch Levian taub zur Welt gekommen ist und die CI-Operationen so anstrengend sind, haben wir uns gegen weitere Kinder entschieden.“

Wie Emilie wird Levian „zweisprachig“ aufwachsen. Vormittags kommt die Frühförderung ins Haus und bringt ihm bei, mit dem Mund zu sprechen. Für den Rest des Tages kümmern sich seine Eltern darum, dass er auch mit Mimik und Händen sprechen kann. „Bis jetzt hat er keine Lust zu sprechen, und er gebärdet noch wenig“, sagt Christine. „Er hört wie ein ganz normales Kind, aber er muss sich erst langsam an Töne gewöhnen und Geräusche kennenlernen.“

„Taubstumm“ ist eine Beleidigung

Dank CIs und der frühen Förderung werden Christines Kids nicht mit Situationen zu kämpfen haben, die für Christine zum Alltag gehören: Emilie und Levian werden beispielsweise problemlos ohne Dolmetscher beim Notarzt erklären können, was ihnen fehlt. „In Deutschland gibt es für Gehörlose noch sehr viele Barrieren“, sagt Christine. „Wir leben in einer modernen Zeit, und doch ist die Zeit in vieler Hinsicht zurückgeblieben.“ Rückständig sei etwa der Begriff ‚taubstumm‘: „Eine Beleidigung“, sagt Christine. „Schließlich sprechen wir sehr wohl – nur eben mit Gebärdensprache.“ Diese kennt übrigens auch Dialekte, in jedem Land gibt es andere Zeichen.

„Viele Unternehmen möchten keine gehörlosen Mitarbeiter einstellen, die nur mit Gebärdensprache sprechen können“, sagt Christine. „Dass sich Gehörlose viel besser auf ihre Arbeit konzentrieren, gerade weil sie nicht hören und daher weniger abgelenkt sind, sehen Firmen meist nicht.“ Als Christines Mann in der Corona-Krise seinen Job als Fensterbauer verlor und drei Monate lang arbeitslos war, wurde Christines Einkommen als Instagram-Influencerin dringend gebraucht. „Es war eine Unterstützung, aber allein davon können wir nicht leben“, sagt Christine. Sie könnte erfolgreicher sein, wenn sie die Gesichter ihrer Kinder auf den Fotos zeigen würde. Das komme für sie aber nicht in Frage: „Auf Social Media gibt es Menschen, die Hass verbreiten“, erklärt sie. „Meine Kinder zu zeigen, wäre mir zu unsicher.“ Inzwischen hat ihr Mann eine neue Arbeitsstelle gefunden, und der Familien-Rhythmus hat sich wieder eingependelt. „Familie ist das wahre Glück des Lebens“, schreibt Christine in einem ihrer Posts. Dieses Glück hat sie gefunden.

Nadine Wilmanns ist Lifestyle-Journalistin, -Fotografin und Modedesignerin. Auf ihrem Blog nadinewilmanns.com schreibt sie über Kreativität und Fotografie. Sie lebt in Metzingen und in London.

Recht auf Bildung versus Angst ums Kind: Darum sind Kinderrechte umstritten

Kinderrechte im Grundgesetz – was sollte man da schon gegen haben? Eine Menge, finden Kritiker. Wir zeigen, was dafür spricht – und was dagegen.

In Deutschland gibt es seit Jahren eine Diskussion darüber, ob die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollen. Die Befürworter sehen darin unter anderem die Chance, das Kindeswohl zu stärken und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungen rechtlich abzusichern. Die Kritiker befürchten vor allem, dass die Rechte der Eltern zugunsten des Staates eingeschränkt werden. Wir haben zwei Menschen, die sich für Kinder und Familien engagieren, gefragt, welche Haltung sie vertreten.

 

Pro: „Kinder müssen in den Fokus gestellt werden.“

Arche-Gründer Bernd Siggelkow plädiert dafür, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, damit vor allem benachteiligte Kinder stärker gehört werden.

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, denn die dortige Verankerung macht daraus eine moderne, zukunftsorientierte Verfassung und setzt gleichzeitig ein Zeichen, welche Bedeutung Kindern und Jugendlichen und deren Belangen in Deutschland beigemessen wird. Natürlich möchte ich als Gründer und auch Leiter einer Kinder- und Jugendeinrichtung die Rechte der Eltern innerhalb ihrer Familie nicht beschneiden. Unsere Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, und deswegen sollten und müssen ihre Rechte gestärkt werden.

Passus reicht nicht

Ein immer wiederkehrendes Gegenargument ist der Hinweis, dass Kinder bereits durch ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 im Grundgesetz geschützt seien. Dieser Passus reicht aber bei weitem nicht aus. Das hat auch damit etwas zu tun, dass hier nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, welche spezifischen Rechte Kinder in Deutschland haben, etwa dass ihr Wohl bei sämtlichen Maßnahmen, die sie betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist und dass Kinder in solchen Fällen beteiligt werden müssen. Es besteht daher ein enormer Bedarf, die bereits bestehenden Kinderrechte im Grundgesetz zu stärken.

Lernen wie zu Omas Zeiten

Kinder müssen in unserem Land endlich in den Fokus gestellt werden, denn die einzigen Ressourcen, die wir in Deutschland haben, sind unsere Kinder. Wir in den Archen treffen täglich auf Kinder und Jugendliche, die in fast allen Belangen benachteiligt werden. Das sind Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, denn sie kommen zumeist aus prekären Familienverhältnissen. Viele unserer Kinder sind nicht einmal mehr in der Lage, ihre Schulaufgaben zu machen, denn es fehlt an Tablets und Laptops. In den Schulen ohne einflussreiche Förderkreise gibt es zudem kein Geld für zeitgemäße Technik. Die Kinder lernen wie zu Omas Zeiten.

Keine Lobby

Keiner beschwert sich darüber, denn diese Kinder haben keine Lobby. Auch scheitern viele Kinder in den Schulen schon an einfachen Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Lesen und Schreiben. Der Lehrkörper richtet sich nach den Schülerinnen und Schülern, die ohne Probleme dem Lehrstoff folgen können. So haben wir es später mit hunderttausenden jungen, funktionalen Analphabeten zu tun. Menschen also, die nicht wirklich lesen und schreiben können.

Nie im Restaurant

Würden Kinderrechte im Grundgesetz verankert sein, könnten Eltern und Kinder den Staat verklagen, weil der seiner Ausbildungspflicht nicht nachkommt. Ich könnte jetzt zahlreiche weitere Punkte aufzählen, aber dafür reicht bei weitem der Platz nicht. Doch eine weitere Sache brennt mir noch auf der Seele. Viele unserer Arche-Besucher, auch die älteren Jugendlichen, waren noch nie in einem Restaurant, noch nie in einem Theater oder Kino. Urlaub, zum Beispiel eine Auslandsreise – davon dürfen unsere Kinder nur träumen. Und so wachsen sie Jahr für Jahr außerhalb unserer Gesellschaft auf.

Vor einige Wochen schenkte ein langjähriger Arche-Unterstützer einem 17-jährigen Mädchen für deren Familie einen Gutschein für einen Restaurantbesuch. Das Mädchen war sehr verunsichert und fragte mich: „Du Bernd, was muss ich damit machen, muss ich das jetzt irgendwo anmelden?“ Sie war noch nie in einem Restaurant. Das Mädchen kann übrigens sehr gut lernen und macht gerade Abitur, eine Ausnahme unter den Kindern der Arche. Aber sie wusste nicht, wie man außerhalb ihrer vier Wände essen geht. So etwas macht mich sehr traurig. Wenn ich könnte, würde ich rechtliche Schritte gegen den Staat einleiten, weil er hunderttausende Jugendliche einfach vergisst. Kämpfen wir gemeinsam für mehr Rechte unserer Kinder!

Bernd Siggelkow ist Vater von sechs Kindern. Er ist Gründer und Leiter des Kinderhilfswerks Arche, das in Deutschland, Polen und der Schweiz an 28 Standorten Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Verhältnissen fördert und unterstützt.

 

Kontra: „Nicht abschätzbare Folgen“

Rebekka Hofmann sorgt sich, dass eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz Folgen für die Freiheit und Verantwortung der Eltern haben könnte.

Kinderrechte ins Grundgesetz – könnte dies ein Türöffner sein, das bisher ausgewogene Verhältnis zwischen der grundlegenden Verantwortung von Eltern und der Wächterfunktion des Staates zulasten der Familien zu verändern?

Verantwortung der Eltern

Als Mutter von drei Kindern, geht es mir – hier spreche ich stellvertretend für viele Eltern – um die Pflicht und Verantwortung zur Erziehung meiner Kinder, der ich mit meinem Mann persönlich nachkommen möchte. Meines Erachtens gibt mir der Artikel 6 in unserem Grundgesetz die Freiheit und auch die Rechtsgrundlage dazu, und so hinterfrage ich die Notwendigkeit zur Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz. Auch Experten einzelner Juristenverbände weisen eindringlich darauf hin, dass die Wächterfunktion des Staates gegenüber Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen können oder wollen, bereits jetzt verfassungsrechtlich abgesichert ist. Deren Umsetzung muss eher durch Veränderungen von Rahmenbedingungen verbessert werden als durch eine Ergänzung von Kinderrechten. Deutschland sollte auch nicht aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 mit Ländern verglichen werden, in denen bisher nicht einmal Menschenrechte geachtet werden und Kinder aus diesem Grund ganz offensichtlich dringend erweiterten, rechtlichen Schutz benötigen.

Keine Krippenpflicht

Die Forderung, „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“, die Olaf Scholz 2002 angesichts des Ausbaus der Kinderbetreuung geäußert hat, lässt mich aufhorchen und ahnen, dass es beim Thema Kinderrechte um weit mehr geht als darum, ein gefährdetes Kindeswohl demnächst zuverlässiger abwenden zu können. Ein Beispiel: Wir haben unsere Kinder aus Überzeugung in den ersten drei Lebensjahren zu Hause betreut und sehen diese Freiheit in Zukunft gefährdet. Denn ein so genanntes Kinderrecht auf Bildung könnte die Einführung einer KiTa- oder sogar Krippenpflicht zur Folge haben. Werden wir Eltern uns dann als „Bildungsverweigerer“ unserer Kinder verantworten müssen? Wie viel Freiheit und Mündigkeit werden uns in den Entscheidungen für die Belange unserer Kinder noch zugestanden? Welche Erziehungsfehler sind noch tolerierbar und als rein menschlich begründet anzusehen? An welchem Punkt gelten Eltern als verantwortungslos, und wer entscheidet darüber?

Einfluss des Staates

In Norwegen sind Kinderrechte schon länger gesetzlich verankert. Neben den positiven Folgen resultiert daraus leider auch die Zunahme von Inobhutnahmen durch die Kinderschutzbehörde Barnevernet, und es wird vermehrt in Familien eingegriffen und Kinder aufgrund nicht oder kaum nachvollziehbarer Gründe von ihren Eltern getrennt.

Hier geht es nicht um die von der UN geforderten Grundrechte für Kinder, die bereits in unserem Grundgesetz verankert sind, sondern um die zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht abschätzbaren Folgen, die ein weiter verstärkter Einfluss des Staates mithilfe der Kinderrechte auf das Familienleben in unserem Land haben könnte. Dass dann auch intakte Familien durch ein gezieltes Aushebeln der Elternrechte betroffen sein könnten, ist nicht auszuschließen. Das sehe ich problematisch.

Schon mehrfach wurde diese Thematik in unseren Regierungen debattiert. Und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein. Deshalb möchte ich ermutigen, wachsam zu bleiben und genau hinzuschauen, welche Bestrebungen den Familien und damit auch den Kindern in unserem Land wirklich dienen.

Rebekka Hofmann hat mit ihrem Mann drei Kinder. Sie ist Mitgründerin von Nestbau e.V.. Der Chemnitzer Verein informiert, berät und unterstützt Eltern, die ihre Kinder in den ersten drei Jahren gern selbst betreuen wollen.

 

Die Hintergründe

Vor gut 30 Jahren, im November 1989, wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes verabschiedet. In den Jahren darauf haben – bis auf die USA – alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen diese Konvention für sich ratifiziert.

Zu den Kinderrechten gehören: das Recht auf Gleichheit, auf Gesundheit, Bildung, Spiel und Freizeit, freie Meinungsäußerung und Beteiligung, Schutz vor Gewalt, Zugang zu Medien, Schutz der Privatsphäre und Würde, Schutz im Krieg und auf der Flucht sowie besondere Fürsorge und Förderung bei Behinderung.

Engagierte Organisationen

Seit Jahren gibt es nun in Deutschland das konkrete Bestreben, die Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Dafür engagieren sich besonders Organisationen wie UNICEF Deutschland, der Deutsche Kinderschutzbund, das Deutsche Kinderhilfswerk und die Deutsche Liga für das Kind.
Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die aktuelle Legislaturperiode enthält im Kapitel „Familie“ die Formulierung: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“

Bisherige Formulierung

Diese Arbeitsgruppe hat bis Oktober 2019 verschiedene Optionen erarbeitet, wie die Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden können. Dabei geht es im Wesentlichen um eine Ergänzung des Artikels 6. Darin heißt es bisher: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.“

Neuer Entwurf

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat daraufhin einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vorsieht, folgenden Absatz im Artikel 6 zu ergänzen: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Dieser Entwurf geht den Befürwortern nicht weit genug, den Kritikern geht er zu weit. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis hier eine Lösung gefunden wird.

Bettina Wendland

Nicht auf Kosten der Kinder

Wie finden wir ein partnerschaftliches Familienmodell, das allen Beteiligten gerecht wird? Und das auch so etwas wie ein „christliches“ Familienmodell ist? Von Jutta Koslowski

„Meine Rolle, deine Rolle. Gibt es ein ‚christliches‘ Familienmodell?“ – So titelte Family im Herbst 2018. Dazu erschien ein Artikel, der aufräumt mit überkommenen Rollen-Klischees – und das ist gut so. Wir Christen neigen ja manchmal dazu, den gesellschaftlichen Entwicklungen etwas hinterherzuhinken, anstatt für andere wegweisend zu sein. Und so ist es höchste Zeit, Abschied zu nehmen von der Vorstellung, dass die traditionelle Rollenverteilung mit einer göttlichen Ordnung gleichzusetzen ist. „Kinder – Küche – Kirche“: Für viele Frauen ist das nicht mehr ausreichend, auch in christlichen Kreisen. „Kinder – Krippe – Karriere“ heißt dann der neue Lebensentwurf. Bleibt nur die Frage, wie die Aufgaben zwischen den Ehepartnern konkret verteilt werden – allen voran die Aufgabe der Kinderbetreuung.

DIE BESTEN STUNDEN DES TAGES

Mir war schon vor unserer Hochzeit vor 25 Jahren klar, dass es mir viel bedeutet, in meinem Beruf zu arbeiten. Ich wollte Theologie studieren und Pfarrerin werden. Und ich wollte Kinder haben – mindestens vier. Dabei bin ich der Meinung, dass Kinder am besten in ihrer Familie aufgehoben sind, also von Mutter und Vater und allenfalls noch den Großeltern betreut werden sollten. Zwar habe auch ich mit einer Tagesmutter experimentiert. Manche Eltern machen damit ja gute Erfahrungen, aber für mich war es eher schwierig.

Jeden Tag habe ich auf den Moment ihrer Ankunft hingelebt und mich bemüht, dass alles dafür bereit war: die Kinder satt, frisch gewickelt und ausgeschlafen, die Küche aufgeräumt. Dann hat die Tagesmutter die besten zwei Stunden des Tages mit meinen Kindern verbracht; und wenn ich abends zurückkam, habe ich wehmütig die Duplo-Bauwerke und Sandkuchen bewundert, die während meiner Abwesenheit entstanden waren – bevor ich mich dann ans Abendessen und Zubettbringen gemacht habe. Und es gab noch ein Problem: Entweder bauen meine Kinder eine intensive Beziehung zu einer vorübergehenden Bezugsperson auf – dann ist es ein Verlust für sie, wenn diese die Familie wieder verlässt; oder sie bauen keine intensive Beziehung auf – das ist mir ebenfalls nicht recht.

NASEN UND KLOS PUTZEN

Schließlich wurde mir klar: Was ich wirklich brauche, ist jemand, der bei meinen Kindern bleibt, auch wenn sie krank und ungezogen sind. Der sich nicht nur um die Betreuung kümmert, sondern zugleich um den Haushalt. Der Nasen und Klos putzt, den Rasen mäht und Verabredungen mit Freunden organisiert. Wer kann so etwas schaffen? Niemand anders als der Papa! Und wie ist das möglich? Nur durch Teilzeitarbeit. Deshalb habe ich so lange auf meinen Mann eingeredet, bis er sich dazu bereit erklärt hat, seine Arbeitszeit zu reduzieren. Wir einigten uns, in Zukunft beide nur noch „halbtags“ zu arbeiten. Das musste mein Mann seinem Chef klarmachen. „Geht nicht“, konterte der, „ich will Sie zu meinem Nachfolger aufbauen, da müssen Sie ganz zur Verfügung stehen.“ Das ging so lange, bis mein Mann ihm eines Morgens das Kündigungsschreiben auf den Schreibtisch legte (ohne eine neue Arbeitsstelle in Aussicht zu haben). An diesem Tag kam er mit dem Vertrag für eine Teilzeittätigkeit nach Hause. Das hat der Arbeitgeber nie bereut, denn nun ging mein Mann jeden Morgen hochmotiviert aus dem Haus, war fast nie krank und hatte seine Work-Life-Balance gefunden.

ALLES, WAS MAN BRAUCHT

Und wie sah es mit unserem Geld aus? Während meiner Promotion habe ich nichts verdient. Konnten wir als fünf-, später sechsköpfige Familie von einem halben Gehalt leben? Ja, wir konnten! Das liegt zum einen daran, dass wir einen qualifizierten und gut bezahlten Beruf haben. Andererseits lagen wir mit einem halben Gehalt unterhalb der offiziellen „Armutsgrenze“ und hatten Anspruch auf Sozialleistungen. Dabei würde ich noch nicht einmal sagen, dass wir besonders gelitten haben. Wir sind zum Beispiel mehrmals im Jahr in den Urlaub gefahren. Diese gemeinsamen Zeiten waren uns immer sehr wichtig; allerdings haben wir sie unkonventionell und preiswert gestaltet. Einmal, als die Familienkasse leer war, haben wir unseren Kindern gesagt: „Wir fahren in den Sommerferien nach Italien – dann eben ohne Geld.“ Ein paar Nächte haben wir am Strand unter dem Sternenzelt verbracht, bis unsere Kinder protestierten, dass wir wie Obdachlose hausten und auf eigene Faust einen günstigen Campingplatz ausfindig machten.

Wir haben ein alternatives Familienmodell gelebt, für das wir uns niemanden zum Vorbild nehmen konnten: Seit vielen Jahren arbeiten wir beide halbtags und kümmern uns partnerschaftlich um Haushalt, Kinder und alle anderen Aufgaben. Zwischendurch gab es auch Phasen, wo mein Mann wieder in Vollzeit arbeitete. In dieser Zeit haben wir gut verdient – dennoch war am Ende des Monats nicht mehr Geld übrig als zuvor. Im Lauf der Jahre haben wir etliche Male die Situation erlebt, dass sich unser Brutto-Einkommen von einem Tag auf den anderen um mehr als tausend Euro erhöht oder erniedrigt hat, ohne dass sich das nennenswert auf unser Netto-Einkommen ausgewirkt hätte. Daraus habe ich meine persönliche Wirtschafts-Theorie entwickelt: nämlich, dass man eigentlich immer so viel Geld zur Verfügung hat, wie man braucht. Zugegeben, das passt in kein Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre – aber dafür zur Erfahrung des Apostels Paulus: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“ (Philipper 4, 11–13).

ROLLENTAUSCH

Als unser viertes Kind geboren wurde, haben wir unsere Rollen für eine Weile ganz getauscht: Drei Jahre ist mein Mann in Elternzeit gewesen, weil ich in dieser Zeit mein Vikariat als Pfarrerin absolviert habe – eine Aufgabe, die nur in Vollzeit möglich war. Inzwischen sind wir wieder beide bei unserer 50-50-Rollenverteilung angekommen. Seit alle unsere Kinder am Vormittag im Kindergarten oder in der Schule sind, ist unser Leben einfacher geworden: Wir arbeiten täglich zwischen 8 und 13 Uhr, und am Nachmittag sind wir beide zu Hause und können uns um unsere Kinder kümmern – wobei wir einen traumhaften „Betreuungsschlüssel“ von 2:1 haben und fast jeden Nachmittag auch noch Zeit finden, gemeinsam in der Sonne zu sitzen und einen Kaffee zu trinken …

Mein Mann ist in unserer Familie eher der „Außenminister“, der viele der täglich anfallenden Fahrten übernimmt, während ich die „Innenministerin“ bin, die sich um Dinge wie Haushalt, Schulaufgaben, Musikinstrumente üben kümmert. Andererseits gibt es ein paar Bereiche, wo die klassische Rollenverteilung bei uns eher umgekehrt ist, weil dies unseren Fähigkeiten und unserer Persönlichkeit mehr entspricht. So kocht mein Mann das Essen; dafür greife ich fast täglich zum Werkzeugkasten.

Wichtiger als das Urteil anderer ist die Frage, wie wir innerhalb unserer Familie mit unserer Aufgabenteilung zurechtkommen. Um ehrlich zu sein: Das ist nicht einfach. Sicherlich hat unser Modell manche Vorteile. Allen voran, dass wir nicht in getrennten Lebenswelten leben, sondern dass mein Mann die Telefonnummer unseres Kinderarztes ebenso kennt wie ich. Der größte Nachteil besteht für mich im Verlust von Autonomie im Umgang mit unseren Kindern. Denn natürlich ist mein Mann nicht einfach nur da, sondern er bestimmt mit. Mir scheint, dass ich die einzige Mutter weit und breit bin, die nicht darüber entscheiden kann, ob ihr Kind an einem nasskalten Herbsttag ein Unterhemd anziehen soll …

KINDERTRÄNEN VERMEIDEN

Eins aber steht für mich fest: Der Lebensentwurf, den wir wählen, darf nicht auf Kosten unserer Kinder gehen! Denn für unsere Kinder haben wir uns entschieden, und sie sind besonders schutzbedürftig. Das Kindeswohl muss an oberster Stelle bei allen Entscheidungen stehen.

Einige Kinder fühlen sich tatsächlich wohl bei der Tagesmutter oder in der Kinderkrippe. Aber andere nicht. Ich habe etliche Jahre in einem Kindergarten als Erzieherin gearbeitet. Da konnte ich beobachten, wie manche Kinder auch noch nach Monaten vor allem eine Frage auf dem Herzen hatten: „Wann kommt meine Mama? Wann werde ich abgeholt?“ Natürlich hören die meisten Kinder mehr oder weniger schnell auf zu weinen, wenn man sie mit festem Entschluss abgegeben hat. Aber warum? Weil es in Wirklichkeit doch gar nicht so schlimm ist, wenn Mama und Papa fort sind? Vielleicht versiegen ihre Tränen ja auch, weil sie ihre Ohnmacht erkennen: Meine Eltern sind fort und kommen nicht wieder – auch mit herzzerreißendem Weinen kann ich daran nichts ändern. Aber will ich tatsächlich, dass mein Kind eine solche Lektion der Hilflosigkeit oder gar Verzweiflung lernt?

Ich jedenfalls habe meinen Kindern, als sie jeweils mit drei Jahren in den Kindergarten kamen, gesagt: „Ich möchte, dass es euch hier gut gefällt und ihr glücklich seid. Wenn ihr nicht im Kindergarten bleiben wollt, dann braucht ihr nicht zu weinen; ihr braucht es mir nur zu sagen, und ich nehme euch wieder mit nach Hause oder melde euch ab.“ Zwei unserer vier Kinder haben wir tatsächlich vorübergehend wieder vom Kindergarten abgemeldet. Aber keines von ihnen hat eine einzige Träne dort vergossen. Das war es mir wert. Denn ich bin überzeugt: Tränen von Babys und Kindern bedeuten nichts anderes als bei uns Erwachsenen – sie sind Ausdruck von tiefem seelischen Schmerz. Und Kindertränen sollten wir vermeiden, wenn das Wohl des Kindes im Mittelpunkt unseres Handelns steht.

REICHLICH BELOHNT

Gibt es ein christliches Familienmodell? Es sollte sich nicht in der Zuweisung traditioneller Rollenmodelle zwischen Mann und Frau erschöpfen. Wenn überhaupt, dann wäre es vielleicht dies: In einem christlichen Familienmodell stehen diejenigen im Mittelpunkt, die Jesus seliggepriesen hat, die Schwachen – also vor allem die Kinder (Matthäus 18, 1-5). Und nicht das Geld. Erst recht, wenn es nicht um Alleinerziehende geht, sondern um ein verheiratetes Ehepaar, stellt sich die Frage, ob es wirklich keine andere Option gibt, als ein Kind in Fremdbetreuung zu geben. Ich meine, dass wir es uns in einer Überflussgesellschaft wie der unseren in aller Regel leisten können, auf einen Doppelverdienst zu verzichten, wenn wir bereit sind, unseren Lebensstandard entsprechend zu senken.

In meiner Familie hat unser Familienmodell dazu geführt, dass wir über Jahre hinweg „arm“ waren. Wir waren auf Sozialleistungen wie Wohngeld angewiesen. Das hat manche Nachteile mit sich gebracht; andererseits haben wir erfahren, dass man auch ohne Einkommen sein Auskommen haben kann. Noch gravierender war die Tatsache, dass sowohl mein Mann als auch ich auf viele Karrieremöglichkeiten verzichten mussten, die im Rahmen einer Teilzeittätigkeit nicht zur Verfügung standen. Aber dafür wurden wir reichlich belohnt, indem wir das Gefühl haben, im Leben unserer Kinder nichts verpasst zu haben. Und wenn ich höre: „Ach ja, schon wieder ein Jahr vorbei; wie schnell die Zeit vergeht!“, dann denke ich manchmal im Stillen: Für mich fühlt sich ein Jahr eigentlich wie eine kleine Ewigkeit an, so viel habe ich in dieser Zeit erleben dürfen …

Dr. Jutta Koslowski ist Sozialpädagogin und evangelische Pfarrerin, Autorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Mainz. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder. Mit ihrer Familie lebt sie im Kloster Gnadenthal im Taunus.

Im Regen spielen!

Was macht eine Kita für Kinder zu einer guten Kita? Um das herauszufinden, hat das Berliner Institut für Demokratische Entwicklung und Soziale Integration Vier- bis Sechsjährige befragt.
Kita-Kinder wissen intuitiv sehr genau, was sie für ein gutes Aufwachsen brauchen. Die Erwachsenen in den Einrichtungen sollten sie deshalb direkt an Entscheidungen beteiligen, statt stellvertretend für sie zu sprechen. Das ist ein zentrales Ergebnis der Studie „Kita-Qualität aus Kindersicht“.

Weitere Ergebnisse: Kinder brauchen den sicheren Rahmen, der durch gemeinschaftsfördernde Rituale, verständliche Regeln und wiederkehrende Abläufe entsteht. Sie wünschen sich innerhalb dieser Strukturen aber auch „nicht-pädagogisierte“ Freiräume: Wichtig sind den Kindern zum Beispiel Geheimverstecke, in denen sie ungestört mit Gleichaltrigen spielen und ihren Interessen ohne Zeitdruck nachgehen können.

Besonders wichtig ist es für die Kinder, ihren Kita-Alltag mitbestimmen zu können: Etwas nicht essen zu müssen, beim gemeinsamen Singen nur zuhören zu dürfen oder frei zu entscheiden, wann gespielt, ausgeruht oder gegessen wird, ist für sie von besonderem Wert. Gleichzeitig schätzen die Kinder auch Regeln, die für sie verständlich sind und am besten auch mit ihnen zusammen aufgestellt werden. Dosierte Ausnahmen von solchen Richtlinien gehören aber zu ihren besonderen Highlights in der Kita – etwa dann, wenn die Kinder ausnahmsweise draußen im Sommerregen spielen dürfen.

Zudem haben die Forschenden herausgefunden, dass Kinder Situationen im Kita-Alltag besonders schätzen, in denen sie sich ausprobieren und die Auswirkungen ihrer Handlungen direkt erleben können: Kinder lieben es, ihrem Forschungsdrang nachzugehen – vor allem draußen in der Natur. Die Studie zeigt außerdem, wie groß die Bewegungsfreude von Kindern ist. Sie testen ständig ihre körperlichen Grenzen im Innen- und Außenbereich der Kita aus und genießen es, wenn es schnell, schwierig oder auch mal etwas riskant werden darf.

Besonders auffällig: Weder der materiellen Kita-Ausstattung noch den anwesenden Erwachsenen widmen die Kinder im Rahmen der Untersuchung größere Aufmerksamkeit. Dennoch spielen die frühpädagogischen Fachkräfte eine entscheidende Rolle, wenn es um die Qualitätsansprüche der Kinder geht: Aus den insgesamt zehn Qualitätsdimensionen, die die Studie identifiziert hat, ergibt sich ein äußerst komplexes Anforderungsprofil für Kita-Fachkräfte: Sie müssen einen sicheren Rahmen schaffen, der aber auch viele Freiheiten ermöglicht. Zudem sollen sie gute Anregungen geben und jedem Kind ein Gefühl von Anerkennung und Wertschätzung vermitteln. Darüber hinaus dürfen die Fachkräfte die oft unterschiedlichen Erwartungen von Kindern, Eltern, Kolleginnen und Vorgesetzen nicht aus dem Blick verlieren. Um diesen Spagat zu schaffen, brauchen sie neben einer guten Ausbildung auch genug Zeit für Reflexion und Austausch im Team sowie Anerkennung für ihre anspruchsvolle Arbeit.

Die kompletten Ergebnisse der Studie gibt es hier: www.qualitaet-vor-ort.org/quaki

Mehr Geld für Kitas

Der Deutsche Bundestag hat gestern einstimmig das „Gesetz zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung“ beschlossen. Damit können 100.000 zusätzliche Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden. Der Bund stellt den Ländern eine weitere gute Milliarde Euro für den Kita-Ausbau zur Verfügung. Das ist bereits das vierte Investitionsprogramm dieser Art.

Neu ist, dass die Investitionen auch Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt zugute kommen sollen. Bisher ging es ja immer um den Ausbau der U3-Betreuung, was zur Folge hatte, dass viele Eltern Schwierigkeiten haben, für ihr dreijähriges Kind einen Betreuungsplatz zu bekommen. Manche Eltern lassen daher ihr Kind schon mit zwei Jahren betreuen, damit es den Platz sicher hat, obwohl sie es eigentlich noch gern ein Jahr zu Hause betreut hätten.

Klingt also alles ganz gut? Nicht wirklich. Der Haken ist, dass mit diesem Programm nur in den Bau, Ausbau und die Ausstattung investiert werden kann. Natürlich ist es wichtig, dass Kinder Platz zur Entfaltung haben, dass sie in gut ausgestatteten Sport- oder Kreativräumen gefördert werden. Aber wäre es nicht viel wichtiger, in Menschen anstatt in Steine zu investieren? Was hilft der schönste Sportraum, wenn es nicht genug Erzieherinnen gibt, die mit den Kindern darin turnen können? Viel wichtiger als der Bau von Essensräumen und Spielgeräten ist meiner Meinung nach eine deutliche Verbesserung des Betreuungsschlüssels.

Mehrere Fraktionen im Bundestag drängen auf ein bundeseinheitliches Qualitätsgesetz für die Kindertagesbetreuung. Darin könnte man zum Beispiel einen einheitlichen Betreuungsschlüssel festlegen. Doch letztlich sind dafür die Bundesländer zuständig. Das heißt, es wird noch viel Zeit vergehen, bis so ein Gesetz auf den Weg gebracht werden könnte. Die Länder lassen sich nicht gern in ihre Zuständigkeiten reinreden. Bis dahin sind Eltern herausgefordert, selbst zu erkennen, wie gut oder schlecht die Betreuung in der Kita ihrer Wahl ist. Und dann dort auch einen Platz zu bekommen zu dem Zeitpunkt, den sie wählen.

Bettina Wendland

Redakteurin Family und FamilyNEXT