Als Freunde unterwegs – Vier Säulen der Partnerschaft (Teil 1)
Die perfekte Partnerschaft gibt es nicht, aber Aspekte, die wesentlich sind, damit die Beziehung trägt. Was eine gelingende Partnerschaft ausmacht, erkunden die Paar-Coaches Kim und Kristian Reschke in der Serie „Vier Säulen der Partnerschaft“. Die erste Säule ist die der Freundschaft.
Als Kim und ich mit Anfang 20 zusammenkamen, war Freundschaft ein Selbstläufer. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, hatten Spaß, teilten alles miteinander. Hätte uns jemand gefragt: „Seid ihr Freunde?“, wäre die Antwort eindeutig „Ja!“ gewesen. Dass dieser Zustand je getrübt werden könnte, schien uns fremd – es lief einfach zu gut! So geht es wohl den meisten Paaren. Der Beginn einer Beziehung ist aufregend und intensiv. Das Gefühl, „unsere Ergänzung“ gefunden zu haben, versetzt uns in Höhenflüge und lässt uns Problemzonen ausblenden. Doch Partnerschaftsphasen ändern sich.
Unsere Freundschaft wurde zum ersten Mal auf die Probe gestellt, als wir mit der Hochzeit zusammenzogen. Mit einem Mal erlebten wir einander intensiver, als wir es erwartet hatten – und ehrlich gesagt, als uns lieb war. Es gab keinen Raum mehr, Eigenarten zu verstecken.
Themen wie Wohnraumgestaltung, Zeiteinteilung, Sex, Finanzen mussten diskutiert und abgesteckt werden. Das Miteinandersein war kein Selbstläufer mehr und unsere Annahme, Freundschaft sei eine nicht endende Horizontlinie, geriet ins Wanken. Heute empfinden wir unsere Freundschaft als gemeinsame Reise mit möglichen Umwegen und als Gebirgswanderung mit Höhepunkten und Taldurchquerungen. Beides hat seinen Wert und darf vorkommen.
In der Beziehungsarbeit haben wir drei Motive formuliert, die unsere Freundschaft hochhalten. Das erste Motiv hat mit dem „Suchen und Wählen von Nähe“ zu tun.
Nähe suchen, Nähe wählen
Wie schon erwähnt, unterliegt Freundschaft in einer Partnerschaft einer Auf-und-ab-Dynamik. Läuft es schlecht, scheint körperlicher oder emotionaler Rückzug Erleichterung zu verschaffen. Allerdings ist es wichtig, dass wir sowohl in guten als auch in schlechten Zeiten Nähe wählen – damit aus schlechten Zeiten gute werden. Das bedeutet, körperlich und emotional Nähe zu suchen und zueinander zu stehen, auf Wegen und Umwegen. Bei uns wurde es nach zwei Jahren Ehe ziemlich holprig.
Kristian: Für mich lief es damals gut – Kim schien mir die ideale Ergänzung meines Wohlfühllebens. Für ihre Bedürfnisse war ich allerdings blind und ich übersah, dass es ihr nicht gut ging.
Kim: Die ersten Jahre mit Kristian waren für mich sehr erfüllend. Als wir aber nach der Hochzeit zusammenzogen, meldete sich nach einigen Monaten eine Leere. Ich fühlte mich weniger verbunden und mit meinen Wünschen nicht wahrgenommen. Kristian war schon immer häuslicher gewesen. Jetzt kam er mir vor wie eine permanente ‚Couch-Potato‘. Es schien mir, als wolle er einen großen Teil unseres neuen Lebens zu Hause verbringen. Ich hingegen hatte ein unbändiges Bedürfnis nach Spaß und Gesellschaft. Ich wollte unterwegs sein und das Leben intensiv leben. Schleichend entwickelte ich eine eigene Peergroup, mit der ich unterwegs war und neue Sachen ausprobierte. Es entstand eine seltsame Mischung: Kristian und ich waren noch voneinander angezogen und verliebt, doch keine Freunde mehr. Alle Zutaten für eine Krise waren da! Die Lage eskalierte, als ich mich in einen gemeinsamen Freund verliebte. Er bot mir die ‚Freundschaft‘ und Lebensfreude, nach der ich mich sehnte.
Dieses Erlebnis war ein Weckruf, den wir beide hörten. Wir suchten neu Nähe und baten ein befreundetes Paar um Hilfe. Wir wohnten einen Monat bei ihnen und sie sammelten Geld für eine Paartherapie. Es folgten Monate intensiver Nähe, gemeinsamer Trauer und tieferen Kennenlernens. In dieser Zeit wurde „Vergebung leben“, das zweite Freundschaftsmotiv für uns, geboren.
Vergebung leben
Der Kung-Fu-Legende Bruce Lee wird der Ausspruch nachgesagt: „Fehler können immer vergeben werden, wenn man den Mut hat, sie zuzugeben.“ Das sehen wir genauso. In einer von Konflikten geprägten Welt ist aktive Vergebung alternativlos und die Grundlage für eine gute Beziehung. Denn die Frage ist nicht, ob wir einander verletzen werden, sondern wie wir damit umgehen werden. Wir durften erleben, wie unsere Freundschaft durch die Kunst des Verzeihens wiederbelebt wurde. Doch dies war eine Reise.
Kristian: Obwohl Vergebung mir eher leichtfällt, erlebte ich, wie schwer es war, Kim zu vergeben. Es brauchte einen zwei Jahre dauernden und teils heftigen Prozess. Je inniger eine Beziehung ist, desto tiefer schneidet ein Vertrauensbruch. An manchen Tagen während unserer Aufarbeitungsphase empfand ich echte Herzschmerzen. Das waren schlimme Momente. Wieder und wieder sprachen wir das Geschehene durch. Außerdem betrachteten wir im Partnerschaftscoaching, wie es zum Bruch kommen konnte. Ich erinnere mich an viele gemeinsame Tränen und meinen wiederholten Entschluss zu vergeben. Nach rund zwei Jahren war es vollbracht. Kim hatte mein Vertrauen wiedergewonnen und ich eine schmerzhafte Lektion über ihre Bedürfnisse und meine Verantwortung, sie zu kennen und zu achten, gelernt.
„Bedürfnisse erkennen und achten“ wurde zum dritten Motiv unserer Freundschaft.
Bedürfnisse erkennen und achten
In einer Freundschaft zwischen zwei Menschen spielen unterschiedliche Bedürfnisse eine wichtige Rolle. Sie sind nicht statisch, sondern können sich je nach Lebensphase verändern. Manche Bedürfnisse erfüllen wir einander „natürlich“, andere müssen wir beim Partner (und uns) erst erkennen und verstehen lernen. Klassische Bedürfnisse sind Annahme, Zärtlichkeit, Wertschätzung der Leistung, Trost, Ermutigung, Respekt, gemeinsamer Spaß, Sicherheit, ungeteilte Aufmerksamkeit oder praktische Unterstützung. Sind wir in der Lage, diese Wünsche unseres Partners zu achten, erfährt unsere Freundschaft eine starke Basis.
Dies heißt aber nicht, dass wir unserem Partner jedes Bedürfnis erfüllen müssen. Achten heißt nicht erfüllen, sondern anerkennen. Doch um Bedürfnisse zu achten, müssen wir sie erst einmal kennen. Wissen wir, was unser Partner braucht und sich im Herzen wünscht? Oder sind wir ratlos oder spiegeln unsere eigenen Wünsche auf unseren Partner? Wenn wir dauerhaft die Bedürfnisse unseres Partners – oder auch unsere eigenen – übersehen, kommt es zu Spannungen.
Manche Menschen tragen ihre Bedürfnisse auf einem Tablett vor sich her. Andere erscheinen uns bedürfnislos und kaum in der Lage, sie zu benennen.
Kristian: Als ich Kim kennenlernte, war sie so. Nicht, dass sie keine Wünsche, Hoffnungen und Bedarfe gehabt hätte. Innerhalb ihrer Sozialisation hatte sie aber gelernt, diese zu unterdrücken und nicht zu äußern und stattdessen auf die Bedürfnisse ihres Umfeldes einzugehen. Das setzte sich innerhalb unserer Beziehung fort: Kim versuchte beständig, meine Bedürfnisse zu erfüllen, konnte ihre eigenen Anliegen aber nicht gut benennen und fühlte sich von mir übersehen.
Empfinden wir, dass unser Partner unsere Bedürfnisse erkennt und im Rahmen seiner Möglichkeiten auf sie eingeht, fühlen wir uns geliebt und gesehen. Die Beziehung wird gestärkt. Empfinden wir jedoch unsere Bedürfnisse dauerhaft als übersehen, können, je nach Veranlagung, unangenehme Mechanismen eintreten. Selbstsucht ist eine davon. Wir beginnen, überhöhte Forderungen zu stellen, den Partner auszusaugen und zu klammern. Wir gieren danach, zu bekommen, was „uns zusteht“ und dominieren das Miteinander. Eine andere Auswirkung ist Selbstverurteilung. Wir ärgern uns über unsere Bedürfnisse, fühlen uns unwürdig oder schuldig dafür. In diesem Fall kann es schwerfallen, sich schwach und bedürftig zu zeigen und vom Partner zu empfangen. Beide Wege führen in eine Distanzierung. Dies kann körperlichen oder emotionalen Rückzug bedeuten und beinhalten, dass wir uns anderen „Optionen“ zuwenden. Manchmal treten Mischungen dieser Verhaltensweisen auf.
Freundschaft ist eine tragende Säule einer Partnerschaft. Sie wird durch das aktive Suchen und Wählen von Nähe, durch Vergebung und Achten von Bedürfnissen hochgehalten.
Coachingfragen für eure Partnerschaft
- Welche Bedürfnisse erfüllt ihr euch natürlicherweise? Könnt ihr Bedürfnisse benennen, bei denen Konflikte entstehen? Wie könntet ihr solche Bedürfnisse eures Partners anerkennen, ohne unter Druck zu geraten, sie erfüllen zu müssen? Was müsste dafür geschehen?
- Welche Rolle spielt Freundschaft in eurer Partnerschaft? Welche freundschaftsfördernden Aktionen könntet ihr in den kommenden Wochen einbauen? Überlegt gemeinsam, schreibt auf und macht Dates dafür.
Eine Serie von KIM UND KRISTIAN RESCHKE
Kim und Kristian sind seit über 20 Jahren gemeinsam unterwegs, sind systemische Coaches und begleiten Paare und Einzelpersonen. Sie leben mit ihren beiden Kindern in Hamburg, St. Pauli.
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SÄULE 2-4: Lebensvision teilen | Kommunikation lernen | Intimität aufbauen
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