Foto: Getty Images / FotoDuets / iStock / Getty Images Plus

Unerfüllter Kinderwunsch

Das eigene Baby in den Armen halten – das bleibt für manche Paare ein unerreichbarer Traum. Unsere Autorin hat die Hoffnung nicht aufgegeben, versucht die medizinischen Möglichkeiten auszuschöpfen und kämpft gleichzeitig mit vielen Fragen – auch an Gott.

Als wir 2017 heirateten, war für uns beide klar, dass wir Kinder wollten. Schon zwei Jahre zuvor hatte ich angefangen dafür zu beten, dass Gott uns Kinder schenkt. Der Kinderwunsch war bei uns beiden schon immer da. Etwa ein Jahr nach unserer Hochzeit fanden wir es seltsam, dass ich noch nicht schwanger war. Monat für Monat hoffte ich und jedes Mal folgte eine Enttäuschung. Irgendwann wurde aus Enttäuschung Irritation und dann ziemlich schnell Angst. Konnte es sein, dass bei uns etwas nicht „stimmte“? War es möglich, dass bei Simon oder mir gesundheitliche Ursachen der Grund für unsere Kinderlosigkeit waren? Ich hörte nicht auf zu beten und Gott um ein Kind zu bitten. Er hatte doch den Kinderwunsch in uns gelegt. Warum sollte er etwas dagegen haben, dass für uns Kinder dazugehören?

Inzwischen wurde zusätzlich der gesellschaftliche Druck höher. Insbesondere für mich. Um uns herum wurde ständig eine Schwangerschaft verkündet oder ein Baby kam zur Welt. Nur eben nicht bei uns. Wenn es etwas zu feiern gab, hatte ich das Gefühl, dass jeder beobachtet, ob ich Alkohol trinke oder nicht. Wenn ich einen Raum betrat, schaute mir jeder auf den Bauch – zumindest nahm ich es so wahr. Ich fing an, bestimmte Menschen zu meiden, aus Angst, dass sie mich auf Kinder ansprachen. Eigentlich konnte es mir ja egal sein, was andere denken. Das war es aber leider nicht.
Nach gut einem Jahr ohne Schwangerschaft ließen wir uns untersuchen. Bei mir war alles gut, das Spermiogramm meines Mannes war allerdings erschreckend. Die Diagnose lautete: OAT-Syndrom, eine krankhafte Veränderung der Spermien. Hierbei sind zu wenig (oligo), zu gering bewegliche (astheno) und vermehrt fehlgeformte (terato) Spermien zu sehen. Es geht häufig mit männlicher Unfruchtbarkeit einher. Ein Schock! Was hatte das zu bedeuten? Können wir jemals eigene Kinder bekommen? Sollte es für uns eine künstliche Befruchtung sein? Sollen wir vertrauen, dass er uns auf natürlichem Weg ein Kind schenkt, obwohl nur eine Handvoll brauchbarer Spermien vorhanden sind? Will Gott, dass wir keine eigenen Kinder bekommen? Hat er einen Plan B für uns, der alle Erwartungen übersteigt?

In der Kinderwunschklinik

Recherchen im Internet machten Angst. All die Pläne, die wir seit Beginn unseres Kennenlernens gemacht hatten, waren plötzlich futsch. Der Wunsch, uns gegenseitig Kinder zu schenken, zerstört. Ich kann kaum mehr sagen, für wen von uns beiden diese Erkenntnis schlimmer war. Nach der Diagnose haben wir viel über unsere belastende Situation gesprochen. Simon gab seinen Gefühlen Raum. Sein Selbstbild hatte einen heftigen Kratzer abbekommen. Er hatte den Eindruck, seiner Männlichkeit nicht gerecht werden zu können und auch mir nicht. Mir war klar, dass ich ihn nicht dafür verantwortlich machen wollte. Wenn der Gedanke dennoch in meinem Kopf auftauchte, machte ich mir bewusst, dass uns das nicht weiterbringen würde. Ich wusste und weiß nach wie vor, dass ich diesen Mann liebe und dass er der Richtige für mich ist. Schließlich hatten wir uns versprochen, in allen Höhen und Tiefen zueinander zu halten, die unser gemeinsames Leben mit sich bringt. Unsere Liebe und unser Versprechen, das wir uns am Tag unserer Hochzeit gegeben haben, ist stärker als die Diagnose und das was sie mit uns macht.

Mein Frauenarzt überwies uns schließlich in eine Kinderwunschklinik mit dem Hinweis, dass bei uns eine ICSI notwendig sei, da Qualität und Quantität von Simons Spermien keine andere Möglichkeit zuließen. Bei einer ICSI wird eine einzelne Samenzelle mit einer sehr feinen Nadel direkt in eine Eizelle eingeführt (injiziert), die zuvor dem Eierstock der Frau entnommen wurde. Durch regelmäßige Hormonspritzen und Tabletten werden die Eierstöcke dazu angeregt, mehr Eizellen als normal zu produzieren. Diese gereiften Eizellen werden dann unter Vollnarkose den Eierstöcken entnommen (Punktion) und anschließend in jede Eizelle ein Sperma injiziert. Zwei bis drei Tage später werden zwei befruchtete Eizellen in der Hoffnung in die Gebärmutter eingesetzt, dass sich wenigstens eine davon einnistet und es zu einer Schwangerschaft kommt. Weitere bereits erfolgreich befruchtete Eizellen können eingefroren und für einen späteren Versuch genutzt werden. Risiken und Wahrscheinlichkeiten wurden uns aufgezeigt und wir verließen die Klinik mit dem Gefühl, dass unser Fall durchaus lösbar ist.

Wollten wir das tatsächlich machen? War das unsere Chance, doch noch Eltern zu werden? Oder spielten wir dadurch selbst Gott? Vielleicht hatte Gott für uns in der Gemeinde oder auch außerhalb Möglichkeiten bereitgelegt, an die wir aktuell nicht mal zu hoffen wagten? Möglichkeiten, die zu einem erfüllten und glücklichen Leben führen, ganz ohne Kinder. Diese Fragen schwirrten ununterbrochen in unseren Köpfen herum. Ethische Bedenken, über die wir uns kaum mit einem Menschen unterhalten konnten und wollten. Fragen, die mal leiser, mal lauter in mir nagten und die ich Gott stellte. Für mich fiel die Antwort mal so, mal so aus. Hier ein Spruch, da ein Bibelvers, dort ein kurzer Satz oder eine Geschichte. Alles versuchte ich auf unseren Kinderwunsch hin zu deuten. Das Ergebnis war für uns nicht eindeutig. Mir schwirrte der Kopf. Ich schrie Gott an und bekam keine zufriedenstellende Antwort.

Künstliche Befruchtung

Wer krank ist, geht zum Arzt und holt sich Hilfe. Warum sollten wir das nicht auch tun, wenn mein Mann am OAT-Syndrom leidet? Sollten wir die medizinischen Möglichkeiten nicht dankbar aus Gottes Hand nehmen? Oft musste ich in dieser tränenreichen Situation an einen Witz denken, der an einem Jugendabend zum Thema „Partnersuche“ in meiner Gemeinde erzählt wurde, als ich etwa 14 Jahre alt war: Ein armer, gläubiger Mann betet immer wieder dafür, dass er im Lotto gewinnt. Nichts passiert. Der Mann betet weiter. Irgendwann erhellt sich der Raum und er hört eine tiefe, laute Stimme: „Lieber Mann, gib mir eine Chance! Kauf dir endlich einen Lottoschein!“

Wir beschlossen schließlich, dass eine ICSI-Behandlung unser Lottoschein ist – trotz ethischer Fragen, zu denen wir keine endgültigen Antworten finden konnten. Für uns war klar, dass wir eventuell übrige, bereits befruchtete Eizellen nicht vernichten wollten, da dieser Entwicklungsstatus bereits Leben für uns bedeutet. Es folgten Berge von Medikamenten, unglaubliche Angst vor Nebenwirkungen, viel Geduld, Hoffnung und Angst.
Ich vertrug die Behandlung erstaunlich gut, hatte kaum mit Nebenwirkungen zu kämpfen. Die ersten beiden Versuche verliefen negativ. Wir waren traurig, sagten uns aber auch, dass es statistisch gesehen unwahrscheinlich ist, dass es direkt klappt. Außerdem wollte ich nie den Respekt und die Ehrfurcht vor den medizinischen Möglichkeiten verlieren. Einen Hinweis, dass wir auf dem richtigen Weg waren, schien mir Gott mit einem Wort aus 1. Korinther 3,6 zu schicken, auf das ich beim Bibellesen stieß: „Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben.“ Wir konnten pflanzen, wir konnten gießen, aber nur mit Gottes Segen kann sich ein Embryo einnisten und wachsen.

Der dritte Versuch gelang schließlich. Ich dankte Gott unter Tränen dafür. Doch drei Wochen später begannen die Blutungen. In der Notaufnahme durften wir zum ersten Mal Herzschläge von unserem ersten, lang ersehnten Kind sehen. Wieder zuhause flehten wir Gott an, dass es bei uns bleiben darf. Zwei Tage später war es weg. Ein paar wenigen erzählten wir von unserem Verlust und ich war dankbar für alle, die sagten, dass sie für uns beten. Monatelang konnte ich nicht mit Gott sprechen. Für mich blieb immer im Kopf, dass Gott doch eh das macht, was er will – egal, was wir beten. Nach einer Pause starteten wir Anfang des Jahres mit Versuch 4, der ebenfalls negativ verlief. Ich schaffte es wieder, Gott zu bitten, war aber dennoch oft voller Verzweiflung und enttäuscht von seinem Handeln.

Wir haben uns entschieden, einige Zyklen Pause zu machen und neue Kraft zu sammeln. Die psychischen Belastungen sind zeitweise immens. Jeder Versuch füllt Kopf und Körper. Die Gedanken kreisen ohne Unterlass in meinem Kopf. Wir haben unseren Kinderwunsch in Gottes Hand gegeben und beten um Ruhe und Kraft. Dennoch bleibt bisher ein dauerhafter Friede aus. Außerdem stellen wir fest, dass wir für einen weiteren Versuch zuerst Geld ansparen müssen. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung sind enorm. Die Krankenkasse bezuschusst immerhin drei ICSIs, dennoch haben wir bereits selbst über 10.000 Euro für Medikamente, Punktionen und Transfers ausgegeben. Geld, das wir gerne für ein Kind investieren, auch wenn es gleichzeitig bedeutet, dass unsere Reisen kleiner ausfallen und wir größere Anschaffungen verschieben müssen. Für mich kommt die Jahreslosung 2020 sehr passend: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“. Ich will glauben und ich kann und konnte es bereits. Warum fällt es mir aktuell, in dieser schwierigen Zeit so schwer?

Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.