Ein Paar, zwei Perspektiven – Neuland
An Veränderungen gewöhnen
Katharina Hullen ärgert sich darüber, dass ihr Mann der großen Tochter mehr erlaubt, als sie es tun würde.
Katharina: Nun ist es also so weit: Das Jüngste unserer fünf Kinder wurde eingeschult, die hullensche Kindergartenzeit ist nach 12 Jahren endgültig vorbei. Der Alltag muss umstrukturiert werden. Neue Zeiten, neue Regeln, neue Diskussionen. Bei so viel Neuem schnappe ich mir unseren Erstklässler und gönne ihm – und mir – ein Wochenende zu zweit.
Doch bevor wir aufbrechen, setzt mich unsere Älteste zwischen Tür und Angel noch darüber in Kenntnis, was sie an diesem Wochenende so vorhat. Sie ist mit dem neuen Schuljahr in die Oberstufe aufgestiegen und ist – irgendwie plötzlich – unglaublich beschäftigt und ständig unterwegs. Und, wie mir auffällt, mit völlig neuen Freunden, deren Namen nie zuvor gefallen sind. Und Partyeinladungen – die sind irgendwie auch neu. Also nicht mehr so Kindergeburtstagsfeiern am Samstag um 15 Uhr, sondern Partys mit Jungs und Mädels und ja, auch mit etwas Alkohol. Eben zu so einer Party von einem neuen Freund wollte unsere frische Oberstufen-Tochter an diesem Wochenende.
Als ich von meinem sommerlichen Mutter-Sohn-Wochenende zurückkehre, erfahre ich dann Folgendes: Irgendwann Samstagnacht hatte unsere Tochter den besten Ehemann oder passenderweise den besten Vater der Welt angerufen und ihm erklärt, es sei so schön und es würden spontan ein paar Schulfreundinnen und Schulfreunden über Nacht bleiben, und ob sie denn nicht auch bitte dort schlafen dürfe? Auf den Gartensofas auf der Terrasse?
Und, was glauben Sie, war seine Antwort? „Ich weiß, Mama würde dir das jetzt sicher nicht erlauben, aber ich kann dich gut verstehen – Oberstufenzeit ist toll! Ja, übernachte ruhig dort!“
Soll ich lachen oder schreien? Ich könnte mich ärgern darüber, dass er sich wissentlich und öffentlich in dieser Sache gegen meine vermutliche Entscheidung gestellt hat. Andererseits war er zuständig in dieser Situation und hat eben aus dem Bauch heraus voller Empathie und Liebe seiner Großen einen Wunsch erfüllt. Nicht ohne zu betonen, dass selbstverständlich alle Bedenken, die gegen diese Übernachtung sprächen, sicher von mir vorgetragen worden wären, aber zum Glück ist Mama ja jetzt nicht da – ein zweifelhaftes Bündnis, wie ich finde. Ich meine, natürlich hat Hauke weniger Probleme mit dieser Veränderung (Neuerungen, neuen Ideen), schließlich wusste er auch schon zu Kindergeburtstagszeiten die Namen der Freundinnen nicht.
Ich weiß auch: Diese Entwicklung ist völlig normal und richtig so. Es ist auch schön zu sehen, wie unsere Große an der geöffneten Tür in die große weite Welt steht. Klug, vernünftig, begabt, mit Träumen und Zielen und Fragen – es gibt faktisch nur Grund zur Freude. Und doch spüre ich: Mein Herz muss sich noch und immer wieder gewöhnen an all die großen und kleinen Veränderungen.
Freude über den Neustart
Hauke Hullen ist zwar genervt vom Elterntaxi, aber freut sich auch über neue Freiheiten.
Hauke: „Du, Papa, wir treffen uns heute Abend noch mit Freunden, kannst du mich später abholen?“ Wenn ich diese Worte von meiner frisch in die Oberstufe eingetauchten Tochter höre, dann flattern die verschiedensten Gedanken durch meinen Kopf. Zum Beispiel: „Toll, meine Tochter hat Freunde!“ Oder: „Super, dann können die beste Ehefrau von allen und ich endlich unsere Serie weitergucken!“ – denn in unserer dicht besiedelten Wohnung haben wir nur selten die Gelegenheit, mal alleine vor dem Bildschirm zu sitzen. Und drittens denke ich seufzend: „Uff, wieder eine lange, mitternächtliche Fahrt durch die Vorort-Steppen des Rheinlandes …“
Denn das ist der Nachteil des Lebens am Stadtrand – die nächste Schule ist weit weg, auf der anderen Seite der Stadtgrenze. Busse wagen sich nur am helllichten Tage und nur zu Stoßzeiten in das Revier des rivalisierenden Verkehrsbetriebes, sodass es nur schwer möglich ist, Sozialkontakte anzubahnen – eben weil kaum eine Bahn fährt.
Also Elterntaxi. Was einem immerhin die Gelegenheit verschafft, einen Blick auf die Jugendlichen zu werfen, mit denen unsere Tochter neuerdings noch viel lieber Zeit verbringt als mit uns. Das schmerzt natürlich ein wenig. Andererseits wollen diese Jugendlichen auch lieber Zeit mit unserer Ältesten statt mit ihren eigenen Eltern verbringen – und das werte ich einfach mal als Kompliment für die langen Jahre unserer aufopferungsvollen Erziehung.
Allerdings ist noch nicht ganz geklärt, was von unserer Erziehung übrig bleiben wird, wenn die von uns geprägten Werte und Normen erst einmal den Erosionskräften der Peergroup ausgesetzt sind. Erstes Indiz: „Ich habe gar nichts getrunken“, versicherte unsere Tochter, die bislang ja auch keinerlei Interesse an Alkoholika gezeigt hatte, nach der letzten Party. Kurze Pause. „Nur ein Glas Wein.“ Aha. Hm. Soso.
Die Kleine trinkt jetzt also Wein – dabei ist sie doch gefühlt gerade erst eingeschult worden. Aber so ist halt der Lauf der Zeit, und so freue ich mich einfach mit über den guten Start meiner Tochter in die Oberstufe, wo sich neue Bekannt- und Freundschaften ergeben, wo das Musizieren in der Schülerband großen Spaß macht und wo neue Freiheiten auf dem Weg zum Erwachsenwerden ausgelotet werden. Statt sich an die Vergangenheit zu klammern, sollten wir uns lieber pragmatisch auf die Möglichkeiten freuen, die in Zukunft auf uns warten. Während ich mich also hinters Lenkrad klemme, wirft mein inneres Auge einen raschen Blick auf die nächsten Etappen der Abnabelung und ich gewöhne mich schon mal an den Gedanken, dass nach den nächsten ein, zwei Partys wahrscheinlich der Auszug dran ist. Sehen wir’s positiv: Dann haben wir endlich die Chance auf ein Kino-Zimmer!
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.