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Eine starke Identität als Paar kann vieles überbrücken

Professor Dominik Schöbi von der Universität Fribourg erforscht multikulturelle Partnerschaften. Im Interview erzählt er, was in interkulturellen Ehen besonders wichtig ist.

Herr Professor Schöbi, was macht multikulturelle Partnerschaften so besonders?
Die ‚typische‘ multikulturelle Partnerschaft gibt es nicht. Beziehungen unterscheiden sich stark darin, wie sie funktionieren und welche Hintergründe beide Partner mitbringen. Gemeinsam haben sie allerdings, dass es eine größere Vielfalt an Ideen gibt, an Möglichkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden, und an Regeln, die man befolgen könnte.

Was sind typische Schwierigkeiten für Partner aus unterschiedlichen Kulturen?
Multikulturelle Partner haben keine grundsätzlich anderen Konflikte. Es gibt aber einige neuralgische Punkte, die sich herauskristallisieren und Schwierigkeiten machen können: Regeln und Normen sind sehr unterschiedlich. Sie führen dazu, dass beide Partner verschiedene Erwartungen und Routinen mitbringen, die einen großen Einfluss auf den Alltag haben. Unsere Gewohnheiten sind oft nicht gut reflektiert, was häufiger zu Missverständnissen und Erwartungen führt, die enttäuscht werden. Die Partner stehen vor einer größeren Herausforderung, wenn sie eigene Wege finden müssen. Beide müssen überlegen: ‚Wie wollen wir das handhaben? Wie schauen wir das an? Für was entscheiden wir uns? Welche Kompromisse wählen wir?‘ Sie müssen Lösungen für Alltagsprobleme finden, bei denen eine klassische Partnerschaft die Routine ablaufen lässt.

Die Kommunikation ist sicherlich bei allen Ehen ein Thema, besonders aber in multikulturellen Partnerschaften.
Sprache spielt eine große Rolle. Paare müssen für sich herausfinden, ob jeder in der eigenen Sprache sprechen kann oder ob eine Drittsprache zur gemeinsamen Sprache wird. Wenn es mehrere Sprachen gibt, ist auch wichtig, ob ich verstehe, wenn mein Partner mit Freunden und Verwandten spricht. Hier können leicht Distanzen entstehen, die in anderen Partnerschaften nicht da sind. Dazu kommt: Viele Paare kommen aufgrund von Migrationsbewegungen zusammen. Migranten haben im Durchschnitt einen niedrigeren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status und Bildungsstandard. So kann ein Ungleichgewicht im Paar entstehen, wenn ein Partner weniger gut gestellt ist. Wenn beide es sind, dann muss das Paar mehr Alltagsstress mit weniger Möglichkeiten und Ressourcen bewältigen.

Was raten Sie multikulturellen Paaren, um Konflikte zu verhindern oder zu lösen?
Entscheidend ist, wie die Partner interagieren, kommunizieren und Probleme lösen. Beide Seiten brauchen eine hohe Bereitschaft, mit Stress-Situationen umzugehen, sich selbst zurückzunehmen und die Perspektive vom Partner einzunehmen. Es ist sehr hilfreich, wenn beide sich immer wieder bewusst machen, dass es unterschiedliche Perspektiven und Ansichten gibt. In Situationen, wo die eigenen Erwartungen nicht eintreffen, sollte man sich automatisch fragen: Wie sieht das mein Partner? Was ist die Perspektive aus einem anderen kulturellen Blickwinkel?

Das heißt, man muss sich vom Schwarz-Weiß-Denken lösen?
Statt in Alternativen zu denken – es geht nur so oder so –, sollte man im Austausch feststellen: Hier haben wir eine Herausforderung und müssen jetzt eine machbare Lösung finden, die für uns beide stimmt und alle grundlegenden Bedürfnisse berücksichtigt. Vielleicht finden wir keine perfekte Lösung und müssen Menschen enttäuschen, aber hoffentlich finden wir eine, mit der wir gut leben können. Konkret bedeutet das, Regeln, Normen und Routinen zu finden, die für beide Partner passen – und Wege zu finden, wie man mit Misserfolgen umgehen kann. Paare müssen bewusst gemeinsam viele Erfahrungen machen, gemeinsame Projekte angehen und Ziele setzen, die sie realisieren wollen. Damit baut sich ein Paar eine gemeinsame Geschichte und einen Erfahrungsschatz auf, der zusammenschweißt. Eine starke Paar-Identität kann vieles überbrücken. Sie gibt Rückhalt, wenn man schwierige Situationen navigieren muss, wenn sich die Erwartungen der Familie von denen des Partners stark unterscheiden.

Was ist spannend und bereichernd in multikulturellen Beziehungen?
Sie sind eine Möglichkeit zu wachsen. Man erlebt viel Eindrückliches für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und macht wertvolle Erfahrungen. In interkulturellen Partnerschaften ist die Überlappung kleiner und das Andersartige größer. Indem sich die Partner kennenlernen und die andere Kultur in ihr eigenes Leben integrieren, gewinnen sie im Denken und Handeln. Man wird flexibler, kann Dinge besser aus unterschiedlichen Perspektiven sehen und vieles relativiert sich, weil man einen anderen Ansatz dazu erwirbt. Das ist eine Bereicherung für die Partnerschaft und eine persönliche Horizonterweiterung.

Können Menschen aus ihrem Glauben, ihrer Spiritualität für eine multikulturelle Partnerschaft Stärke beziehen?
Die persönliche Spiritualität und der gemeinschaftliche Aspekt sind eine Ressource, die Paaren Halt geben und ihnen erlauben kann, Herausforderungen und Krisen besser zu meistern. Wir vermuten, dass der religiöse Rückhalt dabei hilft, das Ego in den Hintergrund zu stellen, den Fokus vom Konflikt wegzunehmen und stattdessen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Dies klappt, wenn beide Partner die Spiritualität und religiöse Gemeinschaft teilen – oder wenn Toleranz gegenüber der Spiritualität des anderen gelebt wird. Wenn allerdings die Spiritualität inflexibel macht und die Offenheit einschränkt, dann kann sie Probleme schaffen, die man sonst nicht hätte.

Warum beschäftigen Sie sich mit multikulturellen Partnerschaften?
Das Phänomen der multikulturellen Partnerschaft ist enorm wichtig und stellt eine große Chance für die Weiterentwicklung der Kulturen dar. Oft gehen wir davon aus, dass Kulturen feste Systeme sind. Das stimmt aber nicht, denn Kulturen verändern sich fortlaufend. Multikulturelle Paare sind genau die Schnittstellen, wo sich Kulturen bewegen. Sie haben eine Brückenfunktion und bereichern die Kulturen, aus denen sie kommen und die sie vereinen.

Das Interview führte Ulrike Légé.

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