Familienurlaub

DER MÜHSAME WEG ZUM START
Katharina Hullen wird zum Kontrollfreak, wenn der Familienurlaub beginnen soll.

Katharina: Als Kind fühlte ich diese grenzenlose Vorfreude. Da wir immer an den selben Ort im Bayrischen Wald fuhren, wusste ich auch genau, worauf ich mich freute: die Bäuerin, die Tiere, die Abenteuer. Nicht einen Gedanken verschwendete ich daran, was ich wohl alles einpacken müsste. Wozu auch? Meine Mutter hatte das alles fest im Griff. Sie wirbelte durchs Haus, innerlich eine sehr lange To-do- und Packliste abhakend, und je näher die Abfahrt rückte, umso nervöser und hysterischer wurde sie. Während mein Vater schweigend und schwitzend versuchte, das von ihr aufgetürmte Gepäckgebirge optimal im Kofferraum zu verstauen, platzte es stets irgendwann vor lauter Frust aus ihr heraus: „Du kannst meine Sachen direkt wieder auspacken! Ich bleibe hier! Ihr könnt ohne mich fahren!“ Sie fuhr natürlich trotzdem immer mit, aber als Kind konnte ich diese Ausbrüche überhaupt nicht nachvollziehen. Inzwischen ahne ich, was in meiner Mutter vorging. Auch wenn bei uns die großen Kinder ihre eigene Packliste bekommen, um eigenverantwortlich dafür zu sorgen, dass diese Dinge auch mitgenommen werden, bleibt bei sieben Personen so vieles auf meiner Liste stehen, dass der Gedanke „Zuhause ist doch eigentlich auch schön! Warum tun wir uns das immer an?“ nicht total abwegig ist. Hauke denkt natürlich ganz anders. Er ist stets der Auffassung, dass für unseren Urlaub in Deutschland sieben Zahnbürsten, Handtücher, Badesachen und sein Portemonnaie als Gepäck völlig ausreichen! Ich hingegen hätte gern die meisten Eventualitäten abgedeckt, von jedweder Wetterlaune bis zu Erkrankungen aller Art, die uns auf unserer langen Reise begegnen könnten. Naja, abgesehen davon sind für Baby und Kleinkind ja wohl doch mehr Dinge notwendig als nur die Badebuchse! Sie merken: Ich habe, im Gegensatz zu meinem Mann, Packstress. Außerdem verspüre ich ein tiefes Bedürfnis, die Wohnung sicher, aufgeräumt und sauber zu verlassen. Schließlich freut man sich darüber, wenn man wiederkommt. Das führt bei den Hullens zum eigentlichen Streit, denn Hauke hat inzwischen den Wagen gepackt, die Kinder ins Auto getrieben, die Route eingegeben und möchte endlich losfahren, da beginne ich im Haus nochmal schnell zu fegen, die Flächen abzuwischen und geradezu zwanghaft mehrere Sicherheits-Kontrollgänge durch die Wohnung zu unternehmen. Ich fürchte, es vergeht auch keine Fahrt, wo mir nicht noch irgendetwas Wichtiges einfällt, sobald ich dann im Wagen sitze. Also nochmal ins Haus, durch alle Sicherheitsschleusen durch, das vergessene Objekt einpacken und dann nur ganz kurz zur Kontrolle in jedem Raum nochmal nachsehen, ob wirklich alle Lichter aus, Stecker raus, Rollläden zu, Mülleimer leer sind. Ich hoffe, Hauke fährt nicht eines Tages los – ohne die Mama!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

RISSE IM ZEIT-RAUMKONTINUUM
Hauke Hullen erlebt kosmische Phänomene im gepackten Auto.

Hauke: Kosmische Zusammenhänge versteht man erst so richtig, wenn man Familie hat. Sie erinnern sich vielleicht – vor Kurzem ging es hier um die Urknall-Theorie und den Zustand unserer Kinderzimmer. Ein anderes Phänomen, das sowohl Star-Trek-Fans als auch Ehemänner kennen, sind die Risse im Zeit-Raum-Kontinuum, die sich zuverlässig einstellen, wenn man mit der besten Ehefrau von allen in den Urlaub fahren will: Sack und Pack ist verstaut, die Kinder sitzen erwartungsfroh auf der Rückbank, der Papa hat das Navi programmiert – jetzt könnte es eigentlich losgehen. Eigentlich. Mama fehlt noch. Ich gehe nochmal die Packliste durch – haben wir noch etwas im Haus vergessen? Nein, alles an Bord. Außer Mama. Nun beginnt sie, die gefürchtete Dehnung der Zeit. Ich grüble: Warum kommt Kathi nicht raus? Was macht sie noch? Jacke anziehen und Tür abschließen kann doch nicht so lange dauern! Die Zeit im Auto steht inzwischen fast still. Die Kinder nutzen die Situation konstruktiv, indem sie sich schon mal anfangen zu streiten. Und statt „Wann sind wir endlich da?“ echot „Wann fahren wir endlich los?“ durch den Wagen. Irgendwann höre ich auf mit dem Rufen. Bringt ja nichts. Ich überlege, mit den Kindern eine Pippi-Pause zu machen oder, falls es länger dauert, schon mal die Winterreifen aufzuziehen. Man weiß ja nie, wann man aus dieser Zeitblase herauskommt. Irgendwann schaffe ich es, mich aus meiner Erstarrung zu lösen. Ich stemme die Autotür auf und kämpfe mich gegen die Zeit-Raum-Krümmung zurück ins Haus. Dort huscht meine Frau schemenhaft von Raum zu Raum. Während bei mir die Zeit stillstand, ist sie oder ihr Nervenkostüm um Jahre gealtert. Jeden Fenstergriff hat sie inzwischen mehrfach kontrolliert und sich wiederholt davon überzeugt, dass Kaffeemaschine, Herd und Küchenuhr tatsächlich ausgeschaltet sind. Trotz seitenlanger Packliste und übervollem Kofferraum hat sie noch weitere Dinge gefunden, die sicherheitshalber mitmüssen. Ich gehe also zurück zum Auto und verstaue zwei weitere Klappboxen, wohlwissend, dass ich sie am Ende des Urlaubes gänzlich unangetastet wieder ins Haus zurücktragen werde. Wir warten weiter. Während ich darüber nachdenke, wann wohl der Vermieter die Ferienwohnung anderweitig vergeben wird, feiert derweil auf der Rückbank eines der Kinder seinen Geburtstag. Das Leben muss ja weitergehen. Ich beschließe, noch mal im Haus nach meiner Frau zu suchen. Ich finde sie beim Frühjahrsputz. Ergibt ja auch Sinn, jetzt, wo die ganze Familie und der halbe Hausstand weg ist, die leeren Räume noch mal durchzuwischen. Ich erinnere mich noch gut an unsere Hochzeitsreise, wo ich mir irgendwann tatsächlich und ernsthaft gewünscht habe, dass wir unseren Flieger nun wirklich auch verpassen sollten! Inzwischen bin ich gelassener und putze einfach die Wohnzimmerfenster. Ich kann ja schlecht ohne meine Frau losfahren. Später klingeln die Kinder an der Tür. Sie hatten einen schönen Urlaub im Auto.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.