Foto: Stefanie bzw. Detlef Mergehenn

„Das musst du lesen!“

Die „Rupelrather Bücherfrauen“ haben anfangs einander ihre Lieblingsbücher vorgestellt. Inzwischen gibt es ein Bookcrossing-Regal, Vorlese-Stunden für Kinder und Büchertrödel für den guten Zweck. Von Stefanie Mergehenn

Am Anfang war das Wort. Oder der Einstiegssatz. Oder das Cover. Es gibt vieles, was einen animiert, ein neues Buch in die Hand zu nehmen. Oft ist es auch eine Rezension, der Tipp einer Freundin oder des Buchhändlers. „Das musst du mal lesen“: Unter dieser Prämisse fanden wir uns denn auch vor etlichen Jahren bei einer Gemeindefreizeit auf Langeoog mit interessierten Menschen an einem Abend im Kaminraum wieder, um einander bei einem Glas Wein und Knabbereien aktuelle Empfehlungen oder Immer-schon-Lieblingsbücher vorzustellen.

Das Konzept überzeugte. Als 2016 in meiner Kirchengemeinde die erste Wochenend-Freizeit nur für Frauen angeboten wurde, stand auf dem Willkommens-Brief: „Wer mag, bitte ein Lieblingsbuch, -film oder -CD einpacken, um es den anderen vorzustellen!“ Der entsprechende Abend dauerte rund drei Stunden – und ich griff nun doch zu den begeistert angepriesenen Werken von Charlotte Roth und Robert Seethaler, obwohl mir deren Cover vorab zu kitschig oder langweilig erschienen waren. Denn gegenseitiges Leihen gehört natürlich dazu – und ich wurde nicht enttäuscht!

WELTEN ZWISCHEN BUCHDECKELN

Nachdem die Literatur-Runde fortan Bestandteil jeder Freizeit war, fand eine der Frauen, es sei doch an der Zeit, diese schöne Tradition auch in den heimischen Alltag zu übertragen. Seitdem treffen wir uns vier-, fünfmal im Jahr mit interessierten Frauen – mal sind es sechs, mal ein ganzes Dutzend – in heimischen Wohnzimmern, um einander vorzulesen, Bücher zu präsentieren und zu erzählen, warum sie uns so berührt haben.

Sabine, die Initiatorin, empfindet es als großen Gewinn, „die vielfältigen Welten zwischen den Buchdeckeln aus ganz persönlicher Sicht zu beschreiben“. Denn ein Buch verändere den Lesenden „nicht nur durch das Aufnehmen des Inhalts, sondern durch das Einordnen der eigenen Erfahrungen und Gefühlswelten: Jede von uns liest ja anders, auch wenn die Buchstaben für alle gleich sind“. Der 54-jährigen Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist es zu verdanken, dass bei unseren Treffen immer auch einige Bilderbücher vorgestellt werden, in deren Geschichten und Illustrationen wir Erwachsenen mindestens ebenso versinken (können) wie die eigentliche Zielgruppe.

Auch Christine, eine weitere regelmäßig teilnehmende „Rupelrather Bücherfrau“, betont, dass sie schon viele Empfehlungen genutzt und so Autoren kennengelernt habe, auf die sie unter anderen Umständen gar nicht aufmerksam geworden sei. Ihr persönliches Fazit: „Mit echten Menschen zu sprechen, ist auch bei der Buch-Auswahl deutlich besser, als sich von Internet-Algorhythmen bestimmen zu lassen.“ Was die 54-Jährige darüber hinaus begeistert, ist, dass „ich dank unserer Gruppe viele tolle Frauen näher kennengelernt habe, denen ich sonst gar nicht begegnet wäre“.

NOCH VIER KISTEN IM KELLER …

Eine davon wurde beispielsweise von ihrer Nachbarin zu den „Bücherfrauen“ eingeladen und gehört jetzt zum „harten Kern“. Da liegt es nahe, auch mal am Rande der Buchstapel über die ein oder andere kulturelle Veranstaltung oder einen besondern Gäste-Gottesdienst in der eigenen Gemeinde zu sprechen. Apropos „eigene Gemeinde“: Die liegt den Bücherfrauen natürlich auch am Herzen. Deshalb war es naheliegend, für den Um- und Anbau unserer Kirche in den vergangenen Jahren zwei Bücher-Flohmärkte für das „Bau-Konto“ zu veranstalten.

Da die Spenden für den ersten Trödelmarkt eine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelten („Ich hab‘ übrigens auch noch vier Kisten im Keller …“), hatten wir anschließend sogar mehr als zwölf Körbe übrig, die wir noch am selben Tag in die „Flohkiste“ unserer Nachbargemeinde bringen konnten. Beim zweiten Mal sortierten wir schon im Vorfeld aus, um mit den nicht ganz so umfangreichen Hinterlassenschaften die Bücherschränke in einem Neubaugebiet unseres Gemeindebezirks zu bestücken.

Für einen eigenen Bücherschrank – diese öffentliche Bücherregale beispielsweise in ausrangierten Telefonzellen gibt es inzwischen ja in vielen Städten – hat sich in unserer Gemeinde leider noch kein Platz gefunden. Stattdessen haben wir ein „Bookcrossing-Regal“ im Café-Bereich, in das ausgelesene (und keineswegs nur christliche) Bücher hineingestellt und von anderen dankbar herausgenommen werden. „Dabei geht es nicht ums Loswerden, sondern um das Weitergeben eines Buches, das uns selbst berührt hat“, betont Sabine. Die Auswahl erfordere deshalb eine besondere Sorgfalt und regelmäßige Durchsicht seitens der Bücherfrauen, die dann auch mal einen verjährten Stadtführer oder einen zerlesenen Trivial-Roman entfernen.

NOSTALGISCHES ANGEBOT

Die Freude und Faszination an Büchern kann nicht früh genug gesät werden – davon ist in dieser FamilyNEXTAusgabe an vielen Stellen zu lesen. Ich habe, als unser Sohn noch klein war, gern das ein oder andere Mal in seiner Kita vorgelesen. Viele Stadtbüchereien oder Grundschulen suchen heutzutage „Vorlese-Paten“. Mir macht es viel Spaß, bei unserem Kinder-Action-Samstag „Kiwi“, zu dem regelmäßig rund 70 Kinder ins Gemeindezentrum kommen, eine „Vorlese-Stube“ anzubieten. Es berührt mich zu erleben, wie Kinder, die sonst vielleicht eher auf flackernde Displays oder Monitore starren, zur Ruhe kommen, die Augen schließen und sich auf dieses nostalgische Angebot des „Kopfkinos“ einlassen – wenn sie sich nicht dicht um das Bilder- oder Geschichtenbuch drängen. Auch darin sehe ich als „Rupelrather Bücherfrau“ eine Chance: Kindern die Liebe zu diesen vielseitigen Freunden zu vermitteln – am besten eine Liebe fürs Leben.

Stefanie Mergehenn ist Journalistin und lebt mit ihrer Familie in Solingen.