Alles auf Anfang?

Warum das Alte nicht mehr das Neue ist.

„Juhu, endlich!“, juble ich meinen Kindern zu: „Euer Training fängt wieder an!“ In den letzten Tage sind die Inzidenzwerte in unserer Stadt gefallen, und der normale Alltag beginnt wieder anzulaufen. „Welches Training?“, kommt aus dem Garten. Erst lache ich, weil ich den klugen Humor meines Kindes vermute und dann realisiere ich: Die Zeiten der Distanz haben auch Distanz zu unserem alten Leben gefordert. Alles um mich herum fährt weder in den Alltagsmodus hoch. Was ist aber mein neuer Alltag? Was passt zu mir und meinen Kindern heute?

Ich spüre, dass unsere Familie eine andere geworden ist. Aus dem ersten Lockdown haben wir die Spaziergänge und Entdeckungen des Umlandes als wertvoll gerettet. Wir haben unseren Tagesablauf verändert. Wir spielen online mit der Großfamilie und haben so mehr Kontakt als in der Zeit vor der Pandemie. Und nun soll das Alte all das Neue ablösen. Will ich das?

Ich brauche die Zeit, um die innerliche Bremse zu lösen. Die Bremse, die ich in mir nicht als Ausbremsen und Stillstand empfinde, sondern als Konzentration auf uns als Familie im Stop-Modus des gesellschaftlichen Lebens. Wir suchen zusammen eine Idee für einen neuen Alltag in alten Möglichkeiten. Interessanterweise war uns allen dabei besonders wichtig, Menschen einzuladen. Zusammen sortieren wir unsere Werte. Welche Hobbys und Aktivitäten von uns und unseren Kindern formen die Persönlichkeit und machen Superspaß? Und welche dienen mehr der gesellschaftlichen Akzeptanz und nicht dem Individuum?

Dabei kommt auch unser erhöhtes Serien-Schauen zur Sprache. Ich muss mich hinterfragen lassen und gebe nach einigem Nachdenken zu, dass es nun vorbei ist mit dem „Es geht ja nix Anderes!“ als Ausrede. Die mediale Nutzung ist ein großes Diskussionsthema. Was wollen wir weiter fördern – Lernen mit Apps, Hörbücher, Online Skat … – und was nicht?

Wir fühlen uns als Familie erschöpft und nehmen das ernst. Wir sehen gut hin, was uns gerade zu viel abverlangt. Keiner von uns will in das Alte zurück. Aber Leidenschaften wie Tariks Fußball oder Riekas geliebte Escape Rooms können nicht oft genug stattfinden.

Je länger wir die nächsten Wochen bedenken, desto mehr kribbelt es in mir. Was für eine große Chance haben wir. Durch diese Zäsur können wir aus dem alten Alltag Neues werden lassen und zwar so bewusst, wie es wenigen Menschen in anderen Zeiten möglich war.

In mir blubbert es wie vor der Einschulung, einer ungeliebten Weisheitszahn-OP und den großen Ferien zusammen und ich spüre, ich will meine Kraft in das Neue investieren. In der Bibel finde ich dazu einen Vers, der mich aufmuntert: „Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43, 19) Gott lädt mich ein, mutig hinzusehen. Das Wachsen des Neuen wahrzunehmen. Nicht Zackzack, sondern achtsam.

Ja, ich will das Neue entdecken und damit heute beginnen.

Stefanie Diekmann ist Gemeindereferentin in Göttingen