Beiträge

Was wird aus meinen Kindern, wenn …?

Dass die Eltern sterben, wenn die Kinder noch klein sind, mag sich niemand gern vorstellen. Wer aber gut vorsorgen möchte, sollte sich damit auseinandersetzen, was dann mit den Kindern passiert. Hilfreiche Tipps gibt der Rechtsanwalt Stephan Lang.

Für meine Kinder tu‘ ich alles!“ – Würde man eine Umfrage unter Eltern durchführen, kann man sich sicher sein: Fast alle Befragten würden dieser Aussage vollständig zustimmen. Warum sonst geben Eltern für den Kinderwagen der neugeborenen Tochter gut und gerne 900 Euro aus, finanzieren dem neunjährigen Sohn eine Gitarre mit Verstärker, den Gitarrenunterricht, übernehmen selbstverständlich die Fahrten zum Unterricht, außerdem zum Fußballtraining und zur Englisch-Nachhilfe und schließen für die älteste Tochter einen Bausparvertrag ab? Für die Kinder ist das Beste grade gut genug!

Deutlich schwerer fällt es Eltern jedoch, auch für unangenehme Lebenssituationen vorzusorgen. Insbesondere junge Eltern tun sich hiermit eher schwer. Die Frage: „Was wird aus meinen Kindern, wenn ich mal nicht mehr da sein sollte?“, verdrängen sie dabei meist. Immerhin tritt dieser Fall statistisch gesehen meist erst im höheren Lebensalter ein. Aber dann sind die Kinder in der Regel selbst erwachsen und unabhängig. Eltern, die „alles für ihr Kind tun“, sollten sich allerdings frühzeitig auch mit solchen unangenehmen Fragen auseinandersetzen.

Die Frage, wer sich im Falle des Todes oder anderweitiger Verhinderung der Eltern um die Kinder kümmert, ist im Familienrecht geregelt. Das Gesetz spricht vom Sorgerecht. Dieses steht meist mit der Geburt des Kindes beiden Elternteilen gemeinsam zu. Es gibt aber auch Konstellationen, in denen von Geburt an nur ein Elternteil für das Kind sorgeberechtigt ist. Durch verschiedene Umstände kann das Sorgerecht eines Elternteils im Übrigen auch entfallen beziehungsweise ruhen, etwa wenn der Elternteil geschäftsunfähig ist oder das Familiengericht feststellt, dass er die elterliche Sorge nicht ausüben darf. Die Ausgangssituation (Wem steht das Sorgerecht zu dem Zeitpunkt zu, zu dem ein Elternteil ausfällt?) ist von entscheidender Bedeutung für die Fragen, wer das Sorgerecht ab diesem Zeitpunkt erhält:

FALLKONSTELLATION 1: GEMEINSAMES SORGERECHT BEIDER ELTERNTEILE

Sind beide Elternteile für ein minderjähriges Kind gemeinsam sorgeberechtigt und verstirbt einer der beiden Elternteile, so steht das Sorgerecht dem überlebenden Elternteil zu (§ 1680 Abs. 1 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob die Eltern zusammen oder getrennt leben beziehungsweise verheiratet oder geschieden sind. Alleine von Bedeutung ist die Tatsache, dass beide Elternteile gemeinsam sorgeberechtigt waren.

Sind beide Elternteile für ein minderjähriges Kind gemeinsam sorgeberechtigt und versterben beide Elternteile beziehungsweise wird ihnen das Sorgerecht entzogen, wird von Amts wegen, also auch ohne Antrag, durch das Familiengericht eine Person als Vormund bestellt (§ 1773 Abs. 1 BGB). Dieser hat dann sowohl das Recht als auch die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Die landläufige Auffassung, wonach in einem solchen Fall die Paten „einspringen“ und die Erziehung und Pflege übernehmen, hat im Gesetz keine Grundlage.

Die Bestellung des Vormunds erfolgt nach dem Ermessen des Familiengerichts. Hierbei muss es allerdings den mutmaßlichen Willen der Eltern, die persönlichen Bindungen des Kindes (Mündel), die Verwandtschaft oder Schwägerschaft sowie das religiöse Bekenntnis des Kindes berücksichtigen. Hierzu soll das Familiengericht Verwandte des Kindes anhören (§ 1779 Abs. 2 und 3 BGB).

Tipp: Ein schriftlich festgehaltener Wille der Eltern hinsichtlich der Frage, wer Vormund werden soll, hilft dem Familiengericht bei der Auswahl des Vormunds erheblich weiter, selbst wenn er nicht in der erforderlichen Form verfasst ist.

FALLKONSTELLATION 2: ALLEINIGES SORGERECHT EINES ELTERNTEILS

Von der ersten Konstellation zu unterscheiden ist der Fall, in dem nur einem Elternteil das Sorgerecht für das Kind zusteht, sei es, weil ein Elternteil bereits verstorben ist, oder weil das Sorgerecht schon immer nur einem Elternteil zustand. „Allein sorgeberechtigt“ ist nicht gleichbedeutend mit „alleinerziehend“. Elternteile können gleichzeitig alleinerziehend (also die tatsächliche Erziehung und Pflege des Kindes übernehmen), aber gemeinsam (mit dem getrennt lebenden Elternteil) sorgeberechtigt sein.

Stirbt der allein sorgeberechtigte Elternteil oder ist er verhindert, die elterliche Sorge auszuüben, so bestellt auch hier das Familiengericht einen Vormund. Lebt der andere, nicht sorgeberechtigte Elternteil noch, so hat das Gericht das Sorgerecht auf den überlebenden Elternteil zu übertragen (§ 1680 Abs. 2 BGB). In zwei Fällen wird das Gericht jedoch hiervon absehen: Zum einen, wenn dies dem Wohl des Kindes widerspricht, und zum anderen, wenn die sorgeberechtigte Person eine Anordnung für diesen Fall getroffen hat.

Tipp: Gerade für diesen Fall sind die Vorsorgemöglichkeiten des sorgeberechtigten Elternteils von großer Bedeutung. Sorgeberechtigte können nicht nur festlegen, wer Vormund des Kindes werden soll, sondern auch, wer als Vormund ausgeschlossen werden soll (siehe unten).

VORSORGEMÖGLICHKEITEN

In bestimmten Fällen widerspricht die gesetzliche Regelung möglicherweise dem, was für die eigene Familienkonstellation sinnvoll ist. Wie in anderen Bereichen gibt es auch hier die Möglichkeit, für den Fall der Fälle Vorkehrungen zu treffen: Das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Eltern für den Fall, dass ihr Kind einen Vormund braucht, eine Person als Vormund benennen können. Eine solche Vormundbenennung (sog. Vormundverfügung gem. §§ 1776, 1777 BGB) muss allerdings in der vorgeschriebenen Form einer letztwilligen Verfügung verfasst werden (§ 1777 Abs. 3 BGB).

Tipp: Form der „letztwilligen Verfügung“ bedeutet, dass die für ein Testament erforderliche Form eingehalten werden muss: Das Dokument muss handschriftlich verfasst und unterschrieben sein (§ 2247 BGB) oder vor einem Notar verfasst werden (§ 2232 BGB). Bei gemeinsamen letztwilligen Verfügungen durch Ehegatten genügt es, wenn ein Ehegatte das Dokument handschriftlich aufsetzt und der andere Ehegatte unterschreibt (§ 2267). Um Fehler zu vermeiden, lohnt es, sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Notar beraten zu lassen.

Möglich ist, dass Eltern gemeinsam für mehrere Kinder einen gemeinsamen Vormund oder auch ein Ehepaar als Vormünder bestellen (§ 1775 BGB). Sollten beide Elternteile verschiedene Personen benennen, ist die zuletzt genannte Person maßgeblich (§ 1776 Abs. 2 BGB).

Das Familiengericht ist an eine Benennung durch die Eltern auch grundsätzlich gebunden und kann nur in Ausnahmefällen die benannte Person übergehen. Dies ist insbesondere nur möglich, wenn die Person als Vormund nicht geeignet ist, weil sie minderjährig oder geschäftsunfähig ist oder durch die Benennung das Kindeswohl gefährdet würde (§§ 1778 ff. BGB). Hat das Gericht eine Person als Vormund bestellt, kann diese wiederum nur in Ausnahmefällen die Übernahme der Vormundschaft ablehnen (§ 1785 ff. BGB).

ALLEINE SORGEBERECHTIGTER ELTERNTEIL

Alleine Sorgeberechtigte haben unter Umständen ein Interesse daran, dass der nicht sorgeberechtigte Elternteil im Fall der Fälle nicht Vormund des gemeinsamen Kindes wird. Durch eine Vormundverfügung kann auch für diesen Fall der nicht sorgeberechtigte Elternteil als Vormund ausgeschlossen werden (§ 1782 BGB).

Tipp: Um dem Gericht diese Entscheidung leicht zu machen, empfiehlt es sich, ausführlich und nachweisbar zu begründen, warum der andere Elternteil als Vormund nicht geeignet ist, etwa weil durch die Übertragung der elterlichen Sorge auf ihn das Wohl des Kindes gefährdet würde.

GEMEINSAM SORGEBERECHTIGTE, GETRENNT LEBENDE ELTERN

Eltern, die gemeinsam sorgeberechtigt sind, jedoch getrennt leben oder geschieden sind, können nicht verhindern, dass der überlebende Elternteil das Sorgerecht für das Kind erhält, sollte der andere sterben oder verhindert sein, die elterliche Sorge auszuüben. Ein Ausschluss des anderen Elternteils, wie bei alleine sorgeberechtigten Elternteilen, ist nicht möglich.

Tipp: Gemeinsam sorgeberechtigte Eltern können jedoch in ihrem jeweiligen Testament festlegen, dass der Nachlass, welcher der verstorbene Elternteil dem minderjährigen Kind hinterlässt, nicht der Vermögenssorge durch den überlebenden Elternteil unterliegt (§ 1638 BGB). Das hat zwar nicht zur Folge, dass dem überlebenden Elternteil die Personensorge für das gemeinsame Kind entzogen wird, allerdings hat dieser dann keinen Zugriff auf das dem Kind hinterlassene Vermögen.

Stephan Lang ist Fachanwalt für Familienrecht in Mittelhessen. Er ist seit 21 Jahren glücklich verheiratet und hat fünf Kinder.

Tor zur Freiheit?

Wenn die Kinder ausziehen, eröffnen sich neue Freiräume für die Eltern? Ja und nein, meint Birgit Weiß. Tatsächlich verändert sich ihre Rolle als Mutter und Ehefrau.

Als ich vor zwei Jahren eine ehemalige Schulfreundin traf, die das Führen ihres „Hotels Mama“ so gründlich satthatte, dass sie es ihren zwei erwachsenen Töchtern nahelegte, doch endlich auszuziehen, dachte ich zum ersten Mal darüber nach, ob ich das eigentlich noch alles will. Denn im Grunde war ich noch mitten im Thema. Unsere Kinder waren 18, 22 und 24 und wohnten alle noch zu Hause. Die älteste Tochter und der Sohn studierten, die Jüngste ging noch zur Schule. Bei meiner ehemaligen Schulfreundin merkte ich jedenfalls ganz deutlich, dass ihre Seele extrem nach Freiheit lechzte. Dass sie nicht mehr länger bereit war, für erwachsene Kinder zu kochen, zu putzen und zu waschen, sondern dass sie nun endlich auch etwas von dem ihr „noch übriggebliebenen Leben“ für sich in Anspruch nehmen wollte.

WENIG ZEIT ZU ZWEIT

Einerseits konnte ich sie verstehen, andererseits empfand ich nicht genauso. Das Führen meines „kleinen Familienunternehmens“ betrachtete ich immer als wertvolle Aufgabe. Auch wenn ich mich um das Familienmanagement weitgehend allein kümmern musste, da mein Mann aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit nicht viel Zeit hat. Glücklicherweise befindet sich sein Büro aber in unserem Haus, sodass wir uns dennoch in einigen Bereichen ergänzen können. Ich kümmere mich zum Beispiel um die Buchführung, während er mir bei körperlich schweren Arbeiten in Haus und Garten hilft, sofern keins der Kinder da ist, das mit anpacken kann. Seine Selbstständigkeit brachte uns trotz allem aber auch schon immer den klaren Vorteil, dass wir als Familie alle zusammen am Esstisch sitzen konnten. Da allerdings bestimmten die Kinder weitgehend die Gesprächsthemen.

Unsere gemeinsamen Zeiten als Ehepaar dagegen hielten sich eher in Grenzen. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir uns einen regelmäßigen Ausgeh-Samstag freischaufeln konnten, an dem wir zum Schwimmen und anschließend zum Essen gehen. Aber selbst da ereilte uns beim Verlassen des Hauses so manches Mal noch die schnelle Frage: „Könnt ihr mir etwas mitbringen?“, und das haben wir dann auch meistens gemacht. Man kann die Kinder eben doch nicht ganz ausklammern, auch wenn man sich gerade mal etwas für sich gönnt.

FAMILIENZEIT GENIESSEN

Dass sich das auch jetzt, wo die Kinder erwachsen sind, nicht maßgeblich geändert hat, mag dem einen oder anderen übertrieben erscheinen, liegt aber vermutlich zumindest bei mir an dem Umstand, dass ich als Kind durch die Scheidung meiner Eltern, den frühen Tod des Vaters und die Alkoholkrankheit meiner Mutter kein normales Familienleben hatte. Deshalb schätze ich die Gemeinschaft mit meinem Mann und den Kindern umso mehr und bin bereit, eigene Wünsche zurückzustecken. Was natürlich trotz allem nicht heißt, dass ich mir nicht auch an manchem Tag ein freies Haus gewünscht hätte. Oder zumindest ein Plätzchen, an dem man nicht gestört werden kann. Mein Traum war immer ein eigenes Arbeitszimmer innerhalb der Wohnung, in dem ich die Buchführung sowie Schreibarbeiten in Ruhe erledigen kann, ohne dabei allzu weit von Herd und Waschmaschine entfernt zu sein. Da es sich aber aus Platzmangel nicht einrichten ließ, arbeite ich weitgehend im Wohnzimmer, und dort ist es eben äußert schwierig mit der Ruhe. Nicht zuletzt deshalb, weil die Kinder während ihrer Schul- und Studierzeiten sehr viel zu Hause und damit auch immer irgendwie um mich herum waren. Aber: Kann man als Mutter überhaupt erwarten, ungestört zu sein, solange die Kinder im Haus sind? Müssen nicht erst alle ausziehen, damit man sich auch einmal auf seine eigenen Angelegenheiten konzentrieren kann?

NAHTLOS IN DIE OMAPHASE?

Wenn ich mich im Bekanntenkreis umsehe, so kann ich feststellen, dass auch der Auszug der Kinder durchaus nicht immer das Tor zur Freiheit öffnet. Da begegnen mir beim Einkaufen Frauen meines Alters, die bereits mit ihren Enkelkindern unterwegs sind. Bei denen die Mutterphase nahtlos in die Omaphase übergegangen ist. Oftmals versorgen sie ihre Enkelkinder stundenweise, damit ihre Töchter oder Schwiegertöchter arbeiten können. Auch wenn einige von ihnen dies durchaus gern so handhaben, kann ich mir das im Moment noch nicht vorstellen. Ich würde mir zwischen Mutterphase und Omaphase doch einige Zeit Leerlauf wünschen, um mich wieder auf eigene Interessen besinnen zu können. Denn obgleich ich immer noch gern Mama bin, mache ich mir Gedanken darüber, was ich mit dem Leben „danach“ noch so anfangen könnte. Ein Besuchsdienst für ältere Menschen, den ich bereits im kleinen Rahmen begonnen habe, läge mir da zum Beispiel am Herzen. Ich empfinde den Kontakt zu älteren Menschen als Ausgleich, da sowohl Eltern als auch Schwiegereltern bereits verstorben sind und wir folglich keinen von ihnen mehr besuchen können.

Dass wir aus diesem Grund aber auch niemanden mehr haben, um den wir uns in den nächsten Jahren kümmern müssten, eröffnet gleichzeitig auch einen gewissen Freiraum für die Zukunft, den andere Ehepaare unseres Alters weniger haben. Die Fürsorge für die eigenen Eltern ist da ein Riesen-Thema und kann auch mal zu einer großen Last werden, wenn man die pflegerische Betreuung übernehmen muss, so wie das bei einer guten Bekannten der Fall ist. Sie hat auch jetzt, da ihre Kinder aus dem Haus sind, keine Zeit für sich. Sie habe das Gefühl, sagt sie mir, dass das Leben an ihr vorbeizieht. Dass sie selbst alt bei der Pflege wird und dass sie es als sehr frustrierend empfindet, dass niemand etwas von ihrer Leistung, die sie da im Stillen treu und täglich erfüllt, wahrnimmt. Obwohl ich sie nicht persönlich unterstützen kann, kann ich sie mit dem Gedanken trösten, dass Gott ihre Mühe sehr wohl sieht und ihre Fürsorge in seinen Augen sehr wertvoll ist. Jesus sagt ja: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40), und genau das hat mich persönlich getröstet, als mich vor über 25 Jahren die Sorgen um meine alkoholkranke Mutter selbst an den Rand der Erschöpfung brachten. Aber auch wenn diese Zeiten lange vorbei sind und unsere Ehe in Sachen „alternde Eltern“ keine Last zu tragen hat, leiden wir im Gegensatz darunter, dass sie viel zu früh verstorben sind. Wir vermissten sie im Laufe der Jahre nicht nur bei Familienfeiern oder den ersten Schultagen unserer Kinder, sondern generell. Wir hatten keinerlei Entlastung bei der Erziehung unserer Kinder. Und diese waren oft sehr traurig darüber, keinen Opa und keine Oma zu haben.

KINDER IN DER FERNE

Und während wir unsere Eltern vermissen, vermissen andere bereits ihre erwachsenen Kinder, weil es diese sehr weit in die Ferne gezogen hat. Denn auch das gibt es ja, dass Kinder nicht nur um die Ecke ziehen, sondern plötzlich Tausende von Kilometern weit weg sind, so wie das bei einer anderen Bekannten der Fall ist, deren junge Leute Hals über Kopf ausgewandert sind. Eigentlich kannte ich sie ja nur als unzertrennliches Gespann, nahe beieinander wohnend – und nun das! Keiner hatte damit gerechnet, die betroffene Mutter am allerwenigsten! Nun sieht sie ihre Lieben nur noch über Skype, hat schreckliche Sehnsucht und wird demnächst ihre Flugangst überwinden müssen, um sie besuchen zu können.

Als Elternpaar kennen auch wir das Spannungsfeld, in dem man sich befindet, sobald die Kinder aus der unmittelbaren Nähe verschwunden sind. Einerseits möchte man sie loslassen, gönnt ihnen und auch sich selbst die neue Freiheit, andererseits macht man sich trotzdem seine Gedanken und ist folglich doch nicht so ganz frei. Aktuell fühlen wir uns immer noch mitverantwortlich, weil unsere Kinder aufgrund ihres Studiums oder ihrer Ausbildung noch nicht ganz auf eigenen Füßen stehen.

Daneben kennen wir auch das Damit-Zurechtkommen- Müssen, dass sich Dinge plötzlich ganz anders entwickeln, als man sich das so gedacht hätte. Auch wir konnten uns nicht immer gleich mit allen Entscheidungen unserer Kinder anfreunden, sind aber im Laufe der Zeit flexibler geworden. Wir haben durch eigene und durch die Erfahrungen in unserem Bekanntenkreis erkannt: Es ist nicht gut, sich in gewisse Vorstellungen über die Zukunft zu verbeißen. Viel besser ist es, sich mit den jeweiligen Gegebenheiten bestmöglich zu arrangieren und in allem das Positive zu suchen.

LOSLASSEN EINGEÜBT

Um immer wieder über den häuslichen Tellerrand hinausschauen zu können, helfen meinem Mann seine Aktivitäten als Hobby-Musiker. Mir dagegen helfen Freundschaften, mein kleiner Besuchsdienst und vor allem mein Glaube an Gott. Ich merke immer wieder, wie der Herr mir beim Vergeben hilft, neue Kraft schenkt und meinen Liebestank treu auffüllt. Was ich immer schon als Privileg erachtet habe: Ich darf meine Lieben zu jeder Zeit und egal, wo sie sich gerade befinden, im Gebet begleiten. Zu wissen, dass der allmächtige Schöpfer des Universums höchstpersönlich auf sie Acht gibt, lässt mich am Abend ruhig einschlafen, auch wenn ich nicht weiß, wie sich alles weiterentwickeln wird.

Im Moment sieht es bei uns so aus: Unser Sohn ist in ein Studentenheim gezogen, das eine Autostunde von uns entfernt ist. Die Älteste kam kürzlich von einem halbjährigen Freiwilligendienst in Israel zurück nach Hause, um ihr Studium zu beenden, und die Jüngste lebt noch zu Hause, sucht aber nach einer Wohnmöglichkeit, um näher an ihrem Ausbildungsplatz zu sein. Der Gedanke, dass wir als Ehepaar auch bald zu zweit sein könnten, macht uns keinen Kummer. Zum einen hatten wir schon zwölf gemeinsame Jahre vor den Kindern, zum anderen haben wir das Loslassen inzwischen ja ein bisschen eingeübt.

Birgit Weiß lebt mit ihrer Familie in Oberfranken.

 

 

Freiheit gewinnen

Ein Plädoyer fürs Loslassen. Von Priska Lachmann

Loslassen – ein Wort, das mit Schmerz verbunden ist. Sorgen und Ängste treiben mich als Mutter um, wenn mein Kind mir früh im Kindergarten vom Fenster aus winkt. Sie haben mich eingenommen, als unsere große Tochter zweimal in drei Jahren die Schule gewechselt hat. Kontrolle zu behalten und alle unschönen Erfahrungen von unseren Kindern fernzuhalten – das wäre mein Traum. Vor einem Jahr sind wir umgezogen. Wir haben gebaut und sind in unsere spießige Doppelhaushälfte mit Garten gezogen. Und ich saß in unserem neuen Haus und konnte die alte Wohnung in der Innenstadt nicht loslassen. Erinnerungen durchströmten mich, während ich in unsere braune Matschwüste – Garten genannt – starrte. Doch in diesen Empfindungen zu bleiben, bringt uns nicht weiter. Loslassen bedeutet auch Freiheit gewinnen. Freiheit von Ängsten und Sorgen. Freiheit von Lebenssituationen, die ich nicht mehr ändern kann.

ANDERS SCHÖN

Eine Freundin von mir hat vor einiger Zeit eine schlimme Diagnose bekommen: Multiple Sklerose. Da stand sie nun mit Säugling im Krankenhaus, gerade vom Sommerurlaub nach Hause gekommen, und sah ihr Leben vor einem Scherbenhaufen. Verzweiflung gehört in so einer Situation dazu, aber danach gilt es: Hoffnung schöpfen, die Ärmel hochkrempeln und anfangen zu kämpfen. Das alte Leben loslassen. Das perfekte alte Leben ohne Krankheit loslassen. Es kommt nicht wieder, aber es kann anders schön sein, und die Krankheit muss nicht das Leben bestimmen. Wenn sie nicht losgelassen hätte, hätte sie nicht anfangen können zu kämpfen. Loslassen kann man oft nur mit Gottes Hilfe. Allein sind wir häufig zu kraftlos, um alte Situationen aus unserem Leben loszulassen. Sei es eine zerbrochene Beziehung, Träume, die man in die Tonne werfen muss. Kinder, die ausziehen oder einfach nur in die Schule kommen oder ihren ersten festen Freund haben.

NEUE HERAUSFORDERUNGEN

Und wenn man loslässt, findet man Freiheit. Die Bande der Angst, die unsere Kehle zuschnüren, verschwinden. Sorgen weichen. „Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ So steht es in der Bibel. Ängste loslassen führt zu Freiheit. Furcht vor etwas Unbestimmtem, vor etwas, das eventuell in der Zukunft passieren könnte, lähmt und engt ein. Loslassen bedeutet, Kraft, Liebe und Besonnenheit ins eigene Leben einziehen zu lassen. Das eigene Herz wird frei. Die Kinder werden frei und können sich entwickeln, Stärke bilden und Selbstbewusstsein entwickeln. Neue Freunde kommen, die das Leben bereichern, neue Herausforderungen verändern den Charakter positiv. Loslassen schaffe ich im Gebet und im Vertrauen auf Gott. Ich kann nicht wissen, was die Zukunft bringen wird. Ich weiß nicht, ob mein Kind heute nicht vielleicht Probleme in der Schule haben wird. Ich weiß nicht, was das Leben für uns bereithält. Es ist nicht perfekt. Es ist aber in der Hand eines himmlischen Vaters und ich entscheide, wie ich mit den Dingen umgehe, die das Leben mit sich bringt. Ich entscheide loszulassen.

Priska Lachmann studiert Theologie und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Leipzig. Sie bloggt unter mamalismus. de.


Einen weiteren Artikel aus dem Dossier „Loslassen“ finden Sie hier.

Loslassen!

Ängste, Sorgen, Träume, das Bild von mir selbst und natürlich die Kinder: Wie wir das alles loslassen können, damit beschäftigen wir uns gerade intensiv in der Redaktion. Denn „Loslassen“ ist das Dossier-Thema der nächsten Ausgabe von Family und FamilyNEXT.

„Wenn man loslässt, findet man Freiheit“, schreibt Priska Lachmann zum Beispiel. Und Roswitha Wurm sagt in ihrem Artikel über das Loslassen von Lebensträumen: „Jedes ‚Hätte ich doch‘ wirft uns zurück in ein Leben, das nicht mehr zu unserem Heute gehört.“ Spannende Gedanken, die dazu anregen, eine Standortbestimmung zu machen: Wann ist Loslassen angesagt? Und wann ist Festhalten dran?

Das ist ja auch immer wieder die Frage in Bezug auf unsere Kinder. Wir müssen sie ganz oft festhalten, ihnen Halt geben. Aber wir dürfen den Moment nicht verpassen, wenn das Loslassen wichtig wird. In schöne Wort hat das Mariana Leky in ihrem Roman „Was man von hier aus sehen kann“ gefasst:

Selma und der Optiker hatten uns das Fahrradfahren beigebracht. Der Optiker hielt Martins Gepäckträger fest, Selma meinen. „Wir lassen nicht los“, sagten sie. Und irgendwann: „Wir lassen jetzt los!“ Und Martin und ich fuhren, erst wackelig und dann immer sicherer.

 

Bettina Wendland, Redakteurin Family und FamilyNEXT

Wunsch vs. Wirklichkeit

Es kann herausfordernd sein, einen Weg zwischen dem zu finden, was sich Eltern erträumen und dem, was Kinder wollen. Und nicht immer ist das Ringen um einen Kompromiss stressfrei.

Es ist MEIN Leben!“ – Wie oft habe ich meinen Eltern diesen Satz unter Tränen an den Kopf geworfen? Nach dem Abitur ging ich für ein halbes Jahr von zu Hause weg. Für meine Eltern war der Abschied schmerzhaft, vor allem weil sie es nicht kannten, dass ihre Kinder für eine längere Zeit an einem anderen Ort lebten. Als ich nach sechs Monaten zurückkam, waren sie überglücklich und hatten bereits Pläne im Kopf, wie mein Leben nun weitergehen sollte.

LOSLASSEN LERNEN
Entgegen aller Hoffnungen und Erwartungen entschied ich mich für ein Studium, das etwas weniger als drei Stunden von meiner Heimat entfernt war. Für meine Mutter war es wie ein Stich ins Herz. Ich erinnere mich daran, wie oft sie mich überzeugen wollte, dass es doch ebenso in unserer Umgebung gute Studiengänge gebe. Und auch für mich war der Schritt nicht einfach. Der Gedanke, meine Familie nur noch ab und zu am Wochenende sehen zu können, machte mich traurig. Trotzdem wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte und es an der Zeit war, loszulassen. Loslassen – etwas, mit dem sich meine Mutter auch heute noch, fast drei Jahre nach meiner Entscheidung für das Studium, schwer tut. Im ersten Jahr nach meinem Umzug hatten wir fast täglich Kontakt, haben mehrmals die Woche telefoniert. Mir tat das gut und es hat mir geholfen, weil ich in meiner neuen Stadt noch niemanden kannte und plötzlich auch mit ganz praktischen Fragen konfrontiert war. Mit der Zeit wurde der Kontakt seltener und manchmal wünsche ich mir heute, dass sie öfter fragen würde, wie es mir geht.

FREIHEIT ERWÜNSCHT
Im Abstand von vier bis fünf Wochen fahre ich am Wochenende in die Heimat. Für meine Mama ist es nach wie vor nicht einfach, mich sonntagabends wieder gehen zu lassen. Besonders in der vorlesungsfreien Zeit ist die Erwartung meiner Eltern, dass ich für die gesamte Zeit nach Hause komme. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie noch immer nicht akzeptieren können, dass ich nun in einer anderen Stadt lebe und nicht nur studiere. Immer wieder haben meine Mutter und ich Meinungsverschiedenheiten bezüglich meiner Zukunft. Sie erzählt mir von ihren Wünschen für mein Leben. Ich spüre, dass sie unzufrieden mit meiner Studienwahl ist, dass sie sich etwas anderes für mich wünscht. Das setzt mich unter Druck und macht mich traurig. Was ich jedoch in den letzten drei Jahren lernen musste, ist, dass ich meinen eigenen Weg gehen muss, weil es mein Leben ist! Was ich mir wünschen würde? Mehr Freiheit. Freiheit von Erwartungen; Freiheit, meine Zukunft selbst kreieren zu dürfen. Es ist okay, dass meine Eltern nicht bei jeder meiner Entscheidungen Beifall klatschen. Ich wünsche mir lediglich, dass sie hinter mir stehen – unabhängig davon, ob mein Weg ihrem Ideal entspricht. Zweifelsohne kann ich sagen, dass ich meinen Eltern sehr dankbar bin für ihre Liebe und Unterstützung. Ich danke meiner Mutter für all ihr Nachfragen, ihr Mitgefühl und ihre finanzielle Unterstützung. Und ich danke ihr, dass sie mich jedes Mal, nachdem ich zu Hause war, mit so vielen Lebensmitteln versorgt, dass ich die nächsten vier Wochen überleben kann. Letztendlich weiß ich, dass ich geliebt bin und das ist doch das, was zählt.

 

Die Autorin möchte anonym bleiben.

Ein bisschen Helikopter …

… sind wir Eltern doch alle, oder? Ich denke, jede Mutter, jeder Vater hat so seine Bereiche, wo er oder sie mehr als andere das Kind kontrolliert, beobachtet oder zu sehr unterstützt. Aber dabei darf man sich bloß nicht erwischen lassen. Helikoptereltern-Bashing ist nämlich sehr beliebt. Zum Schulstart gab es in allen Medien Artikel und Berichte über Eltern-Taxis. Und dabei wird gern pauschal geurteilt. Ja, ich finde auch, dass mehr Kinder zu Fuß zur Schule gehen sollten. Ja, auch bei Regen! Aber für manche Kinder und Eltern ist es eben nicht machbar. Das interessiert aber keinen. Schnell sind es „die Eltern von heute“, die ihre Kinder nicht loslassen können, die ihrer Selbstständigkeit im Weg stehen und sich nur von Angst leiten lassen.

Bei Facebook kursieren Posts, in denen romantisch verklärt von der tollen Kindheit „damals“ die Rede ist, als die Kinder noch auf der Straße spielen durften. Wenn ich auf unsere – zugegebenermaßen verkehrsberuhigte – Straße blicke, sehe ich dort mehr Kinder als „damals“ bei uns. Ängstliche Mütter gab es immer schon …

Ich denke, es ist gut und sinnvoll, sich immer mal wieder zu hinterfragen: Gibt es Bereiche, in denen ich mein Kind überbehüte? Wo müsste es eigentlich selbstständiger sein? Wie kann ich es darin noch mehr unterstützen? Und es ist gut, sich der eigenen Ängste immer mal wieder bewusst zu werden.

Aber die meisten Eltern machen ihren Job gut. Meiner Beobachtung nach sind „echte“ Helikoptereltern eindeutig in der Minderheit. Wie letztens beim Schul-Staffel-Lauf im Rahmen eines Halbmarathons. Viele hundert Kinder haben hier mitgemacht. Mein Sohn auch. Ja, ich hatte vorher die Sorge, dass er zu schnell losrennt und dann seine Teilstrecke nicht schafft. Aber ich habe ihn fröhlich loslaufen lassen und war stolz, als er nach einer halben Stunde wieder am Wechselpunkt ankam. Umso erschrockener war ich, als ich einen Vater sah, der neben seinem 11-jährigen Sohn herlief. Nicht ein kleines Stück, um ihn zu motivieren. Nein, er ist die ganze Strecke neben ihm hergelaufen. Wie schade! Damit hat er seinem Sohn die Erfahrung genommen, es allein geschafft zu haben.

Nun könnte man wieder losschimpfen: Diese Helikoptereltern! Aber es war nur ein Vater von mehreren hundert Eltern. Alle anderen haben ihre Kinder angefeuert. Und sie laufen lassen. Das ist es, was zählt!

Bettina Wendland

Redakteurin Family und FamilyNEXT

Streit um die Zeit

„Wie viel Familienleben kann man als Eltern von Teenagern einfordern? Ist eine gemeinsame Mahlzeit am Tag zu viel verlangt? Oder kann man gar nichts fordern, sondern sich nur wünschen?“

Teens streben zunehmend nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Dies kann sich im Bedürfnis nach Ruhe und Rückzug äußern oder im häufigen Zusammensein mit Gleichaltrigen. Welche Form Ihr Kind bevorzugt, kann im Temperament oder in der aktuellen Stimmungslage begründet sein. In der Pubertät ist vieles im Umbruch. Der Körper und das Gehirn verändern sich, die Stimmung schwankt und neue Herausforderungen stürmen auf die Teens ein. Sich in dieser Zeit verstanden zu fühlen, eine Meinung zu bilden und seine Zeit selbstbestimmt zu füllen, ist reizvoll und natürlich. Rückzug oder Aktionen mit Freunden werden immer wichtiger. Dies steht oft im Widerspruch zum Familienleben und wird häufig zu einem Kampf um die gemeinsame Zeit. Ein jahrelanges Ritual, wie eine gemeinsame Mahlzeit, kann da schon mal zur Nervenprobe für die Eltern werden, ein schöner Familienausflug mit schlechter Laune oder gar Verweigerung enden.

SICH SELBST HINTERFRAGEN
Es gilt den Fragen nachzugehen: Wann bestehe ich auf gemeinsame Zeiten und warum? Bin ich zu neuen Sichtweisen oder Kompromissen bereit, und wie könnten diese aussehen? Auf solche Fragen sollten Sie eine Antwort finden, um überzeugender, klarer und gestärkt in Ihren Aussagen zu sein. Aussprüche wie „Das ist einfach so und du kommst jetzt gefälligst mit“ sind nicht so überzeugend wie „Wir verbringen gerne Zeit mit dir.“ So erhöht sich die Chance, dass sich Ihr Kind ernstgenommen fühlt. Auch Bedenken können und dürfen dann Platz finden. Kurze Aussagen wie „Ach, ich bin froh, einfach mal zu Hause sein zu können, in der Schule war so viel los diese Woche …“, können ein Türöffner für gegenseitiges Interesse und weiteren Austausch sein.

EIGENVERANTWORTUNG ÜBEN
Die hohe Kunst ist, aufmerksam zu sein, Bedürfnisse nicht zu ignorieren und auch den wachsenden Raum für Selbstbestimmung und Eigenverantwortung wahrzunehmen und anzuerkennen. Das kann z.B. bedeuten, das Kind klinkt sich aus und darf mal alleine zu Hause bleiben oder sich mit einem Freund verabreden, während die Familie eine Runde wandert. Es gilt, offen zu sein für neue Ideen und kreative Lösungen, um gewinnbringende Gemeinsamkeiten zu finden. Auch neue Konstellationen für die Freizeitgestaltung sind denkbar. Es könnte z.B. ein Freund mitkommen, Vater und Sohn planen eine Aktivität für „Männer“, oder der Teen verreist mit einer Jugendgruppe. Bei Themen, die Ihnen wichtig und auch wiederkehrend sind, bleiben Sie bei sich und seien Sie transparent in Ihren Wünschen und Erwartungen. Sie sind nach wie vor verantwortlich für Ihr Kind, wohlwissend, dass seine Eigenverantwortung zunimmt und eingeübt werden sollte. Vielleicht hilft das Bild eines Leuchtturms: Geben Sie regelmäßig Lichtsignale zur Orientierung in stürmischen oder nebligen Zeiten. Die größte Herausforderung ist, eine gewisse Nähe beizubehalten und zugleich im Vertrauen immer mehr loszulassen.

Sonja Krebs ist Erzieherin und Heilpädagogin, verheiratet und Mutter von zwei Jungs (14 und 5 Jahre alt). Sie wohnt in Königswinter.

Besorgte Eltern

Zwei Klassenpflegschaftssitzungen innerhalb einer Woche liegen hinter mir. So schlimm, wie sie gern in Blogs und Kolumnen beschrieben werden, waren sie nicht. Im Gegenteil. Ich habe engagierte Lehrer und nette Eltern erlebt. Aber ich habe auch viele besorgte Eltern erlebt. Eltern, die sich Sorgen machen, dass ihr Kind den Anschluss verliert. Dass es vielleicht erst gar nicht in der Schule ankommt, weil es nun mit dem Bus fahren muss. Oder dass es trotz Inklusion nicht genug Förderung bekommt.

„Eltern haben keine Sorgen, sie machen sich welche“ – diesen Satz habe ich vor kurzem aufgeschnappt. Natürlich stimmt er so nicht. Denn viele Eltern haben in der Tat ernsthafte Sorgen. Aber es stimmt schon, dass wir Eltern manchmal dazu neigen, uns Sorgen zu machen, wo es gar nicht nötig wäre.

Als es in der 8. Klasse darum ging, dass im Rahmen der Berufswahlvorbereitung eine Potenzialanalyse mit den Kindern durchgeführt werden soll, spürte ich, wie manche Eltern fast erschraken: „Mein Kind wird getestet. Was, wenn es nicht gut genug ist?“ Dabei handelte es sich ja nicht um einen Einstellungstest, sondern lediglich darum festzustellen, in welchen Bereichen das Kind gute Fähigkeiten und ausbaufähiges Potenzial hat. Da kommen möglicherweise Aspekte zu Tage, die Eltern bisher nicht im Blick hatten. Vielleicht hat das Lehrerkind gute Voraussetzungen für einen handwerklichen Beruf? Oder der Künstlersohn eher das Potenzial zum Ingenieur?

Manchen Eltern machte es aber offensichtlich Angst, dass ihr Kind „getestet“ werden sollte. Fürchteten Sie in der Bewertung Ihres Kindes auch eine Bewertung ihrer eigenen „Leistung“? Machen wir Eltern unser Selbstwertgefühl vielleicht manchmal zu sehr vom „Wohlgeratensein“ unserer Kinder abhängig?

In der 5. Klasse ging es stärker darum, wie die Eltern nachvollziehen können, was die Kinder in der Schule gerade lernen. In unserer Schule gibt es keine Hausaufgaben. Und es wird großer Wert gelegt auf selbstständiges Arbeiten. Gerade für Fünftklässler eine große Herausforderung. Aber offensichtlich auch für ihre Eltern. Eine Mutter meinte, ob es nicht besser sei, dass die Kinder übers Wochenende Hausaufgaben bekämen, damit die Eltern wüssten, was sie gerade durchnehmen.

Ich fühlte mich einen Moment schlecht. Denn ich bin so froh, dass wir diese leidigen Hausaufgaben am Wochenende los sind, die uns in der Grundschulzeit so manche Nerven geraubt haben. Aber Moment mal: Kann es sein, dass man die sehr durchdachte Arbeitsstruktur der Schüler ändert und ihnen ihr freies Wochenende verdirbt, nur damit die Eltern wissen, ob sie gerade Bruchrechnen oder Statistik machen?

Ich verstehe, dass Eltern sich sorgen, dass ihr Kind mit dem selbstständigen Lernen nicht klar kommen könnte. Und es dann irgendwann in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. Leider gibt es ja auch genug Eltern, die sich viel zu wenig dafür interessieren, was ihr Kind den ganzen Tag so macht. Aber ich würde mir an dieser Stelle mehr Vertrauen wünschen. Vertrauen in das eigene Kind, dass es seinen Weg machen wird. Vertrauen in die Lehrer, die oft mit viel Herzblut ihren Job machen. Und nicht zuletzt auch Vertrauen in Gott, dem wir unsere Kinder anvertrauen können.

Gerade heute bekam ich eine Pressemeldung von einer Firma, die verschiedene technische Geräte für Familien anbietet. Zum Beispiel eine WLAN-Monitoring Kamera fürs Baby, die gleichzeitig auch die Temperatur misst (allerdings nur die Raumtemperatur, nicht die Körpertemperatur des Babys – da ist noch Luft nach oben). Oder einen Luftbefeuchter fürs Kinderzimmer, den man mit dem Smartphone steuern kann (wieder was für die Kategorie „Dinge, die die Welt nicht braucht“). Außerdem bietet die Firma ein Gerät für Grundschulkinder an, das dem Kind vermittelt, ein Smartphone light zu sein – es kann damit übers Internet Musik hören und Videos schauen. Eigentlich handelt es sich aber um ein Überwachungsgerät: Die Eltern können nicht nur ständig  kontrollieren, welche Inhalte ihr Kind nutzt, sondern auch, wo es sich gerade aufhält.

Aber wie sollen unsere Kinder zu selbstständigen und selbstbewussten Erwachsenen werden, wenn wir sie krampfhaft festhalten – und sei es auch „nur“ digital? Richtet so ein Überwachen nicht mehr Schaden an als eine verpatze Mathearbeit? Loslassen fängt nicht erst an, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Es ist ein langer Prozess. Der ist für uns Eltern oft schwer. Aber für uns und vor allem unsere Kinder notwendig.

Bettina Wendland

Family-Redakteurin

 

 

Verschmierte Brille

Oder: Die Unmöglichkeit, einen Granatapfel ohne Spritzer zu entkernen. Von Stefanie Diekmann.

Quirliges Toben in der Teengruppe. Interessant, wer die Witze reißt und wer nicht darüber lacht. Wer sich entspannt verhält und wer nicht, so wie Dustin. Ein Junge wie ein explosives Pulverfass. Immer wieder wandert mein Blick zu Dustins Brille. Sie ist so schmierig und verschmutzt, dass fast jeder irgendwann fragt: „Soll ich dir mal die Brille putzen? Du siehst doch gar nichts.“ Vehement schüttelt der herausfordernde Teen dann den Kopf: „Finger weg! Ich will das so!“

Mit meinem Muttersein geht es mir ähnlich. Mein Alltag hat an meinem Blickfeld Spuren hinterlassen. Einiges an meinem Mutter-Ich funktioniert automatisch: das Heraussuchen von Büchern zum Familienlesen, das Feste-Vorbereiten zum Zeugnis, Geburtstag oder einfach so, meine Reaktionen bei versemmelten Mathearbeiten. Einiges aber braucht mehr Hinsehen und Üben: gerecht bleiben beim Streiten, Nähe suchen, zuhören. Das fühlt sich dann so an, als würde ich einen Granatapfel entkernen. Trotz YouTube-Videos finde ich Spritzer im Gesicht und auf dem Shirt. Meine Tätigkeit hinterlässt Spuren. So ergeht es mir auch bei meinem Mutter-Sein: Das „Kümmern“ und Im- Blick-Behalten, das Fördern und Loslassen sind Übungen für mich, die nicht ohne „Spritzer“ und „Flecken“ an mir vorübergehen.

Ein Treffen mit Freunden nach langer Zeit. Sie lieben unsere Kinder, und im Gespräch fallen Rückmeldungen zu unserem Familienalltag. Zunächst fühle ich mich so wie Dustin und möchte rufen: „Ich brauche keine Kommentare. Ich sehe klar. Ich will das so!“ Mein Blick auf meine Kinder, meine Art, Liebe zu vermitteln, meine Art, mit ihnen zu glauben, wird vom Alltag verschmiert und manchmal bleiben sogar verzerrte Bilder übrig.

Meinem Helfer und Freund Jesus Christus die Brille zum Reinigen anzubieten, fühlt sich unnötig an. Ich bin doch als Mama gut unterwegs. Oder? Durch das Beispiel von Dustins Schatten- und Schlieren-Brille ahne ich: Ich habe den klaren Blick verloren.

Wie gut, dass Jesus mir eine Idee gibt, neu hinzusehen, die Spritzer wegzuwischen. Geht es allen Kindern mit unserer Lösung gut, wie wir den Haushalt organisieren? Sind die Rollen, die ich durch Kommentare, Stöhnen und Blicke festlege, fördernd für meine Familie? Ist das kritische Denken über mich nicht auch dem verschmierten Blick durch die Alltagsbrille geschuldet? Was sehen andere, wenn sie uns als Familie sehen?

Ich darf einen neuen Blick wagen. Neue Worte finden zu den täglich gleichen Dingen und Konflikten. Neue Seiten an meinem Mann, an mir und sogar an Gott entdecken. Ich sehe mit Abstand sogar, wo mich mein Sohn bei den Medienzeiten um den Finger wickelt. Ich bin verblüfft: Durchblick kann sogar Spaß machen, erleichtern. Ob ich das Dustin mal erzähle?

DiekmannStefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin
und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.