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„Familie ist der Ort, wo Zukunft entsteht“

Wie wird Familie zukunftsfähig? Welche Rahmenbedingungen können dabei helfen? Und wie können Familien ihren Weg finden? Ein Interview mit der Unternehmensberaterin, Autorin und Mutter Dr. Ana Hoffmeister.

Ana, du beschäftigst dich schon länger mit dem Thema Familie, Beruf und Vereinbarkeit. Seit 2022 hostest du den Podcast FutureFamily und hast mit verschiedenen Familien Interviews geführt. Warum? Was bewegt dich?

Ich habe mich schon früh dafür interessiert, wie andere Familien leben. Als Migrationsfamilie – ich wurde im Iran geboren – waren wir in Deutschland immer ein wenig besonders. Bei Freunden zu Hause habe ich Unterschiede im Miteinander und im Alltag bemerkt. Je älter ich wurde, desto mehr machte ich mir Gedanken darüber, wie ich später selbst Familie leben möchte. Mir war immer klar, dass ich auch arbeiten und Karriere machen wollte. Aber ich kannte wenige Mütter, die eine Führungsrolle einnahmen.

Als ich später heiratete, war ich gerade frisch promoviert und wurde befördert. Bei Entwicklungsgesprächen kam dann ungefragt der Hinweis, doch mit der Familienplanung noch zu warten. Da wurde mir klar: In diesem Setting geht das offenbar nicht zusammen. Dann wurde ich schwanger und war zu dem Zeitpunkt bei zwei unterschiedlichen Arbeitgebern beschäftigt – beides in Teilzeit. Bei dem einen mussten wir uns schließlich auf eine Vertragsauflösung einigen, weil man mir die Stelle nicht mehr als sechs Monate freihalten konnte. Bei dem anderen hieß es, ich solle einfach schauen, was möglich ist. Mit dem Ergebnis, dass ich früher als erwartet mit einem ganz geringen Stundenumfang zurückkehrte. Wir arbeiteten nach einem geteilten Führungsprinzip. Es war nicht leicht, aber machbar. Nach kurzer Zeit war ich wieder auf demselben Stundenumfang wie vor der Schwangerschaft.

In Phasen denken

Wie kam es dann von dieser Erfahrung zum Buch?

Ich wollte diese verschiedenen Erfahrungswelten sichtbar machen und Eltern aufzeigen, dass es viele individuelle Wege gibt und sich die Bedürfnisse je nach Lebensphase verändern. Auch, damit wir für uns herausfinden: Was brauchen wir persönlich als Familie, als Eltern? Was tut uns gut, was tut mir gut? Welchen Weg stelle ich mir beruflich und privat vor, und welchen Preis bin ich bereit, dafür zu zahlen? Wie wirken sich unsere Entscheidungen auf unsere Kinder aus? Dann habe ich mich auf die Suche gemacht nach geeigneten Persönlichkeiten und Familien, die ich interviewte. Daraus entstand schließlich die Idee zum Buch.

Wie lebt ihr als Familie Vereinbarkeit?

Flexibel, vertrauensvoll und lebensphasenorientiert. Je nachdem, welche Ansprüche es beruflich gerade gibt. Als Paar sind wir dadurch sehr viel im Gespräch miteinander, weil wir von Woche zu Woche schauen müssen, wie wir es machen, wenn die Kita kurzfristig schließt, die Betreuungszeiten kürzt oder die Schule nicht so betreut, wie wir es brauchen. Es ist ein ständiger Prozess.

Überlebensmodus

Dein Buch trägt den Untertitel: Familien am Limit – neue Impulse für mehr Vereinbarkeit. Wo sind Familien am Limit?

Viele Eltern und Familien stehen vor einer großen Gesamtüberforderung. Großfamilien gibt es nur noch selten, Familien sind insgesamt kleiner geworden und die unterschiedlichen Generationen leben oft nicht mehr am selben Ort. Es gibt weniger familiären Support. Dazu ist auf externe Betreuung kein Verlass mehr: Kita und Schule sind seit der Pandemie ein sehr fragiles System. Es ist ein Leben am Limit, weil du nie weißt, was als Nächstes kommt.

Wir hatten zum Beispiel monatelang keine Woche, die normal verlief. Es gab Lehrerstreik, Krankheit, Personalengpässe, plötzliche Schließungen. Da bist du irgendwann nur noch im Überlebensmodus und mit Organisieren beschäftigt. Viel Freude, die du mit der Familie haben könntest, geht verloren. Das umfasst auch die Pflegesituation, was ebenso viele Mütter betrifft, die Kinder betreuen und Eltern pflegen – eine enorme Belastung! Die Pflegesituation wird sich in Zukunft noch verschärfen. Hier ist schon längst eine Lawine ins Rollen gekommen, die wir kaum noch aufhalten können.

Familie braucht neue Wege

Welche Lösungen braucht es? In Politik, ­Gesellschaft, von Arbeitgebern?

Ich finde wichtig, es ganzheitlich zu sehen. Unternehmen können nicht alles leisten, aber viel verändern. Führungskräfte zum Beispiel haben eine große Vorbildfunktion, wie sie selbst mit Arbeit und Familie umgehen. Das färbt immer auf die Unternehmenskultur ab und prägt die Beschäftigten. Unternehmen können aktive Vaterschaft unterstützen und dadurch gleichzeitig auch die Erwerbstätigkeit der Mütter fördern. Ein anderer wichtiger Punkt sind die institutionellen Systeme wie Kita und Schule. Da ist es wichtig, dass wir auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ehrlich die Frage beantworten: Was ist uns Familie noch wert? Denn für mich ist Familie eine der wichtigsten Säulen unserer Zukunft. Ohne Familie werden wir die aktuellen und nachfolgenden Krisen in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, im Bildungswesen, in Kitas und der Pflege nicht auffangen können.

Doch Familien sind bereits jetzt am Limit. Eltern kommen immer mehr in die Erschöpfung und in den Burnout. Auch die Gesundheit, besonders die psychische, der Kinder und Jugendlichen leidet zunehmend. Meine kritische Frage ist: Werden Familien noch die Kraft und Stärke haben, um diese Krisen stemmen zu können? Ein viel wichtigerer Punkt aber ist unser eigener Handlungsspielraum als Familien. Jede Veränderung vollzieht sich von innen nach außen.

Mehr Generationen

Worum geht es bei der Veränderung von innen?

Wenn wir wollen, dass Familie sich gesund weiterentwickelt, dürfen wir bei uns selbst beginnen und uns die Frage stellen: Was ist mir Familie wert? Worauf bin ich, sind wir bereit zu verzichten, um Familie gesund und stark werden zu lassen? Wir können uns auch überlegen: Was wünsche ich mir darüber hinaus für die nächste Generation? Welche Prägung wünsche ich mir für unsere Kinder, damit sie selbst später gesunde Entscheidungen für ihr Leben treffen? Unsere Entscheidungen heute haben immer Einfluss auf die übernächste Generation, auf unsere Enkel.

Du plädierst auch im Buch stark dafür, generationsübergreifend zu denken und zu leben. Da schreibst du: „Uns fehlt der Weitblick.“ Wofür brauchen wir den?

Wenn wir in und über Generationen hinaus denken, wird uns bewusst, dass wir einander wirklich brauchen. In unserer Zeit heißt es oft, dass wir alles allein und selbstbestimmt erreichen können. Dass wir einander nicht brauchen, nicht mal mehr das Wissen der älteren Generation. Doch dabei gehen Erfahrungswissen und Weisheit verloren. Es ist so wichtig, einander Fragen zu stellen und zuzuhören: Welche Herausforderungen hatten andere Generationen, und wie haben sie diese gelöst? Woran haben sie sich orientiert? All das sind wichtige Erfahrungen, von denen wir lernen und profitieren können.

Du hast viele Familien interviewt und im Buch vorgestellt, die die unterschiedlichsten Modelle leben. Gibt es ein ideales Modell?

Ja, ich glaube schon. Aber es ist für jede Familie anders: Es ist das Modell, das individuell passt, das mit meinen Werten übereinstimmt, mit meinen Bedürfnissen als Mutter oder Vater und mit Blick auf die gesamte Familie. Und das flexibel ist, um je nach Lebensphase mitwachsen und sich verändern zu können.

Für Überzeugungen einstehen

Wieso stehen wir anderen Modellen oft kritisch gegenüber?

Ich glaube, weil es sich oft unserer Vorstellungskraft entzieht, wie andere Modelle im Alltag funktionieren können. Andererseits spiegelt sich in der Kritik oftmals die eigene Unsicherheit darüber wider, ob das eigene Modell das richtige ist. Ich wurde damals in meiner Entscheidung, meine Kinder nicht bereits mit einem Jahr in die Kita zu geben, sehr oft infrage gestellt. Andere habe ich nie von meinem Modell überzeugen wollen, sondern es einfach gelebt. Ich glaube, wir müssen lernen, andere Entscheidungen stehen zu lassen. Doch wir sind oft unsicher und vergleichen uns, weil wir uns über unsere eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen kein Bild machen. Wenn wir überzeugt wären von dem, was wir entscheiden, würden wir uns nicht angegriffen fühlen.

Welchen Wunsch verbindest du mit deinem Buch?

In meinem Buch gebe ich Einblicke in unterschiedliche Lebensrealitäten und neue Lösungswege zwischen Familie, Pflege und Beruf. Ich wünsche mir, dass die, die das Buch lesen und den Podcast hören, Lust auf Zukunft bekommen. Im Moment leben wir in einer Zeit, die uns sagt: „Hör auf zu träumen! Wir leben in sehr schweren Zeiten!“ Das nimmt den Menschen die Vorstellungskraft, dass wir auf eine gute Zukunft zusteuern.

Da, wo wir vor der Zukunft Angst haben, hören wir auf, innovativ und kreativ zu sein. Wo wir uns die Zukunft nicht vorstellen können, machen wir die Tür auf für radikale, sehr einfache Schwarz-Weiß-Lösungen. Das sehen wir auch in der Politik. Deswegen brauchen wir Menschen, Familien, Politiker und Unternehmen, die sich auf die Zukunft freuen und die Lust haben, sie zu gestalten. Familie ist der Ort, wo Zukunft entsteht. Deshalb sollten wir mit Familien anfangen, sie stärken und in ihnen die Hoffnung wieder wecken.

Familie ist Zugehörigkeit, Geborgenheit

Wie sieht deine Hoffnung aus?

Meine Hoffnung ist, dass Familie ein Ort ist, wo sich unsere Sehnsüchte nach Herkunft, Zugehörigkeit, Geborgenheit und Sicherheit erfüllen. Aber dass sie auch ein Ort ist, der Flügel verleiht, in die Zukunft zu gehen, kein Ort der Begrenzung, sondern der Befähigung. Ein Ort, an dem das Zusammenleben der Generationen stattfindet und wir feststellen: Wir sind Teil einer Geschichte, die vor uns begonnen hat. Und wir sind gemeinsam Teil der Geschichte, die uns überdauern wird. Wir sind nicht der Nabel der Welt mit unserer Generation, sondern ein Puzzleteil. Wir sind eine Wegstrecke.

Es kann sehr heilsam sein, so zu denken, weil wir dann einerseits das größere Bild sehen und unseren Platz darin finden. Und andererseits auf die Herausforderung schauen, die wir zu lösen haben in dieser Zeit. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass wir vom engen Bild von Familie – Mutter, Vater, Kind, vielleicht noch Großeltern – wegkommen und Familie wirklich öffnen und diesen Ort der Geborgenheit auch anderen zugänglich machen, die keine Familie im klassischen Sinne haben. Dass wir Familie weiter denken.

Das Interview führte Andrea Specht, Autorin, Lektorin und zweifache Mutter.

Dr. Ana Hoffmeister ist zweifache Mutter, Unternehmensberaterin, Speakerin und Podcasterin (FutureFamily). Ihr Buch „Future Family. Familien am Limit – neue Impulse für mehr Vereinbarkeit” ist bei Knaur erschienen.