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Ein Kind isst Schokolade aus einem Glas.

Nutellafrühstück bei Oma

Mit den Eltern unter einem Dach zu leben, ist für eine Familie Gewinn und Herausforderung zugleich. Von Beate Kuhn

„Man sollte als junges Ehepaar so weit weg von den Eltern wohnen, dass man die Schürze ausziehen muss, um sich gegenseitig zu besuchen!“ Als junge Frau habe ich über diese Lebensweisheit den Kopf geschüttelt: Damals lebte ich als unerfahrene Mutter von zwei kleinen Kindern und mit einem vielbeschäftigten Ehemann 320 Kilometer entfernt von meinen Eltern und vermisste viel zu sehr den gegenseitigen Kontakt, um den Wahrheitskern zu erahnen. Erst später habe ich verstanden, dass ein gewisser Abstand beiden Seiten auch guttun kann.

Zurück nach Hause

Nach zwölf Jahren zogen wir aus beruflichen Gründen zurück in die alte Heimat und nahmen das großzügige Angebot meiner Eltern an: Ihnen war das Haus nach dem Tod meiner Großeltern zu groß geworden. Sie verkleinerten sich auf das Dachgeschoss und machten uns als fünfköpfiger Familie Platz. Den konnten wir gut gebrauchen. Nach Mehrfamilienhaus und Gemeinschaftsgarten fühlten wir uns auf nunmehr 200 Quadratmetern und Garten wie im Paradies und breiteten uns aus. Die darauffolgenden Jahre unter einem Dach sind angefüllt mit vielen schönen Erfahrungen, aber auch mit manchem Konfliktstoff. Kinder und Eltern wurden älter – und wir mittendrin: Verwoben in eine Gratwanderung zwischen dem Idealbild der harmonischen Großfamilie und der Realität, dass wir alle Fehler machen. Wenn ich darüber erzähle, möchte ich weder schwarzmalen noch idealisieren.

Heimliche Verschwörungen

Das Zusammenleben birgt eine Menge Vorteile: Die Kinder hatten Oma und Opa in greifbarer Nähe – für beide Seiten ein Schatz fürs Leben! Die Palette der großelterlichen Liebestaten ging vom großzügigen Nutellabrotfrühstück über geduldige Taxifahrten bis hin zu heimlichen „Verschwörungen“. So kennen wir bis heute nicht die wirklichen Geschehnisse jener ereignisreichen, spontanen Partynacht, in der wir als Eltern außer Haus waren und Oma und Opa Hintergrunddienst hatten.

Auch wir Älteren profitieren: Bis heute wandern alle Näharbeiten in den Nähkorb meiner Mutter – und mein Mann hat seine Schwiegereltern geduldig an die Finessen und Tücken eines Tablets und Smartphones herangeführt. Geteilte Arbeit ist halbe Arbeit: Mein Vater werkelt gern, und einmal in der Woche kocht meine Mutter für uns alle, was uns einiges an Arbeit abnimmt. Und sobald eine Regenwolke am Horizont auftaucht, bietet mir mein Vater sein Auto an. Wie lieb!

Im Notfall ganz nah

Als mein Vater schwer erkrankte, haben wir miteinander die Hände gefaltet und Gott in den Ohren gelegen. Tatsächlich offenbaren Krankheitstage den kostbaren Wert einer solchen Hausgemeinschaft: Schnell mal die Treppe hochzuspringen, nach dem Rechten zu schauen und ein freundliches Wort zu wechseln, kostet keine Minute. Die zumutbare Fürsorge für den Fall einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit ist bisher nicht eingetreten, aber miteinander vereinbart.

Nicht zuletzt hat es finanzielle Vorteile, anfallende Kosten zu teilen – so sind wir alle an einem Ort, den wir lieben und der Platz und Freiheiten bietet, die sich eine Partei für sich allein auf Dauer nicht leisten könnte.

Bitte anklopfen!

Natürlich gibt es auch Konfliktfelder: Die in unseren ersten Ehejahren liebgewonnene Unabhängigkeit war nicht so leicht aufrechtzuerhalten. Mein Mann mag seine Schwiegereltern sehr, aber ebenso seine Privatsphäre. Er plädierte deshalb von Anfang an für den Einbau eines üblichen Türschlosses. Ich wiederum fürchtete, dass dies von meinen Eltern missverstanden würde und hoffte darauf, dass das vereinbarte Beachten der Privatsphäre funktionieren würde.

Und so gibt es immer wieder Situationen, die schwierig sind: Meine Eltern müssen sich bis heute dazu überwinden, im ehemals eigenen Haus den Weg in den Keller nicht durch unsere Wohnung, sondern außen um das Haus herum zu nehmen. Oder unseren Bereich tatsächlich nicht zu betreten, wenn niemand von innen „Herein“ ruft. Auch der Umgang mit Nacktheit in den eigenen vier Wänden erfordert Erfindungsreichtum und eine gehörige Portion Humor. Dann das Konfliktfeld Garten: Meine Eltern lieben gepflegte Beete, wir ziehen bei schönem Wetter einen Ausflug dem Rasenmähen vor. Kompromisse sind auf beiden Seiten nötig. Der Samstag war in meiner Herkunftsfamilie von jeher Arbeitstag, mein Mann freut sich jedoch nach einer stressigen Woche auf „lazy time“. So muss immer ein Mittelweg gefunden werden. Als Ehefrau und Tochter stehe ich öfter zwischen den Stühlen. Das empfinde ich als anstrengend.

Nicht alles mitbekommen

Beim Zusammenleben ist klare Kommunikation eine große Hilfe, hier war und ist mir mein Mann ein großer Lehrmeister.

Mittlerweile sind die Kinder ausgezogen und wir sind nur noch zu viert. Unsere Kinder und Enkelkinder leben alle weiter weg. Wenn ich sie treffen möchte, muss ich mir nicht nur „die Schürze abbinden“, sondern jedes Mal einen Koffer packen! Das bedaure ich schon mal. Aber auch wenn mein Omaherz dann seufzt, weiß mein Kopf: Die junge Familie ist eine Einheit für sich. Nichts braucht sie weniger als Großeltern, die alles mitbekommen. Und offen gestanden: Neben aller Sehnsucht genießen wir Alten ebenfalls, dass wir nicht alles mitbekommen!

Ganz viel Verständnis

Wir sind also nun selbst schon fast in der Phase angekommen, in der meine Eltern damals die Entscheidung getroffen haben, uns den Einzug anzubieten. Ihre damit verbundenen Opfer und Lernprozesse kann ich deshalb immer besser verstehen. Dazu kommt unsere wachsende Einsicht über die Prägung der Generation Kriegskinder, für die Ordnung und Besitz einen anderen Stellenwert haben als in meiner Generation. Ich verstehe meinen Vater, wenn er seinen Rasen pflegen möchte. Und ich verstehe mich, wenn ich bei schönem Wetter manchmal andere Pläne habe. Dazwischen liegt der weise Satz des Paulus: „Einer achte den anderen höher als sich selbst.“ – Lösung und Kunststück zugleich. Danke, Paulus!

Beate Kuhn ist Ehefrau, Mutter, Oma und Tochter, lebt in Bad Berleburg und bezeichnet ihre derzeitige Lebensphase als spannenden „Altweibersommer“.

„Bei Opa ist es öde“

Wenn Jugendliche keinen Bock auf Familienfeiern haben

Wer meint, Jugendliche hätten keinen Sinn für Familie, irrt gewaltig. Für 72 Prozent der 12- bis 18-Jährigen steht laut Shell-Jugendstudie Familie als „das Wichtigste auf der Welt“ ganz oben auf der Werteskala. Was allerdings nicht bedeutet, dass Familienfeiern bei Teens genauso beliebt wären. In der Pubertät ist Abgrenzung von Eltern und Familie angesagt. Viele Jugendliche ziehen ein Zusammensein mit Gleichaltrigen einem Treffen im Familienclan vor.

Kicken vor dem Kaffee

Jan (15) kann Sprüche wie „Du bist aber groß geworden“, bei Familienfeiern schon lange nicht mehr hören: „Den Verwandten fällt oft nichts anderes ein, als mich nach der Schule auszufragen und mir zum x-ten Mal zu erklären, wie wichtig ein guter Schulabschluss ist. Das ist ätzend.“ Dieser etwas unbeholfene Versuch der Kontaktaufnahme seitens der Erwachsenen stört ihn mächtig – genau wie die Frage, ob er denn schon eine Freundin habe.

Aber das ist nicht unbedingt ein Grund, Familienfeiern grundsätzlich zu boykottieren. In bester Erinnerung hat er die Konfirmation seines Cousins. Auf der Einladung stand: „Bitte Sportzeug mitbringen“. Die Festgesellschaft zog vor dem Kaffeetrinken auf den nahen Sportplatz. Wer sich zu alt zum Kicken fühlte, konnte die anderen anfeuern. „Ich finde wichtig, dass es nicht zu steif zugeht und dass wir Jugendlichen zwischendurch auch was für uns  machen können“, meint Jan. Und hat vorsichtshalber bei jeder Feier ein Kartenspiel und das Smartphone dabei. Annika (16) findet Familienfeiern „einfach grässlich“. Ihre Eltern sind geschieden und ihr Verhältnis zueinander ist nicht gerade entspannt. Zum 80. Geburtstag allerdings hatte Oma beide Elternteile eingeladen. „Das ging überhaupt nicht. Meine Eltern saßen da wie Eisklötze. Die nächste Familienfeier findet ohne mich statt“, zeigt sie sich entschlossen.

Familienfeiern sind auch für Jugendliche attraktiv …

… wenn Eltern erklären, warum ihnen selbst die Familienbande wichtig sind. Und wenn sie selbst nicht im Nachhinein schlecht über die Feier oder andere Familienmitglieder reden.

… wenn Jugendliche das Gefühl haben, sich und ihre Interessen einbringen zu können: Womöglich macht es Spaß, den Begrüssungsdrink anzubieten, für den Nachschub von Getränken verantwortlich zu sein, einen Programmpunkt beizusteuern?

… wenn ein Raum vorhanden ist, der es den Jugendlichen ermöglicht, sich bei Bedarf zum Spielen oder Reden untereinander „auszuklinken“.

… wenn auf Kleiderordnung, Förmlichkeiten und Erwachsenensprüche wie: „Du bist aber groß geworden“ verzichtet wird.

… wenn einige Programmpunkte Jugend liche und Erwachsene ins Gespräch miteinander bringen oder für Auflockerung sorgen.

… wenn Spannungen, die es womöglich im größeren Familienkreis gibt, im Vorfeld im Gespräch mit den Heranwachsenden angesprochen werden. Gemeinsam kann entschieden werden, ob man ihnen lieber ausweichen will oder ob es geraten ist, sie einstweilen zu übergehen.

Karin Vorländer arbeitet als freie Journalistin und lebt in Nümbrecht bei Köln.

Illustration: Thees Carstens