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Der Segen der Wahlfreiheit

Jennifer Zimmermann ist gern mal kämpferische Hausfrau. Und trotzdem stolz auf ihre Mutter, die mit Baby auf dem Arm ihr Diplom machte.

Seit endlos scheinenden Minuten sitze ich fest. Auf dem Spielteppich in unserem Wohnzimmer stapeln sich Töpfe, eine Armada von Holzkochlöffeln umzingelt mich und strahlend hält mir mein Sohn die zwanzigste Tasse Murmel-Suppe entgegen. Zwischen meiner Schulter und meinem Ohr klemmt der Telefonhörer, meinen dreifachen Espresso halte ich fest umklammert, denn jeder Gedanke, den ich fassen will, endet in einem Gähnen. So wundert es mich gar nicht, dass da ein kleiner Funke Neid in mir knistert, als ich höre, wie meine Freundin am anderen Ende der Leitung vom Krippenstart ihres Sohnes erzählt. Um ihren Frust geht es, um die unerschöpfliche Energie eines Einjährigen, die sie dazu brachte, schon früher als geplant wieder arbeiten zu gehen. Und dann wieder mal diese Frage: „Wie machst du das? Wie schaffst du’s nur, zu Hause zu bleiben?“ Und nicht verrückt zu werden, ergänze ich still.

ROMANTISCH VERKLÄRTE VORFREUDE
1986. Meine Eltern hatten einen Plan: Lange schon träumte meine Mutter davon, ihr Abitur nachzuholen, Psychologie zu studieren und als Therapeutin zu arbeiten. Neun Jahre nach der Geburt meiner großen Schwester war sie nun auf dem besten Weg, sich diesen Traum zu erfüllen. Mühsam hatte sie sich neben Kind und Beruf durch die Abendschule gequält, ihr Studium gemeistert, sah das Diplom in Reichweite – und wurde mit mir schwanger. Ein zweites Kind hatte keiner geplant. Für mich hieß das vor allem: Oma-Zeit. Und so sehr ich diese Zeiten liebte, so sehr nagte auch die, mit Worten nicht fassbare, Gewissheit an mir, dass ich etwas Entscheidendes vermisste.

Als ich 2011 mit meinem ersten Kind schwanger wurde, stellte ich deshalb meine Bachelorthesis ins Regal und blieb daheim, obwohl uns das finanziell ans Existenzminimum brachte. Mit romantisch verklärter Vorfreude wartete ich nestbauend auf die heimelige Zeit fern von meinem Beruf in der liebevollen Zweisamkeit mit diesem wunderbaren neuen Menschen. Ziemlich unsanft schlug ich in der Mamarealität auf. Der neue Mensch begegnete mir mit unstillbarem Hunger zu allen Nachtzeiten und schlief ausschließlich auf meinem eigenen zarten Körper. Als ich an meinem ersten Tag allein daheim um drei Uhr nachmittags vor einer endlich aufgetauten Kürbissuppe saß und überlegte, ob ich dringender aufs Klo oder essen musste und just in diesem Moment wieder ein Schreien aus dem Schlafzimmer tönte, brach ich in Tränen aus. Die Unfähigkeit, meinen Sohn zufriedenzustellen, geschweige denn noch irgendetwas anderes zu leisten, traf mich unvorbereitet hart. Bin ich eigentlich noch genug, wenn ich mich einfach nur um mein Kind kümmere und sonst nichts schaffe?

ES REICHT
Bin ich genug? Diese Frage verfolgte mich das ganze erste Jahr hindurch. Besonders eindringlich biss sie sich fest, wenn wieder mal eine Mama vom Krippen- und Arbeitsstart erzählte. Lange begegnete ich dann immer wieder dem kleinen Mädchen in mir, das so gern selbst mehr von seiner Mama gehabt hätte. „Ich kann nicht aus meiner Haut!“, sagte ich oft, mich mit meiner eigenen Geschichte für mein Hausfrauen-Dasein entschuldigend. Aber hier und da tauchte auch eine andere wohlvertraute Stimme in mir auf. Immer mehr konnte ich sehen, dass ich diesen Weg gehe, mitten in einer Gesellschaft, die Leistung und Selbstverwirklichung vergöttert. Heilsame Gott-Gedanken rückten mir die Perspektive zurecht, ganz schlicht: Es geht nicht um mich. Und ich bin genug, begabt, beschenkt, auch wenn mir das Geschenk manchmal verschwimmt vor meinen müden Augen. Ich bin genug, auch wenn ich nichts leiste. Ich bin begabt und diese Begabung verliert nicht an Wert, wenn ich mit ihr meine Kinder, meinen Mann, meine Nachbarschaft beschenke – und ein „nur“ gibt es hier nicht. Es reicht. Dankbarkeit macht sich breit in meinem Herzen, weil mein Aushalten daheim mich diesen Worten näher gebracht hat.

STOLZ AUF DIE MUTTER
Dankbar bin ich aber heute auch für meine Mutter, die eine andere Abzweigung genommen hat. Ich stehe als Frau in einer langen Reihe von Müttern, die nicht immer ihren eigenen Weg gehen konnten. Als mein Vater auf die Welt kam, managte seine Mutter einen Bauernhof, einen dement werdenden Schwiegervater und die Spätfolgen diverser Kriegstraumata. Für ihre zwei Kinder sicherte sie die Existenz und opferte dafür die Zeit mit ihnen. Tapfer ging sie diese Wegstrecke, unter der alle Beteiligten gelitten haben. Sie hatte keine Alternative. Es tut mir gut, hin und wieder diesen Blick über die Schulter zu üben, zu merken, dass Wahlfreiheit nicht selbstverständlich ist. Und neben dem kleinen Mädchen in mir gibt es dann eine erwachsene Frau, die stolz ist auf ihre Mutter, die mit dem Säugling auf dem Arm für die Diplom-Prüfung gelernt, mutig den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und sich mitten durch das Gestrüpp einer Gesellschaft gekämpft hat, die von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht viel wissen wollte.

TIEFER GRABEN
Das kleine Mädchen in mir verkleidet sich, nebenbei bemerkt, immer mal wieder als kämpferische Hausfrau, die plakativ den Wert der Daheimgebliebenen hochhält. Nur der Blick auf meine Geschichte holt mich immer wieder von meinem Thron des Schwarz-Weiß-Denkens herunter. Es gibt mehr als gute Hausfrauen und Rabenmütter. Und egal, wie meine Freundin sich entscheidet, ich will ihr eine Weggefährtin sein. Heute dürfen wir unseren Weg wählen. Da möchte ich ihr Mut machen, tiefer zu graben durch die vielen Schichten von Rollenbildern und Gesellschaftserwartungen hindurch. Ich will sie in ihrer einzigartigen Familiensituation ernst nehmen. Will ihr von meinem eigenen, ganz normalen Frust erzählen. Will sie betend umhegen, auf dass sie und ihr Mann den Weg finden, den sie mit ruhigem Herzen gehen, auf dem sie die Aussicht genießen können. Und ich will wertschätzen, was sie leistet, ganz egal, welche Abzweigung sie wählt.

Unser Gespräch wird unterbrochen, als mein Sohn arrhythmisch auf einen Topf einschlagend beginnt, Backe- Backe-Kuchen zu singen. „Wie machst du das?“, fragt sie mich noch. „Ich mache ja gar nichts!“, brülle ich lachend. Jennifer Zimmermann ist Sozialarbeiterin und derzeit Familienfrau. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Bad Homburg.

Wahlfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt. Im Anschluss daran tauchte ein Wort in den Kommentaren sowohl von Gegnern als auch von Befürwortern des Betreuungsgelds immer wieder auf: Wahlfreiheit. Alle wollen, dass Eltern frei entscheiden können, ob sie ihr Kind in den ersten Lebensjahren selbst betreuen oder ob sie es betreuen lassen. Aber das nehme ich den meisten Kommentatoren nicht ab. Denn wie können sie von Wahlfreiheit sprechen, wenn in ihrem Kommentar überdeutlich wird, dass sie ja am besten wissen, was gut für Eltern und Kinder ist?

Die Gegner des Betreuungsgeldes unterstellen, dass zu Hause betreute Kinder von Bildung ferngehalten werden. Sie reden von „veraltetem Familienbild“ und von „Herdprämie“. In ihren Augen findet „gute Betreuung“, in die das eingesparte Geld nun investiert werden sollte, offensichtlich in der Kita statt. Wahlfreiheit bedeutet für sie, dass Eltern eine passende, wohnortnahe Kita für ihr Kind wählen können. Befürworter des Betreuungsgeldes (zu denen ich auch gehöre), sind oft Gegner der U3-Betreuung (dazu zähle ich mich nicht, auch wenn ich die Frühbetreuung durchaus kritisch sehe). Auch sie fordern Wahlfreiheit für Eltern. Die besteht in ihren Augen allerdings darin, dass Familien vom Staat finanziell so unterstützt werden, dass sie es sich leisten können, von nur einem Einkommen zu leben. Schließlich sei es das Beste für das Kind, zu Hause betreut zu werden. Warum fällt es vielen so schwer, anderen wirklich das Recht einzuräumen, selbst und frei zu entscheiden? Ohne Vorwürfe und Diffamierungen – wahlweise „Rabenmutter“ oder „Heimchen am Herd“?

Natürlich hat auch das Betreuungsgeld mit seinen bescheidenen 150 Euro nicht wirklich zur Wahlfreiheit beigetragen. Echte Wahlfreiheit würde ein deutlich höheres Betreuungsgeld voraussetzen. Aber es war zumindest ein Anfang. Wenn nicht nur die Eltern vom Staat unterstützt werden, die ihr Kind betreuen lassen, sondern auch die, die es selbst betreuen, dann kommen wir der Wahlfreiheit schon etwas näher. Gute (!) Kitas muss es trotzdem geben.

Bettina Wendland

Family-Redakteurin

„Auch mit Kindern zu Hause zu bleiben, muss möglich sein“

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, Fehler in der bisherigen Politik ihrer Partei eingeräumt. Sie gab zu, dass das Drängen ihrer Partei auf Abschaffung des Ehegattensplittings ein Fehler gewesen sei: „Das Ehegattensplitting einfach abzuschaffen, würde am Ende viele treffen, die Kinder haben.“ Die Grünen hätten nicht die Ehe, sondern Kinder fördern wollen, dazu aber kein schlüssiges Konzept vorlegen können.

Auch in Bezug auf die Familienpolitik gab sich Katrin Göring-Eckardt in dem Interview selbstkritisch und plädierte für mehr Wahlfreiheit: „Auch mit Kindern zu Hause zu bleiben, muss möglich sein. Ich habe es selbst gemacht.“

Eine Zusammenfassung des Interviews gibt es hier: http://www.faz.net/aktuell/politik/selbstkritik-der-gruenen-forderung-nach-abschaffung-des-ehegattensplittings-war-falsch-13112946.html