Zwischen Windeln und Silbenschwingen

Eindrücke aus dem Homeschooling

Ich habe den Überblick verloren. Irgendwo zwischen Bad und Küche ist er mir abhandengekommen. Gerade bin ich von hier nach da gelaufen und wollte – was eigentlich? Überall liegt etwas. Meine Gedanken springen von einem zum anderen und die Kinder mittendurch. Was wollte ich tun? Wäsche aufhängen? Den Kuchen in den Kühlschrank stellen? Brei auftauen oder die Staubflusen davor retten, im Mund des Krabbelkindes zu verschwinden? Kochen wäre jetzt wahrscheinlich das dringendste. Aber es kommt noch eine unangenehm riechende Windel dazwischen. Im selben Moment ist leider „Teams“ abgestürzt, und die Sechsjährige ruft leicht panisch nach mir, weil die Gesichter in der Homeschooling-Videokonferenz sie alle nur noch wie stumme Fische anstarren.

Wo wir schon beim Thema Schule sind: An Rosenmontag ist übrigens schulfrei. Also kein „Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Lene, Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Frau Maurer, Guten Morgen Anton“ aus dem Kinderzimmer. Und an Faschingsdienstag dürfen sich die Kinder verkleidet vor den Laptop setzen … Sooo besonders finde ich das jetzt gar nicht. Meine Tochter lag auch schon im Bett vor der Videokonferenz, weil die Lehrerin gesagt hat, sie sollen es sich zum Geschichtevorlesen „ganz gemütlich“ machen. Ein anderes Mal saß sie auf der Stange ihres umgekippten Drehstuhls halb unter dem Schreibtisch, als ich ins Zimmer kam. Oder sie hatte eine Puppe, einen Teddy oder ein Barbiepferd auf Schoß oder Schreibtisch platziert, während sie über den Bildschirm gestellte Minusaufgaben löste. Heute habe ich – nicht wissend, dass sie ihr Mikro nicht mehr auf mute geschaltet hat – lautstark erklärt, dass sie den Becher mit Wasser NICHT direkt neben den Laptop stellen darf. Warum? Naja, sie hatte doch gerade noch mit mir geredet über drei Zimmer hinweg. Konnte ich ahnen, dass sie gerade drangenommen wurde?

Homeschooling. Allein darüber könnte ich inzwischen ein Buch schreiben … Aber die Zeit habe ich gerade wirklich nicht. Eigentlich wollte ich ja auch wickeln gehen. Schreiben kann ich dann noch abends auf dem Fußboden sitzend und auf den Schlaf der Kinder wartend – am Handy. Bis der Zeigefinger der rechten Hand nicht mehr tippen kann.  Einschlaftipp meiner Ältesten in diesem Moment: „Ich schwinge in meinem Kopf die Wörter und zähle die Königsbuchstaben. Dann kann ich bestimmt einschlafen.“ Wie bitte? Inzwischen verstehe ich dieses Erste-Klasse-Fachvokabular als Hilfslehrerin sogar ganz gut. Neulich hat sie sich in den Schlaf gekopfrechnet. Wie geht so etwas? Wahrscheinlich ist sie notorisch unterfordert, bewegt sich zu wenig und ist einfach nicht müde. Ich hingegen schlafe inzwischen fast auf dem Fußboden ein. Nur das Tippen hält mich noch wach. Und das Silbenschwingen von „Sche-re“.

Ein Gastbeitrag von Hannah Jesgarz