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Leider ist es vorbei …

Wenn die Lockerungen der Corona-Einschränkungen ein Vermissen auslösen

„Sag mal, ist das immer noch dein Corona-Ansatz?“, fragt mich meine Freundin und zeigt auf meinen dunkel schimmernden Haaransatz. Viele Frauen, die ihre Haare färben, haben in der Zeit des Covid-19-Lockdowns besonders darunter „gelitten“, dass die äußeren Möglichkeiten zur Pflege eingeschränkt waren. Lächelnd musste ich in den sozialen Medien von den Dramen lesen, die Stars und Sternchen wegen ihres nachwachsenden Haaransatzes durchleiden mussten. Und ich gehöre tatsächlich dazu. Meine blond gesträhnten feinen Haare wurden zu einer Art persönlichem Tagebuch: Je länger die Herausforderung uns alle beschäftigte, desto dunkler wurde mein Ansatz.

Als meine Freundin auf meinen Scheitel deutete, wurde mir bewusst: Ich komme nicht dazu, mich wieder in den normaler anmutenden Alltag einzufügen. Ich habe Wochen und Monate damit gerungen, dass mein Leben sich durch Einschränkungen und familiäre Kraftakte verändert – und nun trauere ich um meine Corona-Rituale? Es ist, als möchte ich mit diesem Ansatz festhalten, dass ich einen neuen Rhythmus gefunden habe.

Ich habe zum Beispiel viel bewusster gelesen, viel bewusster geschlafen und bin viel bewusster in den Tag gestartet: manchmal schon sehr früh. Wir haben als Familie mehr gespielt, den Sonntag zusammen mit einem Ausflug gestaltet, uns zu Mahlzeiten verabredet, damit der Tag nicht ganz strukturlos wird. Immer mehr gewann ich meine kleinen neuen Rituale sehr lieb.

Und nun: Ich kann und muss wieder zum Frisör, ich könnte in die Stadt zum Eiscafé schlendern und sogar Freunde treffen. Ja, nun habe ich wieder Termine. Und das fordert mich sehr. Ich suche nach Entschuldigungen, warum mein Haupthaar so verwahrlost ist, und erinnere mich auf einmal an das Volk Israel, von dem die Bibel berichtet. Erst brauchte ich ganz viel Nähe und Unterstützung und Gottes väterlichen Rat, um mich auf diesen Lockdown einzulassen und meinen eigenen Rhythmus zu finden. Und nun: Während die Welt wieder bummeln geht, jammere ich wie das Volk Israel. Nach einer schweren Zeit in Ägypten stapfen sie durch die Wüste und wollen zurück. Zurück, weil sie sich an die positiven Seiten in der Sklaverei erinnern. Während ich mir durch meine nicht geschnittenen Haare fahre, wird mir plötzlich bewusst: Ich kann es auch heute schaffen. Ich kann es heute mit Gottes Unterstützung wieder schaffen, mich in meinen Alltag einzufinden.

Gute Rituale kann ich wie kostbare Errungenschaften im neuen Heute einbetten und selbst bestimmen, was mich antreibt und meine Zeit ausfüllt. Ich bin nicht überfordert mit einer Krise. Ich brauche einfach einen inneren Schritt in meinem Tempo. Ich bin in das ungewohnte Zuhausebleiben gegangen und werde diesen Schritt mit Gott zusammen auch wieder in meinen Alltag schaffen. Ja, und ganz sicher auch zum Frisör.

Stefanie Diekmann, Gemeindereferentin

Behüte dein Herz!

Nicht selten komme ich mir gerade so vor wie ein Kaktus: Um mein Herz zu schützen, fahre ich Stacheln aus. Fein, stark und mit Widerharken. Ganz unterschiedlich können diese sein: Ich bin empört, ich schweige oder ich gehe in den wortreichen Gegenangriff. Wann ich stachelig werde? Ach, beim vollen Biomülleimer, dem fragenden Blick meines Sohnes, einer anklagenden Mail, einem Post mit schönen Fingernägeln. Irgendwie sehr schnell und sehr oft.

Diese Pandemie macht etwas mit uns allen. Mit mir. Ich sollte mich aber nicht nur um Finanzen und Wirtschaft sorgen, sondern die Aufforderung Gottes ernst nehmen: „Behüte dein Herz!“ Mein Herz braucht gerade einen Schutzraum im Rahmen der Lockerungen in der erlebten Krise. Ich will näher hinsehen: Wie geht es mir damit? Was sind meine ausgefahrenen Stacheln? Wo sind sarkastische Untertöne über Freunde, Fremde oder Politiker in meinen Alltag eingezogen? Wo habe ich das Gefühl, nicht gesehen zu werden? Wo ist der Ton in meiner Familie rauer geworden? Wen halte ich auf Abstand? Von wem bin ich verletzt worden?

Ja, ich fühle mich wirklich wie ein hormongesteuerter Teenager, der seine empfindsame Seele mit Stacheln schützt, um nicht verletzt zu werden. Überall lese ich von Lockerungen und dabei schnürt sich mein Herz mir zu. Ich befürchte, diese Zeit nicht gewinnbringend genutzt zu haben, mich nicht genug über die Chancen gefreut zu haben. Ich habe jeden Tag überlebt. Mehr nicht. Und vor allem nicht weniger!

Ich schütze mich, weil mir viel auffällt, was ich NICHT lebe und schaffe. Dabei brauche ich gerade jetzt jemanden, der sagt: Trau dich wieder in deinen Familienalltag. Mach dich locker, wenn noch kein Rhythmus zu erkennen ist und ihr als Familie derzeit um 16.00 Uhr Mittag esst. Mach dich locker, wenn du genervt vom Schulwiedereinstieg bist. Mach dich locker, wenn du die Präsenz deines Mannes nicht immer feierst.

Ich schütze mich mit Stacheln und ersehne dabei so sehr, dass jemand in mein Herz spricht und es wagt, mich zu sehen. Ich bin so froh, dass ich nicht stachelig bleiben muss. Denn das macht mich einsam und zickiger, als ich sein möchte. Ich male mir aus, wie Gott mich umarmt und sich nicht in die Flucht stacheln lässt. Wie gut!

Ich kann mit dieser Vorstellung spüren, dass die gerade erlebten Lockerungen Veränderungen wie alle sind und Kraft kosten. Immerhin schaffe ich es, den Impuls zu unterdrücken, die drängelnden Senioren an der Kasse scharf anzuzischen und stattdessen zu zwinkern. Ein kleiner Anfang – aber für mich heute ein Schritt, mein Herz zu behüten.

Stefanie Diekmann, Gemeindereferentin