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Vom Kind beim Sex entdeckt – Wie Sie jetzt reagieren sollten

Das kann immer mal passieren: Mitten im Schäferstündchen platzt das Kind ins Schlafzimmer. So finden Mama und Papa die richtigen Worte.

„Unser Sohn (7) hat uns beim Sex erwischt. Wir sind uns unsicher, wie wir nun damit umgehen sollen. Wie kann man das in diesem Alter besprechen?“

In solchen Situationen sind nicht selten die Erwachsenen schockierter als die Kinder. Sprechen Sie Ihren Sohn in einer ruhigen, entspannten Atmosphäre vorsichtig an und fragen Sie, wie er das Erlebnis wahrgenommen hat.

Das kann zum Beispiel so aussehen: „Als du vorhin hereingekommen bist, hast du ja gesehen, wie dein Papa und ich nah beieinander lagen. Hast du dich da gewundert oder hast du Fragen dazu?“ Warten Sie erst einmal ab, wie Ihr Kind die Situation überhaupt erlebt hat und was es gern wissen möchte. Wenn es sich zurückhaltend zeigt, kann man noch etwas konkreter werden: „Wir haben da miteinander gekuschelt auf eine Weise, wie das nur Erwachsene machen. Das ist eine Art, wie zwei Erwachsene sich zeigen, wie lieb sie sich haben und dass sie zusammengehören. Hast du dazu noch Fragen oder kam dir etwas seltsam vor?“

Was soll ich ihm sagen? 

Das Prinzip dabei ist, möglichst locker und gelassen mit dem Thema umzugehen und zu signalisieren: Das ist etwas Normales und du darfst dazu fragen, was du möchtest. Gleichzeitig sollte man das Kind nicht mit Informationen überhäufen, mit denen es womöglich noch gar nichts anfangen kann. Man gibt also erst einmal ein kleines Häppchen Information und erkundigt sich, ob das Kind noch mehr darüber wissen möchte und welche Fragen es noch hat.

In diesem Alter ist das Interesse der Kinder an diesem Thema recht unterschiedlich ausgeprägt – manchen wird eine Erklärung wie die oben beschriebene völlig ausreichen, andere werden genauer wissen wollen, was denn bei diesem „besonderen Kuscheln“ passiert. In der Regel gilt: Wenn ein Kind konkret fragt, kommt es mit der Antwort (kindgerecht ausgedrückt, aber wahrheitsgemäß) auch zurecht. Wenn es zu viele Informationen sind oder es einfach noch nicht so relevant für das Kind ist, kommt es auch häufig vor, dass das Kind die Erklärung wieder vergisst und irgendwann erneut nachfragt und scheinbar nichts mehr von dem Gespräch weiß.

Wie kann ich es formulieren?

Hier eine mögliche Formulierung: „Männer haben ja einen Penis und Frauen eine Vagina. Wenn jetzt ein Mann und eine Frau, die sich sehr liebhaben, miteinander kuscheln, dann können auch der Penis und die Vagina miteinander kuscheln. Dazu kommt der Penis in die Vagina hinein und der Mann und die Frau können sich dabei auch küssen oder streicheln. Manchmal machen die Erwachsenen dabei auch Geräusche, weil ihnen das Kuscheln so gut gefällt. Das ist das, was du bei uns gerade mitbekommen hast. Möchtest du dazu noch etwas wissen?“

Wenn das Kind interessiert wirkt, kann man natürlich noch erklären, dass auf diese Weise auch Babys entstehen können, weil aus dem Penis Samenzellen kommen, die ein Ei im Bauch der Frau befruchten können, woraus dann ein Baby entstehen kann. Wenn das Kind aber eher den Eindruck vermittelt: „Danke, mir reicht’s!“, dann ist es ratsam, es erst einmal bei dieser Auskunft zu belassen und das Gespräch mit einem Satz wie: „Okay, wenn du dazu irgendwann noch einmal etwas wissen willst, kannst du uns gern fragen“ zu beenden.

Melanie Schüer ist verheiratet, zweifache Mutter, Erziehungswissenschaftlerin und als freie Autorin und Elternberaterin tätig.

Die Farben des Schweigens

Die Kraft und die Macht des Schweigens werden häufig unterschätzt. Stefanie Diekmann, bekennende Extravertierte, hat die Stille in der Zweisamkeit für sich entdeckt – und warnt gleichzeitig davor.

Während im Hafen ein Segler sein Boot zum Auslaufen vorbereitet, blinzeln zwei Weggefährten in die Abendsonne und schweigen. Die Beobachter kommentieren das Geschehen nicht, sie plaudern auch nicht, sie schauen einfach zu und gewinnen innerlich Abstand vom Alltag. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich – als eine der beiden Schweigenden – im Nichtsprechen so geborgen fühlen könnte.

Als Henrik und ich heirateten, waren wir eine Wortwolke: kichernd und quatschend. Missbilligend durch den Lärm unseres Austausches musterte mich damals eine ältere Dame und legte mir ihre Hand aufs Knie: „Wenn ihr erst mal 15 Jahre verheiratet seid, habt ihr auch Funkstille. Dann ist es vorbei mit dem Reden.“ Wie ist das also mit dem Schweigen? Eine zwangsläufige Entwicklung in Beziehungen?

Seelische Gewalt

Ich halte das Schweigen nach wie vor für gefährlich: Nach einem Vortrag über Begleitung von Teenagern kommt ein Vater auf mich zu. Er wolle mir eine Rückmeldung geben: „Ich sage nichts mehr zu meinem Sohn. Er hat mein Schweigen verdient. Erst wenn er sich anders verhält, rede ich wieder mit ihm!“ In Sekundenschnelle erfasse ich, dass hier kein Kontakt unterbrochen ist, sondern ein Sender das Übermitteln von Signalen beendet hatte. Auch nach verschiedenen Fragen und dem Versuch, für den ringenden jungen Menschen Verständnis zu vermitteln, bleibt der Sender abgeschaltet. Mit verschränkten Armen und stetigem Kopfschütteln verändert sich vor meinem inneren Auge der 55-jährige Vater zu einem kleinen Jungen. „Kennen Sie Schweigen von Ihren Eltern?“, frage ich tastend. Ohne den Blick zu erwidern, nickt der Vater und beschreibt, wie er selbst nach einigen Tagen des Schweigens seiner Mutter alles versucht hatte, um Gnade zu erlangen. Noch bevor ich mein Mitgefühl für diese Erfahrung ausdrücken kann, dreht er sich um und geht.

Wir wissen heute, dass das Schweigen als Methode zur Zurechtweisung eine Form von seelischer Gewalt ist. Neben den aktiven Formen von psychischer Gewalt kann sie eben auch ausgeübt werden, indem man Dinge unterlässt. So wird der andere, das Opfer, beispielsweise über einen längeren Zeitraum gemieden, ignoriert und mit andauerndem Schweigen gestraft. Das Nicht-Teilen der Gedanken und Gefühle mit dem anderen, gerade wenn es emotional hoch hergeht, lässt den Suchenden im Labyrinth des Schweigens ohne Chance auf einen Ausgang zurück. Schweigen kann dann tiefschwarz wirken und im Gegenüber eine Eigendynamik mit Selbstgesprächen, Selbstzweifeln und Kummer auslösen. Wenn ich den anderen nicht mehr anspreche, nicht auf ihn reagiere, dann verweigere ich die Anerkennung, dass er existiert.

Als wir persönlich in einer großen Krise waren, hat uns das Schweigen vieler Menschen, aus welcher Motivation auch immer, sehr getroffen. Wie erdrückend schweres Grau hat sich durch das Schweigen eine Wand der Einsamkeit gebildet, die ich bis heute bekämpfe. Gerade in Kummer und Not dem anderen ein Signal zu senden, ist überlebenswichtig.

Funkstille

Schweigen kann ein bedrohliches Zeichen von Funkstille zwischen zwei Sendern sein. Sie haben durch eine lange zehrende Wegstrecke oder Differenzen den Kontakt zueinander verloren. Sie senden keine Signale mehr. In Begegnungen mit wortkargen Senioren, frustrierten Eltern, erschöpften Pastoren fühlt es sich bei mir so an, als würde das grau wirkende Schweigen auf eine verstummte Seele hinweisen.

Keine Worte mehr zu finden, heißt vielleicht aber auch, keine passenden wählen zu können, weil das Heute zu fordernd ist. Man ist so ausgelaugt, dass jeder Satz viel Überwindung kostet. Als unsere Kinder klein waren, haben wir es mit einem Eheabend außer Haus versucht. Für viele scheint das das große Heilmittel zu sein. Unsere Ehezeit war jedoch von Erschöpfung und farblosem Schweigen geprägt. Wir hatten einfach keine Worte mehr. Dabei wollten wir so gerne ein „gutes“ Paar sein, eines, das durch sorgfältige Pflege der Kommunikation Krisen vorbeugt. Die Enttäuschung darüber, dass wir uns nichts zu sagen hatten, erstickte den Rest unserer Gesprächsideen. Als wir in einem Kreis von Paaren davon erzählten, erwischte mich eine Rückmeldung dazu hart: „Das ist uns nie passiert. Wir nehmen uns so wichtig, dass wir uns Tage vorher schon Themen notieren. So ein Abend reicht für uns kaum aus, um alles zu besprechen.“ Erst viel später erfuhr ich, dass die anderen Paare sich nicht mehr aus der Deckung trauten, um von ihren wortlosen Abenden zu berichten. Wir haben es damals als hilfreich erlebt und erleben es immer noch, durch einen Film, einen Artikel oder andere Impulse von außen ins Gespräch zu kommen. Dabei spüren wir eine große Verbundenheit beim Humor der englischen Krimis oder dem täglichen Kaffee zwischendurch, wo wir uns von Telefonaten oder dienstlichen Situationen berichten. Wir sind am anderen interessiert – auf unsere Art.

Verbale Streicheleinheiten

Es ist keine Schande, wenn die Worte ausgehen und man sich anschweigt. Das bedeutet aber nicht, dass man sich mit diesem Zustand abfinden muss. Vor einigen Jahren begleitete ich eine Freundin in einer schweren Ehekrise. Sie beschrieb, wie sehr sie den Geruch ihres Mannes mag, wie sie es liebt, wenn er kocht oder mit den Kindern diskutiert. „Und, was sagt er, wenn du ihm das mitteilst?“, fragte ich. Irritiert sah sie mich an: „Er würde ziemlich verstört gucken und mich für gefühlsduselig halten. Das habe ich noch nie gesagt!“ Mir zog sich der Magen zusammen, als mir die Folgen dieser Antwort bewusst wurden. Alle lobenden Worte für seinen Fleiß, für ihren Mut, für gelungene Absprachen des Alltags wurden vom Schweigen erstickt.

Wie selten sagen wir uns im Alltag, was wir an unseren Freunden, Partnern und Kindern mögen. Wenn wir kleine Aufmerksamkeiten wie den liebevollen Gruß zum Geburtstag, eine hilfreiche E-Mail, die reparierte Lampe oder das frisch bezogene Bett nicht nur wahrnehmen, sondern auch würdigen, dann passiert etwas. Das Schweigen zu überwinden ist so, als wenn wir den Sender und Empfänger neu aufeinander eichen. Es ist vielleicht ungewohnt, hat aber wundervolle Wirkungen in unseren Beziehungen. Ich bin überrascht, wie sehr auch Lehrer, Polizis-ten und Ärzte strahlen, wenn ich etwas Gutes ausspreche.

Gesprächspausen zulassen

Manchmal allerdings wünschte ich mir die Erlaubnis zu schweigen. Auf einem Geburtstag von Bekannten fiel es mir unangenehm auf, wie Gesprächspausen als peinlich vermieden wurden und das zartgrüne hoffnungsvolle Schweigen unterdrückt wurde. Den ganzen langen Abend sprachen alle in Plattitüden über den schlimmen Einfluss von Social Media, Klimawandel und Schuldruck. Hätten wir das Schweigen ausgehalten, wer weiß, vielleicht wäre eine persönlichere Note in diesem Geplänkel möglich gewesen.

Auch in Kleingruppen und Gesprächskreisen meiner Kirche wünsche ich mir den Genuss, zusammen zu schweigen, wenn wir Bibel lesen. Das Nachspüren der Worte und der Relevanz für mich gelingt mir nicht, wenn sofort jemand eine druckfertige Antwort liefert und mich mit Klugheit blendet.

Als unsere Kinder ihre Entscheidungen trafen, wie es nach der Schule weitergehen sollte, habe ich viele blubbernde Wörter in mir gehabt, die als Empfehlungen unbedingt raus wollten. Das Schweigen zu bestimmten Hürden oder Hoffnungen ist aber rosa wie zarte Liebe. Ich gehe nicht bewusst als Mutter auf Distanz und schweige, sondern ich bleibe nah und zugewandt und behalte dennoch meine Kommentare und Hinweise erst mal für mich.

Vertrautes Schweigen

Schweigen dürfen ist Luxus, der wie ein goldener Schimmer Freundschaft und Ehen veredelt. Der Weg, um das zu lernen, hat wortreiche Konflikte gebraucht. Ich bin immer gern mit Henrik Auto gefahren. Früher haben wir jeden Satz und jedes Erlebnis der letzten Woche geteilt, heute können wir schweigen. Das Schweigen bedeutet nicht: Kontaktabbruch. Die Stille ist nicht gegen mich gewandt, sondern es ist sogar ein Gönnen der Ruhe und der Entspannung im alltäglichen Gestalten unserer Liebe. Und irgendwann sagt mein Mann in diesen Ehe-Moment der Ruhe meine Lieblingsworte: „Du, ich hab’ mir was überlegt!“ Ich liebe diese Worte, weil so mein Zutrauen in ihn für mich hörbar wird: Auch wenn er manchmal wenig spricht, trägt er sehr wohl Verantwortung für uns und unsere Kinder, und er bringt zum Ausdruck, wie sehr er seine Kirche liebt und unsere Freunde schätzt. Oft kommen dann erstaunliche Ideen zum Vorschein, wie eine neue Terrasse zum morgendlichen Kaffeetrinken und Beten, ein Kurzurlaub mit Freunden oder eine Unterstützung für eines unserer Kinder. Und wo ich mich gerade schreibend so freue: Ich müsste ihm dringend mal sagen, wie gern ich mit ihm schweige.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

Beim Konflikt helfen?

„Mein Sohn (25) engagiert sich als Trainer im Fußballverein. Nun gibt es einen heftigen Konflikt mit dem Vorsitzenden des Vereins, den ich gut kenne. Soll ich versuchen zu vermitteln? Oder sollte ich mich lieber raushalten?“

Spontan würde ich als Erstes sagen: raushalten! Schließlich handelt es sich ja um erwachsene Menschen – jedenfalls dem Alter nach. Aus meiner eigenen Tätigkeit als Trainer und als Mentor unserer Vereinsvorstände (Jugend und Senioren) weiß ich aber auch, dass die Kommunikation in Vereinen ausbaufähig ist. Manchmal sind auch die Beweggründe für Konflikte vielfältig und haben oftmals mit versteckten Interessen zu tun, die nicht öffentlich gemacht werden und auch nicht immer leicht zu erkennen sind. Unter bestimmten Voraussetzungen könnte es also schon sinnvoll sein, sich am Gesprächsgang zu beteiligen.

Klären Sie Ihre Rolle!

Wichtig in dem Zuge ist, dass Ihr Sohn dies nicht als Bevormundung empfindet, weshalb Sie meiner Meinung nach zunächst mit ihm das Gespräch suchen sollten. In diesem Gespräch sollten Sie folgende Fragen klären:

Will er, dass Sie an der Klärung beziehungsweise am Gesprächsprozess beteiligt sind?
Wenn ja, in welchem Maße – als direkt Beteiligter in den Gesprächen, als Ratgeber, als Mediator …?
Wäre es für ihn okay, dass Sie mit dem Vorsitzenden generell über den Konflikt reden – eventuell auch nur, um Ansichten zu spiegeln und für Verständnis und Klärung zu werben?
Gibt es Alternativen, die zu einer Klärung beitragen könnten, etwa externe Berater, Mediatoren, Ansprechpartner vom Verband oder Vereinsmitglieder, die großes Vertrauen im Verein genießen und als ausgleichende Persönlichkeiten bekannt sind?

Nicht in den Rücken fallen!

Ebenso könnten Sie Ihrem Sohn anbieten, gemeinsam die möglichen weiteren Verläufe des Konflikts mal zu durchdenken. Stellen Sie sich die Frage: „Was wäre, wenn …?“ Beachten Sie: Die Entscheidung über Ihre Rolle und Ihre Aufgabe(n) in dieser Kontroverse obliegt einzig Ihrem Sohn!

Wichtig ist meines Erachtens vor allem, dass Sie Ihrem Sohn nicht – gefühlt – in den Rücken fallen, zum Beispiel indem Sie hinter seinem Rücken agieren oder ohne sein Wissen mit dem Vorsitzenden sprechen. Selbst wenn der Filius im Unrecht wäre, würde eine Parteinahme zugunsten des Vorsitzenden Ihr familiäres Verhältnis schädigen. Verhalten Sie sich daher möglichst neutral – auch gegenüber dem Vorsitzenden. Das A und O ist Transparenz gegenüber Ihrem Sohn und die Vermittlung Ihrer Wertschätzung und Ihres Vertrauens ihm gegenüber!

Tim Linder ist Pastor der Freien evangelischen Gemeinde Bochum-Ost und Co-Trainer der A-Jugend des SV Langendreer 04.

Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

 

Eine starke Identität als Paar kann vieles überbrücken

Professor Dominik Schöbi von der Universität Fribourg erforscht multikulturelle Partnerschaften. Im Interview erzählt er, was in interkulturellen Ehen besonders wichtig ist.

Herr Professor Schöbi, was macht multikulturelle Partnerschaften so besonders?
Die ‚typische‘ multikulturelle Partnerschaft gibt es nicht. Beziehungen unterscheiden sich stark darin, wie sie funktionieren und welche Hintergründe beide Partner mitbringen. Gemeinsam haben sie allerdings, dass es eine größere Vielfalt an Ideen gibt, an Möglichkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden, und an Regeln, die man befolgen könnte.

Was sind typische Schwierigkeiten für Partner aus unterschiedlichen Kulturen?
Multikulturelle Partner haben keine grundsätzlich anderen Konflikte. Es gibt aber einige neuralgische Punkte, die sich herauskristallisieren und Schwierigkeiten machen können: Regeln und Normen sind sehr unterschiedlich. Sie führen dazu, dass beide Partner verschiedene Erwartungen und Routinen mitbringen, die einen großen Einfluss auf den Alltag haben. Unsere Gewohnheiten sind oft nicht gut reflektiert, was häufiger zu Missverständnissen und Erwartungen führt, die enttäuscht werden. Die Partner stehen vor einer größeren Herausforderung, wenn sie eigene Wege finden müssen. Beide müssen überlegen: ‚Wie wollen wir das handhaben? Wie schauen wir das an? Für was entscheiden wir uns? Welche Kompromisse wählen wir?‘ Sie müssen Lösungen für Alltagsprobleme finden, bei denen eine klassische Partnerschaft die Routine ablaufen lässt.

Die Kommunikation ist sicherlich bei allen Ehen ein Thema, besonders aber in multikulturellen Partnerschaften.
Sprache spielt eine große Rolle. Paare müssen für sich herausfinden, ob jeder in der eigenen Sprache sprechen kann oder ob eine Drittsprache zur gemeinsamen Sprache wird. Wenn es mehrere Sprachen gibt, ist auch wichtig, ob ich verstehe, wenn mein Partner mit Freunden und Verwandten spricht. Hier können leicht Distanzen entstehen, die in anderen Partnerschaften nicht da sind. Dazu kommt: Viele Paare kommen aufgrund von Migrationsbewegungen zusammen. Migranten haben im Durchschnitt einen niedrigeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status und Bildungsstandard. So kann ein Ungleichgewicht im Paar entstehen, wenn ein Partner weniger gut gestellt ist. Wenn beide es sind, dann muss das Paar mehr Alltagsstress mit weniger Möglichkeiten und Ressourcen bewältigen.

Was raten Sie multikulturellen Paaren, um Konflikte zu verhindern oder zu lösen?
Entscheidend ist, wie die Partner interagieren, kommunizieren und Probleme lösen. Beide Seiten brauchen eine hohe Bereitschaft, mit Stress-Situationen umzugehen, sich selbst zurückzunehmen und die Perspektive vom Partner einzunehmen. Es ist sehr hilfreich, wenn beide sich immer wieder bewusst machen, dass es unterschiedliche Perspektiven und Ansichten gibt. In Situationen, wo die eigenen Erwartungen nicht eintreffen, sollte man sich automatisch fragen: Wie sieht das mein Partner? Was ist die Perspektive aus einem anderen kulturellen Blickwinkel?

Das heißt, man muss sich vom Schwarz-Weiß-Denken lösen?
Statt in Alternativen zu denken – es geht nur so oder so –, sollte man im Austausch feststellen: Hier haben wir eine Herausforderung und müssen jetzt eine machbare Lösung finden, die für uns beide stimmt und alle grundlegenden Bedürfnisse berücksichtigt. Vielleicht finden wir keine perfekte Lösung und müssen Menschen enttäuschen, aber hoffentlich finden wir eine, mit der wir gut leben können. Konkret bedeutet das, Regeln, Normen und Routinen zu finden, die für beide Partner passen – und Wege zu finden, wie man mit Misserfolgen umgehen kann. Paare müssen bewusst gemeinsam viele Erfahrungen machen, gemeinsame Projekte angehen und Ziele setzen, die sie realisieren wollen. Damit baut sich ein Paar eine gemeinsame Geschichte und einen Erfahrungsschatz auf, der zusammenschweißt. Eine starke Paar-Identität kann vieles überbrücken. Sie gibt Rückhalt, wenn man schwierige Situationen navigieren muss, wenn sich die Erwartungen der Familie von denen des Partners stark unterscheiden.

Was ist spannend und bereichernd in multikulturellen Beziehungen?
Sie sind eine Möglichkeit zu wachsen. Man erlebt viel Eindrückliches für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und macht wertvolle Erfahrungen. In interkulturellen Partnerschaften ist die Überlappung kleiner und das Andersartige größer. Indem sich die Partner kennenlernen und die andere Kultur in ihr eigenes Leben integrieren, gewinnen sie im Denken und Handeln. Man wird flexibler, kann Dinge besser aus unterschiedlichen Perspektiven sehen und vieles relativiert sich, weil man einen anderen Ansatz dazu erwirbt. Das ist eine Bereicherung für die Partnerschaft und eine persönliche Horizonterweiterung.

Können Menschen aus ihrem Glauben, ihrer Spiritualität für eine multikulturelle Partnerschaft Stärke beziehen?
Die persönliche Spiritualität und der gemeinschaftliche Aspekt sind eine Ressource, die Paaren Halt geben und ihnen erlauben kann, Herausforderungen und Krisen besser zu meistern. Wir vermuten, dass der religiöse Rückhalt dabei hilft, das Ego in den Hintergrund zu stellen, den Fokus vom Konflikt wegzunehmen und stattdessen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Dies klappt, wenn beide Partner die Spiritualität und religiöse Gemeinschaft teilen – oder wenn Toleranz gegenüber der Spiritualität des anderen gelebt wird. Wenn allerdings die Spiritualität inflexibel macht und die Offenheit einschränkt, dann kann sie Probleme schaffen, die man sonst nicht hätte.

Warum beschäftigen Sie sich mit multikulturellen Partnerschaften?
Das Phänomen der multikulturellen Partnerschaft ist enorm wichtig und stellt eine große Chance für die Weiterentwicklung der Kulturen dar. Oft gehen wir davon aus, dass Kulturen feste Systeme sind. Das stimmt aber nicht, denn Kulturen verändern sich fortlaufend. Multikulturelle Paare sind genau die Schnittstellen, wo sich Kulturen bewegen. Sie haben eine Brückenfunktion und bereichern die Kulturen, aus denen sie kommen und die sie vereinen.

Das Interview führte Ulrike Légé.

„Hilfe, mein Kind ist rechts!“ – Das können Eltern tun, wenn Jugendliche abrutschen

Experte Torsten Niebling berät Eltern im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen. Wichtig ist: Nicht emotional werden!

Welches Verhalten gilt als „rechtsextrem“?
Das Teilen oder Nachahmen rechtsextremer Symbole wie Hakenkreuzen. Handlungen wie den Hitlergruß zeigen. Oder auch das Verunstalten und Posten von Fotos von Mitschülern. Auch äußerliche Merkmale wie das Tragen bestimmter Kleidung oder das Hören bestimmter Musik mit Freunden gehören dazu. Es geht immer darum, Angst zu verbreiten, die eigene Gruppe aufzuwerten und andere zu diskriminieren, zu bedrohen und bestimmte Ideologien zu verbreiten.

Nachfragen!

Was sollen Eltern tun, wenn ihre Jugendlichen plötzlich rechte Lieder trällern oder entsprechende Meinungen äußern?
Eltern haben aufgrund der besonderen Beziehung zu ihrem Kind immer die Möglichkeit, auf es einzuwirken. Falsch wäre, so ein Verhalten nur schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen oder aber nur mit Enttäuschung und Wut, also sehr emotional, zu reagieren. Das verhärtet nur die Fronten. Kommen Sie stattdessen miteinander ins Gespräch. Bemerken Sie, dass es Sie irritiert, dass Ihr Sohn so eine Position vertritt, und fragen Sie ihn, wo er das herhat, was genau er damit meint. Stellen Sie ihm Fragen, denn das führt dazu, dass er sich erklären muss – und mit einer anderen Sichtweise konfrontiert wird. Zeigen Sie sich politisch. Sagen Sie ihm, dass Sie es nicht so sehen und warum. Diskutieren Sie miteinander! So werden Sie auch herausfinden, wie feststehend seine Meinung wirklich ist, oder ob er „nur“ mal provozieren und testen wollte, wie das ankommt.

Manche Jugendliche wollen provozieren

Wo kommt so ein Verhalten her?
Jugendliche politisieren sich durch die Verarbeitung von Erfahrungen im Alltag. Diese Entwicklung ist eingebettet in den Prozess von Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. Sie bilden sich eine eigene Meinung – auch und gerade unabhängig von den Eltern. Manche gehen gezielt über die Grenzen der Eltern hinaus, um sich als selbstständig zu erleben. Und Eltern kann man mit rechtsextremen Meinungen mitunter sehr stark provozieren! Viele rechtsextrem orientierte Jugendliche haben aber noch keine gefestigte politische Einstellung. Sie haben zwar ihre Meinung, sind darin aber noch in der Entwicklung und somit beeinflussbar.

Holen Sie Hilfe!

Wie können Eltern rechtsextremen Tendenzen entgegenwirken?
Wenn Ihr Kind in die rechte Szene gerät, holen Sie sich frühzeitig Hilfe – auch bei Beratern. Kultivieren Sie eine Konflikt- und offene Gesprächskultur. Dafür ist es nie zu spät! Es geht nicht immer darum, das bessere Argument zu haben. Wenn in Familien nicht über Politik und Werte diskutiert wird, lernen Jugendliche nicht, sich eine Meinung dazu zu bilden und – ganz wichtig! – andere Meinungen zu respektieren. Wir wissen aus Biografien rechtsextremer Gewalttäter, dass sie häufig in kalten Familien aufgewachsen sind, wo es wenig Wertschätzung, keinen Ausdruck von Gefühlen und sogar Gewalt gab. All das sind Risikofaktoren für Gewalt. Lassen Sie Ihren Jugendlichen deshalb viel Wärme erleben und begleiten Sie ihn in seinem Aufwachsen. Jugendliche beobachten sehr genau, wie ihre Eltern mit aktuellen Themen oder Krisen umgehen und wie sie über andere sprechen. Deshalb seien Sie Vorbild!

Torsten Niebling arbeitet bei „Rote Linie“, einer pädagogischen Fachstelle für Rechtsextremismus in Marburg.
Interview: Ruth Korte

„Ja, weißt du das denn nicht?“

Christian Rommert merkt, dass man nie genug miteinander reden kann..

„Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Seit zwanzig Minuten diskutieren wir nun schon und kommen keinen Schritt weiter! Ich versuche zu rechtfertigen, warum ich das dritte Wochenende in Folge unterwegs bin. Katrin hält hartnäckig dagegen. Ich fühle mich verletzt, weil ich mit dem an den Wochenenden verdienten Geld doch das Auto, das Haus und den Urlaub bezahle. Katrin sitzt auf der Palme, und ich spüre: Gleich eskaliert es. Da- mit meine ich nicht, gleich fliegt Geschirr. Das passiert nie, wenn wir uns streiten. Die höchste Eskalationsstufe ist bei uns: das Schweigen.

DEN INNEREN KOSMOS MITTEILEN

Gleich ist es sicher wieder soweit. Mich macht das total fertig. Schweigen bedeutet für mich die Höchststrafe. Und Katrin beherrscht das Schweigen perfekt. Aber auch ich kann das gut! Ich bin darin mindestens genauso geübt wie sie. „Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Ich will gerade Arme verschränken und beleidigt schauen, da höre ich, wie Katrin mich fragt: „Was macht dir denn solchen Druck?“ Als Reaktion schaue ich sie blöde an. „Ja, weiß sie das denn nicht?“, frage ich mich. „Weißt du, du bist mein bester Freund! Ich brauche dich zum Reden!“, sagt sie. Ich schlucke meinen ersten Impuls herunter und vermeide eine Aufzählung der Gespräche und Spaziergänge, bei denen wir meiner Meinung nach doch ausreichend Zeit zu zweit hatten. Ein Artikel aus einer Zeitschrift kommt mir in Erinnerung. Dort stand: „Deine innere Welt ist für deine Partnerin unsichtbar. Du musst sie ihr mitteilen. Du musst ihr deinen inneren Kosmos mitteilen, damit er verstanden werden kann.“ Reden, sich verständlich machen, damit ich verstanden werden kann und zuhören, hinhören, nachfragen, damit ich verstehe … Das ist so schwierig. Schweigen ist definitiv einfacher!

DAS RICHTIGE MASS

Doch ich starte einen Versuch und erzähle ihr von der Herausforderung, als Selbstständiger und Freiberufler nie genau zu wissen, wieviel genug ist. Soll ich das Wochenende verkaufen und damit den wichtigen finanziellen Puffer für den Sommer aufbauen oder nicht? Ich verkaufe Lebenszeit für Geld. Das ist die Spannung, in der ich mich ständig befinde. Denn beides – Zeit und Geld – sind wertvolle Güter. Und es sind widerstrebende Interessen. Dinge, die miteinander konkurrieren. Das richtige Maß zu finden, fällt mir einfach schwer. Im Verlauf des Gespräches zeige ich Katrin meine Jahresplanung. Wir bauen uns ein paar Inseln der gemeinsamen Zeit, und einen Termin sage ich dafür ab. Dabei geht es noch ein paar Mal hin und her. Aber es scheint, als seien wir wieder auf einer heilsamen Spur. „Und bei dir so?“, frage ich Katrin und merke auch in ihrem Blick eine Irritation. Auf ihrer Stirn meine ich lesen zu können: „Ja, weißt du das denn nicht?“ Also sage ich: „Ich habe eine Fantasie, was es bei dir ist, aber ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Ich will dich wirklich verstehen! Erzählst du mir, was dich beschäftigt?“

WIE HUSTENLÖSER

Im weiteren Verlauf unseres Gespräches bestätigt sich: Meine Bilder, von dem, was in meiner Frau vorgeht, sind meine Fantasien. Wie es wirklich aussieht, erfahre ich nur über Gespräch. Mein innerer Kosmos bleibt für Katrin ein Geheimnis, so lange ich ihn nicht zeige. Ihre innere Welt bleibt ein Geheimnis, wenn ich mich nicht darum bemühe, sie wirklich zu begreifen. Das klingt so banal und ist doch eine Erkenntnis, die für unsere aktuelle Situation wie Hustenlöser wirkt. Schließlich fragt Katrin mich: „Wie wäre es, wenn ich mir an dem Montag nach diesem Wochenende freinehme und wir etwas gemeinsam unternehmen?“ Als sie merkt, wie ich zögere, sagt sie verschmitzt. „Nein? Oder: Doch?“ Und ich antworte fröhlich: „Ohhhhh JAAA.“

Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das Wort zum Sonntag in der ARD.

 

 

„Ich rede mit dir!“

„Unserer Tochter (5) reagiert häufig nicht, wenn wir sie um etwas bitten. Oft wissen wir uns nicht anders zu helfen, als bis drei zu zählen, damit sie reagiert. Was können wir tun?“

Wenn Eltern das Gefühl haben, dass ihr Kind auf akustische Aufforderungen nicht reagiert, sollte zunächst beim Arzt abgeklärt werden, ob eine medizinische Ursache dahintersteckt. Eine akute Mittelohrentzündung oder vergrößerte Rachenmandeln können bei Kindern zu einer vorübergehenden Schwerhörigkeit führen. Die meisten Kinder sind jedoch topfit und hören trotzdem nicht. Zunächst sollten Eltern genauer hinschauen, in welchen Situationen das Kind nicht hört. Wenn Kinder ins Spiel vertieft sind oder ihren Gedanken nachhängen, ist es schwer, zu ihnen durchzudringen. Manchmal passiert es auch, dass sie einfach nur vergessen zu antworten. Auf die Frage „Bist du satt?“ registriert das Kind für sich „Ja, ich bin satt“, sagt es aber nicht laut.

NÄHE UND PRÄSENZ
Je kleiner das Kind ist, desto weniger bringt es, ihm aus der Entfernung etwas zuzurufen. Versuchen Sie stattdessen eine Verbindung herzustellen. Konkret bedeutet das: Körperkontakt. Gehen Sie zum Kind und knien Sie sich auf den Boden, wenn es dort spielt. Legen Sie eine Hand auf seine Schulter und nehmen Sie Augenkontakt auf. Erst, wenn Sie merken, dass das Kind Sie wahrnimmt, wird die Bitte ausgesprochen. Auf diese Weise wird die Spirale durchbrochen, dass Eltern Aufforderungen immer wiederholen und Kinder sich daran gewöhnen, nicht auf das Gesagte zu achten. Eltern können üben, ihre Kinder immer mit Namen anzusprechen und möglichst konkrete Anweisungen zu geben. Statt „Setz dich ordentlich hin“ ist es besser „Lass bitte die Beine unter dem Tisch und leg die Hand neben den Teller“ zu sagen. Positive Formulierungen helfen, denn unser Gehirn kann Verneinungen nur über Umwege verarbeiten. Das Beispiel „Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!“ zeigt, dass im Kopf keine negativen Bilder entstehen. Zunächst wird an das Verbotene gedacht. Im Alltag heißt das, den Kindern z u s agen, w as s ie tun s ollen, a nstatt e twas z u verbieten: „Bleib bei mir auf dem Bürgersteig“ und nicht „Lauf nicht auf die Straße!“.

STRUKTUREN UND RITUALE
Festgelegte Strukturen und Rituale helfen, Abläufe nicht immer neu diskutieren zu müssen – jedoch braucht es einen langen Atem und vor allem unser Vorbild, bis Kinder diese verinnerlicht haben. Trotzdem bewirkt es, dass wir auf lange Sicht weniger ermahnen müssen. Beim Thema Aufräumen ist es außerdem hilfreich, wenn alle Dinge einen festen Platz haben, den die Kinder kennen. Nennen Sie konkret den Ort, wohin das Kind seine Dinge aufräumen soll.

KONSEQUENZEN
Manchmal erscheinen Drohungen uns als letzter Ausweg. Es ist verführerisch zu sagen: „Wenn du jetzt nicht kommst, dann gehe ich ohne dich!“ Kinder sollten jedoch nie aus Angst gehorchen. Gleichzeitig spüren sie, ob Eltern nur leere Drohungen aussprechen, weil sie sich hilflos fühlen. Wenn Sie öfter in solche Situationen geraten, überlegen Sie in einer ruhigen Minute: Wann passiert das? Was regt mich auf? Gibt es statt einer Bestrafung natürliche Konsequenzen, die folgen können? Das könnte zum Beispiel sein: Wir haben keine Zeit mehr, bei Oma vorbeizufahren.

 

Elisa Hofmann hat Publizistik, Psychologie und Linguistik studiert, ist verheiratet und wohnt mit ihrem Mann und drei Kindern in Heidesheim am Rhein.

„Alles gut?“

Christof Klenk mag keine Emojis in der mündlichen Sprache.

Die Frage „Wie geht es dir?“ ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Sie wird von einem lapidaren „Alles gut?“ abgelöst. Das ist prägnanter, hipper und klingt irgendwie nach Facebook oder WhatsApp. Man kann darauf nur mit dem mündlichen Gegenüber eines Emojis antworten: Alles super! Daumen hoch! Smiley!

Das ist glatt gelogen. Bei mir ist nie alles gut. Irgendwo zwickt’s immer, läuft etwas schief, wäre Luft nach oben. Ganz abgesehen davon, dass die Weltlage mit „Smiley, Smiley, Smiley“ wohl kaum umschrieben ist. Aber niemand will auf „Alles gut?“ eine differenzierte Antwort hören. In den meisten Fällen würde ein „Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden“ meine Gefühlslage ganz gut auf den Punkt bringen. Das klingt aber irgendwie altklug, nach Spaßbremse oder Besserwisser.

Zugegeben: Auf die Frage „Wie geht’s dir?“ antworte ich in den allermeisten Fällen auch nur mit „gut“. Das hat keinen hohen Informationswert, aber es kommt der Wahrheit trotzdem näher als „Daumen hoch! Alles bestens! Rundum glücklich!“ Da ist viel Schönes dabei, aber dass alles gut ist, kann ich eben nicht behaupten.

„Christof, halt mal den Ball flach. Hier geht’s doch nur um Smalltalk!“, mag mancher hier einwenden.  Letztlich geht es, wende ich ein, um das Wertvollste, was wir haben, nämlich um Beziehungen. Ich will bei einem zufälligen Treffen auf der Straße sicherlich kein Therapiegespräch, aber ein klein wenig die Chance eröffnen, dass Begegnung stattfindet und dass wir einander wahrnehmen, das wäre schon schön. Dann wäre schon eine Menge gut.

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT und lebt mit seiner Familie in Witten.

Eine dicke Mauer zwischen meinem Prinzen und mir

Auch in einer eigentlich glücklichen Ehe kann es Einsamkeitsgefühle geben. Von Manuela Rein-Ziegler

Mein größter Wunsch als junges Mädchen war es, eines Tages zu heiraten. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits meine Traumhochzeit mit dem passenden Prinzen an meiner Seite, der mir alle Wünsche von meinen Augen ablesen würde. Und tatsächlich: Mit 26 Jahren bekam ich einen Heiratsantrag. Bei der Verlobung dachte ich erleichtert: „Mein Traum wird endlich wahr. Ich werde mich nie mehr einsam fühlen, und ich werde rundum glücklich sein.“ Ein Jahr später heirateten Daniel und ich mit Schloss und weißer Kutsche. So wurde meine Traumhochzeit samt „Prinz Charming“ Wirklichkeit.

ROTER FADEN Das Gefühl „Ich bin allein“ zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Kann oder muss eine Ehe dieses Gefühl der Einsamkeit wettmachen? Jeder bringt sein Päckchen an Vergangenheit mit in die Ehe. Mein Päckchen war eher ein Paket: Verletzungen, alte Wunden und ein recht ausgelassenes Jugendleben wirkten sich nicht positiv auf unsere Beziehung aus. Auch die Vorstellungen über unser neues gemeinsames Leben variierten bei uns am Anfang sehr stark. Mein Mann liegt neben mir, für ihn ist die Welt in Ordnung. Aber für mich ist nichts in Ordnung. Ich fühle mich nicht beachtet und ungeliebt. Ein flüchtiger Kuss oder eine Umarmung ab und zu nehmen mir nicht das Gefühl von Einsamkeit. Was mir fehlt, sind Hingabe für unsere Ehe, Initiative seitens meines Mannes und das Wissen, das Daniel mich von Herzen begehrt und wertschätzt. Ich kämpfe gegen Gefühle wie Kälte, Passivität und Distanz an. Konkret empfinde ich, dass ich allein gelassen werde. Ich sehe eine hohe, dicke Mauer zwischen meinem Prinzen und mir. So sieht es manchmal in meinem Herzen aus: Es ist ein tiefes, schwarzes Loch. Ich fühle mich zurückgelassen mit unerfüllten Wünschen und unbefriedigten Bedürfnissen. Mein Mann liebt mich, und in meinem Kopf weiß ich das auch. Aber mein Herz macht mir immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Wenn Alltag und Pflichten überhandnehmen und die Zweisamkeit fehlt, überkommt mich diese Leere. Ich fühle mich wie gelähmt und funktioniere nur noch.

NICHT VOM EHEMANN ABHÄNGIG Es war ein langer und steiniger Weg, zu erkennen, dass ich mein Glück samt all meinen Gefühlen nicht von meiner Ehe und noch weniger von meinem Ehemann abhängig machen darf. Doch immer wieder tappe ich in diese Falle. Sind alle Umstände gut, dann fühle ich mich geliebt. Ein fataler Fehler! Denn meine Umstände werden nie ganz perfekt sein. Ich sage gerne zu meinem Mann: „Und wenn du 24 Stunden mit mir zusammen wärst, würde es mir nicht ausreichen.“ Warum fühle ich mich überhaupt immer so einsam im Herzen? Wie kann ich mich trotz dieser verzwickten Lage geliebt und angenommen fühlen? Diese Fragen muss ich mir immer wieder selbst stellen, um aus diesem Teufelskreis der Lügen über Alleinsein und Ungeliebtsein ausbrechen zu können. Ich habe einen Ausweg aus diesem gedanklichen Teufelskreis gefunden, indem ich mich auf Gott fokussiere. Ich bin überzeugt: Gott liebt mich so, wie ich bin. Er kann das Riesenloch in meinem Herzen mit seiner Liebe füllen. Hier ein paar Gedanken, die mir helfen, das im Alltag immer wieder neu zu verstehen:

1. BEDINGUNGSLOSE LIEBE Ich darf wissen, dass ich in Gottes Augen wertvoll bin und er mich bedingungslos liebt.
Umsetzung: Es ist ein täglicher Prozess zu erkennen, dass Gott mich liebt und ich bei keinem anderen diese Bestätigung suchen muss. Dabei hilft es mir, in der Bibel zu lesen. Dadurch wird mir vor Augen geführt, wer Gott wirklich ist und wie unsagbar groß seine Liebe zu mir ist.

2. GESCHENKE UND ANSPRÜCHE Ich muss erkennen, dass alles, was ich bin und habe, ein Geschenk Gottes ist. Außerdem muss ich leider oft bitter erkennen, dass ich keine Ansprüche in dieser Welt habe.
Umsetzung: Dies ist vielleicht die härteste Lektion, die ich jeden Tag neu lernen muss. Früher dachte ich, es sei mein Recht zu heiraten, glücklich zu sein oder ein schönes Haus zu haben. Schließlich bin ich ein ziemlich guter Mensch! Ich hatte hier eine völlig falsche Perspektive und musste diese drastisch verändern. Eine dieser Lektionen war zu erkennen, dass es ein Geschenk Gottes ist, dass ich heiraten durfte und dass es nicht selbstverständlich ist. Durch diese Erkenntnis kann ich viel dankbarer sein für meine Ehe. Das hilft mir wiederum, meinen Ehemann und meine Familie viel mehr zu schätzen.

3. KOMMUNIKATION Der Schlüssel zum Frieden ist die Kommunikation. Umsetzung: Wir haben schon einige gute Eheseminare besucht und eines der Themen, die jedes dieser Seminare beinhaltete, war die Kommunikation. Viele Missverständnisse zwischen uns sind aufgrund von schlechter oder gar keiner Kommunikation entstanden. Es ist so ein einfacher Tipp: „Redet doch offen und ehrlich miteinander!“ Doch das ist oft schwierig umzusetzen. Wir müssen lernen zu sagen, was wir wirklich fühlen. Wir beide haben uns auf einem Schiff kennengelernt und ich verwende gern folgendes Bild: zwei Boote, die nebeneinander segeln, statt immer mehr auseinanderzudriften. Mut und Demut sind nötig, um auf seinen Partner zuzugehen. Wichtig sind auch Ich-Botschaften, damit Liebe und Respekt im Zentrum unserer Ehe bleiben.

4. SICH HELFEN LASSEN Es ist keine Schande, wenn man sich (professionelle) Hilfe sucht. Umsetzung: Ob man sich ein Ehepaar sucht, mit dem man sich ab und zu gemeinsam zum Austausch und Gebet trifft oder ob man sich ganz professionell Eheberatung sucht, ist egal. Hauptsache, man bleibt am Ball und lässt sich helfen. Ein Dritter sieht die Dinge oft ganz anders. Uns haben diese Eheberatungsgespräche schon oft sehr geholfen und gestärkt.

5. ZWEISAMKEIT UND LACHEN Wir als Ehepaar haben für uns herausgefunden, dass Wochenenden ohne Kinder sehr hilfreich für unsere Beziehung sind. Umsetzung: Wir dürfen die Kinder bei Oma und Opa lassen. Ob zu zweit zu Hause oder mit Tapetenwechsel, wir wollen uns Zeit als Paar nehmen. Zusammen lachen tut so gut und ist so wichtig. Neben den vielen Pflichten vergisst man schnell, dass es auch Zeiten braucht, in denen man sich fallen lassen darf. Auch die Intimität, das Eingehen aufeinander kann das Gefühl des Alleinseins zum Schmelzen bringen. Wir schreiben uns fixe Termine in den Kalender, wo Zweisamkeit stattfinden kann.

6. BETEN Unser Verlobungsvers steht in Prediger 4: „Ein Seil aus drei Schnüren reißt nicht so schnell.“ Das durften wir in unseren neun Ehejahren schon oft erleben. Wenn Gott in unserer Mitte ist, dann ist unsere Ehe stark, und jeder fühlt sich geliebt und respektiert. Gott als unsere dritte Schnur, die uns beide zusammenhält und vor allem mir hilft, mich nicht alleine zu fühlen. Umsetzung: Wir suchen uns ganz konkrete Zeiten, um füreinander zu beten. Wir nennen Gott unsere Wünsche und Träume und lassen Gott an unserem Partner arbeiten. Dies hilft mir, nicht andauernd Forderungen zu stellen und meinen Mann selbst ändern zu wollen. Mein Gebet fängt so an: „Lieber Herr Jesus, mach mich zu einer Ehefrau, die ihrem Ehemann gut tut, bei der er sich wohl fühlt und angenommen weiß. Hilf mir, meinen Ehemann so zu lieben und zu respektieren, wie du es vorgesehen hast. Fülle du meine Leere mit deiner Liebe aus, damit ich dankbar und zufrieden sein darf …“ Diese Liste ist bestimmt noch nicht ausgeschöpft und bei dem einen oder anderen kann sie ganz unterschiedlich aussehen. Doch eine Zuversicht will ich hier noch weitergeben: „Wir alle sind gewollt, geliebt und wertvoll in den Augen Gottes!“ Diese Gewissheit der Liebe Gottes wünsche ich mir und allen, die sich auch immer einmal allein in der Ehe fühlen.

Manuela Rein-Ziegler lebt mit ihrer Familie in Hessen.

„Er kommt nur, wenn er etwas braucht“

„Seit unser Sohn in seiner eigenen Wohnung lebt, beschleicht uns als Eltern das Gefühl, nur noch gefragt zu sein, wenn er sich selbst etwas nicht leisten kann oder will. Er leiht sich regelmäßig unser Auto und andere Dinge aus. Sicher teilen wir gerne mit ihm, aber es stört uns, dass er sich ausschließlich bei uns meldet, wenn er was braucht.“

Zwanzig Jahre oder länger hat Ihr Sohn mit Ihnen in einem Haushalt gelebt und ist dabei mit allem Materiellen versorgt worden. Nach dem Auszug merkt er in vollem Ausmaß, wie vieles man im Alltagsleben braucht und wie teuer manche Anschaffungen sind. Viele junge Menschen mit eigenem Einkommen empfinden es als normal, dass ihre Eltern und deren Besitz ihnen weiter zur Verfügung stehen, wie zu der Zeit, als alle im gleichen Haus wohnten. Der Schritt in die materielle Selbstständigkeit ist dann noch nicht abgeschlossen, während die innere Unabhängigkeit im Denken und Lebensstil schon vollzogen wurde.

FEHLENDE GEGENSEITIGKEIT
Grundsätzlich ist es eine sehr gute Idee, sich mit Gegenständen auszuhelfen, die nicht ständig gebraucht werden. Vieles spricht für Car Sharing und die gemeinsame Nutzung eines Grills oder teurer Werkzeuge. Sie haben dies alles bereits angeschafft – warum es nicht verleihen, wenn Sie es gerade nicht nutzen? Auch Nachbarn und Freunde helfen sich auf diese Weise gegenseitig. Und hier scheint Ihr Problem zu liegen: Die Gegenseitigkeit fehlt. Sie haben das Empfinden, nur den Service leisten zu müssen, ohne selbst irgendeinen Gegenwert zu bekommen. Mit Gegenwert meine ich nicht unbedingt die gleiche Form – vermutlich kommen Sie gar nicht in die Lage, sich einen Haushaltsgegenstand von ihm leihen zu müssen. Sie erwarten etwas anderes: eine Geste der Dankbarkeit, Interesse an Ihrem Leben oder auch mal praktische Hilfe an anderer Stelle. Wenn das fehlt, kann das Gefühl, ausgenutzt zu werden, die Beziehung verkümmern lassen.

KLARE KOMMUNIKATION
Durch das Leben in getrennten Haushalten ist eine neue Form des Miteinanders auf Augenhöhe gefragt. Ein Anfang könnte sein, offen auf Ihren Sohn zuzugehen und ihm zu sagen, wie Sie sich Ihre Beziehung jetzt vorstellen können. Gestalten Sie die Kommunikation klar, aber bleiben Sie dabei zugewandt und vermeiden Sie Vorwürfe. Vielleicht ist ihm gar nicht aufgefallen, dass er sich nur dann an Sie wendet, wenn er Hilfe braucht. Muten Sie ihm zu, sich mit Ihren Erwartungen auseinanderzusetzen. Sie können ausdrücken, dass Sie sich gegenseitige Anteilnahme am Leben des anderen wünschen und nicht nur „Dienstleister“ sein wollen. Allerdings können Sie das nicht einfordern. Gesten der Zuneigung können nur freiwillig gegeben werden. Die Einsicht und Umsetzung ist sein Part, den er erfüllen wird oder auch nicht. Es ist aber in jedem Fall förderlicher für die Beziehung, Ihr Empfinden zu äußern, als im Stillen vor sich hin zu grollen.

Reinhild Mayer ist Mutter von zwei erwachsenen Söhnen und arbeitet in der Redaktion von Family und FamilyNEXT.