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Einsam im ersten Babyjahr: „Ich habe mich nach Gesellschaft gesehnt“

Den ganzen Tag mit dem Baby zusammen und dennoch einsam? Was paradox klingt, ist für manche Mütter und Väter im ersten Babyjahr leider Realität. Trotz Krabbelgruppen und Co fühlen sie sich einsam. Wie sie damit umgehen berichtet Lisa-Maria Mehrkens.

Das Einsamkeitsbarometer des Deutschen Familienministeriums von 2024 listet die Erziehung und Betreuung minderjähriger Kinder als „erhöhte Einsamkeitsbelastung“ auf. Als Eltern habe man weniger Zeit, soziale Kontakte zu pflegen. Vor allem im Coronajahr 2020 fühlte sich rund ein Drittel aller Eltern einsam, 2021 waren es noch über 12 Prozent, bei Alleinerziehenden sogar 16 Prozent. Im Internet findet man viele Berichte von Müttern, die sich mit Baby zu Hause einsam fühlen. Vor allem dann, wenn der Partner viel arbeitet oder Freunde und Familie weiter weg wohnen.

Auch ich habe mich in der Elternzeit sehr oft nicht nur allein, sondern einsam gefühlt. Mir fehlte der Austausch mit Erwachsenen. Zu Hause allein mit Baby war mir oft langweilig. In Spiel- und Krabbelgruppen fühlte ich mich aufgrund der oft so unterschiedlichen Erziehungsstile selten wirklich wohl. Sozialkontakte aus der Zeit vor den Kindern brachen teilweise weg, weil die Lebensentwürfe, Themen und Zeitpläne zu verschieden waren. Da ich nebenbei freiberuflich weiterarbeitete, ging mein Themenfeld über Gespräche über Babythemen hinaus, womit viele meiner Mama-Bekanntschaften nichts anfangen konnten.

Ich wollte Zeit mit meinem Kind verbringen und brauchte gleichzeitig auch Zeit für mich allein und meine Arbeit. Diese Zerrissenheit führte zu ständigen Schuldgefühlen, weil ich weder ganz in der einen noch in der anderen Welt war. Ich war verunsichert und fragte mich, was mit mir nicht stimmte, dass ich die Elternzeit nicht so genießen konnte, wie scheinbar alle anderen Mütter um mich herum. Später stellte ich fest, dass es vielen Müttern ähnlich ging – nur sprach kaum jemand offen darüber.

Nicht allein, aber einsam

Das Gefühl von Einsamkeit im ersten Babyjahr scheint ein Tabuthema zu sein. Keine Mutter – oder kein Vater – gibt gern zu, dass die Gesellschaft des Babys nicht immer reicht. Und dennoch kennen die meisten dieses Gefühl wahrscheinlich. So wie Sara. Als die rund einjährige Elternzeit mit ihrem Sohn begann, ging ihre zweieinhalbjährige Tochter in den Kindergarten. Sara und ihr Mann waren gerade in ein Haus auf einen ehemaligen Bauernhof zur Familie gezogen.

Vor der Elternzeit hatte Sara viele soziale Kontakte und ging gern zur Arbeit. Doch ihr Sohn schlief sehr schlecht, wachte nachts stündlich auf, weinte tagsüber viel. Der monatelange Schlafmangel erschöpfte Sara. „Ich war so müde, ich konnte weder Freunde treffen noch Babykurse besuchen. Nicht mal einkaufen war möglich“, sagt sie über ihren Zustand damals. Trotz der Unterstützung von Mann und Mama fühlte sich Sara überfordert und einsam. „Es war schwierig, die Verantwortung und Belastungen die meiste Zeit des Tages nicht teilen oder sich darüber austauschen zu können“, erzählt sie.

Während andere Eltern vom schönen ersten Babyjahr schwärmten, konnte Sara dieses Empfinden nicht teilen. Manche Freundinnen und Freunde reagierten mit Unverständnis, andere zeigten keinerlei Reaktion, wenn sie von ihren Problemen erzählte. Einige brachen den Kontakt sogar ab. Nur ein paar wenige zeigten sich empathisch, verständnisvoll und interessiert. Vor allem kinderlose Menschen können das Gefühl von Einsamkeit in den ersten Babymonaten nur schwer nachvollziehen – wie kann das denn sein, wo man doch den ganzen Tag mit einem kleinen Menschen zusammen ist?!

Doch Einsamkeit ist nicht mit Alleinsein zu verwechseln. Einsamkeit ist subjektiv. Das Einsamkeitsbarometer beschreibt Einsamkeit als „wahrgenommene Diskrepanz zwischen den Erwartungen an soziale Beziehungen und den tatsächlich vorhandenen Beziehungen“, sowohl bezogen auf die Anzahl als auch Qualität der Sozialkontakte. Es gibt Menschen, die von außen betrachtet in ein großes soziales Netzwerk eingebunden sind und sich dennoch einsam fühlen. Und es gibt Menschen, die oft allein sind, ohne darunter zu leiden. Auch Sara kennt das Gefühl, einsam, aber nie allein zu sein: „Ich habe mich nach Gesellschaft gesehnt und gleichzeitig nach Zeit, mal wirklich allein für mich zu sein. Ich war zerrissen zwischen mehreren Herzenswünschen“, erinnert sie sich.

Sehnsucht nach Austausch

Natürlich empfindet es nicht jedes Elternteil so. Manche schaffen es, ihre früheren Sozialkontakte aufrechtzuerhalten oder in Spielgruppen neue zu finden. Bei manchen leben Eltern und Geschwister im gleichen Ort. So wie bei Tabea und Linda. Tabea ist seit rund zehn Monaten in Elternzeit mit ihrem ersten Kind. „Ich bin sehr gern zu Hause, es macht mir viel Freude und ich habe viel Spaß mit meiner Tochter“, sagt sie. Vor allem die ersten vier Monate nach der Geburt war sie froh, die Zeit mit ihrer „pflegeleichten Tochter“ ohne Verpflichtungen oder Termine genießen zu können. Wenn sie sich nach Austausch sehnt, besucht sie ihre Geschwister oder Eltern, die nur wenige Gehminuten entfernt wohnen. Eine Freundin mit einem gleichaltrigen Kind wohnt im Nachbarort. Tabeas Schwägerin war ihre Hebamme und ist jetzt selbst schwanger.

Die vielen Kontakte sind „ein großer Segen“ für Tabea. Auch in ihrer Gemeinde ist sie tief verwurzelt, ihr Mann und sie arbeiten bei den Konfirmanden mit. Demnächst wollen sie dort in einen Spielkreis gehen. Aber eine Sache fehlt Tabea: eine Austauschgruppe für Mütter. „Vor allem zu Beginn hätte ich mir eine Online-Austauschgruppe gewünscht“, sagt sie. So hätte jede Mama entspannt mit Baby zu Hause bleiben und sich gleichzeitig über eigene Herausforderungen austauschen können. Leider gab es eine solche Gruppe nicht. „Beim nächsten Kind werde ich es selbst in die Hand nehmen und eine Gruppe gründen“, plant Tabea.

Als Lindas erster Sohn geboren wurde, war ihr Mann als Austauschpartner noch oft zu Hause. Das gab ihr zudem die Zeit, Elterngruppen für neue Kontakte zu finden. Einige Mütter kannte sie bereits aus dem Geburtsvorbereitungskurs. Später kamen Bekanntschaften aus dem Mutter-Kind-Kreis ihrer Gemeinde hinzu. „Ich war also Gott sei Dank von Anfang an recht gut sozial eingebunden“, erinnert sie sich. Deshalb fühlte sie sich nicht einsam, jedoch oft „alleingelassen mit meinen Fragen und Sorgen“. Die vielen unterschiedlichen Ansichten der anderen Mütter verunsicherten sie. Sie wünschte sich ehrlichen Austausch und gegenseitige Unterstützung. „Ich habe lange nach jemandem gesucht, bei dem ich mich mit meinen Unsicherheiten gut aufgehoben fühle und der mir hilfreich zur Seite steht, ohne mich zu belehren und zu sagen, was richtig und was falsch ist“, sagt Linda. Selbst sozial gut eingebundenen Eltern fehlt es also manchmal in der Elternzeit an ehrlichem Austausch auf Augenhöhe.

Wege aus der Einsamkeit

Was hilft nun also, aus der Einsamkeit herauszukommen? Nicht jeder kann auf die Unterstützung von Freunden oder Familie in der Nähe bauen. Wer vor der Geburt des Babys noch kein gutes soziales Netzwerk hatte, kann Krabbelgruppen, Spielplatztreffen und Co dazu nutzen, um neue Bekanntschaften zu finden. Aktivitäten gemeinsam mit dem Kind wirken der Einsamkeit entgegen, weil man vielleicht neue Bekannte mit gleichen Interessen findet. Nebenbei stärken sie die Bindung zum Kind. Das können Sportkurse sein sowie Kreativ- und Musikangebote, bei denen Babys und Kleinkinder willkommen sind. Du hast keine Gruppe, die dir gefällt, in deiner Nähe? Dann gründe wie Tabea selbst eine – vielleicht in deiner Gemeinde – und mach Werbung dafür, um Gleichgesinnte zu finden. Für alle, die sich dazu nicht überwinden können oder sich wie ich in solchen Gruppen nicht wirklich wohl fühlen, sind vielleicht Online-Foren zum Austauschen eine gute Idee.

Falls du neben dem Elternsein noch einen weiteren Lebenssinn suchst: Auch Ehrenämter sind mit Baby und Kleinkind möglich. Zum Beispiel Besuche bei Senioren in der Gemeinde oder einem Altenheim, die etwa der Besuchsdienst des Roten Kreuzes vermittelt. Die meisten Senioren freuen sich über kleine Kinder! An besonders schlechten Tagen habe ich es nicht geschafft, meine Einsamkeit zu überwinden und persönlich nach Kontakten zu suchen. Dann half es mir, meinen Partner einzubinden. Teilweise hat er dann bei befreundeten Familien angefragt und als ersten Schritt ein Treffen zwischen uns Frauen oder Mamas organisiert. Auch der Glaube kann eine große Stütze sein. Sara sagt, Gott habe in dieser schwierigen Zeit mit ihr „das Leben aufgearbeitet, wie es sonst nie möglich gewesen wäre“. Es half ihr zu wissen, „dass da jemand ist, der mich hält und sieht, auch in den dunkelsten Stunden und allein im dunklen Schlafzimmer“.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Chemnitz.

Witwe durch Suizid: Wie sich eine Frau zurück ins Leben kämpft

Durch den Suizid ihres Mannes geht Nics Leben über Nacht in die Brüche. Doch in Trauer und Chaos findet sie Wege, ihr Leben neu zu gestalten.

Die innere Welt

Vor sechs Jahren ist mein Mann gestorben. An Suizid. Das war definitiv etwas, das ich mir nicht ausgesucht hatte. Gewählt hatte ich zuvor ein Leben auf dem Land mit meinem Mann und meiner Tochter, Hund und Katze, und einem gemeinsamen Beruf. Dieses Leben war mit der Entscheidung meines Mannes, nicht mehr leben zu wollen, genauso plötzlich gestorben wie er. Ich hatte dabei kein Mitspracherecht.

Ein plötzlicher Todesfall – besonders ein Suizid – beendet aber nicht nur ein Leben, wie es vorher war. Es löst auch eine Menge Neues aus: Wellen voll Emotionen und Gedanken spülen über uns hinweg, und wir wissen kaum noch, wo oben und unten ist. Oft funktionieren wir dann nur noch, weil wir sonst untergehen würden. Erst später, wenn wir uns etwas an den Wellengang gewöhnt haben, können wir uns diesen neuen Gedanken und Gefühlen stellen, die mit der Trauer angerauscht kommen.

Mit der Zeit nimmt die Wucht der Wellen ab, und sie werden seltener und flacher. Wir können die Gedanken und Gefühle besser wahrnehmen und sortieren. Ab und an schwimmen wir mit ihnen oder trauen uns sogar, mit ihnen zu spielen und auf ihnen zu surfen. Denn dazu sind sie eigentlich da. Sie helfen uns, einen neuen Platz zu finden, nachdem etwas unser vorheriges Leben zerstört hat.

Die äußere Welt

Ob wir wollen oder nicht – die Welt um uns herum nimmt uns anders wahr. Ich war nun Witwe. Das waren für mich bis dahin alte Frauen in schwarzer Kleidung gewesen, aber doch nicht ich, mit Mitte dreißig!

Als ich versuchte, eventuell eine neue Wohnung für mich und meine Tochter zu finden, stellte ich zudem fest, dass ich nicht nur Witwe, sondern auch alleinerziehend war. Und damit kamen Annahmen wie: überarbeitet, überfordert, nicht zahlungsfähig. Zumindest wenn es nach den Maklern ging, die mich nicht mehr zurückriefen, sobald sie erfuhren, dass ich keinen Mann mehr an meiner Seite hatte. Sozialer Abstieg innerhalb von Sekunden in den Köpfen fremder Leute.

„Kein Mann mehr“ hieß bei anderen aber auch: Sie ist Single. Nach fast zwanzig Jahren in einer Beziehung wurde ich wieder angeflirtet. Schon drei Tage nach dem Tod meines Mannes. Was ich zunächst gar nicht begriff, weil ich daran zuletzt dachte: wieder Platz zu machen in meinem Herzen für einen anderen Menschen.

Denn für mich hatte sich an meiner Definition wenig geändert. Ich war mit meiner Tochter immer noch eine Familie. Ich hatte nur meinen Mann verloren. Ich hatte nicht um neue Beschreibungen gebeten, wie Witwe, alleinerziehend, Single. Ich war immer noch ich. Zwar mit inneren Trauerwellen in Richtung Veränderung, aber doch nicht so, wie andere mich sahen! Auch das: etwas, das ich mir nicht ausgesucht hatte. Und woran ich nichts oder nur wenig ändern konnte.

Die Umwelt

Akzeptanz und Annahme von dem, was man nicht ändern kann, gehört zu den ersten und gleichzeitig schwersten Aufgaben, wenn man um ein Leben trauert, das nicht mehr da ist. Umso schwieriger ist es aber auch zu entscheiden, was man akzeptieren muss und was nicht.

Mit dem Tod meines Mannes war lange nicht klar, ob ich auch noch unser Haus verliere. Es hat drei Jahre gedauert, bis deutlich wurde: Wir können bleiben und es sanieren – die zweite Hälfte der Sanierung fiel in den ersten Lockdown der Pandemie; auch etwas, was wir uns nicht ausgesucht hatten. Ein Zuhause zu haben – und damit ein soziales Umfeld, das einem Sicherheit und Geborgenheit gibt –, ist in Umbruchphasen immens wichtig. Wenn das auch noch wegbricht, wackelt das Leben auf allen Ebenen. Ich fühle deshalb sehr mit Menschen nach einer Flutkatastrophe oder auf der Flucht. Denn unser Haus war das Einzige, was ich aus meinem alten Leben retten konnte.

Meinen Beruf musste ich aufgeben. Mein Mann und ich hatten eine Beratungsstelle, die ich allein nicht weiterführen konnte. Mich davon zu verabschieden, tat weh, machte aber auch Platz für Neues. Für etwas, das schon lange in mir geschlummert, aber bis dahin keinen Raum hatte: Ich habe Bildhauerei studiert. Und einen Verein gegründet, der anderen Hinterbliebenen nach einem Suizid eine Stütze sein soll: Blattwenden e. V.

Die Glaubenswelt

Ich bin Christin und finde in Gott meinen Halt. Umso überraschter war ich, als ich letztens gefragt wurde, ob meine andauernde Müdigkeit vielleicht daran liegt, dass ich mich von Gott entfernt hätte. Über solche Mutmaßungen kann ich nur gähnen. Denn Veränderungen, die wir uns nicht ausgesucht haben, machen einfach müde. Sie verlangen Kräfte und Fähigkeiten von uns, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie hatten. Sie zwingen uns aber auch dazu, nicht nur einmal, sondern für eine lange Zeit über unsere Grenzen zu gehen.

Viele haben genau das in den letzten Jahren erlebt, in der Pandemie, den Flutgebieten und jetzt durch den Krieg in der Ukraine. Besonders Menschen im Sozial- und Gesundheitswesen wurden und werden mit Veränderungen konfrontiert, die sie sich nicht ausgesucht haben. Irgendwie müssen wir da durch. Dass wir danach müde sind, liegt sicherlich nicht an unserer Gottlosigkeit. Es liegt daran, dass wir den Sonntag, den Ruhetag, den Gott uns empfohlen hat, für mehrere Jahre nicht leben konnten.

Ich bin deshalb umso dankbarer, dass ich in all dem Chaos namens Leben eine stabile Konstante an meiner Seite weiß: Meine himmlische Begleitung, die mich aushält mit meinen Trauerwellen, die mich schützt vor Verurteilungen und Geringschätzung von außen, die mir Weisheit schenkt bei meinen Entscheidungen, und die mir Mut macht, nach vorn zu gehen.

Natürlich hadere ich mit Gott. Natürlich finde ich vieles unverständlich und doof. Natürlich bin ich ungeduldig und genervt und wütend und tieftraurig – aber Gott hält das aus! Gott versteht mich. Und das gibt mir Trost und Erdung, um daraus zu wachsen. Es lässt aber auch eine Menge unnötigen Kram hinter mir. Viele Glaubensdiskussionen werden unwichtig. Sie stehlen mir nur meine wertvolle Zeit, die ich hier auf der Welt noch habe, mit meiner Tochter und meinem neuen Mann. Das finden manche befremdlich. Ich finde es befreiend.

Weiter in die neue Welt

Leider haben wir keine Garantie, dass nach einem Abschied alles wieder gut wird. Manchmal kommen neue Abschiede hinzu. Zwei Jahre nach dem Suizid meines Mannes ist mein Vater gestorben, letztes Jahr unsere Katze und vor drei Wochen unser Kater – wieder plötzlich, von einem Auto angefahren. Das hat bei meiner Tochter neue Trauerprozesse ausgelöst. Denn nicht nur ich habe das alles erlebt, sondern auch mein heute neunjähriges Kind. Jetzt ist sie dran. Jetzt kann sie endlich Worte für ihre Veränderungsprozesse finden. Und ich kann und will für sie da sein.

Um das zu können, kann ich aber nicht mehr jeden Tag ums Thema Trauer kreisen. Bisher war ich auf Spendenbasis bei meinem Verein angestellt. Durch die Pandemie und die Wirtschaftslage haben bereits und werden noch viele unserer Förderer ihre Spenden einstellen. Gleichzeitig geht mein Bildhauerei-Studium zu Ende. Ich muss also umdenken. Schon wieder.

Auch wenn ich Veränderungsprozesse gut begleiten kann, heißt das ja nicht, dass ich das auch tun muss. Und genau da befinde ich mich jetzt: Bei der Bürde und dem Luxus, (relativ) frei zu entscheiden, was als Nächstes kommt. Ob ich tatsächlich so bescheuert bin und ausgerechnet in einer Wirtschaftskrise einen Beruf ergreife, in dem ich einfach nur schöne Dinge herstelle, wofür andere kein Geld mehr haben, weil es für sie ums pure Überleben geht?

Aber: Es zeigt auch, dass bei allen erzwungenen Veränderungen von außen immer Möglichkeiten bleiben, sich für etwas zu entscheiden. Auch wenn es nur verborgen oder klein ist. Irgendwo gibt es immer eine Chance für einen Neubeginn. Jesu Auferstehung ist das beste Beispiel dafür. Und mit diesem Beispiel lebe ich weiter, immer.

Nic Schaatsbergen ist gelernte Journalistin und Diplom-Bildhauerin: art.greenwoman.de. Sie engagiert sich für Suizid-Hinterbliebene bei Blattwenden e. V.: blattwenden.eu

 

Falls ihr selbst in einer verzweifelten Situation seid, sprecht mit Freunden und Familie darüber. Hilfe bietet die Telefonseelsorge. Sie ist rund um die Uhr anonym und kostenlos erreichbar: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Auch die Beratung über E-Mail ist möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen findet sich auf der Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

„Ich wünsche mir, dass mehr Frauen ihr Potenzial leben“

Jennifer Pepper ist Moderatorin, Mentorin und Mutter zweier Kleinkinder. Sie ist überzeugt: Berufung beginnt im Kleinen. Im Interview erlaubt sie einen Blick hinter die Kulissen ihres Online-Kongresses, der Mütter ermutigt, ihren Herzensthemen nachzugehen.

Seit wann lebst du bewusst in deiner Berufung?
Für mich ist das Thema Berufung nichts Statisches, sondern eher etwas Fließendes. Mittlerweile würde ich schon sagen, dass ich mehr darin angekommen bin. Gleichzeitig erlebe ich mich aber immer noch auf dem Weg. Es gab also nicht diesen einen Moment, in dem ich wusste: Jetzt bin ich drin. Viel eher erlebe ich: „Ok, ich fühl mich gerade wie ein Fisch im Wasser.“ Da kommt es mir zugute, dass ich unterschiedliche Rollen einnehmen durfte, als Musikerin, als Moderatorin und jetzt auch als Coach. Es gibt in meinem Leben immer Phasen, in denen ich merke: Hier bin ich gerade richtig – oder: Jetzt steht etwas Neues an.

Hast du manchmal Schwierigkeiten, einzuordnen, ob du gerade Gottes „Ruf“ folgst oder deinen eigenen Vorstellungen?
Du meinst, dass sich das gegenseitig ausspielt?

Eher dass es verschwimmt und manchmal erschwert, Gottes Wegweisungen im Alltag herauszuhören. Kennst du solche Situationen?
Ja, klar. Aber ich gehe davon aus, dass Gott uns Leidenschaften ins Herz gelegt hat. Und aus einer Verbindung dieser Leidenschaften, unserer Erfahrungen, Begabungen und Fähigkeiten, mit denen Gott uns ausgestattet hat, fließt für mich das Thema Berufung – ein Leben, durch das ich eine Segensspur hinterlassen werde. Die Bibel sagt: „Der Mensch plant seinen Weg, aber der Herr lenkt seine Schritte.“ Das bedeutet für mich, dass ich gestalten, planen und vor allem in die Umsetzung kommen darf. Und als Christ kann ich darauf vertrauen, dass Gott meine Schritte lenkt. Gott beruft uns nicht dazu, alles richtig zu machen. Er beruft uns zur Freiheit. Diese Freiheit impliziert, dass wir Risiken eingehen dürfen. Es ist okay, Fehler zu machen oder Niederlagen einzustecken. Wir haben den Auftrag, in dieser dunklen Welt zu leuchten. Anstatt mit einem ewigen Fragezeichen durch die Welt zu gehen, weil wir Angst haben, an unserer Berufung vorbeizuleben und an falscher Stelle zu leuchten, lautet mein Credo: Vertrau auf Gott und bleib in der Verbindung zu ihm. Er hat dich freigesetzt, um loszugehen, und dich mit allem ausgestattet, was du brauchst, um in dieser Welt aufzuleuchten.

Glaubst du, dass es für jeden die eine Berufung gibt?
Nein, das glaube ich nicht. Es gibt sicherlich Menschen, die eine einzigartige Berufung haben, und das sind oft auch die, die auf der Bühne stehen und von diesem sehr eindrücklichen Erlebnis erzählen, als Gott sie ihnen gezeigt hat. Ich finde das manchmal herausfordernd, weil diejenigen, die das nicht so erleben, das Gefühl bekommen, irgendetwas falsch zu machen. Für manche mag Berufung das eine ganz Spektakuläre sein, aber für die meisten von uns ist es, treu zu sein in dem, was wir gerade vor unserer Nase haben.

Du richtest dich in deiner Arbeit insbesondere an Frauen. Dir ist wichtig, dass sie nicht den Eindruck gewinnen, Muttersein sei das Einzige, in dem sie berufen sein können oder gar dürfen. Wie meinst du das genau?
Grundsätzlich habe ich überhaupt kein Problem damit, Vollzeitmutter zu sein und komplett darin aufzugehen. Ich spreche die Frauen an, und ich glaube, davon gibt es einige, die spüren, dass über das Muttersein hinaus noch etwas anderes auf sie wartet – eine Aufgabe, ein Thema, ein Herzensanliegen, dem sie Raum geben möchten. Ich trete da nicht nur offene Türen ein. Gerade im christlichen Bereich sagen immer noch viele, das sei doch das Rollenbild der Frau, dass sie als Hausfrau und Mutter mit ihren Kindern zu Hause ist. Das finde ich schade. Es gibt viele Bereiche, in denen ich über meine Mutterrolle hinaus wirken möchte und kann. Dinge, die mich begeistern und von denen ich glaube, dass sie mir wiederum helfen, eine bessere Mutter zu sein – weil ich als Person anders im Leben stehe und durch diesen Ausgleich meinen Kindern mit mehr Freude begegnen kann.

Du schreibst auf der Kongress-Website aber schon: „Noch bevor ich selbst Mutter geworden bin, habe ich beobachtet, dass viele Mütter ihren Kindern insgeheim vorhalten, dass sie nicht ihren eigentlichen Träumen nachgehen können.“
Als Mutter gewöhnt man sich schnell daran, fremdbestimmt von den Wünschen und Bedürfnissen der eigenen Kinder zu sein und zu funktionieren. Das lädt dazu ein, sich selbst aus dem Blick zu verlieren. Man merkt sicher selbst am besten, wann Raum und vor allem Kapazitäten da sind, um sich auch anderen Bereichen zu widmen. Die Beobachtung in meinen Coachings ist: Wenn man diesem Impuls nicht bewusst nachgeht, verlernen viele Frauen mit der Zeit, sich selbst und das, was in ihnen lebendig ist, wahrzunehmen. Ich möchte mit meiner Arbeit insbesondere christliche Frauen dafür gewinnen, den Teil des höchsten Gebotes – Liebe dich selbst! – ernst zu nehmen, um dem auf die Spur zu kommen, was sie ganz persönlich lebendig macht und mit welchen Besonderheiten sie ihrem Umfeld bestmöglich dienen können. Die Rolle der Mutter darf nicht als Ausrede vorgeschoben werden, sich selbst und seine Berufung über das Mamasein hinaus komplett aus dem Blick zu verlieren.

Ist es nicht auch eine Frage des Support Systems, ob man diese Chancen ausschöpfen kann?
Ich würde sagen, dass es zumindest in Deutschland eine Frage der inneren Einstellung und der Prioritätensetzung in der entsprechenden Familienkonstellation ist. Ich erlebe immer wieder: Wenn ich mir darüber klar werde, wo Gott mich neben dem Muttersein gebrauchen möchte, finden sich Zeiten, Mittel und Wege, um dem auch einen Raum zu geben. Wir können nicht alle im gleichen Tempo gleich viel erreichen, da jeder andere Grundvoraussetzungen mit sich bringt, aber wir können uns entscheiden, Schritt für Schritt auf Dinge zuzugehen.

Zum Beispiel durch den „Lass es leuchten“-Kongress. Was ist das Anliegen dahinter?
Ich möchte Frauen zum Aufblühen bringen. Klingt jetzt etwas kitschig, aber ich trage dieses starke Anliegen in mir, ihnen durch diese Arbeit den Mut zuzusprechen, zu träumen und ihr Leben bewusst zu gestalten. Ich glaube, dass wir Frauen unglaublich viel zu geben haben, aber oft eingeschüchtert, mutlos oder erschöpft sind. Die Kongresswoche gibt Müttern einen Motivationsschub. Da entsteht ein Sog, weg vom Vor-sich-hin-Vegetieren hin zum Selbst-gestalten-Dürfen, in dem starken Vertrauen darauf, dass Gott sie dazu beruft, in dieser Welt zu leuchten. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen ihr Potenzial leben und am Ende ihres Lebens sagen können: Ich habe nicht nur so funktioniert, wie es das Umfeld von mir erwartet hat. Ich habe mutig gelebt, viele Fehler gemacht, bin Risiken eingegangen und habe in all dem erlebt, wie Gott meine Schritte lenkt und sich verherrlicht.

Wie funktioniert so ein Online-Event?
Der Kongress dauert eine Woche. Jeder Teilnehmerin wird per E-Mail ein Link zu den Interviews geschickt. Ich interviewe etwa 16 Sprecherinnen und Sprecher zum Thema „Lass es leuchten“. Der nächste Kongress beschäftigt sich insbesondere damit, wie wir uns von negativen inneren Blockaden lösen können. Denn um seine Berufung zu leben, sind oft die Gedanken entscheidend, gar nicht so sehr die äußeren Umstände. Und wenn wir anfangen, uns mit unseren inneren Blockaden zu beschäftigen und sie zu lösen, kommt das Umfeld hinterher. Über den Link in der E-Mail kann man das jeweilige Interview 24 Stunden kostenlos anschauen. Wenn man das nicht schafft, kann man sich eins der Kongresspakete holen. Das kostet zwischen 40 und 50 Euro. Dann hat man Zugriffauf alle Interviews plus verschiedene Online-Produkte wie einen digitalen Kurs zum Thema, damit es nicht bei dem einen Impuls bleibt, sondern in den Alltag hinein begleitet.

Das klingt nach einer aufwendigen Vorbereitung. Stemmst du das alles allein?
Mit jedem Kongress werden die Abläufe etwas leichter. Ich habe zudem zwei treue Freelancer. Einen, der mir technisch zur Seite steht und eine, die mich in Sachen Grafik, Konzeption und Social Media unterstützt.

Was war die größte Herausforderung beim letzten Kongress?
Beim letzten Kongress wohl die, die Interviews durchzuführen, wo meine Tochter erst ein paar Monate alt war und noch keinen richtigen Ess- oder Schlaf-Rhythmus hatte. Ich habe mir die Gespräche so gelegt, dass ich genügend Pausen hatte, um meine Tochter zwischendurch zu stillen und mich um sie zu kümmern. Trotzdem mussten einige Interviewpartnerinnen auch mal warten. Aber das Verständnis war sehr groß, dass trotz der Liebe für meine Arbeit für mich immer die Familie vorgeht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Ann-Sophie Bartolomäus

Falls du neugierig geworden bist: Der nächste „Lass es leuchten“-Kongress findet vom 27. Oktober bis zum 3. November 2022 statt. Über diesen Link ndest du alle wichtigen Infos und kannst dich direkt anmelden:
lassesleuchten.kongress.me