Fakten können Leben retten

Beim Thema Organspende stolpert Ann-Sophie Bartolomäus vor allem über zwei Dinge: Verunsicherung und gefühlte Realitäten. Ein Kommentar.

„Meine alten Organe will bestimmt keiner mehr“, meint meine Oma abwinkend, als wir am Küchentisch über den Artikel sprechen, der mich seit Wochen beschäftigt. „Am Ende lassen die mich  früher für tot erklären, um an meine Organe ranzukommen!“, höre ich vom anderen Tischende. Es kostet mich eine Google-Suchanfrage, einen Klick und eine Minute Lesezeit, um meiner Oma zu widersprechen – denn es gibt kein Höchstalter für eine Organspende – und der Stimme aus dem Off vorzurechnen: Um Organe zu spenden, muss der Hirntod von mindestens zwei qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander festgestellt werden. Das Verfahren dauert mehrere Stunden bis Tage, wird protokolliert, archiviert und kann jederzeit überprüft werden.

Kinnladen sinken, Stirnfalten runzeln und Augenbrauen zucken unkontrolliert. Absolute Stille ist in meiner Familie selten und so nutze ich die Gelegenheit, noch ein paar weitere Infos unterzubringen: Eigentlich sind die meisten Deutschen der Organspende gegenüber positiv eingestellt – über 80 Prozent, wenn man Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung glaubt. Und trotzdem hat nur ein Drittel der Bevölkerung eine Entscheidung getroffen, was nach ihrem Tod mit ihren Organen passieren soll. Bei Unentschlossenen nachgehakt, sagen die meisten: „Ich habe mich noch nicht genug mit dem Thema beschäftigt.“ Verständlich, denn in dieser Welt gibt es zu viele Themen, die um unsere Aufmerksamkeit ringen. Gleichzeitig hat eine einfache Unterschrift auch nur selten die Macht, Leben zu retten.

Sicher, es ist unangenehm, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen, und bei einem Eingriff wie diesem sind Bedenken ernst zu nehmen. Aber wäre es nicht gerade dann sinnvoll, ihnen zu begegnen, anstatt sich von offenen Fragen verunsichern zu lassen? Niemand muss Organe spenden, aber für momentan 10.752 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist es überlebenswichtig, dass sich jeder einmal mit dem Thema beschäftigt hat.

Ann-Sophie Bartolomäus ist Volontärin bei Family und FamilyNEXT und lebt mit ihrem Mann in Witten.