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Paartherapeut warnt: Verfallen Sie nicht dem Optimierungswahn!

Unzufriedene Paare müssen nicht alles ändern, meint Jörg Berger. Manchmal kann es auch helfen, die Ideale anzupassen.

„Wir nehmen einander an, wie wir sind. Jeder wusste vorher, worauf er sich einlässt.“ „Nein, unsere Ehe gelingt nur, wenn wir auch an uns arbeiten.“ Die Partnerin, die die zweite Überzeugung vertritt (häufiger ist es die Frau), hat den Termin bei mir vereinbart. Sie kann auf meine Unterstützung zählen. Hoffentlich. Paartherapeuten helfen doch bei der Veränderung. Und können den motivieren, der nicht an sich arbeiten will, oder? Der zufriedene Partner kommt widerstrebend. Vielleicht entdeckt der Fachmann das Problem ja bei seiner Frau. Ihm muss doch auffallen, dass sie zu Unzufriedenheit und zum Kritisieren neigt.

Wir leben in der Spannung zwischen unseren Idealen von einer Liebesbeziehung und der Wirklichkeit, die wir erfahren. Damit können wir unterschiedlich umgehen. Wir können unsere Vorstellung von Liebe an die Realität anpassen. Oder wir versuchen, die Liebesbeziehung in Richtung unserer Ideale zu entwickeln. Doch darin, sagt Arnold Retzer, liegt eine Ursache für gemeinsames Unglück. Er ist Paar- und Familientherapeut. In seinem Anti-Ratgeber „Lob der Vernunftehe“ wirbt er für Realismus in der Liebe: Glück nicht als machbar zu verstehen und eine „resignative Reife“ zu entwickeln, die auch mit dem zurechtkommt, was nicht ideal ist. Einige spannende Gedanken aus seiner Streitschrift stelle ich hier vor.

Ist Zufriedenheit schlecht?

Zufriedene Partner können diesen Beitrag als kleine Entschädigung lesen. Denn ihnen machen wir vermutlich in unseren Beiträgen immer wieder Stress – mit unseren unermüdlichen Tipps, den Porträts von glücklichen Ehen oder zumindest tapfer durchgestandenen Krisen. Wozu das alles? Eine Paarbeziehung kann eben immer noch schöner, krisenfester und – wie paradox – gleichzeitig entspannter werden. Und wer das nicht in Anspruch nimmt? Muss der sich nicht träge, oberflächlich und letztlich schuldig an der Beziehung fühlen?

In meiner Praxis versuche ich in der Frage, ob man Dinge verändern oder annehmen muss, unparteiisch zu bleiben. Der Veränderung suchende Partner ist dann häufig irritiert. Der zufriedene Partner glaubt mir das dagegen kaum. Wie kann ich gegen mein eigenes Geschäftsmodell vertreten: „Man kann es auch so lassen“?

Eine Ehe ist wie eine Heizung

Arnold Retzer beschreibt die Not mancher Ehen mit dem Bild einer Heizung, die durch ein Thermostat gesteuert wird. Das Thermostat stellt man auf einen Soll-Wert ein, zum Beispiel behagliche 23° C. Liegt der Ist-Wert darunter, heizt der Brenner, und zwar so lange, bis der Soll-Wert erreicht ist. Ein Soll-Wert kann aber auch überfordern: Die Heizkosten entgleisen oder ein Brenner geht durch den Dauerbetrieb kaputt. Auch für Ehen gibt es Soll-Werte: ein bestimmtes Maß gegenseitiger Aufmerksamkeit und Gespräche im Alltag, die Freizeit gemeinsam verbringen, so und so oft Sex. Ehekonflikte drehen sich meist um einen solchen Soll-Wert, der nicht erreicht wird: Einer wünscht sich mehr, der andere fühlt sich überfordert oder unter Druck gesetzt. Nicht selten verschlechtert dieser Konflikt dann andere Bereiche der Beziehung, die dem Ideal vom gemeinsamen Glück schon sehr nahekamen.

Aber deshalb einfach den Soll-Wert anpassen? Und hinter dem zurückbleiben, was man sich für die Liebe ersehnt und auch für möglich gehalten hat? Manchmal ist das vernünftig. „Wie war das eigentlich zu Beginn Ihrer Beziehung?“, frage ich immer, wenn nur einer zufrieden ist. Oft stellt sich dann heraus, dass das Konfliktthema noch nie die Soll-Größe erreicht hat: Franziska war nie der Kuscheltyp. Sie hat die leidenschaftlichen Momente geliebt, wenn die Stimmung dafür da war. Aber Händchen halten im Alltag, Umarmungen in der Küche oder beim Filmgucken umschlungen auf dem Sofa sitzen – das war noch nie ihr Ding. Patrick war tatsächlich Franziskas Dornröschenprinz, der so manches wachgeküsst hat. Aber er kann nur wachküssen, was auch in Franziska angelegt ist, und er hat auf mehr gehofft.

Umstände können sich ändern

Oft bleiben Menschen auch ihrem Lebensstil ein ganzes Leben lang treu: „Fabian war schon immer ein Chaot“, berichtet Caroline. Trotzdem hat Caroline gehofft, dass er sich mit dem ersten Kind in einen gut organisierten Familienvater verwandelt. Schließlich hat er jetzt Verantwortung. Sie versucht, ihn dahin zu bringen. Aber kann das gelingen?

Manche Beziehungsbereiche verschlechtern sich auch einfach durch Anforderungen. Viele introvertierte Partner zum Beispiel verbrauchen ihre Beziehungsenergie durch die Bedürfnisse kleiner Kinder. Ihre Seele schreit dann nach Rückzug und für den Partner bleibt nicht mehr viel übrig. Wenn emotional verwundbare Menschen einer starken beruflichen Belastung ausgesetzt sind, reichen ihre seelischen Pufferzonen nur noch dafür aus. Zu Hause verhalten sie sich dann selbstbezogen, einfach weil ihre seelische Kraft aufgebraucht ist. Kann das nicht eine Therapie verändern? Ein bisschen schon, aber nicht so weit, wie es sich der Ehepartner wünschen würde, der unter dem Rückzug oder einer Selbstbezogenheit des anderen leidet. Es bleibt oft nur ein Realismus: akzeptieren, was nicht zu verändern ist, und gemeinsam das Beste daraus machen.

Das Glück nehmen, wie es kommt

„Eine der herausragenden Möglichkeiten, Verzweiflung zu erzeugen, besteht darin, dass zwei sich zusammentun und heiraten, um gemeinsam glücklich zu sein“, schreibt Arnold Retzer provozierend. Was Paare daran zur Verzweiflung bringe, sei die Vorstellung von Machbarkeit eines solchen Glücks. Denn wenn Glück machbar ist, muss man den anderen auch glücklich machen und selbst glücklich sein.

Retzer dagegen wirbt dafür, das Glück als „Widerfahrnis“ zu verstehen, etwas, das kommt und geht, das wir aber weder herstellen noch festhalten können: „Dadurch hätten wir sogar mehr Möglichkeiten, Energie und Zeit zur Verfügung, uns auf das zu konzentrieren, was wir beeinflussen können, wofür wir also auch die Verantwortung übernehmen können. Wir könnten uns auf die Launen des Glücks vorbereiten. Wir könnten mit dem Unwahrscheinlichen rechnen, sodass wir, wenn wir das Glück auch nicht erzeugen können, dennoch nicht versäumen, es zu bemerken und zu genießen, wenn es sich denn einstellen sollte. Wir könnten eine Überraschungs- und Glückssensibilität entwickeln.“

Alle Segnungen moderner Gesellschaften – Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit, Freiheit – haben eine Schattenseite. Wir leben im Glauben, dass wir einen Anspruch auf das alles haben, zumindest, wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen und entsprechend leben. Materielle Not und Krankheit, auch viele Schicksalsschläge und Zwänge erscheinen vermeidbar und damit selbstverschuldet. So ist es auch mit dem Glück, das angeblich jeder selbst schmiedet. Doch wer offen ist für Glück, es aber nicht beansprucht, kommt auch mit manchen Ehesituationen besser zurecht.

Probleme sind oft gescheiterte Lösungsversuche

Arnold Retzer ist ein prominenter Vertreter der sogenannten systemischen Therapie, eines Ansatzes, der das ganze „System“ – eine Familie, eine Organisation oder auch die Paarbeziehung – betrachtet. Seine Therapierichtung geht davon aus, dass Probleme oft Lösungsversuche sind: Lösungen, die nicht zum gewünschten Ergebnis geführt haben, an denen Betroffene aber trotzdem festhalten. Retzer beschreibt das zum Beispiel so: „Ein Ehepartner, der ständig aufgefordert wird, sich zu verändern, fühlt sich, seinen Lebensstil, seine Überzeugungen und seine Autonomie in Frage gestellt. Er reagiert daher vernünftigerweise mit Verteidigung. Die Folge: Die Verteidigungsmaßnahmen stabilisieren genau das, was angegriffen wird.“ Manchmal verändert sich erst dann etwas, wenn der Kampf um die Veränderung befriedet ist. Manchmal lassen sich die lösbaren Probleme angehen, wenn weniger Aufmerksamkeit an ein unlösbares Problem gebunden ist.

Wie aber helfe ich meinem Paar, wenn einer zufrieden ist, der andere sich aber so dringend eine Veränderung wünscht? Zwei Zufriedene haben ja kein Problem – auch wenn man als Außenstehender vielleicht denkt, sie könnten es noch schöner haben. Zwei, die sich von Idealen beflügeln lassen, freuen sich, dass ihre Liebe in Bewegung bleibt – auch wenn man als Außenstehender vielleicht denkt, dass sie sich dadurch manchmal Stress machen.

Der Mittelweg kann helfen

Wenn aber der Veränderungswunsch einseitig ist, versuche ich, ein Paar für einen Mittelweg zu gewinnen. Dabei entdeckt der zufriedene Partner: Ein wenig Veränderung ist der Schlüssel zu der Ruhe und Zufriedenheit, die ihm in den Konflikten verloren gegangen ist. Dafür nimmt er auch einmal Momente in Kauf, in denen er sich überfordert oder gezwungen fühlt. Die Partnerin, die sich mehr wünscht, entdeckt: Mehr Annahme öffnet dem anderen endlich wieder Ohr und Herz und man kann gemeinsam über Möglichkeiten nachdenken, die für beide in Ordnung sind. Dafür kann sie auch einmal verzichten oder ein Ideal loslassen, das sich als unerreichbar herausstellt.

Ab und zu aber kann sich der zufriedene Partner auf keinerlei Veränderung einlassen. Als Therapeut bliebe mir nur, die Rolle des Unzufriedenen einzunehmen: einladen, motivieren, erklären, über die Folgen aufklären … und so immer mehr unterschwelligen Druck aufbauen. Das will ich nicht und beende die Begleitung. Die Partnerin (oder auch der Partner, wenn es umgekehrt ist) bleibt dann mit einer großen Enttäuschung zurück. Besonders ihr kann dann die Weisheit der Vernunftehe helfen.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in Heidelberg. Neben Ratgebern veröffentlicht er Online-Kurse, die Paaren helfen (epaartherapie.de; derherzenskompass.de/schwereliebe).

Hör auf zu träumen!

Warum ich versuche, keine Träumerin mehr zu sein. Von Stefanie Diekmann

Träume geben Kraft und sind Motor für Entwicklungen. Ich habe es in meinem Leben aber auch anders erlebt: Wie ein Schwamm sauge ich bunte Lebensbiografien und Geschichten auf. Von Menschen, die den Trott verlassen haben. In die Weite gehen, auswandern, ein Projekt starten, unbequem leben. Spuren hinterlassen. Ich höre hin und spüre das bekannte Sehnen in meinem Herzen.

SCHLECHT BEWERTET
In meinem Leben gab es fast 20 Jahre lang den Traum, anders zu leben. Irgendwie anders. Unbedingt. Ich wollte ein Freizeitheim gründen in Spanien oder Frankreich, damit Familien und Gruppen einen bezahlbaren Urlaub erleben dürfen und auftanken können. Und wenn das nicht hinhaut, wollte ich unbedingt in einer Kommune leben. Wo Menschen eine Weggemeinschaft sind. Einen Unterschied machen in einer Stadt. Eine Adresse für andere sein. Mit offenporigem Herzen saugte mein Traumschwamm Berichte von Christen auf, die Leben teilen und Ideen umsetzen. So was wäre doch zu schön! Gleichzeitig bestand mein Leben aus Fakten. Die Ideen in meinem Schwamm blieben. Und wie Bakterien in einem Küchenschwamm fingen sie an zu gären und sorgten für unschöne Reaktionen und „Gestank“. In mir war es, als spalte sich der Anspruch, anders zu sein und diesen Traum zu pflegen, ab von meinem wirklichen Alltag. Von meinem Alltag mit Kindern, Laminat-Pflege und Gemeinderoutine. Mehr und mehr habe ich mein Leben im Jetzt in unbequemen Momenten schlechter bewertet. Denn eigentlich wartet da ja noch der große Traum vom anderen Leben. Ein muffiger Geruch voller Sehnsuchtsgedanken, dass dieses Leben nicht alles sein kann. Gott hat sicher noch mehr mit mir vor …

BLICK AUF DIE FAKTEN
Mein Bericht könnte hier zu Ende sein. Ich kann nicht richtig beschreiben, was meinen Traum-Mix verändert hat. Ich denke, der Wille, meinen Alltag zu lieben, hat den Herzensschwamm durchspült. Nicht jede Faser ist „traumfrei“, aber der unangenehme Geruch klebt nicht mehr in mir fest. Das Gefühl, im falschen Leben zu stecken und auf etwas „Tolles“ zu warten, ist deutlich weniger geworden. Mir hat geholfen, meinen Traum immer wieder mit meinem Mann durchzudenken. Dabei half mir ein Blick auf die Fakten: Freizeitheim im Ausland: Bei null Sprachkenntnissen wenig realistisch. Und bei dem Druck, ein Haus effizient zu führen, bleibt die Idee, Kostengünstiges anzubieten, nur Theorie. Kommune: Nicht alles ist Zusammenhalt im Zusammenleben. Um diese Idee zu forcieren, braucht es viel Kraft, die ich nicht immer habe. Welche Menschen investieren sich mit in diesen Traum? Oder muss ich sehr lange mit Mut und Gestaltungswillen in Vorleistung gehen? Und der Faktencheck ergibt auch, dass meine Begabung nicht mit dem ausdauernden, langen Atem einer Organisation zu verknüpfen ist. Die gesammelten Träume im Schwamm könnten also eine stinkende Gefahr für mich bedeuten. Sie sind ja Träume: Immer im Sonnenschein glücklich vor einem Haus mit lachenden Menschen sitzen – unrealistisch und geträumt …

EINE ZU GUTE TRÄUMERIN
Hilfreich war für mich auch, meinen Herzensschwamm genau anzusehen. Was sauge ich so eifrig auf? Was nährt meinen Traum? Was bringt mich beim Träumen zum nächsten passenden Schritt für mein Leben? Wie reinigende Spülungen habe ich entdeckt, dass nicht mein Beruf falsch ist, meine Fähigkeiten falsch sind, mein Mann und seine Berufung falsch sind. In meinem Herzen ist mein Traum zu einem freundlichen bunten Bild geworden, aber es überlagert mit seinem Drängen nicht mehr mein Heute. Durch meine Träume habe ich die Themen meines Lebens besser kennengelernt: Ich sehne mich nach Beziehungen, nach kreativem Lebensraum voller Weite. Dazu brauche ich kein Freizeitheim und keine Kommune. Ich bin gefordert, diese Sehnsucht mit meiner Familie, meinen Kollegen und meiner Kirchengemeinde zu leben. Dieses Ausdrücken alter Träume aus meinem Schwamm macht mich bereit, Neues aufzunehmen. Ich höre heute schneller auf zu träumen, weil es mich nicht im Hier bereichert, sondern mich wegtreibt. Ich bin keine gute Träumerin, weil ich eine zu gute Träumerin bin. Es macht mich heute traurig zu sehen, wenn eine junge Frau ihrem Berufswunsch als Traum so viel Raum gibt, ohne den Mut zu haben, den ersten Schritt zur Verwirklichung auch zu tun. Oder wenn Ehepaare sich in einen Traum aus Familie flüchten, der sehr unterschiedlich und in beiden Fällen unreal ist. Ich spüre eine Gefahr, wenn das geschenkte Jetzt weniger wert ist als die Vergangenheit oder die Zukunft. Ich spüre es, weil es meine Gefahr war und ist. Für Gott bleibe ich Berufene, Beauftragte: Ich erkenne, dass unser Haus Heimat für Menschen wird, dass Wegbegleitung auch ohne feste Formen möglich ist. Ich stelle fest, dass mein Traum auch dann Realität wird, wenn das Traumbild nicht deckungsgleich hergestellt wird. Ich übe mich im Leben. Ja, davon träume ich heute. Das Leben zu füllen mit dem, was Gott für mich erdacht hat.

Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.