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„Ich bin gut“ – Wie wir ein positives Selbstbild entwickeln

Ein positiver Blick auf uns selbst fällt oft schwer. Aber von Kindern können wir lernen, wie das geht.

Mein Sohn Dennis war drei Jahre alt, als er mit einem einzigen Satz mein Weltbild ins Wanken brachte. Wir Eltern saßen auf dem Sofa. Dennis lief strahlend an uns vorbei, hatte den Schalk in den Augen und sprach: „Ich bin gut.“ Er sagte das mit viel Freude, ohne jeden Anflug von Zweifel, mit Selbstvertrauen und Spaß an sich selbst. Es ging ihm nicht darum, unsere Bestätigung zu bekommen. Er wollte uns diese Tatsache einfach nur mitteilen und uns an seiner Freude teilhaben lassen.

Da saßen wir pädagogisch geschulten Eltern nun, sahen uns an, und da war sie, unsere neue Aufgabe für die nächsten 15 Jahre. Wir waren uns einig, dass wir dieses wunderbare Selbstwertgefühl so gut wie möglich beschützen und auf uns selbst aufpassen wollen, damit wir es nicht zerstören.

Nicht rumziehen

Mir war der Begriff „Erziehung“ schon immer suspekt und unangenehm. Er hat für mich etwas von „geradeziehen“ oder „in eine Form ziehen“. Dieses Kind brauchte nicht „erzogen“ werden, es war gut so, wie es war. Ich habe mich also nicht mehr von pädagogischen Konzepten inspirieren lassen, wohl aber davon leiten lassen, dass es in jeder Gruppe, in jedem Zusammenleben Regeln geben muss. Diese Regeln kamen von uns Eltern, zunehmend in Absprache mit unserem Sohn. Und hin und wieder war eine klare Ansage nötig. Wir haben, wie alle Eltern, natürlich auch Fehler gemacht. Aber niemals hatte ich Zweifel an Dennis‘ Aussage „Ich bin gut“, niemals die Vorstellung, ich sollte dieses Kind irgendwie besser machen, an ihm rumziehen. Dennis hat mir mit seinen drei Jahren den Weg gewiesen.

Ich frage mich, ob wir alle so sind in diesem Alter, so eins mit uns selbst, so einverstanden mit uns – und wann es beginnt, dass sich Unsicherheit und Selbstzweifel breitmachen. In frühen Fotos meiner Kindheit habe ich geforscht, ob in meinem Gesicht, meiner Haltung auch so ein spitzbübisches Leuchten zu finden ist. Auf einem Foto habe ich es tatsächlich entdeckt.

Einverstanden mit uns selbst

Warum ändert sich das so schnell? Welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt? Ich denke, ein Elend ist die dauernde Bewertung und Benotung, denen Kinder ausgesetzt sind. Davor konnte ich auch Dennis nicht beschützen. Und ich habe den Eindruck, es wird immer schlimmer. Der Einfluss der sozialen Medien kommt in den letzten Jahren noch erschwerend hinzu.

Wäre es nicht großartig, wenn wir auch im Erwachsenenleben fröhlich und selbstbewusst „Ich bin gut“ sagen könnten oder etwas ähnlich Positives? Und wenn wir das auch dürften, würde es uns nicht schwerfallen, wäre es nicht peinlich und es würde von unseren Mitmenschen nicht als großspurig oder arrogant bewertet werden. Es wäre eine schlichte Selbstverständlichkeit und der Ausdruck unseres Einverstandenseins mit uns selbst.

Dennis kann das übrigens als erwachsener Mann immer noch: „Ich bin gut in dem, was ich mache.“ Da muss ich immer lächeln und erinnere mich an die Szene vor vielen Jahren, die mir so deutlich in Erinnerung geblieben ist und mein Denken und Handeln beeinflusst hat.

Renate Schwertel ist als Dozentin für eine Software und in der Erwachsenenbildung tätig. Sie lebt mit ihrem Mann und einem ihrer Söhne im Taunus.

Alles hat seine Zeit …

Wie ein biblisches Prinzip im Alltag hilft. Von Miriam Koller

Da war sie wieder, die mir so wohlvertraute Stimme meines inneren Kritikers, die mich immer wieder aufs Neue niedermacht, mich klein hält und verunsichert: „Na toll, hast ein paar Wochen durchgehalten, super. Und heute Abend machst du wieder alles kaputt. War ja klar, dass das nichts wird.“ Mein Blick fiel beschämt auf die Chipstüte vor mir, und ich fühlte mich augenblicklich hundeelend.

SPRUNG VOM 10-METER-BRETT

Vor einigen Wochen hatte mich im Buch „Problemzone Frau“ von Veronika Smoor die Aussage gepackt, wir Frauen dürften in puncto Ernährung auf unseren Körper vertrauen lernen. Ich wagte den mutigen Schritt und begann, nur noch so viel zu essen, wie ich tatsächlich Hunger hatte und nur noch das, worauf ich gerade Appetit hatte. Es fühlte sich im ersten Moment an wie ein Sprung vom 10-Meter-Brett. Anlauf nehmen, Augen zukneifen und hoffen, dass es gut geht. Luftleerer Raum, Schwerelosigkeit, Zweifel, Angst – war das wirklich eine so gute Idee?

Aber dann stellte ich nach kurzer Zeit fest, dass ich tatsächlich phasenweise auf ganz unterschiedliche Lebensmittel Appetit hatte und dass es gar nicht nur die „ungesunden“ waren. An der Mehrheit der Abende vermisste ich meine Schokolade überhaupt nicht, von der ich immer dachte, ich sei abhängig. Und statt der Befürchtung, dass ich aufgehen könnte wie ein Hefeteig, geschah tatsächlich das Gegenteil: Ich nahm ab. Ich fühlte mich so gut und so wohl in meinem Körper.

Gestern dann das: plötzlich ein abendlicher Heißhunger auf Chips, Cola und Schokolade. Und ich gab mich ihm hin. Nicht ohne mich dafür zu verurteilen und schwarzzumalen … Heute lese ich in einem Artikel, wie viel Energie der Körper benötigt, um eine Krankheit zu bekämpfen, und da muss ich plötzlich über mich selbst schmunzeln. Dass mich seit zwei Tagen eine Erkältung quält, hatte ich überhaupt nicht in den Zusammenhang gebracht mit meiner gestrigen Fressattacke. Dabei war es völlig klar: Mein Körper hatte nach Lebensmitteln geschrien, die ihm möglichst schnell viel Energie liefern sollten. Natürlich nicht gerade die besten, aber statt auf ihn zu hören und zu vertrauen, dass er schon weiß, was er da tut, habe ich den inneren Kritiker laut seine Schimpftiraden über mir ausschütten lassen und – das ist das Schlimme – ihm auch noch geglaubt.

DEN INNEREN KRITIKER ZUM SCHWEIGEN BRINGEN

Während ich heute darüber nachdachte, wie wunderbar Gott unseren Körper eigentlich geschaffen hat, kam mir ein Bibelvers in den Sinn, an den ich in letzter Zeit öfter denken musste. Prediger 3,1: „Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist.“ Lässt sich diese Aussage nicht vielleicht auf viel mehr Bereiche unseres Lebens ausdehnen, als wir erahnen? Der Bibelabschnitt geht weiter mit: „Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben.“ Und in diesem Zusammenhang verstehen wir diesen Vers meist. Dass es um die Endlichkeit unseres Lebens geht. Aber dass noch eine ganze Reihe an weiteren Aufzählungen folgen, war mir bisher weniger präsent:

„Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden.“

Was hier beschrieben wird, lässt den Schluss zu, dass sich diese Weisheit auf sehr viele Bereiche des Lebens anwenden lässt. Warum also nicht auch auf unsere Ernährung und auf unser Vertrauen in unseren Körper? Und wie viel leichter und schöner wäre doch das Leben für uns, wenn wir uns erlauben würden, dieses Prinzip tatsächlich auf uns anzuwenden? Wenn wir den inneren Kritiker zum Schweigen brächten in dem Wissen, dass Gott das ganz anders sieht? Dass unser Schöpfer uns wunderbar gemacht hat und uns den Bauplan „Alles hat seine Zeit“ in die DNA gelegt hat?

DICKE STAUBSCHICHTEN

Ein weiteres Beispiel: Bevor ich Mutter wurde, war mein Haushalt perfekt geplant. Ich führte einen genauen Ablaufplan, wann ich was zu tun hatte und hielt mich daran. Ich hatte das Gefühl, den Haushalt im Griff zu haben. Dann kam die Geburt und mit dem Einzug dieses neuen kleinen Menschleins wurde meine Welt komplett umgekrempelt. Ich hielt keinen meiner Pläne mehr ein. Machte frustriert einen neuen, nur um dann auch diesen nicht erfüllen zu können. Unsere Regale setzten dicke Staubschichten an. Durch die Fenster sahen wir unsere Umgebung zunehmend getrübter. Es gab Ecken in unserem Zuhause, die über Monate hinweg nicht mehr gesaugt wurden. Und wie sehr machte ich mir dafür Vorwürfe …

Es kamen aber auch wieder andere Zeiten. Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten. Auch heute noch gibt es diese Phasen, in denen ich es einfach nicht schaffe, den Haushaltsplan einzuhalten. Wo mir schlichtweg die Kräfte fehlen und ich mich nicht dazu aufraffen kann, die Betten frisch zu beziehen. Und auch da habe ich inzwischen eines gelernt: Es bringt weder etwas, mich zu quälen, nur damit „der Plan eingehalten“ wird, noch den inneren Kritiker zu Wort kommen zu lassen und mich schlecht zu fühlen für „mein Versagen“. Nein, ich darf darauf vertrauen, dass es – vielleicht schon in ein paar Tagen – einen Vormittag geben wird, an dem ich plötzlich vor Kraft nur so strotze, es mir förmlich in den Fingern juckt, heute die Betten zu beziehen, und mir die Arbeit dann federleicht von der Hand geht. Alles hat seine Zeit! Gott spricht es uns zu in seinem Wort. Wir dürfen darauf vertrauen, dass es die Wahrheit ist und es als Schutzschild vor uns halten, wenn die spitzen Pfeile des inneren Kritikers mal wieder versuchen, uns zu durchbohren.

Miriam Koller lebt und arbeitet in Weinstadt in der Nähe von Stuttgart. Sie ist Buchhändlerin in einer christlichen Buchhandlung und Mutter einer Tochter im Kindergartenalter.

Die Kirschen in Nachbars Garten …

Oder: Warum Vergleichen keine gute Idee ist. Von Tabea Gruhn

So, da hätten wir ihn mal wieder: den Tag, an dem die Kirschen in Nachbars Garten saftiger, roter und üppiger sind! Ich habe zwar gar keinen Kirschbaum (hätte aber gern einen), trotzdem bin ich mir sicher, dass es hinterm Gartenzaun besser läuft als in unserem (Alp-) Traumschloss: Die Küche dort ist sauberer, die Kinder sind friedlicher, das Wohnzimmer ist traumhaft eingerichtet, in der Besteckschublade passt alles zusammen, hinter der akkurat gestutzten Hecke sind die Mama-Bäuche flacher, die Kleiderschränke spucken morgens das perfekte Outfit aus, die Kinder streiten harmonischer, die Männer sind philosophischer. Dazu sind sie auch noch handwerklich begabter (was mit Blick auf meinen Mann zwar gar nicht geht – aber trotzdem!).

DIE WURZEL ALLEN ÜBELS

Die Feste hinter der gepflegten Mauer sind bunter, fröhlicher, wundervoll organisiert, die Kinder der anderen schaffen es, im Gottesdienst die Predigt über allerliebst und ruhig auf ihren Plätzen zu sitzen. Die freundlichen Nachbar-Eltern engagieren sich im Elternbeirat, schaffen es neben der Berufstätigkeit, die kunstvollsten Muffins zu kreieren und finden die Zeit, dem Kindergartenpersonal auch noch einen kleinen, selbstgemachten Gruß aus der heimischen Traumküche mitzubringen. Ach ja, und das Worship-Team im Gottesdienst wäre um einiges ärmer ohne ihren Einsatz!

Hört sich toll an! Ja, eben. Und ich? Kann nicht mithalten. Aber ich suhle mich in meinen Vergleichen, die nur ein Ergebnis haben können: Es geht mir schlecht, ich fühle mich jämmerlich und die Welt ist gegen mich! Vergleichen ist die Wurzel allen Übels. Ja, weiß ich, nützt aber nichts. Ich bin drin in der Spirale, meine Gedanken haben sich selbstständig gemacht und präsentieren mir immer wieder neue Ansichten der ach-so-perfekten Welt um mich herum.

DAS GEDANKENKARUSSELL STOPPEN

In meinen Gedanken gefangen schaue ich auf mein Handy. Und was präsentiert mir der Status: die wunderschöne Geburtstagstorte einer Bekannten für ihre Tochter. Na also, ich sag’s ja! Und trotzdem: Ich finde den Kuchen so schön, dass ich der anderen Mama das schreibe und sie für ihre tolle Arbeit lobe. Ihre Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Sie war dem Nervenzusammenbruch nahe, weil sie die Zuckerverzierung schon am Abend davor draufgemacht hatte und am Morgen war sie total zerlaufen. Das kenne ich … Und die Bilder, die sie mir von der verunglückten Torte schickt, lassen mich mitfühlen – aber auch aufatmen. Ich schreibe ihr aufmunternd, dass mir das auch schon passiert ist und das Kunstwerk heute neu verziert noch viel schöner aussieht – was tatsächlich so ist. Und dann? Nichts. Ruhe. Gedankenkarussell gestoppt!

Eine Gelassenheit macht sich breit. Und auch Erleichterung, jemand anderem sagen zu können, dass nicht immer alles läuft, wie wir uns das vorstellen. Und das beruhigende Gefühl (für uns beide), dass der Blick ins scheinbare Schloss der anderen uns ein ganz normales Zuhause mit Höhen und Tiefen präsentiert.

Tabea Gruhn lebt mit Mann und fünf Kindern zwischen 4 und 13 Jahren in Augsburg.

Innere Stärke: Mit fünf Knöpfen machen Sie Ihr Kind glücklicher

Wie können Eltern dafür sorgen, dass sich ihr Kind in seiner Haut wohlfühlt? Laut Kinderbuchautorin Dela Kienle braucht es dafür nicht viel.

Endlich Sommerfest! Fröhlich schlendert meine Elfjährige in die Schule, in ihrem neuen knatschroten Kleid und mit selbstgebackenem Kuchen. Doch als sie zurückkommt, ist sie übellaunig und verbarrikadiert sich in ihrem Zimmer. Erst beim Ins-Bett-Bringen verrät sie mir, was passiert ist: Zwei Klassenkameraden, mit denen sie sich sonst gut versteht, haben sie wegen des roten Kleids ausgelacht. Sie würde aussehen wie eine Tomate. „Und das hat dir das ganze Sommerfest verdorben?“ Meine Tochter nickt mit Tränen in den Augen.

Natürlich ist das kein riesiges Drama – nur ein winziges Beispiel. Wohl allen Eltern fallen Gelegenheiten ein, in denen ihr Kind sich von Gleichaltrigen kränken oder einschüchtern ließ. In denen es „Kann ich eh nicht!“ murmelt oder an sich zweifelt, weil es nicht zu einem Geburtstagsfest eingeladen wurde. Vielleicht gibt es auch Momente, in denen es sich zu unsportlich, uncool oder sonst irgendwie nicht gut genug fühlt. Am liebsten würde man sein Kind dann gleichzeitig umarmen und schütteln, weil es wirklich begreifen soll: Du bist wunderbar, genau wie du bist! Lass dir nichts von anderen einreden! Und sei bitte nicht so streng mit dir!

Sei selbst dein bester Freund!

Es ist eine wichtige Lektion, die ein junger Mensch lernen muss, wenn er halbwegs zufrieden durchs Leben gehen will: Sei selbst dein bester Freund! Wer gut mit sich umgeht und positiv denkt, entwickelt Selbstvertrauen, quält sich seltener mit Zweifeln und kann sich schneller aufheitern, wenn etwas nicht so richtig klappt. Er kümmert sich um sich und nimmt seine Stärken und Schwächen an. Mit Egoismus hat gesunde Selbstliebe übrigens nichts zu tun. Wer in sich ruht, muss sich nicht dauernd aufs Neue beweisen, wie toll er ist. Er kann sich auch mal zurücknehmen und fragt nicht ständig, was er zurückbekommt, wenn er anderen etwas gibt.

Unser Denken formt das Gehirn

Gedanken haben eine erstaunlich große Macht. In unserem Gehirn sind Milliarden Nervenzellen miteinander verwoben. Ein Gedanke saust wie ein Elektroblitz von einer Zelle zur nächsten. Je häufiger wir eine Verbindung benutzen, desto stärker wird sie. Das Gehirn ändert sich also ständig – indem wir denken und uns mit bestimmten Dingen beschäftigen. Wir alle sind wie Bildhauer: Durch unser Denken und Tun formen wir Teile des Gehirns!

Und dann hört ein Kind Sätze wie: „Das kannst du nicht!“, oder: „Ist ja typisch für dich!“ Oder es denkt selbst voller Entmutigung: „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ Solch ein Satz wird im Gehirn gespeichert. Und je öfter das Kind ihn gedanklich wiederholt, desto leichter kommt er ihm wieder in den Sinn, sobald etwas nicht gleich klappt. Das Negative verstärkt sich selbst. Doch zum Glück stimmt auch das Gegenteil: Das Kind kann sich angewöhnen, auf Positives zu achten, sich selbst zu bestärken und freundliche Gedanken zu denken! Je häufiger es das tut, desto leichter fällt es ihm, aus einem negativen Muffel-Modus auszubrechen.

Das Knopf-Experiment

Manche Psychologinnen und Psychologen glauben, dass es eine Formel gibt: Es geht uns richtig gut, wenn wir dreimal mehr positive Gedanken haben als negative. Nur ist das manchmal ja leider gar nicht so einfach. Nehmen wir einen typischen Montagmorgen. Beim Frühstück kippt Orangensaft um, die Geschwister streiten, alle sind hektisch. Doch wir haben es selbst in der Hand, wie der Tag danach weitergeht. Wir können unsere Sinne schärfen – und auf die vielen erfreulichen Kleinigkeiten achten, von denen ich glaube, dass Gott sie uns täglich schenkt.

Wie wäre es mit einem Experiment? Jedes Kind bekommt morgens fünf hübsche Knöpfe, steckt sie in die Hosentasche und hält nach Gutem und Erfreulichem Ausschau. Vielleicht entdeckt es auf dem Schulweg einen Marienkäfer, einen duftenden Strauch oder eine lustig geformte Wolke? Die Natur ist wundervoll, wenn man nur genau hinschaut! Wer etwas Positives bemerkt, lässt einen Knopf in die andere Tasche wandern. Auch Erfolgserlebnisse zählen – und Spaß. Vielleicht versteht das Kind plötzlich etwas Kompliziertes in Mathe, oder es lacht sich in der Pause mit seinen Freunden schlapp. Wenn alle wieder zu Hause sind, bietet sich so der Einstieg für ein wunderbares Gespräch beim Familienessen: Wie oft haben eure Knöpfe heute die Seite gewechselt? Was war an diesem Tag besonders erfreulich?

Auf die Eltern kommt es an

Auch ich versuche, mich an duftenden Sträuchern zu erfreuen, statt immer nur durch die Stadt zu hetzen. Aber es gibt eine Übung, die ich für uns Eltern sogar noch wichtiger finde: Dass wir uns immer wieder ganz bewusst unseren Kindern zuwenden! Ob sie ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, hängt nämlich auch davon ab, wie wir Erwachsene auf sie reagieren. Hören wir ihnen richtig zu, wenn sie etwas erzählen wollen? Oder geben wir ihnen häufig das Gefühl, lästig zu fallen? Lassen wir uns ständig vom Handy ablenken, selbst wenn man gerade zusammen spielt oder isst? Fehlende Aufmerksamkeit vermittelt dem Kind: „Ich bin es wohl nicht wert, dass man mich beachtet.“

Manchmal muss ich mich auch dazu ermahnen, das Positive im Blick zu behalten: all die guten Eigenschaften, Verhaltensweisen und Erfolge der Kinder. Bei einem Baby feiern wir Eltern noch täglich jeden winzigen Fortschritt. Doch bei älteren Kindern starren wir manchmal zu sehr auf Fehler und Schwächen, versuchen in bester Absicht, diese zu korrigieren. Doch dabei betonen wir viel zu selten, was bereits wunderbar läuft und was wir an unseren Kindern lieben. Warum eigentlich?

Anstrengungen loben

Für die Familienstimmung ist es so viel besser, wenn wir einen positiven Fokus beibehalten. Allerdings heißt das nicht, dass wir Kinder wahllos mit Lob überschütten sollten. Erziehungswissenschaftler warnen sogar davor, alles mit „Suuuper, ganz toll!“ zu bejubeln. Viel besser sei es, aufrichtig zu loben und ganz genau zu beschreiben, was einem gefällt. Es ist auch empfehlenswert, eher die Anstrengung zu loben, als Können oder Ergebnis. „Toll, dass du so fleißig für die Mathe-Arbeit gelernt hast!“, ist besser als „Du bist Mamas Mathe-Genie!“

Manchmal schadet es auch nichts, sich eine Bewertung ganz zu verkneifen. Wir neigen dazu, Dinge in gut und schlecht, in richtig und falsch einzuteilen. Schenkt mir mein Kind ein selbstgemaltes Bild, will es mir eine Freude machen. Doch mir rutscht fast automatisch eine Beurteilung heraus: „Wow, das sieht ja toll aus!“ Warum bedanke ich mich nicht einfach mit einem dicken Kuss? Auch in der Schule werden Kinder tagein, tagaus bewertet. So entsteht die Gefahr, dass Kinder ständig auf Bestätigung von außen warten und womöglich nur dann mit sich zufrieden sind, wenn ihre Eltern oder die Lehrerin sie loben.

Bestätigung nicht von anderen erwarten

Es gibt noch andere Quellen für Selbstwert, die problematisch sind: Manche Kinder (und Erwachsene!) fühlen sich zum Beispiel vor allem gut, wenn sie denken, dass sie anderen überlegen sind. Oder wenn sie mehr besitzen. Oder wenn sie besser aussehen und von anderen für irgendetwas bewundert werden. Auf den ersten Blick wirken solche Menschen manchmal sogar „selbstbewusster“ als schüchterne Zeitgenossen. Aber ihr Selbstwert ist brüchig, und sie befinden sich in einer unguten Abhängigkeit. Denn wie fühlen sie sich wohl, wenn Erfolg oder Bestätigungen plötzlich ausbleiben?

Nein, das wollen wir unseren Kindern nicht wünschen! Sie sollen sich selbst bestärken, anstatt auf das Lob anderer zu warten. Sie sollen positiv denken, statt über Unerfreuliches zu nörgeln. Sie sollen mit den Schultern zucken, wenn andere unfreundlich zu ihnen sind – und knatschrote Sommerkleider tragen, wenn sie ihnen gefallen. Meiner Meinung nach haben gläubige Familien zudem einen Trumpf in der Hand, wenn es darum geht, gesunden Selbstwert zu vermitteln: Sie können ihrem Kind nahebringen, dass es für Gott unendlich kostbar ist. Dass er es mit all seinen Stärken und Schwächen liebt. Der christliche Gott sagt voller Überzeugung „Ja“ zu jedem Menschen. Auch unser Kind ist eine wunderbare Original-Ausgabe, die es nur ein einziges Mal weltweit gibt. Und es ist goldrichtig, wie es ist!

Dela Kienle ist Journalistin und Kinderbuchautorin („Dein bester Freund? Bist du!“, Ravensburger Verlag GmbH). Mit ihrer Familie lebt sie in der holländischen Grachtenstadt Leiden.

Body Positivity: Mit diesen 4 Hacks lernt Ihr Kind seinen Körper lieben

„Mama, ich bin zu dick“ – oft kommen solche Sätze schon im frühen Teenie-Alter. Therapeutin Melanie Schüer erklärt, wie Eltern gegensteuern können.

Auch Kinder werden von Schönheitsidealen beeinflusst und die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper fängt oft früher an, als Eltern lieb ist. Fünf Dinge können Sie tun, um Ihr Kind bei einer positiven Einstellung zum eigenen Körper zu unterstützen:

1. Seien Sie ein Vorbild bei der Selbstannahme

Kinder lernen viel durch Nachahmung. Sie beobachten intensiver, als man oft meint. Deshalb: Achten Sie ab dem Kleinkindalter darauf, wie Sie mit Ihrem Körper umgehen und wie Sie über ihn sprechen. Jammern Sie nicht über Ihre Figur, sondern drücken eher mal Positives aus: „Den Pulli finde ich toll, der steht mir!“

Extremdiäten sind nicht nur für Sie ungesund, sondern auch für Ihre Kinder ist es schädlich, wenn sie sehen, dass ein Elternteil sich beim Essen extrem einschränkt. So können sie nicht lernen, Genuss und Gesundheit miteinander in Einklang zu bringen. Erklären Sie stattdessen, warum der Körper zum Beispiel Vitamine braucht, dass zu viel Zucker ihn krank machen kann etc.

2. Steigern Sie Spaß an Bewegung

Bewegung und Sport sind sehr förderlich für Body Positivity. Dabei sollte es nicht primär um das Erreichen eines Schönheitsideals oder sportliche Bestleistungen gehen, sondern um die Freude an der Bewegung, die gesundheitlichen Vorzüge von regelmäßigem Sport und das gute Gefühl, das sich durch die Ausschüttung von Glückshormonen entsteht. Deshalb versuchen Sie, regelmäßig spaßige Bewegung einzubauen – zum Beispiel Trampolin springen, Seilspringen, Federball im Garten oder Park, Fangen spielen, Spazierengehen und dabei Steine, Kastanien, Stöcke oder ähnliches sammeln … Seien Sie geduldig, wenn Ihr Kind mehrere Sportarten ausprobiert. Viele Kinder brauchen eine Weile, bis sie das Richtige gefunden haben.

Erklären Sie Ihrem Kind, dass Sport gesund ist (zum Beispiel für das Herz-Kreislauf-System, den Rücken, die Konzentration, aber auch die Stimmung und das Wohlbefinden) und es sich selbst damit etwas Gutes tut. Machen Sie aber auch klar, dass es nicht darum geht, abzunehmen oder der/die Beste zu sein.

3. Seien Sie offen für Vielfalt

Wenn Ihr Kind fragt, warum jemand anders aussieht als andere, dann erklären Sie das respektvoll und machen Sie deutlich: Es ist nicht schlimm, anders zu sein. Jeder ist einzigartig, wir sind alle verschieden. Das ist okay und gut so. Lesen Sie mit Ihrem Kind Bücher, die Toleranz und Mut zum Anderssein stärken, beispielsweise „Das kleine Ich bin Ich“ von Mira Lobe oder „Irgendwie anders“ von Kathryn Cave.

4. Unterstützen Sie das Selbstwertgefühl Ihres Kindes

Wenn Ihr Kind sich insgesamt wertvoll fühlt, dann kann es auch besser seinen eigenen Körper lieben. Überschütten Sie es nicht mit Lob – aber ermutigen Sie es immer wieder. Sagen Sie Ihrem Kind ruhig regelmäßig, was Sie an ihm besonders hübsch finden oder was es gut kann – auch körperlich. Vielleicht kann es beispielsweise gut klettern, tanzen, schnell rennen, etwas Schweres tragen oder ähnliches. Oder, wenn es krank war, betonen Sie: „Nun bist du schon wieder gesund, da hat dein Körper echt gut gearbeitet, um wieder fit zu werden!“

Betonen Sie eher seine Anstrengung als die Ergebnisse. Freuen Sie sich mit ihm oder zeigen Sie einfach Interesse, indem Sie Fragen stellen zu dem, was Ihr Kind interessiert. Sagen Sie auch immer mal wieder, wie lieb Sie Ihr Kind haben und wie wichtig es Ihnen ist. Dass es richtig ist, ganz besonders ist – genau so, wie es ist. Zwei tolle Bücher dazu: „Du bist einmalig!“ von Max Lucado und „Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich habe?“ von Sam MacBratney.

Melanie Schüer ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und Autorin (neuewege.me).

Pädagogin verrät: So steigern Sie das Selbstbewusstsein Ihrer Teenie-Tochter

Vielen Teenagern fehlt das Selbstvertrauen. Genau hier können Eltern sie unterstützen, sagt Diplompädagogin Sonja Brocksieper.

„Unsere Tochter (13) ist total schüchtern und wirkt oft verunsichert. Ich habe das Gefühl, dass sie gar kein Selbstvertrauen hat. Wie können wir sie stärken und unterstützen?“

Die Teenagerjahre sind oft von Unsicherheiten und Selbstzweifeln geprägt, und Eltern sollten in dieser Phase sowohl das Wertgefühl ihres Kindes stärken als auch ein gesundes Selbstvertrauen vermitteln. Denn genau genommen müssen wir zwischen diesen beiden Begriffen „Selbstwertgefühl“ und „Selbstvertrauen“ unterscheiden.

Selbstwertgefühl ist nicht gleich Selbstvertrauen

Für ein gesundes Selbstwertgefühl braucht Ihre Tochter zunächst die Gewissheit, dass sie eine wertvolle Persönlichkeit ist, die um ihrer selbst willen geliebt wird, und das unabhängig von dem, was sie leistet. Nehmen Sie Ihr Kind als ganze Person ernst, mit all ihren Meinungen, Empfindungen und ihrem Temperament. Das bedeutet, dass Sie Ihrer Tochter vermitteln: „Du bist okay so, wie du bist. Und auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was du tust, bist du geliebt und angenommen.“ Wenn ihre Tochter oft schüchtern wirkt, ist das erst mal okay. Nicht jeder steht gerne im Mittelpunkt und hat das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Sprechen Sie Ihrer Tochter zu, dass dieser Wesenszug okay ist und sie sich nicht verbiegen muss.

Selbstvertrauen ist dagegen etwas ganz anderes. Es ist das Wissen um die eigenen Fähigkeiten und Begabungen. Und dieses Vertrauen in die eigenen Stärken kann Ihre Tochter entwickeln, wenn Sie ihr etwas zutrauen. Jedes Kind bringt ein Potenzial mit, das man lobend hervorheben und bestärken kann. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter, was sie richtig gerne macht, was sie auszeichnet und besonders macht. Eine gute Schulnote in einem bestimmten Fach, ein gelungenes Musikvorspiel, Erfolg im Sport – all das kann gefeiert werden.

Ermutigen Sie Ihr Kind!

Nutzen Sie dafür die Macht der Worte. Diese haben eine nicht zu unterschätzende Kraft. „Du schaffst das.“ „Ich bin stolz auf dich.“ „Probiere es ruhig aus. Wenn es nicht klappt, helfe ich dir.“ Solche Sätze haben eine starke Wirkung und fördern das Selbstwertvertrauen Ihres Kindes. Wenn ein Kind dagegen ständig hört, was alles nicht gut läuft, dann entwickelt es schnell ein einseitiges Bild von sich selbst. „Pass bloß auf!“ „Das musste ja schiefgehen.“ „War ja klar, dass du die Mathearbeit verhaust.“ All das sind negative Botschaften, die das Selbstvertrauen schwächen. Schaffen Sie stattdessen eine Atmosphäre der Ermutigung.

Manchmal lässt sich aber auch Kritik im Umgang mit Kindern nicht vermeiden. Hierbei sollten Sie sich vor Augen führen, wie vernichtend manch kritische Äußerung sein kann. Vor diesem Hintergrund sollten Sie Kritik möglichst in Maßen, behutsam und besonnen äußern. Und je mehr ein gutes Polster an Wertschätzung und Anerkennung vorhanden ist, desto eher wird die Kritik auf offene Ohren stoßen.

Schwächen sind normal

Übrigens sollte jede Form der Ermutigung und des Lobes angemessen und realistisch sein, damit Kinder kein falsches Selbstbild entwickeln. Jedes Kind hat Schwächen und Begrenzungen, die nicht ignoriert werden sollten. Erzählen Sie von Ihren eigenen Schwächen und Ihrem Umgang damit. Solche persönlichen Erfahrungen können Ihrer Tochter helfen, mit ihren eigenen Misserfolgen selbstsicher umzugehen. Je besser das Selbstwertgefühl eines Kindes ist, desto leichter können Kinder motiviert werden, an ihren weniger starken Seiten zu arbeiten.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. sonja-brocksieper.de

Wunderschön

Uns mit unseren Schwächen und Beeinträchtigungen als schön anzunehmen, fällt uns nicht immer leicht. Was unserer Autorin geholfen hat: ganz besondere Fotos …

Mein rechtes Knie schmerzt. In meinem Kopf geht ein kleines rotes Alarmlämpchen an. Überbelastung. Die rechte Körperseite muss die linke mittragen. Die Hemipareseseite. Die schwache Seite. Der Grund: eine vorgeburtliche Schädigung meiner rechten Gehirnhälfte (Fachbegriff: Infantile Zerebralparese). Ich hatte Glück. Nur selten fragt jemand, warum ich hinke.

Das Tippen ist ein .Äegernis. Denn es sieht so aus. Der linke Zeeigedfibnger haut mirt eine Menge fehler rein.

„In Ihrem Alter …“

Mein Orthopäde ist gründlich: linker Oberschenkel 7 cm weniger Umfang, linker Unterschenkel 4,5 cm, linker Arm 4 cm kürzer. Deshalb Beckenschiefstand, Wirbelsäulenverkrümmung, Schulterschiefstand. Er hält kurz inne. „Keine Sorge. Sie sind nicht schwer krank.“ Dann sagt er: „Beim jungen Körper ist alles noch sehr dehnbar und beweglich. Da gleicht der Körper das aus. In Ihrem Alter …“ Ich bin 32 Jahre alt. Auf dem Nachhauseweg kommt mir ein Seniorenpaar entgegen. Die Dame sitzt im Rollstuhl. Das Kopfkino startet.

Zersprungen

Ich starre auf die zersprungene Glastür unserer Dusche. Hunderte Scherben werden durch das Sicherheitsglas nur noch auf fragile Weise zusammengehalten. Es war mitten in der Nacht, als wir durch ein lautes Geräusch geweckt werden. Der Handwerker meint, das sei ein seltener Fall, ähnlich wie bei Holz, das arbeitet. Bis er kommt, bleibt uns fünf eine Woche Gäste-WC und Nachbarschaftshilfe. So lange hält mir die zersprungene Tür einen Spiegel vor Augen für mein Innerstes, mein Selbstbild. Eine Freundin bringt das Gefühl auf den Punkt: „Behinderung auf Abruf“.

Ganz kleine Schritte

Nach dem allmorgendlichen „Ich will aber nicht zuerst die Zähne putzen“, „Bitte zieh jetzt endlich die Schuhe an“ und meinem Sieben-Uhr-Mantra im Treppenhaus „Pssssssssssst!“ sitze ich neben dem leeren Kinderwagen auf der Treppe zur Ergotherapie und überlege, was mich wohl erwartet. 20 Minuten lang, weil ich die erste und viel zu früh bin. Weil auch beim dritten Kind unvorhersehbar bleibt, wie viele Windeln sich unversehens füllen, wenn man gerade aus der Tür will. Und wie viele Feuerkäfer auf dem Weg zum Kindergarten noch gejagt werden müssen. Heute haben sie sich gut versteckt. Dann folgt die Ernüchterung. Ganz kleine Schritte, Geduld und üben, üben. Ich könnte zu Hause kleine Bälle suchen und mit den Kindern zusammen üben, schlägt die Ergotherapeutin vor. Oh ja, male ich mir aus: Der Kleine schreit freudig „Balla, Balla“ und stürzt los. Der große Bruder ist aber schneller. Der Fokus liegt dann eindeutig auf einem anderen Schwerpunkt im Nervensystem, nämlich da, wo die Nerven einer Mama am besten Drahtseilstärke erreichen sollten.

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„Wie wunderschön. Das bin ich!“

Es tut weh

Nach langer Sommerpause beginnt die Erkältungszeit. Erst wird der ältere Sohn krank. Dann folgt der jüngere. Und dann ich. Ein einfacher grippaler Infekt. Doch auch dafür fehlt mir die Kraft. Und dann passiert es. Da war auf einmal diese Wut. „Die Mama hat sich auf den Kopf gehauen“, sagt mein Sohn und lacht unsicher. Als die Kinder schlafen, schließe ich die Arme fest um meinen Mann. So stehen wir eine ganze Weile schweigend. Weil ich gelernt habe, dass es mit meinen Gefühlen schwer ist für meinen Mann, ringe ich mir die Worte ab: „Es ist ein Gefühl, das so weh tut in der Brust.“ Nun wird er aktiv und richtet unsere Kuschelecke (weil der Jüngste in unserem Bett schläft). So lange schaue ich mir Fotos an. Aktfotos. Nur drei Wochen ist das her. Es kommt mir vor wie aus einer anderen Welt.

Wunderschön

Als ich unsere Fotos betrachte, bleibt mein Blick bei meinem Gesicht hängen: Wie entspannt. Wie glücklich. Wie verliebt. Wie wunderschön. Das bin ich! Das habe ich Dana, der Stylistin, zu verdanken. „So schöne Augen hast du. Und solche Wimpern. Viele tun viel dafür … Toll, dass ihr euch das traut. Aus welcher Richtung kommt ihr denn?“ „Theologie“, sage ich. Und Dana völlig gelassen „Spannend, erzählt …“ Als ich die Fotos zum ersten Mal betrachtete, dachte ich: Wahnsinn, was das Spiel mit Licht und Schatten bewirkt. Einzelne Fotos sind so „perfekt“ wie in einem professionellen Kalender. Mit meiner Realität hat das wenig zu tun. Ist das nicht eine „Beschönigung“, wie wir sie überall in der digitalen und realen Welt erleben? Nein, denke ich. Es ist nicht so, dass etwas wegretuschiert wäre. Wenn ich ganz nah herangehe, sind da immer noch meine Asymmetrien, meine blassen und meine Sonnenseiten. Sie treten im Lichtspiel aber in den Hintergrund, machen den Blick frei. Es ist für mich eine ganz persönliche Umkehrung der Paradieserfahrung. Als ich mich so nackt sah, erkannte ich: Ich bin wunderschön.

Achtsam durch den Alltag

Achtsamkeit ist ziemlich im Trend. Doch was genau ist damit gemeint? Und welche Chance beinhaltet sie für Familien? Von Melanie Schüer

Wer achtsam ist, konzentriert sich ganz auf das Hier und Jetzt. Er schweift gedanklich nicht ständig ab in das, was gestern war, oder beschäftigt sich mit Sorgen um das, was morgen kommt. Er legt seinen Fokus ganz auf den gegenwärtigen Moment. Dieser wird sehr aufmerksam und intensiv, mit allen Sinnen wahrgenommen: Was sehe ich? Wie riecht es gerade? Wie fühlt sich mein Körper an? Was höre ich? Wie fließt mein Atem?
Diese verschiedenen Fragen werden nicht schnell „abgearbeitet“. Jeder Aspekt wird ruhig und langsam erkundet. Abschweifende Gedanken werden bewusst wahrgenommen, ohne sie zu bewerten – und wieder losgelassen, um sich erneut im Hier und Jetzt zu verankern.
In unserem hektischen Alltag ist uns diese Haltung häufig fremd. Bei der Menge an Aufgaben und Themen fühlen wir uns meist zu Multitasking gezwungen: Während wir putzen, denken wir darüber nach, wie wir das Seminar morgen gestalten. Während wir duschen, spüren wir weniger den angenehmen Wasserstrahl, sondern grübeln über das Gespräch mit dem Chef nach … Doch dieses ständige Multitasking fördert innere Unruhe und Stress – deshalb bergen Achtsamkeits- Übungen eine große Chance. Sie lassen sich einfach in den Alltag integrieren: Beim Zähneputzen bewusst den Kopf ausschalten und sich nur auf die Bewegungen der Zahnbürste konzentrieren. Beim Spazierengehen spüren, wie die Füße bei jedem einzelnen Schritt den Boden berühren.

ACHTSAMKEIT HILFT BEI WEHEN

Auch für Eltern ist Achtsamkeit ein wertvoller Ansatz – schon in der Schwangerschaft. Die Hebamme Nancy Bardacke hat mit ihrer Methode „Mindful Birthing“ das Konzept der Achtsamkeit auf Schwangerschaft und Geburt übertragen. Dabei geht es um die Fähigkeit, loszulassen und sich auf das, was geschieht, einzulassen – und daraus das Beste zu machen.
So dauert eine Wehe in der Regel 60 bis 90 Sekunden – das sind etwa sieben bis zehn Atemzüge. Wenn eine Wehe beginnt, kann die Frau sich bewusst machen: „Ich atme jetzt zehnmal ganz tief ein und aus, dann ist diese Wehe schon wieder geschafft“ als Gegenentwurf zu Gedanken wie: „Ich ertrage das nicht mehr!“ Eine gute Unterstützung ist es, Formulierungen wie „Loslassen“ oder „Zehn Atemzüge, dann ist es geschafft!“ auf Karteikarten zu schreiben und zur Geburt mitzunehmen.
Achtsamkeit bedeutet auch, nicht zu werten, und das, was ist, anzunehmen. Wenn uns etwas weh tut, neigen wir dazu, uns zu verspannen und gegen den Schmerz anzukämpfen. Dabei geht es viel besser, wenn wir tief in den Schmerz hineinatmen und ihn annehmen – als etwas, das jetzt eben sein muss, das aber vorübergeht.

DAS FAMILIENLEBEN ACHTSAM GESTALTEN

Der Ansatz von Nancy Bardacke bezieht auch die Zeit nach der Geburt mit ein, zum Beispiel wenn das Baby weint. Eltern können sich bewusst werden, welche Gefühle das Schreien in ihnen auslöst: Traurigkeit? Wut? Hilflosigkeit? Es gilt, diese Gefühle zuzulassen, ohne sie zu bewerten – sie einfach anzunehmen, zu fühlen und dann loszulassen und sich auf den eigenen Atem zu konzentrieren. Tief in den Bauch einatmen, als würde man ganz viel Frieden und Ruhe einatmen und lange wieder ausatmen, als würde man allen Stress und alle Anspannung hinausatmen. Bauchatmung reduziert die eigene Körperspannung. Das spürt auch das Baby und hilft ihm, sich sicherer zu fühlen.
Auch im Umgang mit älteren Kindern ist Achtsamkeit eine wertvolle Haltung. Sie beinhaltet, unsere Kinder so wertzuschätzen und anzunehmen, wie sie sind – und auch mit den eigenen Fehlern barmherzig umzugehen. Die Achtsamkeitslehrer Myla und Jon Kabat-Zinn erklären: „Wir sehen dies als einen Prozess, der nicht nur beinhaltet, dass wir unsere Kinder so annehmen, wie sie sind, sondern auch uns selbst –, dass wir nicht nur mitfühlend mit unseren Kindern umgehen, sondern auch mit uns selbst. Es ist sehr heilsam, wenn wir unsere Kinder und uns selbst nicht ständig beurteilen.“
Myla Kabat-Zinn versteht unter achtsamer Erziehung, „zu versuchen, die Dinge aus den Augen des Kindes zu sehen. Für mich ist damit ein Großteil dessen abgedeckt, was wirklich wichtig ist. Wenn Eltern anfangen, die konkrete Erfahrung ihres Kindes zu beachten, wenn sie versuchen, wirklich aus der Sicht des Kindes zu schauen, können sich die Dinge ändern.“ Das ist ein guter Rat – bewusst die Perspektive des Kindes einzunehmen, zu überlegen und zu erfragen: Wie erlebt er oder sie diese Situation?

AUFMERKSAM DURCH DEN TAG

Ganz konkret umfasst ein achtsamer Familienalltag auch das Einrichten von regelmäßigen Zeiten, in denen die Eltern sich ganz dem Kind zuwenden, ohne nebenher zu putzen, zu lesen oder aufs Handy zu schauen. Dazu gehört aufmerksames Zuhören und eine Form der Anerkennung, die eher ermutigt als lobt. Das bedeutet, dass man sein Kind nicht mit einem schnell dahergesagten Lob wie „Gut gemacht!“ abspeist, sondern dass man wirklich hinschaut und konkret sagt, warum man sich über etwas freut.
Eng verbunden mit Achtsamkeit ist eine dankbare Haltung: Die Überzeugung, dass nicht alles selbstverständlich ist, sondern dass der Alltag voller kleiner Wunder und Geschenke ist. Im Familienleben kann man Kindern wunderbar Achtsamkeit und Dankbarkeit vorleben, indem man selbst aufmerksam durch den Tag geht.
Auch die Beziehung zum Partner ist ein Bereich, der Achtsamkeit verdient: Wirklich hinhören, was meinen Partner beschäftigt und nicht gleich urteilen, sondern meinem Partner auch in Konflikten mit einem offenen Herzen begegnen. Den anderen nicht als selbstverständlich betrachten, neugierig aufeinander bleiben und regelmäßige Paarzeiten einplanen.

ALLES IM FLUSS

Achtsamkeit in der Familie kann auch helfen, schwere Zeiten besser zu bewältigen. Wer achtsam ist, fragt sich nicht ständig, wie das wohl weitergeht und wie lange man das noch aushalten kann. Stattdessen übt man, im Hier und Jetzt zu bleiben – mit dem Wissen, dass alles eine Phase ist, die vorbeigeht. Diese Herangehensweise ist auch in der Bibel zu finden:
„Alles hat seine Zeit, alles auf dieser Welt hat seine ihm gesetzte Frist:
Geboren werden hat seine Zeit wie auch das Sterben. Pflanzen hat seine Zeit wie auch das Ausreißen des Gepflanzten. Töten hat seine Zeit wie auch das Heilen. Niederreißen hat seine Zeit wie auch das Aufbauen. Weinen hat seine Zeit wie auch das Lachen. Klagen hat seine Zeit wie auch das Tanzen. Steine zerstreuen hat seine Zeit wie auch das Sammeln von Steinen. Umarmen hat seine Zeit wie auch das Loslassen. Suchen hat seine Zeit wie auch das Verlieren. Behalten hat seine Zeit wie auch das Wegwerfen. Zerreißen hat seine Zeit wie auch das Flicken. Schweigen hat seine Zeit wie auch das Reden. Lieben hat seine Zeit wie auch das Hassen. Krieg hat seine Zeit wie auch der Frieden.“ (Prediger 3,1-8)
Die Erkenntnis, dass alles seine Zeit hat, hilft, sich auf das, was gerade ist, einzulassen – ohne innerlich noch am Gestern zu hängen oder erwartungs- oder sorgenvoll in die Zukunft zu blicken. Heute ist der einzige Tag, den wir gestalten können. Gestern ist unwiderruflich vorbei – und wer weiß schon, was das Morgen bringt? Jesus selbst lebt uns diese Fokussierung auf die Gegenwart vor, wenn er sagt: „Sorgt euch nicht um morgen, denn jeder Tag bringt seine eigenen Belastungen. Die Sorgen von heute sind für heute genug.“ (Matthäus 6, 34).
John Kabat-Zinn formuliert es so: „Ich würde sagen, dass man sich vergegenwärtigen sollte, wie schnell diese ganze Sache vorbeigeht. Wenn man Vater oder Mutter wird, hat man das Gefühl, eine unendliche Geschichte vor sich zu haben, aber bevor man sich versieht, sind die Kinder aus dem Haus und stehen auf eigenen Beinen.“

Melanie SchüerMelanie Schüer ist Erziehungswissenschaftlerin und bietet Onlineberatung für Eltern von Babys und Kleinkindern sowie für Schwangere an: www.neuewege.me