„Was dich am meisten fordert, das lass!“

Ich kann nicht mehr! Wenn ich noch einen einzigen Beitrag lese oder höre über die Chance einer Krise, dann … Sähe es nicht so albern aus, würde ich hart aufstampfen und meine allergietropfende Nase hochziehen – so genervt bin ich.

Dabei kann ich nicht mal genau benennen, was mich nervt: Vielleicht das Einkaufen per Lieferdienst (weil mein Mann zur Risikogruppe gehört)? Das Versacken vor dem TV? Die ständige Präsenz der Kinder? Alles in mir ist überreizt: alles zu laut, zu viel, zu eng … Und wer hat eigentlich diese hässliche Wandfarbe im Wohnzimmer ausgesucht? Und überhaupt: Wieso posten alle so schöne Gärten, Frisuren, Kinder, Basteleien?

Als ich mich gestern mit einem beherzten „Ich kann nicht mehr!“ bei meinem Mann beklagte, war seine Reaktion: „Dann lass es!“ Mit funkelnden Augen verstand ich diese Gelassenheit als Kampfansage und forderte zum Wortduell heraus. Das prallte am gelassenen Mann ab. „Was dich am meisten fordert, das lass. Lass es zu oder lass es!“

Noch mit einem empörten: „Phh!“ bin ich meine inneren Anspannungen durchgegangen: Ich kann keine Gäste einladen. Also lasse ich diese Idee los und backe seit langem mal wieder – einfach so für uns.

Ich kann das Wort „Corona“ nicht mehr hören. Ich bin genervt vom TV-Programm und dem Radiogesabbel mit Statistiken, Virologen und nörgelnden Eltern. Also habe ich mich für Ruhe entschieden und lasse die Geräte einfach aus.

Ich kann nicht mehr zusehen, wie mein Teeny-Sohn vor sich hin entspannt und nerve ihn mit vielen kleinen und drängelnden Aufträgen. Schluss damit! Ich lasse ihn seine Zeit selbst einteilen und übe mich darin, Themen nur einmal anzusprechen.

Ich kann diese Dauerbeschäftgung mit den Kindern nicht mehr ertragen. Ich trete bewusster für eine Pausenzeit für mich ein. Wieso habe ich das vergessen? Ich lasse den Gedanken los, engagiert und kreativ für einen bunten, abwechslungsreichen und liebevollen Tagesablauf zu sorgen. In den nächsten Tagen darf liebevoll für unser Miteinander reichen.

Ich kann nicht mehr und schreibe meine Projekte auf. Was ist wirklich gerade dran? Wo drehe ich innerlich hoch, damit ich gesehen werde? Sind die anderen nicht viel effektiver? Und wäre das dann „schlimm“?

Ich kann nicht mehr, Gott. Mein Seufzen darf sein. Mir darf in den Anforderungen schwindlig werden, weil das Hamsterrad meines Alltags mir zeigt: So läuft es in den nächsten Wochen nicht.

Mein Alltag ist gerade ein erbarmungsloser Spiegel von Themen, die ich schon länger ahne. Das „Ich kann nicht mehr“ hat immer wieder in meinem Leben angeklopft. Ich will zu viel, weil andere es scheinbar auch dürfen, können, schaffen. Nur zu sein, fällt mir schwer.

Die nächsten Tage sind voller Momente, die ich im Normalfall wegorganisiert hätte. Nun muss ich sie durchleben. Aushalten. Lösungen finden. Für mich sorgen, wenn es keine Idee zur Verbesserung gibt.

Und ja. Zähneknirschend ahne ich: Diese Herausforderung hat Chancen für mich. Das Radio bleibt aber erstmal trotzdem aus.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.