Wachsen lassen, was in Ihnen steckt

Es gibt Punkte im Leben, an denen der Eindruck entsteht, dass sich etwas ändern muss. Dass es noch mehr und anderes im Leben gibt. Nicole Sturm gibt Anregungen, wie Sie Ihr Potenzial besser ausschöpfen können.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf, gucken aus dem Fenster – und entdecken, dass ein Treibhaus in Ihrem Garten steht. Noch etwas schlaftrunken gehen Sie raus, um sich die Sache genauer anzuschauen. Vorsichtig öffnen Sie die Tür und werfen einen Blick ins Innere. Sie entdecken einige Pflanzen: die einen noch recht klein, andere etwas größer, manche riesig. Es gibt farbenfrohe Exemplare, die in voller Blüte stehen, und direkt daneben solche, die eingehen. Und es gibt ein paar seltsam dunkle Exemplare, die Anstalten machen, die übrigen Pflanzen zu überwuchern. Mit einem Mal schießt Ihnen ein Gedanke durch den Kopf: Dieses Treibhaus, das bin ja ich!
Haben Sie schon mal von sich selbst als einem Treibhaus gedacht? Ein Treibhaus, in dem Dinge wachsen können? Ein Treibhaus, für das Sie Verantwortung tragen? Die Pflanzen stehen für Ihr Potenzial: Ihre Fähigkeiten, Leidenschaften und Möglichkeiten. Es sind Dinge, die Gott in Ihr Leben hineingelegt hat – zum Segen für Sie und andere. Dinge, die unterschiedlich gut genährt und gewachsen sind. Dieses Treibhaus gab es schon immer. Nur ist man sich dessen nicht immer bewusst.

Das „Mehr“ entdecken
Solange das Leben in geraden Bahnen verläuft, tendieren wir Menschen dazu, primär die Fähigkeiten zu nutzen, mit denen wir gut vertraut sind. Im Laufe des Lebens gibt es aber immer wieder auch Zeiten, wo Dinge sich ändern – in uns oder außerhalb. Zeiten, in denen wir merken, dass wir nicht unser volles Potenzial leben. Oder aber Zeiten, in denen sich um uns herum etwas verändert und wir sehen müssen, wie wir damit umgehen. Es sind Gelegenheiten, in uns zu gehen und das „Mehr“ zu entdecken.

Menschen, die die Frage nach diesem „Mehr“ stellen, werden schnell belächelt – das sei der Midlife Crisis geschuldet, das gehe schon vorbei. Es kann aber auch sein, dass sich im Außen etwas ändert: Die Kinder werden selbstständiger und man denkt über den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach – soll das im alten Beruf sein oder wäre es nicht der ideale Zeitpunkt, um sich neu zu orientieren? Es kann der Verlust des Arbeitsplatzes sein, eine persönliche Krise, eine das Leben verändernde Krankheit, Konflikte im Job, ein Umzug. Dinge wirbeln das Leben, wie wir es bisher kannten, durcheinander. Sie stellen uns vor Herausforderungen, denen wir möglichst gut begegnen müssen. Manche dieser Dinge sind von uns initiiert, haben keinen Zeitdruck. Andere brechen über uns hinein und erwarten eine zeitnahe Reaktion.

Wie auch immer die konkrete Situation aussehen mag: Jeder Mensch trägt sein ganz persönliches Treibhaus in sich. Ein Treibhaus voller Potenzial, das es zu entdecken, zu nähren, zu entfalten gilt.

Erste Schritte
Nur was tun, wenn man an einer solchen Weggabelung im Leben steht? Erste Schritte könnten diese sein:
> Bitten Sie Freunde um Feedback: Welche besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten nehmen sie an Ihnen wahr? Welche Schätze gilt es ihrer Meinung nach zu heben? Und denken Sie daran: Potenzial kann ganz unterschiedliche Gesichter haben!
> Nehmen Sie sich Zeit, um auf Ihr Leben zurückzuschauen: Gibt es ein Herzensthema oder einen roten Faden, der sich durchzieht? Wofür haben Sie positives Feedback geerntet?
> Hören Sie in sich hinein und fragen Sie sich, wofür die seltsam dunklen, wuchernden Pflanzen in Ihrem Treibhaus stehen. Welche Dinge haben die Kraft, Ihr Potenzial klein zu halten? Das könnten beispielsweise negative Gedanken über sich selbst sein. Oft sind sie uns so vertraut, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Zu dumm, zu alt, zu wenig redegewandt? Das klingt nach Gedanken, die kritisch hinterfragt gehören.
> Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und stellen fest, dass dies Ihr perfekter Tag ist. Ein Tag, der genauso verläuft, wie Sie ihn sich immer erträumt haben. Wie sähe dieser Tag aus? Machen Sie sich Notizen, seien Sie ausführlich. Ganz wichtig: Es ist ein Tag, der in der Zukunft liegt. Was Sie sich erträumen, muss noch nicht viel mit Ihrem Jetzt zu tun haben. Fühlen Sie in sich hinein. Diese Übung ist einzig und allein für Sie; niemand anders muss lesen, was Sie geschrieben haben – es sei denn, Sie möchten es!

Zwischen Selbstverwirklichung und Verantwortung
An diesem Punkt kann es sinnvoll sei, sich zu fragen, ob Sie diese Vorarbeit alleine leisten können und wollen oder ob Sie sich Unterstützung wünschen. Oft muss es gar kein ausgebildeter Coach sein; ein Gespräch mit einer Person Ihres Vertrauens kann ebenso hilfreich sein. Lassen Sie die Person vorab wissen, dass es Ihnen nicht um einen netten Smalltalk geht, sondern um ein Anliegen, das Zeit und Aufmerksamkeit braucht.

Aber ist solch ein Prozess nicht unnötiger Luxus? Schnell fällt das (verächtlich ausgesprochene) Wort Selbstverwirklichung, das mit Egoismus gleichgesetzt wird. Gerade bei Eltern jüngerer Kinder wird an deren Verantwortung der Familie gegenüber appelliert. Die könnte schließlich darunter leiden. Solche Appelle, ganz gleich ob ausgesprochen oder nonverbal vermittelt, wirken wie Gift, das alle Energie im Keim zu ersticken vermag. Daher sollte man sich gut überlegen, wen man zu welchem Zeitpunkt in diesen Prozess mit einbezieht – und in welcher Tiefe. Gott hingegen ist zu jeder Zeit ein Gegenüber, mit dem man Ideen, Hoffnungen und Ängste teilen kann.
Potenzial zu entfalten bedeutet, Kraft zu entfalten. Das kann in großen Entscheidungen wie dem Sprung vom Angestelltenverhältnis in die Selbstständigkeit münden. Es kann aber auch ganz zart und für Außenstehende fast unbemerkt vonstattengehen, indem sich im Inneren etwas verändert.

Dünge-Tipps
Angenommen, man hat Dinge in seinem Treibhaus entdeckt, die man zukünftig mehr in den Blick nehmen oder – um im Bild zu bleiben – düngen will: Wie kann dieses Düngen aussehen?
1. Bringen Sie dem, was Sie (wieder) neu entdeckt haben, Wertschätzung entgegen. Erkennen Sie es als ein Geschenk an, das ausgepackt und genutzt werden will.
2. Fangen Sie an, dieses Geschenk einzusetzen. Experimentieren, trainieren, gebrauchen Sie es. Seien Sie mutig! Es geht nicht darum, damit gleich Geld zu verdienen.
3. Unsicher, was Sie mit Ihren Gaben anfangen können? Dann befragen Sie Freunde oder das Internet. Dort finden Sie eine Vielzahl interessanter Portraits von Menschen, die ihre Gaben auf vielfältige Art und Weise nutzen.
4. Lernen Sie dazu: Tauschen Sie sich mit Gleichgesinnten/-begabten aus, lesen Sie Bücher, besuchen Sie Vorträge oder Weiterbildungen.
5. Suchen Sie sich Menschen, die Sie auf Ihrem Weg begleiten und Sie je nach Situation anfeuern, herausfordern oder als Ideengeber fungieren.

Stolpersteine
Wie auf fast jedem Weg gibt es auch auf diesem Stolpersteine. Hier ein paar der häufigsten:
• Der Alles-sofort-Stolperstein: Mit etwas Geduld und einer Portion Realitätssinn kann man ihn geschickt umgehen. Das SMART-Modell zur Zielerreichung kann hier weiterhelfen (http://tuned-instruments.com/node/162).
• Der Alles-anders-haben-wollen-ohne-etwas-zu-ändern-Stolperstein: Hier hilft wieder eine Prise Realitätssinn und die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Und die Frage: Was bin ich bereit, mich die Sache kosten zu lassen?
• Der Ich-schaffe-es-ganz-alleine-Stolperstein: Mit vereinten Kräften geht es einfach besser. Wer sind Ihre Unterstützer?
• Der Negativ-Gedanken-Stolperstein: Was sind Ihre ganz persönlichen Top-10-Negativ-Gedanken? Je besser Sie sie kennen, desto schneller können Sie ihnen Wahrheit entgegensetzen.

Schublade zu!
Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Auf das Thema Potenzial angewandt bedeutet das, die Begeisterung für das bevorstehende Abenteuer zu kanalisieren und nicht zu schnell den gedanklichen Sprung von der entdeckten Gabe hin zum Jobprofil zu machen. Die Herausforderung besteht oft darin, nicht in Schubladen zu denken: Nur weil jemand an Gott glaubt, muss er nicht automatisch Theologie studieren. Und wer gerne kreativ ist, hat mehr Optionen, als als freischaffender Künstler seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Jeder Mensch trägt eine einzigartige Gabenkombination in sich. Eine, die viel zu schade ist, um in Schubladen gesteckt zu werden.

Es ist wichtig, das, was da ist, wertzuschätzen. Auch dann, wenn es sich um eine noch ganz kleine Pflanze handelt. Oder wenn man noch nicht den Mut hat, sein Potenzial öffentlich einzusetzen. Denken Sie immer daran: Auch eine Tomatenpflanze braucht Zeit vom Ansatz der ersten Blüte bis zur erntereifen Frucht! Und auch Ihre Umgebung braucht Zeit, um mit der Veränderung umgehen zu lernen. Denn Sie sind Teil eines Systems: Wenn Sie Dinge in Ihrem Leben verändern, hat das auch Auswirkungen auf Ihr Umfeld.

Nicole Sturm ist als Coach und Heilpraktikerin für Psychotherapie aktiv – in ihrer Praxis in Norddeutschland sowie ortsunabhängig in Form von Online-Coaching-Angeboten: www.vorwärtsleben.de