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Ein Paar, zwei Perspektiven: Herz versus Kopf

„Wichtigeres als Schule“

Katharina Hullen weiß, wie die Freunde ihrer Kinder heißen. Wo Bhutan liegt, findet sie nicht so essenziell.

Katharina:

Mark Twain sagte einmal: „Für mich gibt es Wichtigeres im Leben als die Schule.“ Nach monatelangem Homeschooling mit fünf Kindern weiß ich gar nicht, ob ich diesem Satz zustimmen oder widersprechen soll. Insbesondere, da Bildung für die Lehrer-Dynastie Hullen seit Generationen Elternsache ist. Es ist ein Wunder, dass sie mich ungebildetes Wesen überhaupt in ihren Kreis aufgenommen haben, denn wie sich zeigt, bin ich dem Homeschooling schon rein inhaltlich nicht mehr gewachsen. Was für ein Segen, dass es den klugen Lehrer-Papa gibt, der in allen Fächern aushelfen kann, wenn’s mal nicht läuft. Wie wichtig doch Schule und Lehrer sind!
Dennoch kann ich auch Haukes Schüler verstehen, die nicht interessiert, wo Bhutan auf der Weltkarte zu finden ist oder wie sich ein Parlament zusammensetzt. Ich suchte in meiner Schulzeit auf der Landkarte nur die Länder heraus, aus denen Freunde stammten. So wusste ich genau, wo Sri Lanka lag, bei Österreich konnte ich nur raten. Mein Vater ist parteipolitisch engagiert, und zu Hause wurde immer viel diskutiert und gestritten. Ich schaltete bei diesen Debatten immer automatisch ab, was leider auch zu großen Wissenslücken führte. Als ich Hauke kennenlernte, wusste ich daher nicht einmal, was eine „Opposition“ ist. Peinlich. Bei einem der ersten Treffen bei meinen Schwiegereltern in spe wurde beim Kaffeetrinken über die physikalischen Abläufe beim Abbrennen einer Kerze philosophiert. Eine mir bis dahin völlig fremde Gesprächskultur. Und mitreden konnte ich auch nicht. Warum gab es für den belesensten Ehemann von allen und das naive Landei doch noch ein Happy End? Nun, mir waren diese Bildungslücken peinlich. So kaufte ich mir eine große Weltkarte, hängte sie über mein Bett und studierte sie. Ich las in der Zeitung nicht mehr nur den Panorama-Teil und ersetzte einige Serien durch Dokumentationen. Bildung lässt sich also aufholen.
Aber noch viel entscheidender für das Happy End war dieses „Wichtigere im Leben“, das Mark Twain vermutlich meint. Der andere, der bessere Teil von mir, der super zuhören, mitdenken, praktische Lösungen finden, mitfühlen, spontan reagieren und sich jede Menge Zeit für mein Gegenüber nehmen kann. Was hilft das Zahlen-Daten-Fakten-Wissen, wenn man nicht erkennt, wie es den Menschen um einen herum geht? Was nützt Bildung, wenn ich nicht fühlen kann, was jetzt wichtig ist?
Unsere Kinder wachsen in einem Haushalt auf, wo Wissen und Bildung durch Schule, Eltern, Großeltern und der Sendung mit der Maus quasi rund um die Uhr vermittelt wird. Sie erleben den klugen Papa, den man alles zur großen weiten Welt fragen kann, und eine kluge Mama, die weiß, wie die Freunde ihrer Kinder heißen, worüber sie lachen und weinen, die spielt, bastelt, Anteil nimmt und ihnen hilft beim Finden kreativer Ideen. So manche dieser guten Gespräche mit den Kindern gehen an meinem gebildeten Hauke vorbei, obwohl er mit am Tisch sitzt – weil er gerade Zeitung liest!
Ich bin sehr dankbar über unsere Mischung – denn so können unsere Kinder gebildete und einfühlsame Menschen werden. Gott sei Dank!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

„Weil Liebe nie zerbricht“

Hauke Hullen ist entsetzt, wenn ein Schüler London in Ostchina verortet. Wie gut, dass sein 5-Jähriger die Umrisse von Deutschland kennt.

Hauke:

Beim Abendbrot entspinnt sich ein Gespräch übers Sodbrennen. Da beginnt die 14-Jährige zu dozieren: Die Speiseröhre sei mit einer Schutzschicht ausgekleidet, diese werde jedoch von der Magensäure zerstört, wenn sie aus dem Magen hochsteigt. Anschließend geht es mit Einzelheiten zur Phosphorsäure weiter. Woher sie das alles weiß? Aus dem Chemie-Unterricht. Vor lauter stolzer Glückseligkeit kann ich kaum in mein Brot beißen. Doch es wird noch besser: Wenige Minuten später rupft unser 5-Jähriger den Schinken von seinem Brötchen. Der Knirps hält triumphierend den Fleischlappen in die Runde und ruft: „Das sieht ja aus wie Deutschland!“ Tatsächlich: Durch ein paar Bisswunden entstellt hat der Aufschnitt eine Form angenommen, in der man mit ein bisschen gutem Willen die Umrisse Deutschlands erkennen kann. Nun, ich will das nicht überbewerten, doch dass der jüngste Spross meiner Lenden unsere Landesgrenzen in Rindersaftschinken mit Pfefferkruste wiederfindet … Sicherheitshalber kontrolliere ich, ob das Telefon frei ist, falls das Nobelpreis-Komitee anruft. Denn in der Schule sehe ich oft das Gegenteil: Jugendliche, die erschreckend wenig von der Welt da draußen wissen. Während meinem Dreikäsehoch Aufschnitt reicht, um Deutschland zu identifizieren, kenne ich Oberstufenschüler, die die Bundesrepublik selbst auf einer Weltkarte nicht finden. Angehende Abiturienten, die Kronjuwelen unseres Bildungssystems, welche in Bälde studieren und die Geschicke unseres Landes lenken werden, aber nicht wissen, wo London liegt und irgendwann auf die Ostküste Chinas tippen, weil es dort offensichtlich viele große Städte gibt. Da wird das „Land“ (!) Afrika in Südamerika vermutet, die Entfernung zum Mond auf 80 Kilometer geschätzt und in einem Referat die Eröffnung eines NS-Konzentrationslagers im Jahre 1994 verortet. Das habe so im Internet gestanden. Wer gerade Bundespräsident ist, wissen auch nur 25 Prozent meines Leistungskurses Sozialwissenschaften. Und wenn Sie mal richtig schlechte Laune kriegen wollen, dann fragen Sie einen Teenager, was 15 Prozent von 200 Euro sind. Nun, es ist wohlfeil, sich über Wissenslücken von Jugendlichen lustig zu machen. Aber hier geht es nicht um Unterrichtswissen, sondern um Allgemeinbildung, die jedem zufliegt, der mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht. Wie will man diese Welt verstehen, wenn man nichts von ihr weiß? Wie will man Absurditäten erkennen, wenn kein Orientierungswissen vorhanden ist? Trotz 500 Jahren Aufklärung halten viele Menschen YouTube-Videos für seriöser als den wissenschaftlichen Konsens, vertrauen auf homöopathische Placebo-Medizin und lassen sich willfährig von allerlei Geschwurbel infizieren.

Da tut Bildung not! Darum hatten die beste Ehefrau von allen und ich direkt eine Weltkarte übers Ehebett gehängt. Mit einem Zeigestock ging es dann auf abendliche Weltreise, damit man weiß, wo die Freiheit am Hindukusch verteidigt wurde, wo Nordkorea die USA mit Raketen bedroht oder wo im Nahen Osten die Kulturen aufeinanderstoßen. Und damit man mitreden kann, wenn der 5-Jährige in der Wurst fündig wird.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Too much information

Heute habe ich mal wieder das Gefühl, dass mein Leben zu kurz ist für alle Themen, die auf mich einströmen: Trump kündigt den Klimavertrag, in der christlichen Verlagswelt gibt es Veränderungen, meine Kinder kommen von der Klassenfahrt zurück, die nächsten Hefte von Family und FamilyNEXT müssen geplant werden und mein Postfach ist voll von Presseinfos, die meine Aufmerksamkeit fordern: Veränderungen beim Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende, Medienkompetenz für Grundschulkinder, Kinder vor sexueller Gewalt schützen …

Wie beneide ich manchmal unsere Haustiere, die Kaninchen und die Schildkröte. Ihre größte Sorge ist es, etwas Leckeres zu fressen zu bekommen. Sie liegen im Gras und genießen die Sonne (Schildkröte) oder den Schatten (Kaninchen).

Ich finde es oft schwierig, mich zu fokussieren, abzugrenzen von Dingen und Themen, für die jetzt einfach mal kein Platz ist in meinem Leben. Ein paar Strategien habe ich schon: Mails, die auf den ersten Blick irrelevant erscheinen, lösche ich ungelesen. Ich beschäftige mich vorrangig mit Problemen, die ich auch lösen oder zumindest beeinflussen kann. Deshalb beklage ich zwar die Entscheidung von Mister Trump, lese aber nicht jeden Artikel und Kommentar dazu. Und ich hole meinen Sohn selbst vom Klassenfahrtstreffpunkt ab. Nachbarn haben angeboten, ihn mitzubringen. Das würde mir eine Menge Zeit sparen, in der ich anderes erledigen könnte. Aber ich glaube, dass es ihm wichtig ist, dass er von seiner Familie abgeholt wird. Und deshalb hat das für mich Priorität.

Das sind meine Strategien für heute. Was sind eure? Wie geht ihr mit der Flut an Informationen, Themen und Anforderungen um?

Bettina Wendland
Redakteurin bei Family und FamilyNEXT